OGH 9Ob2100/96f

OGH9Ob2100/96f13.11.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag, Dr.Bauer, Dr.Ehmayr und Dr.Steinbauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef M*****, Angestellter, ***** vertreten durch Dr.Gerhard Fink und Dr.Peter Bernhart, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Michael M*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr.Kurt Dellisch, Rechtsanwalt in Klagenfurt, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht vom 29.März 1996, GZ 1 R 79/96d-35, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 13.Jänner 1996, GZ 14 C 486/94h-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Streitteile sind Brüder. Ein zwischen dem früheren Eigentümer der landwirtschaftlichen Liegenschaft, dem Vater der Streitteile, mit dem Beklagten 1988 geschlossener Pachtvertrag wurde nach einiger Zeit aufgelöst, weil der Beklagte wegen seiner psychischen Krankheit zur Bewirtschaftung nicht in der Lage war; der Beklagte wohnte aber weiterhin auf der Liegenschaft. Im Zuge der Errichtung des Übergabsvertrages mit dem Kläger wollte der Vater der Streitteile als Übergeber ein Miet- oder Wohnrecht für den Beklagten vereinbaren. Der Kläger weigerte sich aber und unterfertigte aus diesem Grund zwei vom Notar ausgearbeitete Vertragsentwürfe, die entsprechende Bestimmungen enthielten, nicht. In der Folge wurde im Übergabsvertrag vom 31.7.1992 für den Beklagten ein Abfindungsbetrag vereinbart, wobei sich in diesem Zusammenhang folgende Formulierung findet (Punkt Fünftens lit c 1.): ..."zugunsten Michael M*****, sobald er vom Haus dauernd weggezogen ist und anderswo einen ordentlichen Wohnsitz begründet hat. Verläßt er den Hof dauernd nicht, ist auf seine Abfertigungsforderung pro begonnenem Halbjahr jeweils vom 1.Juli bis 31. Dezember gerechnet ein Betrag von 2500 S (in Worten zweitausendfünfhundert) anzurechnen, welcher als Äquivalent für das weitere Wohnen gilt". Beide Vertragsteile sind zum Zeitpunkt der Vertragsunterfertigung davon ausgegangen, daß der Beklagte auf der Liegenschaft wohnte, keinen anderen ordentlichen Wohnsitz hatte und auch in Zukunft dort wohnen sollte. Beim Beklagten besteht ein mäßiggradiger Residualzustand bei Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis, die intellektuelle Leistungsfähigkeit liegt im Grenzbereich, es liegt eine Neigung zu Alkoholmißbrauch vor und es bestehen chron. familiäre Konflikte. Er wurde bereits wiederholt in einem Zentrum für seelische Gesundheit angehalten, hat sich bisher jedoch einer Behandlung nicht unterzogen. Seine Sachwalterin hat sich erfolglos bemüht, eine Wohnung für ihn zu finden. Bereits vor Abschluß des Übergabsvertrages kam es zum Ausbruch der psychischen Krankheit und zu übermäßigem Alkoholkonsum des Beklagten und damit zu Schwierigkeiten im Zusammenleben mit ihm. Nach Abschluß des Übergabsvertrages war aus dem Zimmer des Beklagten regelmäßig eine äußerst rege Lärmentwicklung zu vernehmen, er redete mit sich selbst, schrie und schlug mit dem Kopf gegen die Wand. Dieses Verhalten wurde durch übermäßigen Alkoholkonsum noch verstärkt. Es gab immer wieder Vorfälle, die zum dienstlichen Einschreiten der Gendarmerie führten. Ein Gendarmeriebeamter berichtete, daß er bereits öfter ersucht wurde, einzuschreiten, weil der Beklagte Türen aushängt, Fensterscheiben einschlägt, mit dem Kopf gegen die Wand laufe, Löcher in die Wand bohre, unnatürliche Laute von sich gebe und sich nicht pflege. Im April 1995 wählte der Beklagte von einer Telefonzelle aus 10 bis 15 mal den Notruf der Gendarmerie bis die Beamten letztlich einschritten und ihm den Hörer aus der Hand nahmen. Am 20.4.1995 wurde wieder die Gendarmerie verständigt; der Beklagte war stark alkolholisiert, bedrohte den Kläger und seine Schwägerin mit dem "Auslöschen", lief mit dem Kopf gegen die Wand, schlug den einschreitenden Beamten, spuckte ihn an und redete wirres Zeug. Auch im November 1995 randalierte der Beklagte wieder und wurde mit der Ambulanz ins Krankenhaus gebracht.

Der Kläger begehrt, den Beklagten zur Unterlassung der Benützung der Liegenschaft sowie zur Räumung des von ihm bewohnten Zimmers am Hof zu verpflichten. Dem Beklagten sei die Benützung des Zimmers nur gegen jederzeitigen Widerruf gestattet worden; ein Miet- oder Wohnrecht sei ihm nicht eingeräumt worden. Der Beklagte habe dreibis viermal wöchentlich einen Anfall; das Zusammenleben mit ihm sei nicht mehr möglich. Er schreie bis spät in der Nacht, zerschlage Geschirr und randaliere. Durch dieses Verhalten würden auch die Pensionsgäste im Haus aufs ärgste gestört.

