OGH 4Ob2323/96p

OGH4Ob2323/96p12.11.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek und Dr.Niederreiter sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr.Griß und Dr.Schenk als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen Felix G*****, und Moritz G*****, GZ 2 P 1281/95g des Bezirksgerichtes Waidhofen an der Ybbs, infolge Rekurses des ehelichen Vaters Dipl.Ing.Albrecht G*****, gegen den Beschluß des Landesgerichtes St.Pölten als Rekursgericht vom 2.Oktober 1996, GZ 10 R 256/96s-4, womit über den Rekurswerber eine Ordnungsstrafe verhängt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Eltern der beiden Minderjährigen leben seit 7.November 1995 getrennt. Am 14.November 1995 beantragte die Mutter, ihr die alleinige Obsorge über die beiden Kinder zuzusprechen. Der Vater sprach sich gegen diesen Antrag aus, weil ihn kein Verschulden (an der Trennung) treffe.

Mit Beschluß vom 2.April 1996, 2 P 1281/95g-10, teilte das Erstgericht gemäß § 177 Abs 2 ABGB der Mutter die alleinige Obsorge über die ehelichen Kinder zu. Nach § 177 Abs 2 ABGB habe das Gericht im Falle nicht bloß vorübergehender Trennung der Eltern auf Antrag eines Elternteils zu entscheiden, welchem Elternteil die Obsorge für das Kind künftig allein zukomme. Dem Antrag der Mutter müsse daher stattgegeben werden, wenn er dem Wohl der Kinder entspreche. Das treffe hier zu. Der Vater behaupte nicht einmal selbst, daß die Mutter zur Erziehung der Kinder nicht geeignet wäre. Daß er zweifellos ein guter Vater ist, stehe der Übertragung der Obsorge an die Mutter nicht entgegen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die vom Vater offenbar angestrebte Fortführung der gemeinsamen Obsorge widerspräche § 177 Abs 2 ABGB. Überdies wäre der Fortbestand der gemeinsamen Obsorge dem Wohl der beiden Kinder abträglich, weil die Mutter, die Bezugsperson der Kinder, im Bedarfsfalle Entscheidungen für die Kinder alleine treffen könne müsse, ohne jedesmal das Einverständnis des räumlich getrennt lebenden Partners einzuholen. Das bedeute für den Vater aber nicht, daß er alle Rechte an seinen Kindern verliere. Er habe weiterhin das Recht auf persönlichen Verkehr mit den Kindern sowie das Recht, von der Obsorgeberechtigten von außergewöhnlichen, die Kinder betreffenden Umständen und von beabsichtigten Maßnahmen in den in § 154 Abs 2 und 3 ABGB genannten Angelegenheiten rechtzeitig verständigt zu werden und sich hiezu in angemessener Frist zu äußern.

Mit dem beim Rekursgericht am 19.September 1996 eingelangten Schreiben führte der Vater ua aus:

"Zu dem am 30.7.96 vom Rekurssenat gefaßten Beschluß möchte ich mich im folgenden noch einmal äußern. Zum einen fehlt hier die Rechtsmittelbelehrung und andererseits hätte ich einen solchen Dilettantismus in der Rechtsprechung nicht für möglich gehalten.

Da der einzige Grund der Übertragung der alleinigen Obsorge auf die Mutter aus deren Antrag resultiert und eine sehr fadenscheinige Begründung angegeben wird, daß dies auch dem Wohl der Kinder entspricht, kann man von einer sehr oberflächlichen Sicht der Tatbestände sprechen. An einem Paragraphen des Gesetzestextes, der die Verhältnisse getrennt lebender Eltern zu regeln versucht, herumzu interpretieren und dabei an der Realität vorbeizugehen, ist wohl nicht Sinn einer Rechtsprechung.

Die von mir weder verursachte noch gewünschte Trennung zu leugnen wäre ohne Realitätsbezug, da sie eine Tatsache ist, die zu ändern ich leider nicht imstande bin. Ebenso ist ein Antrag bezüglich der Übertragung der alleinigen Obsorge auf mich unrealistisch, weil ich aufgrund meines Berufes gezwungen bin auswärts zu arbeiten. Solche oder ähnliche Argumentationen wären reines Gewäsch. In meinen Stellungnahmen war ich stets bestrebt ein wirklichkeitsgetreues Bild zu zeichnen, doch hat es bisher niemand der Mühe Wert gefunden darauf einzugehen. ...".

