OGH 11Os182/96

OGH11Os182/9614.1.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 14.Jänner 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ebner, Dr.Schmucker, Dr.Habl und Dr.Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Huber als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Rudolf H***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 3 zweiter und dritter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 13.August 1996, GZ 20 o Vr 161/96-57, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Kirchbacher sowie der Verteidigerin Dr.Scheimpflug, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden angefochtenen Urteil, das auch einen rechtskräftigen Teilfreispruch enthält, wurde Rudolf H***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 3 zweiter und dritter Fall StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er am 4. und 5.Jänner 1996 in Wien Monika Y***** dadurch, daß er ihr Faustschläge ins Gesicht sowie Schläge mit einem Hosengürtel auf den Rücken, die Brust und die Scheide versetzte und brennende Zigaretten auf ihrem Körper ausdrückte, sohin mit schwerer (gegen sie gerichteter) Gewalt, zur Duldung dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen, nämlich des Einführens eines Plastikgliedes und eines Vibrators in den After und die Scheide sowie der Faust in die Scheide, genötigt, wodurch sie längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt und in besonderer Weise erniedrigt wurde.

Die Geschworenen hatten die anklagekonform auf das genannte Verbrechen gerichtete Hauptfrage 1 unter Streichung des darin enthaltenen Hinweises auf einen Mittäter einhellig bejaht.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft diesen Schuldspruch mit einer auf die Z 6 und 12 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, die nicht berechtigt ist.

Als Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung (Z 6) rügt er das Unterbleiben einer Eventualfrage nach sogenannter minderschwerer Vergewaltigung (§ 201 Abs 2 StGB), dies indes zu Unrecht.

Zwar normiert § 201 StGB in den Absätzen 1 und 2 zwei eigenständige Deliktstypen mit verschiedenen Nötigungsmitteln und gesonderten Strafdrohungen, sodaß § 201 Abs 2 StGB nicht etwa bloß eine Privilegierung zu § 201 Abs 1 StGB enthält, sondern - ebenso wie die genannte Bestimmung - einen selbständigen Verbrechenstatbestand (der Vergewaltigung), weshalb im Geschworenengerichtsverfahren bei entsprechenden Beweisergebnissen in der Hauptverhandlung für den Fall der Verneinung der Hauptfrage nach § 201 Abs 1 StGB eine Eventualfrage (§ 314 StPO) nach "minderschwerer" Vergewaltigung - § 201 Abs 2 StGB - zu stellen ist (EvBl 1993/54); vorliegend fehlt es jedoch an Verfahrensergebnissen, die eine Tatbeurteilung (bloß) nach § 201 Abs 2 StGB als möglich erscheinen lassen. Der Angeklagte selbst hat in der Hauptverhandlung seine polizeiliche Aussage aufrechterhalten, wonach er die ihm körperlich weit unterlegene (S 327) Monika Y***** mit einem Gürtel sowohl auf den Rücken als auch auf Brust und Scheide geschlagen ("gepeitscht") hat (S 57, 320, 323 f; vgl S 147 iVm S 335).

Gewalt ist die Anwendung nicht unerheblicher physischer Kraft, die auf die Überwindung eines wirklichen oder auch nur erwarteten Widerstandes des Opfers gerichtet ist. Sie ist als "schwer" im Sinn des § 201 Abs 1 StGB qualifiziert, wenn sie unter Anlegung eines objektiv-individualisierenden Maßstabes entweder einen höheren Grad an Intensität oder Gefährlichkeit erreicht (wie bei brutalen oder rücksichtlosen, in der Regel mit Lebensgefahr verbundenen, unter Anwendung von gefährlichen Waffen oder gegen besonders gefährdete oder empfindliche Körperregionen unternommenen Aggressionshandlungen oder bei zusammenwirkender Gewaltausübung mehrerer Personen); aber auch dann, wenn ihre Intensität oder Gefährlichkeit zwar unter diesem Ausmaß bleibt, aber - ohne daß dadurch bereits ein "qualvoller Zustand" des Opfers (§ 106 Abs 1 Z 2, § 201 Abs 3 StGB) herbeigeführt würde - doch so nachhaltig ist, daß sie durch ihre längere Dauer eine gleichartige Wirkung zu entfalten geeignet ist wie eine "an sich schwere" Gewalt (JAB zur Strafgesetznovelle 1989, BGBl 242, 927 BlgNR

17. GP, 3; Leukauf/Steininger Komm3 RN 12, Pallin WK ErgH RN 8 a, je zu § 201; NRsp 1990/156; EvBl 1992/79; JUS 6/1964).

Angesichts dieser - in der Belehrung der Geschworenen (Blg E/ zu ON 56) zutreffend dargestellten - Rechtslage boten die vorstehend zitierten Ergebnisse der Hauptverhandlung keinen Anhaltspunkt dafür, daß die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat statt dem in der Anklageschrift angeführten Strafgesetz der milderen Bestimmung des § 201 Abs 2 StGB unterstellt werden könnte. Bereits die von ihm zugegebenen heftigen Schläge mit einem Gürtel gegen Brust und Scheide der Frau - Körperregionen ganz besonderer Empfindlichkeit - indizierten ausschließlich das erörterte Tatbestandsmerkmal schwerer Gewalt, dessen Vorliegen die Annahme bloß "minderschwerer" Vergewaltigung hindert.

