OGH 3Ob2292/96x

OGH3Ob2292/96x26.2.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden sowie durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Pimmer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei o.Hochschulprofessor Michael F*****, vertreten durch Dr.Wolfgang Lenneis, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Prof.Marina M*****, vertreten durch Dr.Rudolf Bazil, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 20.Mai 1996, GZ 43 R 68/96k-100, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 22.September 1995, GZ 3 C 151/90i-93, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Die Rechtssache wird zur neuerlichen, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällenden Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Der Kläger begehrt die Scheidung der mit der Beklagten geschlossenen Ehe. Die Ehe sei aus dem Verschulden der Beklagten seit vielen Jahren zerrüttet. Sie habe sich geweigert, mit ihm in Wien einen gemeinsamen Wohnsitz zu nehmen. Nach Operationen in den Jahren 1980, 1982 und 1985 habe sie ihn nicht ausreichend betreut. Außerdem habe sie sich oftmals seinem mit Nachdruck geäußerten Kinderwunsch widersetzt und sich beharrlich geweigert, Nachkommenschaft zu empfangen, ohne daß hiefür gesundheitliche Gründe vorgelegen seien. Das Scheidungsbegehren werde auch auf § 55 EheG gestützt, weil die "tatsächliche Trennung" der Ehegatten bereits mehr als zehn Jahre andauere.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und bestritt das Vorbringen des Klägers. Sie wendete ein, daß der Kläger sie wegen einer anderen Frau verlassen habe. Da sie die Scheidung der Ehe ungleich härter als den Kläger deren Aufrechterhaltung treffen würde, werde im Fall der Stattgebung des Klagebegehrens beantragt, das Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe auszusprechen.

Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile und sprach aus, daß das Verschulden an der Zerrüttung den Kläger treffe. Er stellte im wesentlichen folgendes fest:

Der Kläger ist österreichischer Staatsbürger, die Beklagte ist italienische Staatsbürgerin. Die Streitteile, die beide Musiker sind, schlossen am 10.9.1966 die Ehe. Die Beklagte unterrichtete seit 1963 in Venedig. Der Kläger bemühte sich schon vor der Ehe, für beide eine Stellung in Salzburg zu finden, was ihm jedoch nicht gelang. Er unterrichtete in Wien. Zu den Feiertagen fuhr er nach Venedig zu seiner Frau und deren Familie; fuhr die Beklagte nach Wien, wohnte sie beim Kläger in Wien 13. 1970 nahm sie eine Stelle an einer Hochschule in Mailand an, 1975 eine solche am italienischen Kulturinstitut in Wien; diese gab sie jedoch, weil sie nicht ihren Neigungen entsprach, nach einigen Monaten wieder auf. Damals wurde eine Ehewohnung in Wien 3. bezogen. Wenn sich die Beklagte jeweils zwischen drei und fünf Tagen pro Woche in Wien aufhielt, führte sie gemeinsam mit dem Kläger den Haushalt, sie kochte auch. 1978 nahm die Beklagte eine Stelle am Konservatorium in Wien an, die sie immer noch inne hat. Sie gestaltete ihre Unterrichtstätigkeit in Wien und Mailand blockweise, so daß sie mindestens zweimal im Monat hin- und herfuhr. Der Kläger versuchte, für sie eine Stelle an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst zu erhalten; dies gelang jedoch nicht. Die Beklagte war zwar daran interessiert, in Österreich ansässig zu werden. Da ihre beruflichen Vorstellungen nicht verwirklicht wurden, behielt sie die sichere und prestigereiche Stellung in Mailand; dort verdient sie ungefähr das Doppelte wie in Wien.

Die geschlechtlichen Beziehungen zwischen den Streitteilen gestalteten sich von Anfang an schwierig. Der Kläger meinte, daß sich die Beklagte verkrampfe, wenn er sich ihr nähere. Die Beziehung der beiden war "erotisch und in sexueller Hinsicht eine Katastrophe". Der letzte eheliche Verkehr fand 1974 statt. Bereits 1970 nahm der Kläger eine Beziehung zu einer anderen Frau auf, um sich geschlechtlich zu bestätigen, weil er infolge der psychischen Belastung bereits dachte, impotent zu sein. Mitte 1986 begann er mit der Mutter eines seiner Schüler eine geschlechtliche Beziehung; mit dieser wohnt er seit 1986 zusammen.

Die Streitteile gestalteten ihre Ehe im Hinblick auf ihre beiderseitigen musikalischen Karrieren so, "daß die Musik wichtiger als das übliche Zusammenleben war". Von beiden wurde es als nicht ideal empfunden, daß sie häufig wegen der beruflichen Verpflichtungen getrennt waren. Aus diesem Grund war die Beklagte auch nicht an Kindern interessiert, ohne daß sie etwas zur Verhütung unternommen hätte.

