Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
*****M***** wurde mit dem angefochtenen Urteil des Verbrechens der versuchten schweren Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1, 145 Abs 1 Z 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Zugleich widerrief das Erstgericht die bedingte Nachsicht einer Freiheitsstrafe (§ 494 a Abs 1 Z 4 StPO).
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er in L***** "mit einem Unbekannten als Mittäter (§ 12 StGB)" den Bürgermeister *****K***** als Verantwortlichen der Gemeinde L***** durch gefährliche Drohung mit dem Tod zur Übergabe von 370.000 DM zu nötigen versucht, welche die Gemeinde L***** an ihrem Vermögen schädigen sollte, wobei er mit dem Vorsatz handelte, sich durch das Verhalten des Genötigten unrechtmäßig zu bereichern, indem er (1.) um den 28.August 1995 in einem an das Gemeindeamt L*****gerichteten anonymen Erpresserbrief die Bezahlung von 370.000 DM begehrte, widrigenfalls er im Lebensmittelgeschäft "M*****" in W***** Lebensmittel durch Strychnin vergiften werde und (2.) um den 13.September 1995 in einem weiteren Erpresserbrief von der Gemeinde L***** die Leistung einer Anzahlung (US 34, 35) von 10.000 DM mit der Drohung forderte, im Fall der Weigerung andere durch sein verseuchtes Blut mit Aids anzustecken.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diesen Schuldspruch aus den Gründen der Z 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.
Die Annahme einer finanziellen Motivation des Beschwerdeführers (US 24) gründete das Schöffengericht unter Berücksichtigung seiner aktuellen bescheidenen Einkommensverhältnisse (US 5) auf die Aussage mehrerer Zeugen, wonach sich der Angeklagte ihnen gegenüber des öfteren darüber geäußert habe, für den Fall der bevorstehenden Scheidung gravierende finanzielle Probleme zu erwarten (US 22, 23).
Die Bestätigung seiner Verantwortung, er habe (derzeit) keine Schulden und genug Freunde, die ihm Geld leihen würden (S 113/IV), durch die von ihm zu diesem Zweck beantragten Zeugen H***** und E***** A***** (S 245/V) hätte dieses Beweisergebnis unberührt gelassen. Die begehrte Beweisaufnahme konnte daher ohne Verletzung von Verteidigungsrechten (Z 4) unterbleiben.
Zur Frage, ob und aus welchen Gründen das Täterverhalten mit der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten vereinbar ist, hat der psychiatrische Sachverständige Univ.Prof.Dr.***** P***** in seinem schriftlichen Gutachten ohne Eröffnung einer weitergehenden Aussagemöglichkeit ausführlich, und zwar zu Gunsten des Beschwerdeführers, Stellung genommen (ON 206/V). Sein Antrag auf Erörterung dieses Gutachtens (S 243,245/V) hätte daher anzugeben gehabt, inwieweit dadurch eine Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage erwartet werden konnte und versagt in Ermangelung dieser Konkretisierung schon aus formellen Gründen.
Gleiches gilt für die wiederholt (S 245,247/V, S 13,19/VI) beantragte Ladung der Sachverständigen Dr.A***** R*****, Dr.W***** R***** und ***** O***** zur Erörterung ihrer Gutachten, welche ohnehin zu keinem den Beschwerdeführer belastenden Ergebnis gelangt waren (ON 30/I, ON 66/II, ON 89/III) und in diesem Sinne auch im Urteil gewertet wurden (US 20 bis 22).
Der weitere Antrag, die Sachverständige Dr.R***** überdies zum Beweis dafür zu vernehmen, daß die vor und nach der Festnahme des Angeklagten geschriebenen Erpresserbriefe "von den Schreibmaschinentypen hier ident sind" und der Beschwerdeführer daher als Täter nicht in Frage komme (S 333/V), läßt nicht erkennen, warum die Vernehmung eine dem schriftlichen Gutachten (ON 89/III) insoweit konträre Stellungnahme der Expertin erwarten lassen konnte und ist daher gleichfalls formell verfehlt.
