OGH 8ObS2346/96z

OGH8ObS2346/96z30.1.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Langer und Dr.Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter Mag.Dr.Walter Zeiler und Mag.Karl Dirschmied als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Parteien 1.) Peter H*****, Angestellter, *****, und 2.) Alfred T*****, Angestellter, ***** wider die beklagte Partei Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen Oberösterreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen 1.) S 5.140,-- sA und 2.) S 5.781,-- sA an restlichem Insolvenz-Ausfallgeld, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25.September 1996, GZ 12 Rs 202/96d-9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 28.Mai 1996, GZ 18 Cgs 109/96g-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beiden Kläger waren bei der Gemeinschuldnerin Ing.G***** KG, über deren Vermögen am 17.11.1995 vor dem Landesgericht Wels zu S 906/95a der Konkurs eröffnet wurde, als technische Angestellte beschäftigt; der Erstkläger ab 1.9.1985 als Lehrling, ab 1.9.1990 als Angestellter; der Zweitkläger ab 1.9.1990 als Lehrling, ab 24.3.1994 als Angestellter.

Die Dienstverhältnisse endeten jeweils durch berechtigten vorzeitigen Austritt wegen Entgeltvorenthaltung gemäß § 26 AngG. Die Kläger machten im Verfahren über die Zuerkennung von Insolvenz-Ausfallgeld (unter anderem) die Klagsbeträge geltend. Jeweils mit Bescheid der beklagten Partei vom 26.3.1996 wurden diese Anträge der Kläger unter Hinweis auf den Ausschlußtatbestand des § 1 Abs 3 Z 2 lit b IESG abgelehnt. In den gegen diese Bescheide rechtzeitig erhobenen Klagen begehrten die Kläger die Zuerkennung des beantragten Insolvenzausfallgeldes in Höhe von S 5.140,-- sA bzw S 5.781,-- sA. Sie brachten im wesentlichen vor, das Ausscheiden aus der Firma in Erwägung gezogen zu haben, weil sie von anderen Firmen Angebote mit einem höheren Gehalt erhalten hätten. Beide Kläger seien jedoch mit der Abwicklung eines bestimmten Projektes schon längere Zeit betraut gewesen, weshalb sie ihr unmittelbarer Vorgesetzter Ing.P***** gebeten habe zu bleiben, um damit den in jedem Fall verbundenen größeren Schaden für die nunmehrige Gemeinschuldnerin zu vermeiden. Nach Rücksprache mit der Geschäftsführung sowie dem Personalchef sei beiden Klägern mit 1.9.1995 eine angemessene Erhöhung ihres Gehaltes zugesichert worden, weshalb sie das Dienstverhältnis nicht beendet hätten.

Die beklagte Partei bestritt die Berechtigung der Klagebegehren im wesentlichen mit dem Einwand, die jeweiligen Projekte hätten auch ohne die Kläger ausgeführt werden können, weshalb die höhere Entlohnung sachlich nicht gerechtfertigt gewesen sei und es sich daher um ausgeschlossene Ansprüche im Sinn des § 1 Abs 3 Z 2 lit b IESG handle.

Das Ersturteil gab dem Klagebegehren statt, wobei es von den auf den Seiten 4 bis 6 der Urteilsausfertigung enthaltenen Feststellungen ausging. Als wesentlich wird hievon hervorgehoben:

Beide Kläger hatten von anderen Firmen ein Angebot mit einem Bruttomonatsgehalt von S 25.000,-- erhalten. Der Erstkläger sollte mit 1.9.1995, der Zweitkläger mit 1.9.1995 bzw 1.10.1995 (nach Resturlaubsverbrauch bei der Gemeinschuldnerin) ihre Tätigkeit aufnehmen; jener verdiente bei der Gemeinschuldnerin monatlich brutto S 20.265,--, dieser S 20.400,-- pro Monat.