Der Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Das Recht zur Benützung des Zimmers sei ihm auf Lebenszeit eingeräumt worden. Dem Kläger seien in diesem Zeitpunkt auch die Verhaltensweisen des Beklagten und deren Ursachen bekannt gewesen. Eine Verschlechterung sei in der Folge nicht eingetreten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Dem Beklagten sei kein Wohnungsrecht auf Lebenszeit eingeräumt worden, sondern lediglich die Benützung des Hauses gestattet worden. Der Beklagte habe durch sein anstößiges und sonst grob ungehöriges Verhalten den Mitbewohnern das friedliche Zusammenleben verleidet und das Maß des für den Kläger und dessen Lebensgefährtin zumutbaren überschritten. Analog § 1118 ABGB sei der Kläger berechtigt, das Benützungsverhältnis zur Auflösung zu bringen und dem Beklagten das Betreten der Liegenschaft zu untersagen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Dauerschuldverhältnisse könnten grundsätzlich aus wichtigen Gründen vorzeitig aufgelöst werden, wobei als wichtige Gründe unter anderem Änderungen der Verhältnisse in Frage kommen, die eine Fortsetzung der vertraglichen Bindung nicht zumutbar erscheinen lassen. Auf Dauer angelegte Rechtsverhältnsse seien nämlich für eine Veränderung der für den Vertrag maßgeblichen Verhältnisse im besonderen Maß empfindlich und es sei auch den sorgfältigsten Parteien nicht möglich, für alle Fälle in Zukunft vertraglich vorzusorgen. Ausgehend hievon erweise sich das Begehren des Klägers als berechtigt. Die Verfehlungen des Beklagten hätten in ihrer Gesamtheit gesehen ein solches Gewicht, daß die Auflösung des Dauerrechtsverhältnisses zwischen den Parteien als letzte Notlösung zur Beseitigung der untragbar gewordenen Lage angesehen werden müsse, ohne daß es darauf ankomme, welcher konkrete Rechtstitel der Benützung der Liegenschaft durch den Beklagten zugrundeliege. Feststellungen über das Verhalten des Beklagten vor Vertragsabschluß seien nicht erforderlich, weil davon auszugehen sei, daß der Kläger darauf vertrauen durfte, daß sich der Beklagte einer adäquaten Behandlung unterziehen werde. Es könne auch nicht unterstellt werden, daß der Kläger eine gefährliche Drohung des Beklagten erwarten durfte. Dem Kläger sei ein weiteres Zusammenleben mit dem Beklagten am Hof nicht mehr zumutbar. Die Revision wurde für nicht zulässig erklärt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten aus den Revisionsgründen der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die außerordentliche Revision zurück- bzw abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Beklagten ist zulässig, weil das Berufungsgericht ausgehend von einer unvollständigen Sachverhaltsgrundlage entschieden hat und die von der Judikatur entwickelten Grundsätze über die Notwendigkeit einer Änderung der Verhältnisse als Voraussetzung für die Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigen Gründen zwar in seiner Begründung wiedergegeben, sie jedoch im weiteren bei der Entscheidung des konkreten Sachverhaltes außer acht gelassen hat. Die Revision ist auch im Sinne des Eventualantrages berechtigt.

Der Kläger behauptet, dem Beklagten die Benützung des Zimmers gegen jederzeitigen Widerruf gestattet zu haben, der Beklagte vertritt den Standpunkt, es sei ihm ein Benützungsrecht auf Lebenszeit eingeräumt worden. Die Vorinstanzen haben die Frage des Rechtstitels des Beklagten für die Benützung des strittigen Zimmers offen gelassen. Das Erstgericht stellte fest, daß nicht erwiesen sei, daß dem Beklagten mit dem Übergabsvertrag vom 31.7.1992 ein Wohnrecht auf Lebenszeit eingeräumt worden sei. Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine Tatsachenfeststellung, sondern um eine rechtliche Beurteilung. Zu den Vorgängen selbst hielt es fest, daß der Kläger die Unterschrift unter zwei Vertragsentwürfe, in denen die Einräumung eines Wohnrechtes für den Beklagten auf Lebenszeit vorgesehen war, verweigert habe und in den Übergabsvertrag letztlich die Formulierung gemäß Punkt Fünftens lit c 1.) aufgenommen worden sei. Weiters steht fest, daß beide Teile dabei davon ausgingen, daß der Beklagte auf der Liegenschaft auch in Zukunft wohnen werde.

