OGH 10ObS2415/96m

OGH10ObS2415/96m13.12.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Ehmayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Wolf (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Leopold Smrcka (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr.Robert K*****, Rechtsanwalt, ***** wider die beklagte Partei Tiroler Gebietskrankenkasse, Klara Pölt Weg 2, 6020 Innsbruck, vertreten durch Dr.Hans-Peter Ullmann und Dr.Stefan Geiler, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 10.740 S sA (Revisionsinteresse 10.479,60 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20.August 1996, GZ 25 Rs 77/96a-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 3.Mai 1996, GZ 47 Cgs 70/96i-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger, ein Rechtsanwalt, der bei der beklagten Partei gemäß § 16 ASVG selbst versichert ist, stürzte am 18.10.1995 um 6 Uhr 30 im hochalpinen Gelände mit einem Paragleiter ab. Um 7 Uhr 50 landete ein Rettungshubschrauber des Bundesministeriums für Inneres bei der Unfallstelle. Der Notarzt stellte als Erstdiagnose am Unfallort eine Wirbelfraktur im Bereich der oberen Lendenwirbelsäule fest. Der Zustand des Klägers war am Unfallort hinsichtlich der Bewußtseinslage unauffällig, hinsichtlich der Atmung suffizient, hinsichtlich des Kreislaufes unauffällig. Bezüglich der Atmung wurden am Unfallsort keine Maßnahmen getroffen. Es erfolgte nur eine spezielle Lagerung/Schienung und eine Überwachung während des Transportes. Die Bergung erfolgte in 2100 m Seehöhe in unwegsamem Gelände; von der Talstation des Sesselliftes, der auf den Berg führt, auf dem sich der Unfall ereignete, steht keine Straße zur Verfügung. In die Nähe der Absturzstelle führt eine Hochstraße, auf der bis zum Verlassen des Talbodens vom Rettungsfahrzeug eine Strecke von 14 km zurückzulegen gewesen wäre. Die Unfallstelle kann von einem Fahrzeug auf dieser Straße aus jedoch nicht erreicht werden. Die Bergung mit dem Hubschrauber war aufgrund des Verletzungsgrades notwendig. Um 8 Uhr wurde der Kläger in die chirurgische Ambulanz des nächstgelegenen Bezirkskrankenhauses eingeliefert. Der Hubschrauber war um 7 Uhr 30 alarmiert worden. Er startete um 7 Uhr 43, die Flugzeit zum Unfallort betrug 7 Minuten, die Verweilzeit 10 Minuten, die Flugzeit zum Transportziel 5 Minuten, die Verweildauer 11 Minuten, die Flugzeit zum Standort 4 Minuten. Insgesamt ergab sich daher eine Gesamtflugzeit von 16 Minuten und eine Gesamtstehzeit von 21 Minuten.

Die instabile Kompressionsfraktur des II Lendenwirbelkörpers wurde reponiert und ruhiggestellt. Da die operative Versorgung der instabilen Fraktur indiziert war, wurde der Kläger in der Folge in ein hiefür eingerichtetes Krankenhaus transferiert.

Das Bundesministerium für Inneres stelle dem Kläger für den Notarzt-Hubschraubertransport am 18.10.1995 einen Betrag von 10.740 S in Rechnung.

Die beklagte Partei gab mit Bescheid vom 12.2.1996 dem Antrag des Klägers auf Kostenübernahme mit einem Teilbetrag von 260,40 S (theoretische Transportkosten für 3 km von der Talstation der Seilbahn bis ins Krankenhaus) statt und wies das Mehrbegehren ab, weil gemäß § 131 Abs 4 ASVG die Kosten für eine Bergung und die Beförderung bis ins Tal bei Unfällen in Ausübung von Sport und Touristik nicht zu ersetzen seien. Anspruch bestehe nur auf Ersatz der Kosten, die bei einem Liegendtransport mit einem Krankentransportwagen von der Talstation des Sesselliftes bis zum Krankenhaus aufgelaufen wären; diese hätten 260,40 S inkl USt betragen.

Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt der Kläger, die beklagte Partei zur Zahlung eines Betrages von 10.740 S zu verpflichten. Der Abtransport mit dem Hubschrauber sei medizinisch notwendig gewesen. Nach § 135 Abs 4 ASVG und § 43 ihrer Satzung sei die beklagte Partei verpflichtet, die Transportkosten zur Gänze zu ersetzen; § 43 der Satzung sei als lex specialis zu § 131 Abs 4 ASVG anzusehen. Überdies sei die beklagte Partei aufgrund der zwischen der Republik Österreich und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger geschlossener Vereinbarung verpflichtet gewesen, dem Kläger zumindest einen Teilbetrag von 9.220 S zu ersetzen; dieser Vertrag entfalte Schutzwirkungen zugunsten des Klägers. Überdies entfalle auf den Transport vom Berg ins Tal nur ein Zeitraum von 1 Minute, sohin anteilig ein Betrag von 671,25 S; nur dieser könnte allenfalls § 131 Abs 4 ASVG zugeordnet werden. § 131 Abs 4 ASVG sei überdies verfassungswidrig, weil nicht einzusehen sei, warum ein "Verunfallter" im Tal, etwa ein alkoholisierter Kraftfahrer, im Bedarfsfall bei einem Unfall von einem Hubschrauber geborgen werde, ohne daß für ihn eine Kostenbelastung entstünde, eine am Berg verunglückte Person auch wenn sie kein Verschulden treffe, die Kosten der Bergung selbst zu tragen habe.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, wobei sie im wesentlichen die bereits im angefochtenen Bescheid angeführten Argumente ins Treffen führte.

Das Erstgericht wies das Begehren des Klägers ab. Gemäß § 131 Abs 4 ASVG seien Kosten für die Beförderung bis ins Tal bei Unfällen in Ausübung von Sport und Touristik nicht zu ersetzen. Der Kläger habe seinen Unfall bei der Sportausübung erlitten. Auch aus der Satzung der beklagten Partei lasse sich kein anderes Ergebnis ableiten; durch die vom Kläger angezogene Bestimmung würden nur nähere Ausführungsbestimmungen für Fälle getroffen, in denen die beklagte Partei die Beförderungskosten zu tragen habe. § 131 Abs 4 ASVG sei davon nicht berührt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge, wobei es im wesentlichen der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes beitrat. Der Kläger führe keine überzeugenden Argumente für die Nichtanwendung des § 131 Abs 4 ASVG ins Treffen, Bedenken gegen die Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmung bestünden nicht. Der Ausschluß der Übernahme von Bergekosten und der Kosten einer Beförderung bis ins Tal erscheine sachgerecht, weil bei Bergunfällen beim Transport eines Verletzten in der Regel besonders hohe Kosten erwachsen. Daß im Licht dieses Ausschlusses Verletzte in anderen Fällen begünstigt würden, mache die Regelung nicht unsachlich, weil bei der Sachlichkeitsprüfung auf den Regelfall abzustellen sei. Was die Aufteilung der Kosten des Transportes bis ins Tal betreffe, sei nicht hervorgekommen, daß die Flugzeit wesentlich kürzer gewesen wäre, wenn der Hubschrauber den Kläger nur bis zur nächstgelegenen Straße ins Tal befördert hätte und der Weitertransport von dort mit dem Krankenwagen erfolgt wäre. Die Kosten des An- und Rückfluges des Hubschraubers zum Standort gehörten jedenfalls zu den Kosten des "Transportes bis ins Tal".

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die Revision gegen seine Entscheidung zulässig sei, weil zur Auslegung der Bestimmung des § 131 Abs 4 ASVG eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren im Umfang eines Zuspruches von 10.479,60 S stattgegeben werde.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Gemäß § 144 Abs 5 ASVG iVm § 135 Abs 4 ASVG hat der Krankenversicherungsträger bei Notwendigkeit der Anstaltspflege auch die Kosten des Transportes in die Krankenanstalt zu übernehmen, wenn die in § 144 Abs 5 ASVG weiter statuierten Voraussetzungen gegeben sind. § 43 der Satzung enhält nur nähere Ausführungsbestimmungen für Fälle, in denen aufgrund des Gesetzes die Kosten des Krankentransportes vom Versicherungsträger zu übernehmen sind. Da gemäß § 131 Abs 4 ASVG Bergungskosten und die Kosten der Beförderung bis ins Tal bei Unfällen in Ausübung von Sport und Touristik nicht zu ersetzen sind, kann für diese Fälle aus der dargestellten Satzungsbestimmung nichts abgeleitet werden. Die Normierung eines Kostenersatzanspruches durch die Satzung für Fälle, in denen ein solcher nach dem Gesetz ausgeschlossen ist, wäre unzulässig und gesetzwidrig. Dies verbietet eine extensive Interpretation der Satzungsbestimmungen in dem vom Kläger gewünschten Sinn.

