OGH 3Ob38/97b

OGH3Ob38/97b26.2.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Graf, Dr.Pimmer, Dr.Zechner und Dr.Sailer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Helga H*****, vertreten durch DDr.Manfred Nordmeyer und Dr.Widukind W.Nordmeyer, Rechtsanwälte in Wels, wider die beklagte Partei Patrick O*****, vertreten durch Dr.Peter Keul und Dr.Alexander Burkowski, Rechtsanwälte in Linz, wegen 60.000 S sA infolge Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 30.000 S sA) gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgerichts vom 30.Oktober 1996, GZ 22 R 326/96m-48, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Bezirksgerichts St.Johann im Pongau vom 28.Mai 1996, GZ 3 C 1489/95d-38, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 4.058,88 S (darin 676,48 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 23.Februar 1995 ereignete sich gegen 11.45 Uhr in Wagrain unterhalb des sogenannten "Jandl-Steilhanges" ein Schiunfall, an dem die Klägerin und der Beklagte beteiligt waren. Letzterer ist ein guter Schifahrer und fuhr den Steilhang auf der linken Pistenhälfte in kurzen Schwüngen und in der Fallinie "mit eher langsamer Geschwindigkeit" ab. Im Flachteil änderte er seine Fahrweise auf "mittellange Schwünge mit mittlerer Geschwindigkeit". Im Bereich einer Geländekante, wo seine Freundin stand, wollte er schließlich anhalten. Er verringerte daher gegen Ende des Flachstückes das Tempo und fuhr schon "eher langsam". Als er während der Geschwindigkeitsverringerung einen Rechtsschwung als vorletzten Schwung vor dem beabsichtigten Anhalten ausgeführt hatte, öffnete sich für ihn überraschend die Bindung des linken Schis. Die Piste war dort flach, eben und ohne Auffälligkeit. Der Beklagte bewegte sich nach dem Öffnen der Schibindung in unkontrollierter Fahrweise weiter talwärts. Sein Bestreben war, keine Person vor ihm zu verletzen und zwischen einer im Bereich der Geländekante etwa 2 m unterhalb seiner Freundin neben dem Pistenrand stehenden Personengruppe durchzukommen. Er versuchte zwar noch, das Gleichgewicht zu halten, geriet jedoch in Rücklage, stürzte kurz oberhalb seiner Freundin und rutschte am Boden durch die stehende Gruppe talwärts. Dabei prallte er gegen die rechte Körperseite der Klägerin, diese stürzte daraufhin seitlich talwärts und rutschte eine kurze Distanz ab. Auf den Schiern des Beklagten war eine Atomic-Bindung montiert. Die näheren Umstände des Schikaufs und der Bindungseinstellung sind nicht feststellbar. Ebenso unklärbar ist, welche Einstellung die Bindung des linken Schis aufwies, als sich diese vor dem Unfall geöffnet hatte. Die Klägerin erlitt als Unfallfolge zahlreiche Prellungen am ganzen Körper.

Die Klägerin begehrte den Zuspruch von 60.000 S an Schmerzengeld und brachte vor, der Beklagte sei zu schnell, ohne Grund zu direkt und ohne ausreichenden Sicherheitsabstand auf die im Bereich des Pistenrands stehende Personengruppe zugefahren. Der Beklagte habe es auch an der erforderlichen Aufmerksamkeit fehlen lassen und wäre verpflichtet gewesen, einen Notsturz herbeizuführen. Statt dessen habe er längere Zeit versucht, sich auf einem Schi in instabiler Lage fortzubewegen. Die Einstellung der Schibindung habe nicht der Fahrweise und den Schneeverhältnissen entsprochen. Die unfallkausalen Verletzungsfolgen rechtfertigten ein Schmerzengeld von 60.000 S.

Der Beklagte wendete ein, außerstande gewesen zu sein, eine den Unfall vermeidende Reaktion zu setzen. Die Bindung des linken Schis habe sich völlig unerwartet geöffnet. Diese sei vor Beginn der Wintersaison 1994/95 von einem Fachmann dem Stand der Technik entsprechend eingestellt worden. Sie habe bis zum Unfall auch fehlerfrei funktioniert. Das begehrte Schmerzengeld sei überhöht.