Zu den linguistischen Übereinstimmungen zwischen den Erpresserschreiben einerseits und mehreren nachweislich vom Angeklagten verfaßten Schriftstücken andererseits hat der sprachwissenschaftliche Sachverständige Univ.Prof.Dr.M***** in seinem Gutachten ausführlich Stellung genommen und widerspruchsfrei begründet, warum der Beschwerdeführer mit mehr als Zufallswahrscheinlichkeit als Verfasser der Briefe vom 28.August und 13.September 1995 anzusehen ist (ON 84/III, S 439 f/IV). Für die vom Angeklagten beantragte (S 247/V) Einholung eines weiteren Gutachtens desselben Fachgebietes fehlen daher die - von ihm auch nicht einmal behaupteten - gesetzlichen Voraussetzungen (§§ 118 Abs 2, 125, 126 Abs 1 StPO).
Inwieweit zur Klärung der Frage, ob die schuldspruchrelevanten Schreiben der Ausdrucksweise des Angeklagten entsprechen, darüber hinaus von der Beiziehung eines psychologischen Sachverständigen Aufschlüsse erwartet werden konnten, läßt der darauf gerichtete Antrag (S 17/VI) nicht erkennen und verfiel daher gleichfalls zu Recht der Ablehnung.
Da die gerichtsmedizinische Untersuchung des Beschwerdeführers ergeben hat, daß er entgegen seiner Behauptungen (S 9/VI) trotz der langen Dauer der letzten Hauptverhandlung weder verhandlungsunfähig noch sonst in der Wahrnehmung seiner Verteidigungsinteressen beeinträchtigt war (ON 231/VI), ist der Angeklagte ferner durch die Abweisung seines Vertagungsantrages (S 11/VI), welche zur Verfahrensstraffung und Abkürzung der Haft in seinem Interesse - und zwar auch unter Inkaufnahme einer gewissen körperlichen Anstrengung aller anderen am Verfahren beteiligten Personen - geboten war, nicht beschwert. Ein ernsthafter Erschöpfungszustand des Verteidigers, welcher diesen an der Wahrnehmung seiner Aufgaben gehindert hätte, wurde von ihm weder behauptet (S 11/VI) noch ist er aktenkundig.
Der Einwand (Z 5), der Schuldspruch gründe sich (unter anderem) auf die Aussagen mehrerer Zeugen im Vorverfahren (US 25 bis 29), welche in der Hauptverhandlung weder zur Gänze verlesen noch erörtert worden seien, entbehrt jeder Grundlage:
Ungeachtet einer nicht ganz exakten Protokollierung ergibt sich aus den Angaben der Zeugen ***** L***** (S 143 f/IV), ***** A***** (S 139 f/IV), ***** T***** (S 147 f/IV) und ***** G***** (S 133 f/IV) in der Hauptverhandlung ganz klar, daß sie sich nicht nur - wie die Beschwerde behauptet - jeweils auf die erste Seite ihrer Aussage vor der Gendarmerie, sondern die gesamte Niederschrift berufen und diese inhaltlich als richtig bezeichnet haben. Die betreffenden Aussagen wurden darüber hinaus jeweils im Detail - und zwar auch in Ansehung jener Passagen, auf welche das Urteil konkret Bezug nimmt - diskutiert und waren schon zuvor in allen relevanten Einzelheiten dem Angeklagten ausdrücklich vorgehalten worden (S 97 bis 107/IV).
Die - inhaltlich unbestritten gebliebenen - Briefe (S 319 bis 351/II) wurden in der Hauptverhandlung ebenfalls ausführlich, auch hinsichtlich ihrer sprachlichen Besonderheiten (S 439 f/IV) erörtert, weshalb sich ihre wörtliche Verlesung erübrigte.
Daß der Beschwerdeführer durch die Tat den von ihm in Kürze erwarteten finanziellen Problemen begegnen und demnach mit Bereicherungsvorsatz gehandelt hat (US 15), entspricht einem denkmöglichen Schluß aus dem Inhalt der Erpresserschreiben und den Aussagen der Zeugen ***** B***** (S 137/IV), ***** A***** (S 141/IV), ***** L***** (S 143/IV) und ***** K***** (S 319/V; US 22, 23, 35). Von der behaupteten Scheinbegründung (Z 5) kann daher keine Rede sein.
Der Mängelrüge (Z 5) zuwider hat das Erstgericht in diesem Zusammenhang auch das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen (ON 206/V) berücksichtigt, vermochte sich nach seiner freien Überzeugung (§ 258 Abs 2 StPO) jedoch dessen Ansicht, den Angeklagten auf Grund seiner künstlerischen Interessen persönlich nicht für fähig zu halten, durch eine Erpressung zu Geld zu gelangen, nicht anzuschließen.
