OGH 4Ob2367/96h

OGH4Ob2367/96h17.12.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek und Dr.Niederreiter sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr.Griß und Dr.Schenk als weitere Richter in der Unterbringungssache des Reinhard G*****, infolge Revisionsrekurses des Patientenanwaltes Dr.Rudolf S*****, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 24.Oktober 1996, GZ 54 R 165/96b-17, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 26.September 1996, GZ 27 Ub 203/96i-3 (= ON 8), teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Reinhard G***** war nach der Ermordung einer Prostituierten vor rund 20 Jahren zunächst in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen und im Rahmen des Maßnahmenvollzuges zuerst in der Justizanstalt Mittersteig, dann im Psychatrischen Krankenhaus der Stadt Wien, Baumgartnerhöhe, sowie in der Justizanstalt Göllersdorf und schließlich im Landesnervenkrankenhaus Hall betreut worden. Anläßlich seiner bedingten Entlassung wurden ihm richterliche Weisungen in bezug auf eine weitere psychatrische Behandlung erteilt. Auf Grund dieser richterlichen Weisung betreute Dr.M***** den Kranken. Am 24.September 1996 bedrohte der Kranke diesen Arzt. Dies führte noch am gleichen Tag zu seiner Einlieferung in den geschlossenen Bereich der Universitätsklinik für Psychatrie Innsbruck. Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 14.Oktober 1996 wurde die Unterbringung bis 7.November 1996 für zulässig erklärt (ON 12).

Der Betroffene leidet an einer Borderline-Störung sowie an einer schizoaffektiven Psychose. Seine Krankheit führt zu Aggressionszuständen und damit verbunden zu einer Selbst- und Fremdgefährdung.

Am 26.September 1996 hatte das Erstgericht die Erstanhörung des Kranken im Sinne des § 19 UbG unter Beteiligung des behandelnden Arztes und des Patientenanwaltes durchgeführt. Der Kranke verweigerte jegliche Angaben gegenüber dem Erstrichter. In der Folge wurde die Tagsatzung im Interesse des Patienten in dessen Abwesenheit weitergeführt. Der behandelnde Arzt stellte sodann den Antrag auf Genehmigung einer besonderen Heilbehandlung in der Form der Depotinjektion von mindestens 50 mg Fluphenazin Dec. in 14-tägigen Intervallen.

Das Erstgericht erklärte mit einem noch in dieser Tagsatzung mündlich verkündeten Beschluß diese Heilbehandlung für zulässig. Bei der Verkündung des Beschlusses war der Kranke nicht zugegen; er wurde allerdings im Anschluß daran vom Ergebnis der Tagsatzung unterrichtet.

Infolge Rekurses des Patientenanwaltes änderte das Rekursgericht den Beschluß des Erstgerichtes nur insoweit ab, als es die Behandlung des Kranken mit fünf der näher bestimmten Injektionen in 14-tägigen Intervallen für zulässig erklärte. Es sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Die vom Patientenanwalt geltend gemachte Nichtigkeit - nämlich die Verletzung des rechtlichen Gehörs des Kranken dadurch, daß dieser von dem Verfahren über die Genehmigung einer besonderen Heilbehandlung nicht in Kenntnis gesetzt und dazu auch nicht gehört worden sei - liege nicht vor. Im Verfahren nach §§ 36 ff UbG sei das Unterbringungsgericht - anders als bei der Prüfung der Zulässigkeit der Unterbringung im Sinne des § 19 Abs 1 und 2 UbG - nicht verpflichtet, den Kranken zu hören; vielmehr habe es sich nur im Rahmen einer Tagsatzung an Ort und Stelle einen persönlichen Eindruck vom Kranken und dessen Lage zu verschaffen (§ 38 Abs 1 UbG). Dieser Verpflichtung sei das Erstgericht nachgekommen. Der Kranke sei bei der Tagsatzung auch durch den Patientenanwalt vertreten gewesen, so daß auch im Hinblick darauf das rechtliche Gehör des Patienten gewahrt gewesen sei. Berechtigt sei der Rekurs nur mit seinem Hinweis darauf, daß der bekämpfte Beschluß keine Angabe über die Anzahl der genehmigten Injektionen enthalte. Insoweit sei der Spruch - nach ergänzender Befragung des schon vom Erstgericht beigezogenen Sachverständigen - zu ergänzen gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluß erhobene Revisionsrekurs des Patientenanwaltes ist unzulässig.