Mit dem angefochtenen Beschluß verhängte hierauf das Rekursgericht über den ehelichen Vater gemäß § 85 Abs 1 GOG eine Ordnungsstrafe von S 3.000. Dilettantismus bedeute "Betätigung in Kunst oder Wissenschaft ohne Fachausbildung." Im übertragenen Sinne heiße dies, daß der Vater der Minderjährigen die Entscheidung des Rechtsmittelgerichtes als "laienhaft bzw stümperhaft" bezeichne und damit die dem Gericht schuldige Achtung durch einen beleidigenden Ausfall verletzt habe. Das rechtfertige die Verhängung einer Ordnungsstrafe nach § 85 Abs 1 GOG.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluß erhobene Rekurs des Vaters ist ohne Rücksicht auf das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage zulässig, weil das Rekursgericht hier erste Instanz war (EvBl 1959/60; EFSlg 36.804; 5 Ob 129/92 ua); er ist aber nicht berechtigt.

Nach § 85 Abs 1 GOG kann gegen Parteien, die in Angelegenheiten der Gerichtsbarkeit in Außerstreitsachen (ua) die dem Gericht schuldige Achtung durch beleidigende Ausfälle verletzen, vom Gericht eine Ordnungsstrafe (§ 220 ZPO) verhängt werden.

Der Vorwurf des "Dilettantismus" ist zweifellos beleidigend, versteht man doch unter einem Dilettanten in aller Regel jemanden, der seine Arbeit nachlässig oder ohne die nötigen Kenntnisse und Fähigkeiten erledigt, also einen Pfuscher oder Stümper (Brockhaus-Wahrig, Deutsches Wörterbuch in sechs Bänden, Zweiter Band 234 f). Der vom Rekurswerber erhobene Vorwurf, die "Rechtsprechung", hier also die Entscheidungen der beiden Vorinstanzen, wären (sinngemäß) Pfusch oder stümperhaft, verletzt somit die dem Gericht geschuldete Achtung.

Im übrigen ist der Vorwurf auch völlig unberechtigt. Schon das Erstgericht hat herausgestrichen, daß nach dem insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut im Falle der Trennung der Eltern die Obsorge über das gemeinsame Kind nur einem Elternteil zuerkannt werden kann. Der Verfassungsgerichtshof hat schon zweimal - vom Obersten Gerichtshof und von zwei Rekursgerichten wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die Regelung angerufen - ausgesprochen, daß § 177 ABGB nicht gegen die Verfassung verstößt (JBl 1990, 305; ÖJZ 1996, 110; dazu Pichler, Probleme der gemeinsamen Obsorge, ÖJZ 1996, 92 ff; Stolzlechner, ÖJZ 1996, 361 ff). Den Vorinstanzen, die in diesem Sinne entschieden haben, kann daher keinesfalls mangelnde fachliche Qualifikation, also Dilettantismus, vorgeworfen werden. Im Hinblick auf die Rechtslage kommt dem Einwand des Vaters, daß er sich nichts habe zuschulden kommen lassen, keine Bedeutung zu. Die Ursache der Trennung der Eltern war also entgegen der Rechtsmittelausführungen nicht zu "hinterfragen".

Gegen § 85 GOG bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken (5 Ob 129/92; s. das zur vergleichbaren Bestimmung des § 112 Abs 3 BAO ergangene Erkenntnis des VfGH vom 12.März 1992, B 101/91, JBl 1992, 513). Art 10 Abs 2 MRK gestattet Ausnahmen vom Recht auf freie Meinungsäußerung, wenn sie - wie hier - vom Gesetz vorgeschrieben sind und in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse (ua) des Schutzes des guten Rufs anderer oder des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung unentbehrlich sind. Das trifft hier zu, weil es (auch) in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist, die Gerichte vor beleidigenden, noch dazu unsachlichen, Anwürfen zu schützen.

Soweit der Rekurswerber ins Treffen führt, er habe nicht beabsichtigt, eine Person oder eine Institution zu beleidigen, kommt dem keine Bedeutung zu. Nach Lehre (Fasching II 562; Gitschthaler in Rechberger, ZPO, Rz 2 zu § 86) und ständiger Rechtsprechung (SZ 35/122; MietSlg 40.760; 5 Ob 118/92; 5 Ob 129/92 uva) ist die Verletzung der dem Gericht schuldigen Achtung nicht nur dann mit einer Ordnungsstrafe zu ahnden, wenn sie in der Absicht vorgebracht wurde, das Gericht zu verunglimpfen, sondern auch dann, wenn sie einem Mangel an Überlegung entsprungen ist.

Diese Erwägungen führen zur Bestätigung des angefochtenen Beschlusses.

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