Darauf, daß für die Tat theoretisch auch andere Beweggründe maßgeblich gewesen sein könnten und ein Bereicherungsvorsatz nicht zwingend ist, kann der Nichtigkeitsgrund (Z 5) ebensowenig gestützt werden (Mayerhofer-Rieder StPO4 § 281 Z 5 E 145), wie auf die Behauptung, der Beschwerdeführer habe mit der Gemeinde keine Probleme gehabt, die Aussage des Zeugen K***** sei seiner Ansicht nach nicht tragfähig und der Sachverständige Univ.Prof.Dr.M***** habe die sprachliche Urheberschaft des Beschwerdeführers hinsichtlich der schuldspruchrelevanten Schreiben nicht mit hundertprozentiger Sicherheit feststellen können.
Mit der bloßen Behauptung, das Schöffengericht habe erhebliche Widersprüche in den Aussagen jener Zeugen, auf die sich der Schuldspruch gründet (US 22), übergangen, ist der Nichtigkeitsgrund mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung jener Tatumstände, die den Nichtigkeitsgrund bilden sollen (§ 285 a Z 2 StPO), gleichfalls nicht gesetzmäßig ausgeführt.
Ein bewußtes und gewolltes Zusammenwirken mit einem in den Tatplan von Anfang an eingeweihten Komplizen unterstellte das Erstgericht dem Beschwerdeführer - mit mängelfreier Begründung (US 31,32) - in Ansehung der Versendung des am 29.September 1995 beim ORF-Landesstudio I***** eingelangten Schreibens, mit welchem nach der Verhaftung des Angeklagten mit dem Zweck, diesem ein Alibi zu verschaffen (US 14), unter erpresserischer Aufrechterhaltung der Geldforderung die Freilassung des Beschwerdeführers erzwungen werden sollte (US 14,32). Eine Mitwirkung dieses Unbekannten an der Tatausführung an sich wurde vom Erstgericht - ungeachtet der mißverständlichen Formulierung des Urteilsspruchs - unzweifelhaft nicht angenommen; weitere (in der Beschwerde ohne irgendeine Substantiierung bloß als "fehlend" gerügte) Feststellungen waren demzufolge nicht geboten.
Im übrigen sei noch abschließend bemerkt, daß der Oberste Gerichtshof der Rechtsauffassung des Erstgerichtes beipflichtet, daß die Ankündigung gegenüber einem Bürgermeister, Lebensmittel in einem in seinem Gemeindegebiet gelegenen Lebensmittelgeschäft zu vergiften, sich als Androhung einer Übelszufügung gegen Personen richtet, die im Sinne des § 74 Z 5 StGB unter seinen Schutz gestellt sind. Denn unabhängig von einer - vom Gesetz keineswegs verlangten (vgl § 1 Abs 1 StGB) - rechtlichen Basis für eine solche Schutzfunktion ist der Begriff der Schutzbefohlenen nach wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten und sich daraus ergebender Verantwortung für andere auszulegen (Pallin in WK § 74 Rz 30). Nach Maßgabe dieser faktischen Kriterien kann aber kein Zweifel daran bestehen, daß sich die Käufer von Lebensmitteln von einem Bürgermeister mit Fug erwarten, er werde in Kenntnis einer solchen Gefahr alles daran setzen, eine mit zumindest erheblichen Gesundheitsschäden verbundene Strychninvergiftung bei deren Verzehr hintanzuhalten.
Die vom Angeklagten selbst verfaßte "ergänzende" Nichtigkeitsbeschwerde (ON 252/VI) ist unbeachtlich, weil eigene Aufsätze des Nichtigkeitswerbers nicht als Teil der von seinem Verteidiger eingebrachten Nichtigkeitsbeschwerde anzusehen sind und das Gesetz nur eine Ausführung dieses Rechtsmittels kennt.
Die teils nicht gesetzmäßig ausgeführte, im übrigen aber offenbar unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war sohin bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285 d Abs 1 StPO).
Über die außerdem sowohl vom Angeklagten als auch der Staatsanwaltschaft ergriffenen Berufungen und die Beschwerde des Angeklagten gegen den Widerrufsbeschluß wird demnach das Oberlandesgericht Innbruck zu befinden haben (§§ 285 i, 498 Abs 3 StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390 a StPO.
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