Über den beabsichtigten Wechsel des Arbeitgebers informierten beide Kläger ihren unmittelbaren Vorgesetzten bei der Gemeinschuldnerin. In diesem Gespräch teilten die Kläger ihm mit, daß sie für ein Monatsgehalt von S 26.000,-- brutto weiterhin bei der Gemeinschuldnerin bleiben würden. Zu dieser Zeit (August 1995) arbeitete der Erstkläger als technischer Zeichner etwa bereits ein Dreivierteljahr an einem Auslandsprojekt (Bau eines Restaurants auf einem Berg samt Kino) und war für Teile des Projektes, insbesondere Außenfassaden und Dachverkleidungen allein zuständig, demzufolge hatte nur er genaue Kenntnis von diesen Teilbereichen. Das Projekt befand sich bereits erheblich in Verzug, es bestand Terminnotstand, weiters wäre es bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Erstkläger aufgrund der Notwendigkeit einer Einarbeitungsphase von einigen Wochen für einen anderen bzw neuen Mitarbeiter zusätzlich zu weiteren Verzögerungen in der Abwicklung dieses Projektes gekommen.

Der Zweitkläger war Mitte des Jahres 1995 bereits ca ein Dreivierteljahr mit einem U-Bahn Projekt in Wien beschäftigt (Planungen der Verkleidungen der U-Bahn Station). Auch in diesem Tätigkeitsfeld hätte ein anderer bzw neu aufgenommener Mitarbeiter eine längere Einarbeitungsphase gehabt. Weiters wäre es bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Zweitklägers schwierig gewesen, für diesen konkreten Arbeitsbereich kurzfristig einen qualifizierten Mitarbeiter einzustellen. Erhebliche Terminprobleme wären die Folge gewesen, sowie unter anderem auch Pönale-Zahlungen in nicht unerheblichem Ausmaß.

Beide Kläger zählten in ihrer Abteilung zu den jüngeren, von der fachlichen Qualifikation her jedoch zu den besseren Mitarbeitern.

Nicht nur wegen des gegebenen Termindrucks, sondern vor allem für die Zukunft vorausdenkend, zwei verläßliche Mitarbeiter für die Abwicklung zukünftiger Projekte der Firma zu sichern, sprach der Vorgesetzte der beiden Kläger mit dem "Chef" Dr.G***** über die begehrten Gehaltserhöhungen, welche über dem betriebsüblichen Niveau lagen. In diesem Gespräch wies er darauf hin, daß es für die Firma wichtig wäre, diese guten Leute weiter zu behalten, und daß die Kläger das geforderte Gehalt "wert" seien. Die Geschäftsführerin der Gemeinschuldnerin stand der Erhöhung skeptisch gegenüber. Schließlich wurde deshalb sogar der Personalchef in die Gespräche eingebunden. Letztlich wurde beiden Klägern im August 1995 mit Wirkung vom 1.9.1995 ihr Gehalt vom betriebsüblichen Gehalt auf brutto S 26.000,-- pro Monat erhöht, weshalb die Kläger bei der Gemeinschuldnerin verblieben.

Nach Beendigung des Dienstverhältnisses durch berechtigten vorzeitigen Austritt beider Kläger wurde von der beklagten Partei die Auszahlung des jeweils die Gehaltserhöhung betreffenden Entgeltteiles für den Zeitraum vom 1.11.1995 bis 16.11.1995 einschließlich aliquoter Sonderzahlungen, deren unbestrittene Höhe den jeweiligen Klagsbetrag darstellt, an die Kläger aus Mitteln des Insolvenz-Ausfallgeldfonds mit Bescheid vom 26.3.1996 abgelehnt.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß die über das betriebliche Ausmaß hinausgehende Entlohnung der beiden Kläger als sachlich gerechtfertigt im Sinn des § 1 Abs 3 Z 2 lit b IESG idF IRÄG 1994 anzusehen ist und sprach die der Höhe nach unstrittigen Klagsbeträge zu.

Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei erhobenen Berufung nicht Folge und sprach aus, daß die Revision wegen des Fehlens einer höchstgerichtlichen Judikatur zur entscheidenden Rechtsfrage zulässig sei. Es erachtete die ausführlich dargelegten Entscheidungsgründe des Ersturteiles für zutreffend (§ 500a ZPO).

