OGH 12Os172/96

OGH12Os172/9613.2.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 13.Februar 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut, Dr.Schindler, Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Torpier als Schriftführer, in der Strafsache gegen Johann W***** und eine andere Angeklagte wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Johann W***** und Andrea B***** gegen das Urteil des Geschworenengerichts beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 7.Oktober 1996, GZ 30j Vr 1415/96-79, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Schroll, der beiden Angeklagten und der Verteidiger Dr.Kaufmann und Dr.Kozak zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen den Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem (auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden) angefochtenen Urteil wurden Johann W***** der Verbrechen (A) des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 1. Satz zweiter Fall StGB sowie (B) des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB und Andrea B***** des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 1. Satz zweiter Fall und 2. Satz StGB schuldig erkannt. Demnach haben am 18. April 1989 in Wien (A) Johann W***** und Andrea B***** im bewußten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter mit Gewalt gegen eine Person und unter Verwendung einer Waffe der Verkäuferin Silvia O*****, indem Johann W***** mit einem Fixiermesser wiederholt auf sie einstach, fremde bewegliche Sachen, nämlich 500 S Bargeld, ein Paar Damenschuhe und den Oberteil eines Jogginganzuges, mit dem Vorsatz unrechtmäßiger Bereicherung weggenommen, wobei Silvia O***** durch die ausgeübte Gewalt zahlreiche Stichverletzungen und eine nahezu vollständige Durchtrennung der Muskelstränge in der linken Hals- und Nackenregion sowie eine Abtrennung des rechten Daumenendgliedes, mithin eine schwere Verletzung (§ 84 Abs 1 StGB) erlitt; (B) Johann W***** allein durch seine Tathandlung zu A versucht, Silvia O***** vorsätzlich zu töten.

Rechtliche Beurteilung

Den dagegen jeweils aus § 345 Abs 1 Z 6 und 8 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden beider Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Der Beschwerdeauffassung des Angeklagten Johann W***** zuwider trifft es zunächst nicht zu, daß das Unterbleiben einer Eventualfrage in Richtung des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 StGB eine Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung (Z 6) bedeutete, weil in der Hauptverhandlung weder im Zusammenhang mit der Täterverantwortung noch sonst Tatsachen vorgebracht wurden, die im Fall ihrer Erwiesenheit geeignet gewesen wären, die Annahme eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustandes zu tragen. Daß der Beschwerdeführer bei seinen wiederholten - insgesamt jeweils von in sich geschlossenen Varianten des Tatherganges gekennzeichneten - Angaben sein lediglich zu einzelnen Tatdetails getrübtes Erinnerungsvermögen nicht nur mit dem vieljährigen, seit der Tat bis zu seiner Festnahme verstrichenen Zeitraum, sondern auch mit dem Hinweis auf seinerzeitigen Heroinkonsum erklärte (93/I), sich demgegenüber in der Hauptverhandlung für den Tatzeitpunkt auf eine durch Entzugsschmerzen hervorgerufene Nervosität berief (469, 473/I), während die Mitangeklagte Andrea B***** dem Tattag den gemeinsamen Konsum mehrerer Tabletten Rohypnol am Morgen, eines Fläschchens Paracodein gegen Mittag und dazwischen von "etwas Alkohol" zuordnete (83/I), vermochte die vermißte Fragestellung schon deshalb nicht zu indizieren, weil sich diese Verfahrenseinlassungen im Gesamtkontext lediglich auf die Klarstellung der planmäßig effektuierten Geldbeschaffung zu weiteren Suchtgiftankäufen als entscheidendes Tatmotiv beschränkten, ohne die in § 287 StGB geforderte Ausschaltung der Diskretions- bzw Dispositionsfähigkeit auch nur zu behaupten. Dazu kommt, daß die im konkreten Fall beigezogenen Sachverständigen Prim.Dr.Pfolz (ON 46 und 490/I) und Doz.Dr.Reiter (ON 52) sowohl aus gerichtspsychiatrischer als auch aus gerichtsmedizinischer Sicht eine die Zurechnungsfähigkeit ausschließende tataktuelle Verfassung des Angeklagten aus nach den Verfahrensergebnissen jeweils einsichtigen Gründen ausdrücklich und mit Bestimmtheit verneinten. Das in der Hauptverhandlung vorgelegte, ohne weitere Erörterung lediglich zum Hauptverhandlungsprotokoll genommene Privatgutachten Dris.Pernhaupt (525/I) hatte dazu vorweg schon deshalb als unbeachtlich auf sich zu beruhen, weil es sich inhaltlich lediglich darauf beschränkt, eine im vorliegenden Verfahren durch kein wie immer geartetes Beweisergebnis indizierte gänzliche Aufhebung der Tätererinnerung an den Tathergang mit den Auswirkungen von Rohypnolkonsum in (hier gleichfalls nicht hervorgekommener) höherer Dosierung bzw das Tatverhalten mit Entzugserscheinungen in Einklang zu bringen.