Im weiteren führt der Kläger aus, von der Kostenübernahme sei nur der kürzeste Transportweg bis zur Talsohle ausgeschlossen; von dort weg habe die beklagte Partei die Kosten zu übernehmen. Da der Transport von der Unfallstelle bis zur Talsohle nur eine Minute gedauert hätte, habe die beklagte Partei jedenfalls für die Kosten einzustehen, die durch den darüber hinausgehenden Einsatz des Hubschraubers aufgelaufen seien. Dabei übersieht der Kläger, worauf bereits das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat, daß bei Beurteilung des Umfanges der notwendigen Transportkosten nicht auf die "Netto"transportzeit abgestellt werden kann, sondern der Anflug des Helikopters vom Stützpunkt bis zum Unfallsort sowie der Rückflug zum Stützpunkt den Transportkosten zuzurechnen sind. Dafür, daß ausgehend von diesen Wegstrecken die Transportzeit kürzer gewesen wäre, wenn der Kläger ab der Talstation der Seilbahn mit dem Krankenwagen befördert worden wäre, besteht kein Anhaltspunkt; der Umstand, daß die Wegstrecke von der Talstation bis zum Krankenhaus nur 3 km beträgt, spricht vielmehr dagegen, daß auf diese Weise eine Ersparnis an Flugzeit eingetreten wäre.

Soweit der Kläger Überlegungen anstellt, daß dann, wenn ein Hubschraubertransport nicht notwendig gewesen wäre, richtigerweise die Kosten für den Rettungstransport ab einer in die Nähe der Unfallstelle führenden Hochstraße zu ersetzen gewesen wäre, gehen daran vorbei, daß nach den Feststellungen der Vorinstanzen der Rettungstransport mit dem Hubschrauber aus ärztlichen Gründen notwendig war. Im übrigen sagt der Umstand, daß ein Krankenwagen bei Benützung der Hochstraße näher an die Unfallstelle herangekommen wäre, nichts darüber aus, ob die Bergung des Klägers auf diese Weise möglich gewesen wäre. Fest steht, daß sich der Unfall im unwegsamen Gelände ereignete, so daß jedenfalls ein Transport bis zur Anfahrtsstelle des Rettungsfahrzeuges notwendig gewesen wäre. Es kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß dieser Transport im Hinblick auf die hochalpinen Verhältnisse ohne Rettungshubschrauber möglich gewesen wäre, solches hat der Kläger auch gar nicht behauptet.

Mit den gegen die Verfassungsmäßigkeit der Ausschlußnorm des § 131 Abs 4 ASVG ins Treffen geführten Argumenten hat sich das Berufungsgericht ausführlich auseinandergesetzt und sie zutreffend für nicht stichhältig erachtet. Den diesbezüglichen Ausführungen ist beizutreten. Mit dieser Bestimmung soll auf das mit Sport und Touristik verbundene Risiko hingewiesen werden (Binder in Tomandl, System, 7.ErgLfg 211). Es muß dem Gesetzgeber freistehen, dort, wo die Übernahme des Risikos und der damit regelmäßig verbundenen hohen Kosten es wirtschaftlich nicht mehr vertretbar erscheint, Leistungsbegrenzungen einzuführen (in diesem Sinne bereits OLG Wien als damals letzte Instanz in Leistungsstreitsachen SSV 25/5). Es mag zugestanden werden, daß in anderen Bereichen Fälle denkbar sind (etwa der vom Revisionswerber ins Treffen geführte Fall, daß ein alkoholisierter Lenker nach einem Unfall mit dem Hubschrauber abtransportiert werden muß, wobei diese Kosten vom Versicherungsträger zu übernehmen sind), die weniger schützenswert erscheinen als ein Unfall bei Ausübung von Sport und Touristik. Die Frage der Gleichheitswidrigkeit von Regelungen kann jedoch nicht aus der Gegenüberstellung von Extremfällen beurteilt werden. Es ist vielmehr auf den Regelfall abzustellen. Da aber bei Bergunfällen, schon bedingt durch die Situation im Gelände, regelmäßig unverhältnismäßig hohe Bergekosten auftreten, ist der Ausschluß des Ersatzes für derartige Kosten durchaus sachgerecht.

Die Vorinstanzen haben daher das Begehren des Klägers auf Ersatz der Kosten für den Hubschraubertransport von der Unfallstelle zum Krankenhaus zutreffend nicht für berechtigt erachtet.

Gegenstand des Revisionsantrages ist nur das den Betrag von 260,40 S übersteigende Begehren. Der Anspruchsteil, hinsichtlich dessen dem Antrag des Klägers mit dem angefochtenen Bescheid stattgegeben wurde, ist daher nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe, die einen Kostenzuspruch aus Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden weder geltend gemacht, noch ergeben sich Hinweise auf solche Gründe aus dem Akt.

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