Daß der Angeklagte die Tat, wie von den Geschworenen durch die erwähnte einschränkende Bejahung der Hauptfrage festgestellt wurde, alleine begangen hat, vermag er schon nach dem Gesagten nicht mit Erfolg als Indiz für eine geringere als die in der Anklageschrift geschilderte Gewaltanwendung und damit als Grund für die (nunmehr) vermißte Eventualfrage anzuführen. Nur der Vollständigkeit halber sei daher noch festgehalten, daß sein Beschwerdevorbringen, ein einzelner Täter wäre zur Ausübung schwerer Gewalt keineswegs in der Lage gewesen, nicht nur unschlüssig ist, sondern auch seine eigene Aussage übergeht, er habe "die ganzen Spielchen" mit der Frau - welcher Ausdruck auf seine zuvor eingestandenen Tathandlungen bezogen war - "alleine gemacht" (S 59 iVm S 320).

In der Subsumtionsrüge (Z 12) bestreitet der Angeklagte - auf eine Tatbeurteilung nach § 201 Abs 2 StGB abzielend - die Erfüllung des Grunddeliktes nach § 201 Abs 1 StGB sowie das Vorliegen der vom Geschworenengericht bejahten Qualifikation.

Der kritisierten Beurteilung des Tatverhaltens als Anwendung schwerer Gewalt (im Sinn des § 201 Abs 1 StGB) liegt jedoch kein aus dem Wahrspruch ableitbarer Rechtsirrtum zugrunde. Hiezu genügt es, den Beschwerdeführer auf die vorstehenden Ausführungen sowie darauf zu verweisen, daß eine bestimmte Dauer einer Gesundheitsschädigung vom Gesetzgeber bewußt nicht als Kriterium schwerer Gewalt vorgesehen wurde (JAB, 3 f).

Da ein qualvoller Zustand des Tatopfers (§ 201 Abs 3 zweiter Fall StGB) durch Schmerzen, Leiden, Angstzustände oder Depressionen von besonderer Intensität gekennzeichnet ist (vgl Schwaighofer WK § 106 RN 10 mwN) und es daher der Beschwerde zuwider auch insoweit nicht auf den Eintritt einer Gesundheitsschädigung ankommt, läßt die Annahme eines solchen Zustandes des Tatopfers einen Rechtsirrtum nicht erkennen.

Soweit der Beschwerdeführer gegen die erwähnte Qualifikationsvariante vorbringt, Monika Y***** sei nicht während der gesamten, bei ihm (gezwungermaßen) verbrachten Zeit seiner Gewalt ausgesetzt gewesen, weshalb ein qualvoller Zustand nicht längere Zeit hindurch bestanden habe, übergeht er die im Wahrspruch getroffene gegenteilige Feststellung und verfehlt damit eine dem Gesetz entsprechende Ausführung (Mayerhofer4 aaO § 345 Z 12 E 8).

Ob die vergewaltigte Person außerdem in besonderer Weise erniedrigt wurde (§ 201 Abs 3 dritter Fall StGB) bedarf nach Lage des Falles keiner Erörterung; denn hiebei handelt es sich nur um eine weitere - im Verhältnis zur vorgenannten nicht eigenständige - Variante derselben Qualifikation, die nach dem Gesagten schon durch Annahme eines längere Zeit währenden qualvollen Zustandes des Opfers (§ 201 Abs 3 zweiter Fall StGB) rechtlich einwandfrei bejaht wurde (EvBl 1990/119 = NRsp 1990/144; Pallin aaO RN 29 a aE; Foregger/Serini StGB5 § 201 Erl VII).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verhängte über den Angeklagten nach § 201 Abs 3 erster Strafsatz StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Jahren. Bei der Strafbemessung wertete es als erschwerend die variierte Wiederholung der dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlungen, die zweifache Qualifikation der Straftat nach § 201 Abs 3 zweiter und dritter Fall StGB sowie die "vielfachen (insgesamt sieben) einschlägigen" Vorverurteilungen, als mildernd das teilweise Eingeständnis der Straftat.

Dagegen richtet sich die Berufung des Angeklagten, mit der er eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe beantragt.

Vorerst ist anzumerken, daß die vom Geschworenengericht ansonsten im wesentlichen zutreffend angenommenen Strafzumessungsgründen dahingehend zu korrigieren sind, daß dem Angeklagten als erschwerend noch die (leichten) Verletzungen des Tatopfers zur Last fallen, jedoch nicht die zweifache Qualifikation der Straftat.

Der Angeklagte hingegen vermag in seiner Berufung zusätzliche Umstände mildernder Natur nicht darzulegen. Entgegen seinem Vorbringen kommen dem hohen Aggressionspotential, das er nur mit Schwierigkeiten unter Kontrolle halten kann, sowie der massiven Sexualproblematik und Sexualverdrängung im gegebenen Fall insoferne kein milderndes Gewicht zu, als gerade diese Veranlagung im Hinblick auf die darauf zurückzuführende besondere Aggressivität aus spezialpräventiven Gründen die Verhängung einer höheren Strafe erfordert (Mayerhofer/Rieder StGB4 § 34 E 7 mwN).

Berücksichtigt man das - sich schon im Vorleben als auch im hier in Verfolgung gezogenen Verhalten - manifestierende hohe Aggressionspotential des Angeklagten, so entspricht die vom Geschworenengericht verhängte Freiheitsstrafe im Ausmaß von acht Jahren dem Unrechtsgehalt der strafbaren Handlungen und der schweren personalen Täterschuld, sodaß einer Strafreduktion nicht nähergetreten werden konnte.

Es mußte darum auch der Berufung ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung basiert auf § 390 a StPO.

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