Rechtlich beurteile das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt dahin, daß die Voraussetzungen für eine Scheidung der Ehe nach § 48 EheG nicht gegeben seien; die Beklagte habe zwar keine Kinder gewollt, die Empfängnis aber nicht verhütet. Überdies könne der Scheidungsgrund auch infolge Fristablaufs nicht mehr geltend gemacht werden, weil seit 1974 kein Geschlechtsverkehr mehr stattgefunden habe. Es sei aber der Tatbestand nach § 55 Abs 3 EheG erfüllt. Dabei treffe das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe den Kläger, weil er die häusliche Gemeinschaft im Hinblick auf seine Beziehung zu einer anderen Frau gegen den Willen der Beklagten aufgelöst habe. Die Beklagte habe dem Kläger keinen Grund zur Auflösung der häuslichen Gemeinschaft gegeben.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers, mit der nur der Ausspruch über das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe bekämpft wurde, teilweise Folge; "das Verschulden an der Zerrüttung treffe beide Parteien". Außerdem sprach es aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Zur rechtlichen Beurteilung der Sache führte das Berufungsgericht aus, ein Schuldvorwurf daraus, daß ein Ehepartner nicht zum anderen gezogen sei, könne keinem der Eheleute gemacht werden. Das jeweilige Gesamtverhalten sei aber nicht auf eine gemeinsame Lösung dieser Problematik ausgerichtet gewesen. Dieses jahrelange "Treibenlassen im Sinne einer Hintansetzung des ehelichen Zusammenlebens unter Forcierung der beiden künstlerischen Karrieren" begründe das jeweilige Zerrüttungsverschulden im Sinn des § 60 Abs 3 EheG.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Beklagten gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes erhobene außerordentliche Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichtes zulässig, weil dieses auf die im folgenden zitierte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach die grundlose Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft und die Verletzung der ehelichen Treue als schwere Eheverfehlungen anzusehen sind, nicht entsprechend Bedacht genommen hat. Dies wird in der Revision auch geltend gemacht. Daß es nicht gesondert im Sinn des § 506 Abs 1 Z 5 ZPO geschah, ist entgegen der vom Kläger in der Revisionsbeantwortung vertretenen Auffassung ohne Bedeutung.

Die Revision ist auch berechtigt.

Die geltend gemachte Aktenwidrigkeit liegt allerdings nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Unbeachtlich ist ferner das Vorbringen in der Revision, mit dem die Beweiswürdigung durch die Vorinstanzen bekämpft wird, weil damit keiner der im § 503 ZPO erschöpfend aufgezählten Revisionsgründe ausgeführt wird (EF 49.402, 34.498 ua).

Gemäß §§ 20 Abs 1, 18 Abs 1 Z 2 IPRG ist österreichisches Scheidungsrecht anzuwenden.

Es ist davon auszugehen, daß die Ehegatten im Sinn des § 91 ABGB die eheliche Lebensgemeinschaft faktisch einvernehmlich dahin gestaltet haben, wie sie ihren beiderseitigen musikalischen und beruflichen Interessen entsprach. Eine solche zwischen den Ehegatten durch längere Zeit unwidersprochen befolgte Übung kann die gleiche Wirkung äußern wie eine ausdrückliche Gestaltungsabsprache (SZ 60/34 mwN; JBl 1991, 714; Schwimann in Schwimann Rz 5 zu § 91 ABGB). Ein solches faktisches Einvernehmen bestand jedenfalls in den ersten Jahren der Ehe. Ein "gleichteiliges Verschulden" (richtig der Entfall eines Verschuldensausspruches nach § 61 Abs 3 EheG - Gruber in Schwimann Rz 20 zu § 61 EheG; vgl die Rsp d. LGZ Wien EF 69271 mwN) an der Zerrüttung könnte bei diesem Sachverhalt nur dann angenommen werden, wenn entweder die konkrete Gestaltung der ehelichen Gemeinschaft nichtig war oder durch Änderung der Umstände nichtig wurde. Der erkennende Senat hat in seiner Entscheidung vom 9.12.1981, 3 Ob 640/81 = EF 37.509 unter Billigung von Pichler in Rummel2, Rz 5 zu § 90 ABGB ausgesprochen, daß die Verpflichtung der Ehegatten zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft besonders zum gemeinsamen Wohnen einer abweichenden Gestaltung durch die Ehegatten nicht entzogen ist (siehe hiezu auch Gernhuber/Coester-Waltjen Lehrbuch des Familienrechts4 175 gerade für Künstlerehen). Selbst jene Autoren, die grundsätzlich die Nichtigkeit eines solchen Einvernehmens behaupten (so etwa Kerschner in Harrer/Zitta, Familie und Recht 399; vgl Wacke in MünchKomm3 Rz 25 zu § 1353 BGB; Heinz Hübner in Staudinger12, Rz 65 zu § 1353 BGB), gehen davon aus, daß das faktische Einvernehmen getrennt zu wohnen bei ausreichenden sachlichen Gründen wie etwa wegen beiderseitiger Berufstätigkeit gültig sei (Kerschner aaO 400; Soergel/Lange12 Rz 8 zu § 1353 BGB; Heinz Hübner aaO Rz 66, 71).