Gegen dieses Berufungsurteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klagebegehren abzuweisen.

Die Kläger beteiligten sich nicht am Revisionsverfahren.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Fehlen einer höchstgerichtlichen Rechtsprechung zur sachlichen Rechtfertigung einer über das betriebsübliche Ausmaß hinausgehenden Entlohnung nach § 1 Abs 3 Z 2 lit b IESG idF IRÄG 1994 zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

§ 1 Abs 3 Z 2 lit b IESG idF IRÄG 1994 lautet: "Insolvenz-Ausfallgeld gebührt nicht (ausgeschlossener Anspruch): Für Ansprüche, die auf einer Einzelvereinbarung beruhen, die in den letzten 6 Monaten vor der Eröffnung des Konkurses, (...), soweit die Ansprüche über den durch Gesetz, Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung [...] zustehenden Anspruch oder die betriebsübliche Entlohnung hinausgehen oder auf sonstigen Besserstellungen beruhen, wenn die höhere Entlohnung sachlich nicht gerechtfertigt ist."

In den Materialien zum IRÄG 1994 (1384 BlgNR GP 18, 11) ist als Beispiel zur sachlichen Rechtfertigung lediglich das eines Spezialisten zur Unternehmenssanierung angeführt; negativ wird als Beispiel sachlich nicht gerechtfertigter Vereinbarungen eine Vordienstzeitenanrechnung für andere (als Sanierungsspezialisten) Arbeitnehmer oder die Übernahme eines Arbeiters in das Angestelltenverhältnis erwähnt.

Mit dem in den ErläutRV genannten positiven Beispiel wurde lediglich zum Ausdruck gebracht, daß insbesondere die Ansprüche von Spezialisten zur Unternehmenssanierung gesichert sind, die, wenn eine Sanierung fehlschlägt, nur allzu oft innerhalb von sechs Monaten vor Konkurseröffnung engagiert worden sind (Eypeltauer, Neue Auslegungsfragen im IESG, WBl 1994, 255 ff [259]; Liebeg IESG 94). Es kann jedoch nicht nur um die sachliche Rechtfertigung der Verpflichtung eines Spezialisten als solcher gehen, vielmehr hat die vollziehende Behörde nur die Frage zu prüfen, ob dessen höhere Entlohnung sachlich gerechtfertigt war, was in der Regel bei Einstellung derartiger "Trouble-Shooter" (Sanierungsmanager) zur Abwendung des völligen Niederganges des Unternehmens der Fall sein wird (Schwarz ua, Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz, Nachtrag 1995, 16 f). Als ein entscheidendes Kriterium für die sachliche Rechtfertigung einer höheren, über dem betriebsüblichen Niveau liegenden Entlohnung ist vor allem die Bedeutung der Arbeit des jeweiligen Arbeitnehmers und auch der damit verbundene Arbeitseinsatz anzusehen, und ist daran sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht die sachliche Rechtfertigung einer höheren Entlohnung zu messen (vgl Eypeltauer, aaO). Es kann dabei dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, daß er bei der Schaffung dieser Bestimmung lediglich jene Fälle vor Augen hatte, in denen ein Arbeitsvertrag mit einem Spezialisten zur Abwendung des völligen Niederganges des Unternehmens abgeschlossen worden ist; einzubeziehen sind sicherlich auch jene Fälle, in denen an bereits beschäftigte Arbeitnehmer Gehaltserhöhungen gewährt werden, um ansonsten unvermeidbaren, größeren Schaden vom Unternehmen abzuwenden, soweit dabei in quantitativer Hinsicht auch das Gebot der Verhältnismäßigkeit beachtet wurde. Die sachliche Rechtfertigung ist wohl immer dann zu bejahen, wenn auch ein das Unternehmen fortführender Masseverwalter in einer gleichartigen Situation bei Anwendung der pflichtgemäßen Sorgfalt im Sinne des § 81 KO nicht umhingekommen wäre, eine Gehaltserhöhung in diesem Ausmaß zu gewähren.