Ein der - solcherart zu Unrecht - vermißten Fragestellung entsprechendes Verfahrenssubstrat lag demnach nicht vor.

Soweit die Angeklagte B***** ihre Beschwerdebehauptung einer zur Beirrung der Geschworenen geeigneten Unvollständigkeit des Fragenschemas hinsichtlich der subjektiven Komponenten strafbarer Mittäterschaft darauf stützt, daß gesonderte Zusatzfragen nach den in § 143 1. Satz zweiter Fall bzw 2. Satz StGB normierten Qualifikationskriterien unterblieben, trägt sie den dazu wesentlichen Gesetzesbestimmungen nur unvollständig Rechnung. Gemäß § 317 Abs 2 StPO bleibt es nämlich der Beurteilung des Schwurgerichtshofes im einzelnen Fall überlassen, welche Tatsachen in einer Frage zusammenzufassen oder zum Gegenstand besonderer Fragen zu machen sind. Dieser richterliche Ermessensbereich findet seine - im Nichtigkeitsverfahren durchsetzbare - sachliche Grenze dort, wo das jeweils fallbezogene Fragenschema eine vollständige Prüfung und erschöpfende Beurteilung des inkriminierten Sachverhaltes durch die Geschworenen verwehrt (Mayerhofer StPO4 EGr 6 a zu § 317). Von einer derartigen fragenspezifischen Behinderung der laienrichterlichen Tatbeurteilung kann aber dann nicht die Rede sein, wenn den Geschworenen bei der Beantwortung einer sowohl das Grunddelikt als auch eine Qualifikation erfassenden Hauptfrage die Möglichkeit offen bleibt, ihre allfällige Überzeugung, daß zwar das Grunddelikt, nicht aber die Qualifikation verwirklicht sei, durch die - gemäß § 330 Abs 2 StPO - auf das Grunddelikt eingeschränkte Bejahung der Hauptfrage zum Ausdruck zu bringen. Diese Voraussetzung traf im konkreten Fall zu, worüber die Geschworenen bereits in der allgemeinen Rechtsbelehrung (§ 325 Abs 1 und 2 StPO - StPOForm RMB 1) informiert wurden. Daß die Geschworenen dementsprechend auch von der Möglichkeit bloß einschränkender Fragenbeantwortung Gebrauch machten, ergibt sich aus der hinsichtlich des Angeklagten W***** eingeschränkten Bejahung der Hauptfrage 1.

Da die Aufnahme der entsprechenden Raubqualifikationen in die Hauptfrage 2 in der gesetzlichen Regelung der Fragestellung demnach Deckung findet, liegt die dazu behauptete Nichtigkeit nicht vor.

Als nicht stichhaltig erweist sich aber auch, was in den Instruktionsrügen (Z 8) vorgebracht wird.