Der Rechtsmittelwerber wendet sich ausschließlich dagegen, daß das Gericht zweiter Instanz das Vorliegen des von ihm geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes verneint habe. Nach richtiger Ansicht hätte eine persönliche Anhörung des Kranken stattfinden müssen.

Der Patientenanwalt übersieht ebenso wie das Rekursgericht, daß die Überprüfung der vom Gericht zweiter Instanz als erheblich angesehenen und im Revisionsrekurs behandelten Frage, ob das Verfahren erster Instanz mit Nichtigkeit behaftet ist, der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof entzogen ist:

Für das Berufungsverfahren nach der ZPO ist aus § 519 Abs 1 Z 1 ZPO abzuleiten, daß die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz, mit der es die wegen Nichtigkeit erhobene Berufung verworfen hat, nicht angefochten werden kann (Fasching, LB2 Rz 1905 und 1979; Kodek in Rechberger, ZPO, Rz 2 zu § 519; MietSlg 38.799; EFSlg 57.844, 64.159; SSV-NF 1/36; SZ 65/84 = JBl 1992, 780; MietSlg 46.685 uva). Der Oberste Gerichtshof vertritt darüber hinaus für alle der Zivilprozeßordnung unterworfenen Verfahren, auch wenn sie vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht sind, die Ansicht, daß die Nichtigkeit im Rekursverfahren nicht anders behandelt werden dürfe als im Berufungsverfahren (JBl 1989, 389 ua), läge doch sonst ein Wertungswiderspruch vor (SZ 65/84 = JBl 1992, 780; MietSlg 46.685). Diese Anfechtungsbeschränkung muß sich dann aber auch auf solche im Verfahren außer Streitsachen ergangene Beschlüsse erstrecken, deren Gegenstand ein Sachantrag oder ein sonstiges Rechtsschutzbegehren einer Partei ist, weil sich die Neuordnung des Revisionsrekurses durch die WGN 1989 im wesentlichen an den Grundsätzen der ZPO orientiert. § 15 AußStrG entspricht § 503 ZPO. Es wäre - wie der Oberste Gerichtshof schon wiederholt ausgesprochen hat (SZ 65/84 = JBl 1992, 780; MietSlg 46.685) - nicht einzusehen, weshalb die Anfechtung wegen einer Nichtigkeit im Verfahren außer Streitsachen weitergezogen werden sollte als nach der dafür vorbildlichen Bestimmung der ZPO. Auch im Verfahren außer Streitsachen kann demnach eine Nichtigkeit, deren Vorliegen das Gericht zweiter Instanz verneint hat, nicht mehr Gegenstand einer neuerlichen Anfechtung in dritter Instanz sein.

Daran kann sich auch dadurch nichts ändern, daß der Rechtsmittelwerber als Anfechtungsgründe nicht nur Nichtigkeit, sondern auch "Verfahrensmangel und unrichtige rechtliche Beurteilung" geltend gemacht hat. Ganz abgesehen davon, daß es auf die unrichtige Benennung von Rechtsmittelgründen nicht ankommt (§ 84 Abs 2 letzter Satz ZPO), wäre für den Rechtsmittelwerber auch dann nichts gewonnen, wenn der von ihm geltend gemachte Verfahrensfehler - sollte er überhaupt bejaht werden - nicht als Nichtigkeit, sondern als schlichter Verfahrensmangel zu werten wäre. Denn auch ein vom Rekursgericht verneinter (einfacher) Verfahrensmangel erster instanz kann nicht mehr an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (EFSlg 70.385; 76.511 uva). Eine unrichtige rechtliche Beurteilung des Erstrichters macht der Patientenanwalt nicht geltend, weil er nicht die materiellrechtliche Lösung der Frage der Behandlung des Kranken bekämpft, sondern nur die Verfahrensweise des Erstgerichtes.

Aus diesen Erwägungen war das Rechtsmittel zurückzuweisen.

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