Das Erstgericht erkannte den Beklagten schuldig, der Klägerin 30.000 S sA zu bezahlen. Das Mehrbegehren wies es dagegen ab. Da bei richtiger Einstellung die Bindung während der Abfahrt in der Regel nicht auslöst, wenn der Benützer nicht eine wesentlich schärfer Fahrweise wählt als jene, die er bei der Bindungseinstellung als seine bevorzugte angab, sei prima facie die Annahme gerechtfertigt, daß die Einstellung fehlerhaft gewesen sei, oder aber die Fahrweise bei der Unfallabfahrt nicht jener entsprochen habe, die er bei der Einstellung angegeben habe. Es vertrat die Rechtsansicht, daß die Haftung des Beklagten für die Unfallfolgen deshalb zu bejahen sei, weil diesem der Nachweis einer ordnungsgemäß eingestellten Schibindung nicht gelungen sei. Aufgrund der unfallskausalen Verletzungen der Klägerin sei ein Schmerzengeld von 30.000 S angemessen.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es erwog in rechtlicher Hinsicht, daß die Anforderungen an die bei der Sportausübung gebotene Sorgfalt nicht überspannt werden dürften. Die mit einer bestimmten Sportart in typischer Weise verbundenen Gefahren seien als erlaubtes Risiko anzusehen. Das gelte auch für den Schilauf. Der Sportausübende hafte nur dann für einen von ihm verursachten Schaden, wenn er die unvermeidbaren Risken durch ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten - etwa durch die Mißachtung allgemein anerkannter Regeln - erhöht habe. Eine Haftung könne sich jedoch auch aus der Verwendung untauglicher oder unzureichend gewarteter Sportgeräte ergeben. Das unerwartete Öffnen einer Schibindung sei daher dann nicht als Zufall im Sinne des § 1311 ABGB anzusehen, wenn die Fehlauslösung auf einem Verschulden beruhe. Der Beklagte hätte daher zu beweisen gehabt, daß die Bindungseinstellung dem gegenwärtigen Stand der Technik entsprochen habe. Dieser Entlastungsbeweis sei dem Beklagten jedoch nicht gelungen. Es sei daher prima facie davon auszugehen, daß das Unfallgeschehen durch eine mangelhafte Bindungseinstellung verursacht worden sei, schlössen doch die Pistenverhältnisse und die Fahrweise andere für die Auslösung der Schibindung in Betracht kommende Ursachen aus. Der Beklagte sei allerdings auch deshalb für die Unfallfolgen verantwortlich, weil er in der gegebenen Situation verpflichtet gewesen wäre, einen Notsturz herbeizuführen. Einem Schiläufer sei zwar aus der Unterlassung eines Notsturzes im Zweifel kein Vorwurf zu machen (ZVR 1989/29; 1 Ob 563/81), maßgeblich seien jedoch stets die Umstände des Einzelfalls. Werde die Bindung eines Schis während der Fahrt aufgeschlagen, dürfe der Schiläufer nur dann den Versuch unternehmen, auf einem Schi anzuhalten, wenn durch dieses Fahrmanöver keine anderen, in der Nähe befindlichen Schiläufer gefährdet werden könnten. Der Unfallshergang belege jedoch, daß der Beklagte nicht in der Lage gewesen sei, auf einem Schi das Gleichgewicht zu halten und kontrolliert abzuschwingen. Dessen Versuch, in unkontrollierter Fahrweise auf einem Schi zwischen den Personen einer Gruppe durchzufahren, erscheine fahrlässig. Dem Beklagten wäre als guter Schiläufer ein Notsturz bei geringer Fahrgeschwindigkeit zumutbar gewesen. Die ordentliche Revision sei deshalb zulässig, weil es zu den Rechtsfragen des Notsturzes und der Beweislast bei Fehlauslösung einer Schibindung an einer gesicherten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof sprach bereits in 7 Ob 679/84 aus, daß die unerwartete Fehlauslösung der Schibindung während der Abfahrt und eine dadurch verursachte Sturzkollision mit einem anderen Pistenbenützer nur dann als ein die Haftung ausschließender Zufall im Sinne des § 1311 ABGB anzusehen ist, wenn dem Schiläufer kein Verschulden an der Fehlauslösung vorwerfbar ist. Daran ist festzuhalten.

Nach ständiger, von der Lehre gebilligter Rechtsprechung enthalten die FIS-Verhaltensregeln für Schifahrer eine Zusammenfassung der (auch und besonders) bei Ausübung des alpinen Schisports zu beachtenden Sorgfaltspflichten (JBl 1989, 725; SZ 61/201; JBl 1983, 258; SZ 43/127; Pichler/Holzer, Handbuch des österreichischen Skirechts [1987] 150 f; Scheuer, Haftung bei Skiunfällen, DAR 1990, 121; idS für die hier in Betracht kommenden Regeln etwa auch die deutsche Rsp: BGH NJW 1972, 627). Soweit dieser Grundsatz nach einem Teil des Schrifttums gewissen Einschränkungen unterworfen sein mag (Reischauer in Rummel, ABGB2 Rz 7 zu § 1297 und Rz 5 zu § 1311; Welser in Sprung/König, Das österreichische Skirecht [1977] 442 ff), wirft der hier zu beurteilende Sachverhalt, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergeben wird, keine derartigen Fragen auf. Es kann überdies dahingestellt bleiben, ob die FIS-Verhaltensregeln für Schifahrer - wie Pichler (Die FIS-Regeln für Skifahrer, ZVR 1991, 353 [355 f]) zu begründen versucht - in Österreich bereits als Gewohnheitsrecht gelten, hängt doch die Entscheidung hier auch nicht von der Klärung dieser Rechtsfrage ab.