Mag auch die den Geschworenen erteilte Rechtsbelehrung zu der dem Angeklagten W***** betreffenden Hauptfrage 3 (nach dem Verbrechen des Mordes) auf das Wesentliche komprimiert sein, so läßt sie - entgegen der vom Erstangeklagten vertretenen Beschwerdeauffassung - weder für die Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bewußter Fahrlässigkeit entscheidende gesetzliche Kriterien unberücksichtigt, noch den aus der Sicht "der Wollenskomponente beim bedingten Vorsatz" reklamierten Freiraum für die Meinungsbildung der Geschworenen beeinträchtigende Mißverständnisse offen (Blatt 9 iVm Blatt 2 und 3 der Rechtsbelehrung). Die Hervorhebung für die Fragenbeantwortung fallspezifisch entscheidender Tatsachenaspekte bleibt nach dem Gesetz der vom Vorsitzenden im Anschluß an die Rechtsbelehrung abzuhaltenden Besprechung mit den Geschworenen vorbehalten (§ 323 Abs 2 StPO), ohne daß entsprechende Ausführungen in die schriftliche Rechtsbelehrung aufzunehmen wären.

Letztlich entspricht die Rechtsbelehrung aber auch in jenem - von der Angeklagten B***** zu Unrecht als nicht ausreichend und die Geschworenen beirrend kritisierten - Teil den gesetzlichen Anforderungen, der sich auf die Aspekte der individuellen Täterverantwortlichkeit im Fall der Mittäterschaft bezieht. Daß der erforderliche Tätervorsatz im Tatzeitpunkt vorliegen muß, gemäß § 143

2. Satz StGB qualifizierende schwere Verletzungsfolgen (auch dem Mittäter) zumindest fahrlässig zurechenbar sein müssen (Blatt 4 bzw 7 der Rechtsbelehrung), ist darin ebenso enthalten wie die Klarstellung der gesetzlichen Begriffskriterien der einzelnen Vorsatzformen sowie strafbarer Fahrlässigkeit samt der entsprechenden Abgrenzungsproblematik (Blatt 1 bis 3 der Rechtsbelehrung). In gleicher Weise ausreichend und unmißverständlich war aber auch die Anleitung, die den Geschworenen zur Beurteilung des Qualifikationskriteriums der "Verwendung einer Waffe" (§ 143 1. Satz zweiter Fall StGB) gegeben wurde. Insbesondere bei Fallkonstellationen, die - wie hier nach der eigenen Verantwortung der Angeklagten B*****, 480 f/I - von dem Waffeneinsatz des gewaltanwendenden Komplizen nachfolgenden bereicherungsspezifischen Teilakten des raubbeteiligten Mittäters gekennzeichnet sind, kommt die aus der Sicht der Wissenskomponente des für schweren Raub nach § 143 1. Satz zweiter Fall StGB geforderten Tätervorsatzes relevierte Beirrung der Geschworenen nicht in Betracht, die aus der Ausrichtung der entsprechenden Passage der Rechtsbelehrung auf die bei der Tatausführung gegebene Täterkenntnis "von der Existenz der Waffe und deren Verwendung" (Blatt 7 der Rechtsbelehrung) abgeleitet wird.

Die in der Bedeutung einer inhaltlichen Unrichtigkeit geltend gemachte Unvollständigkeit der Rechtsbelehrung liegt daher in keinem Punkt vor.

Die insgesamt nicht berechtigten Nichtigkeitsbeschwerden waren daher zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verhängte über Johann W***** (gemäß § 75 StGB) unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB sowie unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf die in den Strafverfahren AZ U 239/89 und U 589/91 des Bezirksgerichtes Liesing, AZ 4 U 405/94 des Strafbezirksgerichtes Wien und AZ 6 a E Hv 1.331/93 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien ergangenen Urteile (Gesamtdauer der dort verhängten Freiheitsstrafen: sieben Monate und 15 Tage) eine Zusatzfreiheitsstrafe von 17 Jahren, vier Monaten und 15 Tagen, wobei es vier einschlägige Vorstrafen, den raschen Rückfall nach Verbüßung einer Strafhaft und das Zusammentreffen zweier Verbrechen als erschwerend, das in der Hauptverhandlung abgelegte Teilgeständnis und das Geständnis vor der Polizei, den bloßen Versuch beim Mord und die Bereitschaft zur Schadensgutmachung hingegen als mildernd wertete.

Über Andrea B***** verhängte das Erstgericht gemäß § 143 (2. Strafsatz) StGB 5 Jahre Freiheitsstrafe. Dabei wertete es die doppelte Qualifikation zum schweren Raub als erschwerend, als mildernd hingegen den bisher ordentlichen Lebenswandel der Angeklagten, ihr Geständnis und ihr Wohlverhalten seit der Tat.