Das positive Kriterium der "sachlichen Rechtfertigung" ist durch das negative des Fehlens der Absicht, den Insolvenzausfallgeldfonds durch Abschluß eines Vertrages zu seinen Lasten zu mißbrauchen (SZ 61/249 = Arb 10.759), zu ergänzen.

Zielsetzung des IRÄG 1994 war, wie aus den Materialien ersichtlich, vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Gestaltungsmöglichkeiten bei der Zuerkennung von Insolvenz-Ausfallgeld zu unterbinden (1384 BlgNR 18 GP, 8). Durch das IRÄG 1994 wurde auch der Ersatz einer über das betriebsübliche Ausmaß hinausgehenden, auf einer Einzelvereinbarung beruhenden Entgeltforderung möglich, wenn deren Höhe sachlich gerechtfertigt ist. Durch diese Bestimmung sollte verhindert werden, daß kurz vor Konkurseröffnung oder einem diesen gleichgestellten Tatbestand überhöhte, nicht betriebsübliche, Entgeltansprüche zu Lasten des Insolvenz-Ausfallgeldfonds vereinbart werden (Liebeg, aaO, 94). Demnach sollte mißbräuchlichen Einzelvereinbarungen mit diesen Bestimmungen ein Riegel vorgeschoben werden. Hier ist der Zeitpunkt der Vereinbarung über die Gehaltserhöhung zu berücksichtigen und der zeitliche Abstand zur Konkurseröffnung bzw einem diesem gleichgestellten Tatbestand und weiters, ob, und bejahendenfalls wann der Eintritt eines solchen Falles für Arbeitgeber und Arbeitnehmer vorhersehbar war. Das mit Gehaltserhöhungen verbundene Risiko ist überdies durch die Grenzbeträge (§ 1 Abs 4 und 4a IESG) limitiert, sodaß hinsichtlich der Höhe der Entgeltansprüche nicht gerade restriktiv gewertet werden müßte.

Setzt man nun als letzten Schritt die oben aufgezeigten Umstände in Beziehung, so kommt man in einer Gesamtwürdigung in diesem Fall zu folgenden Ergebnis:

Beide Kläger sind fachlich hochqualifiziert, sind vertraut mit ihren Aufgabenbereichen, nur sie hatten genaue Kenntnisse von ihren Arbeitsteilbereichen und waren auch dafür allein zuständig, beide arbeiteten seit einem Dreivierteljahr an ihren Projekten, dies mit einem hohen Arbeitseinsatz. Die Arbeit der beiden Kläger war unbedingt zur Abwendung von Schwierigkeiten und zur Vermeidung eines größeren Schadens für das Unternehmen notwendig, da im Falle eines Ausscheidens der durch Einstellung anderer Arbeitskräfte kurzfristig nicht ersetzbaren Kläger aus dem Unternehmen ein Verzug der Projekte und daraus resultierende Pönalzahlungen unvermeidbar die Folge gewesen wären. Daß die Gehaltserhöhungen der Kläger (S 5.735,-- bzw S 4.600,-- brutto monatlich) als relativ maßvoll eingestuft werden können, hat schon das Erstgericht zu Recht festgestellt. Beide Kläger hatten weiters fixe Angebote anderer Arbeitgeber zu entsprechend besseren Bedingungen, sodaß von einer mißbräuchlichen Gestaltung von Ansprüchen der Arbeitnehmer in diesem Fall nicht gesprochen werden kann. Vielmehr wurde versucht, die Passiva der nunmehrigen Gemeinschuldnerin durch Abschluß dieser Einzelvereinbarungen um die bei Beendigung der Arbeitsverhältnisse zu erwartenden vergleichsweise wohl erheblich höheren Pönaleverpflichtungen zu vermindern.

Aufgrund all dieser Erwägungen muß - wie schon vom Erstgericht zutreffend erkannt - die über das betriebsübliche Ausmaß hinausgehende Entlohnung der beiden Kläger als sachlich gerechtfertigt angesehen werden, weshalb der Revision im Ergebnis keine Berechtigung zukommt.

Eine Kostenentscheidung entfällt, weil sich die Kläger am Revisionsverfahren nicht beteiligt haben.

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