Die in Konkretisierung der Sorgfaltspflicht jedenfalls unbedenkliche Regel 1 besagt, daß sich jeder Schifahrer so verhalten muß, daß er keinen anderen gefährdet oder schädigt. Die Kenntnis dieser Grundregel ist bei jedem Schiläufer vorauszusetzen. Davon geht auch die Präambel der FIS-Regeln aus, kann doch danach das sorgfaltswidrige Verhalten eines Schiläufers nicht durch Regelunkenntnis entschuldigt werden. Aufgrund der Regel 1 ist der Schiläufer aber nicht nur für fehlerhaftes Verhalten auf der Piste, sondern auch für die Folgen einer mangelhaften Ausrüstung verantwortlich (Pichler, ZVR 1991, 353; Stiffler, Die FIS-Verhaltensregeln für Skifahrer [Fassung 1990], SJZ 1991, 7 f). Demnach gehört es zu den Verhaltenspflichten eines alpinen Schiläufers, die Bindungseinstellung durch einen Fachmann zu veranlassen, um dadurch den für jeden Teilnehmer am Pistenskilauf unmittelbar einsichtigen Unfallgefahren zu begegnen, die sich aus der Auslösung einer nicht ordnungsgemäß eingestellten Bindung während einer Abfahrt ergeben können. Pichler/Holzer (Handbuch des österreichischen Skirechts [1987] 130) sehen den Umfang der Verhaltenspflichten des Schiläufers in diesem Punkt offenbar gleich, soweit es nach deren Ansicht "zur Interessensphäre und zum Pflichtenkreis des Benützers" gehört, "die Bindung korrekt einstellen zu lassen". Damit wird nämlich keine Rechtspflicht des Schiläufers als Laien angesprochen, die durch einen Fachmann vorgenommene Bindungseinstellung auf Richtigkeit zu überprüfen, sondern, wie aus den weiteren Ausführungen folgt, nur klargestellt, daß der Schiläufer als Voraussetzung einer richtigen Bindungseinstellung (auch) die seiner bevorzugten Fahrweise angepaßten Informationen zu erteilen hat.

Nach den bisherigen Darlegungen hätte also der Beklagte zu beweisen gehabt, daß die Einstellung seiner Schibindung aufgrund korrekter Angaben über sein Fahrkönnen durch einen Fachmann besorgt wurde. Dieser Beweis ist dem Beklagten jedoch mißlungen, weil die näheren Umstände des Schikaufs und der Bindungseinstellung nicht festgestellt werden konnten. Wenn die Vorinstanzen daher ihren Entscheidungen prima facie die Tatsache zugrundelegten, daß eine der Ursachen für den Schiunfall am 23. Februar 1995 das Auslösen der (jedenfalls) am linken Schi des Beklagten fehlerhaft eingestellten Bindung war (vgl zum prima facie-Beweis: Pichler/Holzer aaO 130; Reischauer in Rummel aaO Rz 4 ff zu § 1296 mN aus der Rsp), so ist das nach den rechtlichen Voraussetzungen dieses Kausalitätsbeweises (vgl Rechberger in Rechberger Rz 22 vor § 266 ZPO mwN) nicht zu beanstanden. Dem Beklagten ist zwar zuzugestehen, daß auch ein "Konstruktions-, Produktions- oder Materialfehler" ursächlich für die Bindungsfehlauslösung gewesen sein könnte. Es wäre jedoch an ihm gelegen, die ernsthafte Möglichkeit der Verwirklichung eines solchen Sachverhalts darzutun, daß ein Konstruktions-, Produktions- oder Materialfehler Ursache der Bindungsauslösung gewesen sein konnte. Dazu erstattete der Beklagte der angab den Einstellstand der Bindung mittlerweile verändert zu haben, im Verfahren erster Instanz allerdings kein Prozeßvorbringen. Die Fehlauslösung der Bindung ist dem Beklagten, wie aus den einleitenden Erörterungen folgt, aber auch als Verschulden anzulasten. Das reicht bereits für die Bejahung dessen Schadenersatzhaftung aus. Es stellt sich daher nicht mehr die Frage, ob der Beklagte nach den damals verwirklichten Umständen des Einzelfalls auch verpflichtet gewesen wäre, den Versuch zu unternehmen, einen Zusammenstoß mit der Klägerin nach dem Öffnen der Schibindung durch die Einleitung eines Notsturzes zu vermeiden.

Der Revision ist somit nicht Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens stützt sich auf §§ 41 und 50 ZPO.

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