Die Frage der Rechtsgrundlage für die Benützung des Zimmers durch den Beklagten ist für die Entscheidung über das erhobene Klagebegehren von wesentlicher Bedeutung. Wohl gilt der Rechtsgrundsatz, daß Dauerschuldverhältnisse aus wichtigem Grund vorzeitig gelöst werden können allgemein, doch ist etwa dann, wenn es sich um Dienstbarkeiten und ähnliche Gebrauchsrechte handelt ein besonders strenger Maßstab anzulegen; die Auflösung kann hier nur äußerstes Notventil sein (JBl 1992, 187). Dies wird zwar mit der stärkeren dinglichen Bindung solcher Rechte begründet, die von der Judikatur ausgesprochenen Grundsätze müssen aber auch dann gelten, wenn unter Verwandten (etwa zur Versorgung eines behinderten Kindes des Übergebers) die Einräumung eines Wohnungsrechtes erfolgt. Auch hier ist ein Auflösungsbegehren sehr streng zu prüfen.

Ob allerdings die Einräumung eines Wohnrechtes erfolgte, kann aufgrund der vorliegenden Feststellungen nicht beurteilt werden. Wohl scheint der Umstand, daß der Kläger die Unterfertigung des Übergabsvertrages, der eine entsprechende Bestimmung enthielt, ablehnte, gegen eine solche Vereinbarung zu sprechen, andererseits war der Übergeber doch von dem Bestreben bestimmt, für den Beklagten auf Dauer eine Wohnmöglichkeit sicherzustellen, was letztlich im Übergabsvertrag, wenn auch mit einer eher vagen Formulierung festgehalten wurde. Dazu wurde festgestellt, daß beide Teile davon ausgingen, daß der Beklagte auch in Zukunft dort wohnen werde. Es ist keineswegs von der Hand zu weisen, daß der Kläger wohl eine ausdrückliche schriftliche (allenfalls verbücherte) Verpflichtung scheute, daß aber zwischen den Parteien über den Text von Punkt Fünftens lit c 1.) des Übergabsvertrages hinaus mündlich eine entsprechende Übereinkunft erzielt wurde. Für die abschließende Beurteilung dieser Frage sind aber genaue Feststellungen darüber erforderlich, welche Gespräche die Parteien im Zusammenhang mit dem Weiterverbleib des Beklagten am Hof geführt haben, insbesondere welche Absprachen im Zusammenhang mit der Vereinbarung des zitierten Vertragspunktes getroffen wurden. Diesbezüglich erweist sich das Verfahren ergänzungsbedürftig.

Eine vorzeitige Auflösung des Vertrages kommt nur wegen einer schwerwiegenden Änderung der Verhältnisse in Betracht (JBl 1992, 187); es muß sich immer um Gründe handeln, die nicht schon im Zeitpunkt der Begründung des Dauerschuldverhältnisses bekannt waren (6 Ob 709/78 ua). Der Beklagte hat dazu vorgebracht, daß dem Kläger die Verhaltensweisen des Beklagten und deren Ursachen bereits vor Abschluß des Übergabsvertrages bekannt gewesen seien und er sich damit abgefunden habe. Die dazu getroffenen Feststellungen erlauben keine abschließende Beurteilung, ob sich die diesbezüglichen Verhältnisse seit dem Abschluß des Übergabsvertrages geändert haben; bezüglich der Zeit vor Abschluß des Vertrages wurde nur festgestellt, daß es Schwierigkeiten im Zusammenleben mit dem Beklagten gegeben habe; konkrete Feststellungen über sein Verhalten, die einen Vergleich mit seinem Verhalten in der Zeit danach zuließen, fehlen. Jedenfalls in dem Fall, daß das Verfahren zu dem Ergebnis führen sollte, daß es zwischen den Parteien des Übergabsvertrages zur Einräumung eines Wohnrechtes für den Beklagten (im Rahmen eines echten Vertrages zugunsten Dritter) kam, wird zu prüfen sein, ob und in welcher Weise sich das Verhalten des Beklagten seither geändert hat. Bei im wesentlichen unveränderten Verhältnissen, insbesondere auch dann, wenn im Hinblick auf das bis dahin an den Tag gelegte Verhalten des Beklagten mit den späteren Vorfällen zu rechnen war, lägen die Voraussetzungen für die vorzeitige Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses nicht vor. Dazu sei nur bemerkt, daß die bloße Hoffnung des Klägers, der Beklagte werde sich einer entsprechenden Behandlung unterziehen, die zu einer Besserung seines Zustandes und der Situation im gemeinsamen Zusammenleben führen werde, ohne weitere konkrete Anhaltspunkte nicht zur Annahme berechtigt hätte, daß sich die Umstände zum Besseren wenden werden. Der Kläger wäre dann nur in seiner Hoffnung auf Besserung enttäuscht worden, tatsächlich wäre aber bei im wesentlichen gleichbleibender Situation keine Änderung der Verhältnisse eingetreten.

Da es zur Schaffung der erforderlichen Tatsachengrundlage offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.

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