Solche sachlichen Gründe waren wegen der künstlerischen Berufstätigkeit der Streitteile in verschiedenen Staaten umso mehr gegeben, als sie jeweils trachteten, ihre Freizeit sei es in Wien sei es in Italien gemeinsam zu verbringen, sodaß die vielleicht nur scheinbare Divergenz der Entscheidung EF 37.509 (siehe hiezu etwa SZ 23/137) zu den genannten Lehrmeinungen nicht gelöst werden muß. Die Gestaltung des Ehelebens im Einvernehmen kann daher selbst wenn sie eine Entfremdung gefördert haben mag, keinen Teil als Zerrüttungsverschulden zugerechnet werden.

Ob eine solche einvernehmliche Gestaltung für jeden Teil einen solchen Vertrauenstatbestand (Schwimann aaO) schaffte, daß nur bei einer Änderung der Umstände nach Interessenabwägung (Ferrari-Hofmann-Wellenhof in JBl 1991, 716) rechtmäßig davon abgegangen werden konnte, oder ob infolge der gesetzlichen Verpflichtung zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft (§ 90 ABGB) der vorerst geschaffene Zustand nur ein vorübergehender sein sollte und durfte, kann gleichfalls dahingestellt bleiben: Nach den insoweit unbestrittenen Feststellungen nahm die Beklagte nach dem Fehlschlag ihrer beruflichen Erwartungen im Jahr 1975 am Italienischen Kulturinstitut in Wien im Jahr 1978 eine Teilzeitunterrichtstätigkeit am Konservatorium in Wien auf ohne ihre Professur in Mailand niederzulegen, sodaß sie ihren Lebensschwerpunkt zwischen Wien und Mailand teilte. Es mag sein, wie der Kläger in seiner Berufung ausführte, daß es ihm möglich gewesen wäre, der Beklagten zu einer vollen Lehrverpflichtung an der Hochschule für Musik in Wien zu verhelfen, es fehlt aber an jedem Vorbringen, daß die beiderseitige Interessenlage gerade in diese und nicht etwa in die umgekehrte Richtung ging, daß der Kläger seine Berufstätigkeit zwischen Österreich und Italien teilte. Die konkrete Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft belastet demnach weder den Kläger noch den Beklagten mit einem Zerrüttungsverschulden.

In der Revision wird mit Recht darauf hingewiesen, daß gemeinsam Beschlossenes jeden einzelnen Ehegatten bindet, solange sich die Lebensumstände nicht ändern (EF 64.888). Es ist daher dem Kläger als Verschulden anzulasten, daß er die - wenngleich nur lose bestehende - häusliche Gemeinschaft auflöste, mit einer anderen Frau eine häusliche Gemeinschaft begründete und mit dieser auch geschlechtliche Beziehungen unterhielt. All dies bedeutete eine schwere Eheverfehlung (vgl EF 69.201 ua), die auch sein Verschulden an der Zerrüttung der Ehe begründete. Da die Form des Zusammenlebens, die bis dahin bestand, dem Einvernehmen der Ehegatten entsprach, muß davon ausgegangen werden, daß sie zur Zerrüttung der Ehe nicht beigetragen hat und daß diese erst unheilbar wurde, als der Kläger die häusliche Gemeinschaft aufhob.

Der Kläger hat allerdings schon im Verfahren erster Instanz vorgebracht, daß sich die Beklagte dem von ihm oftmals und mit Nachdruck geäußerten Kinderwunsch widersetzte und somit beharrlich weigerte, Nachkommenschaft zu empfangen. Den Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes ist nicht mit ausreichender Deutlichkeit zu entnehmen, ob dieses Vorbringen zutrifft. Sollte dies der Fall sein, so hätte die Beklagte einen Beitrag zur Zerrüttung der Ehe geleistet, der nicht vernachlässigt werden könnte. In diesem Fall wäre davon auszugehen, daß das Verschulden keines der beiden Ehegatten fast völlig in den Hintergrund tritt (vgl EF 69.266, 51.666, 46.261 ua), weshalb es nicht gerechtfertigt wäre auszusprechen, daß der Kläger die Zerrüttung der Ehe allein oder überwiegend verschuldet hat. Andernfalls wäre aber der Ausspruch gerechtfertigt, daß die Zerrüttung der Ehe allein auf das Verschulden des Klägers zurückzuführen ist, weil er die häusliche Gemeinschaft ohne Grund aufgehoben hat.

Das Berufungsgericht, an das die Rechtssache im Sinn des § 496 Abs 3 ZPO zurückzuverweisen war, wird daher im fortzusetzenden Verfahren die Beweisrüge des Klägers über die Verweigerung der Empfängnis von Nachkommenschaft zu erledigen haben.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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