Auch den dagegen erhobenen Berufungen beider Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Johann W***** begründet seinen Antrag auf Strafreduktion im wesentlichen damit, daß das Erstgericht weitere Milderungsgründe unberücksichtigt gelassen habe, wie den langen, seit der Tatbegehung verstrichenen Zeitraum, die im Tatzeitpunkt aktuell gewesene Drogenabhängigkeit des Berufungswerbers mit ihren auch hinsichtlich der den Nachverurteilungen zugrunde gelegenen Straftaten nachteiligen Einfluß, das Ausbleiben von Dauerfolgen für das Tatopfer und die zwischenzeitige reumütige Tätereinstellung zu der in ihrem gravierenden Gewicht vereinzelt gebliebenen Straftat.

Andrea B***** strebt neben einer an der außerordentlichen Strafmilderung nach § 41 StGB orientierten Herabsetzung der über sie verhängten Freiheitsstrafe unter das gesetzliche Mindestmaß auch deren teilweise bedingte Nachsicht im wesentlichen mit dem Hinweis darauf an, daß sie durch ihre Verantwortung erheblich zur Wahrheitsfindung beigetragen habe, nur in untergeordneter Weise an der zu ihrem Lebenswandel in auffallendem Widerspruch gestandenen Tat beteiligt, dabei von drückender, teils suchtbedingter, teils auf familiären Schwierigkeiten beruhender Not geleitet gewesen und im übrigen das mildernde Gewicht der von Anfang an geständigen Verfahrenseinlassung sowie des vieljährigen Wohlverhaltens seit der Tat in erster Instanz unterbewertet worden sei.

Keiner der bekämpften Strafaussprüche erweist sich im Ergebnis als den jeweils angestrebten Korrekturen zugänglich. Im Vordergrund der hier maßgeblichen Strafzumessungserwägungen steht das selbst für Mordversuch bzw. bewaffneten Raub außergewöhnlich gravierende Tatunrecht und der damit verbundene besondere gesellschaftliche Störwert, der sich aus der exzessiven Durchsetzung der räuberischen Bereicherung durch mehrere (von Johann W***** zudem mit Tötungsvorsatz geführte) Messerstiche gegen eine im Geschäftslokal allein den Tätern wehrlos ausgelieferte Verkäuferin ergibt. Jene tatfördernde Komponente, die die Berufungswerber ihrer damaligen - im übrigen nicht ohne persönliches Verschulden erklärbaren - Drogenabhängigkeit zuordnen, fällt demgegenüber nicht in einem Maße ins Gewicht, das die bekämpften Strafaussprüche als überhöht erscheinen ließe. Da die tatbetroffene Frau, die den Angeklagten W***** zunächst unter Hinweis auf ihre versorgungsbedürftigen Kinder ohne Erfolg um Schonung gebeten hatte, nur überlebte, weil es ihr schließlich gelang, die Messerattacken durch simulierte Leblosigkeit zu stoppen (135, 164, 485/I), das Tatopfer zudem mit der - wenn auch in der Folge operativ erfolgreich versorgten - Totalabtrennung eines Daumenendgliedes und der (mit tiefen Fleischwunden verbundenen) Durchtrennung wesentlicher Muskeln und Sehnen mehrfach schwere Verletzungen erlitt, bleibt der Berufungsversuch, aus den Tatfolgen mildernde Aspekte abzuleiten, nicht nachvollziehbar.

Unter Berücksichtigung sämtlicher tat- und täterbezogener Strafzumessungsfaktoren erweisen sich daher die über die Angeklagten Johann W***** und Andrea B***** (schon vom Ausmaß her gesetzlich durchwegs zwingend unbedingt) verhängten Freiheitsstrafen, die nach Maßgabe der unterschiedlichen Schuldsprüche auch zueinander in einem sachgerechten Verhältnis stehen, im Ergebnis als jeweils schuldangemessen fundiert, weshalb beiden Berufungen nicht Folge zu geben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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