OGH 15Os116/96 (15Os117/96, 15Os118/96, 15Os119/96, 15Os120/96)

OGH15Os116/96 (15Os117/96, 15Os118/96, 15Os119/96, 15Os120/96)7.11.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 7.November 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Strieder, Dr.Mayrhofer, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Berger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Dieter M***** wegen des Vergehens nach § 159 PatentG über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 3.Dezember 1993, GZ 6d EVr 8846/93-38, und dessen Beschlüsse vom 28.November 1994 und vom 24.August 1995, GZ 6d EVr 8846/93-52 und 61, sowie gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 28.April 1994, AZ 26 Bs 143/94, und den Beschluß dieses Gerichtes als Beschwerdegericht vom 20.April 1995, AZ 23 Bs 133/95, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Weiss, des Vertreters der Privatanklägerin, Dr.Warbek und des Verteidigers Dr.Schmidt, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

I. Es verletzen das Gesetz

1. das Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 3.Dezember 1993, ON 38, insoweit es keinen Ausspruch über die Kostenersatzpflicht der Privatanklägerin enthält, im § 390 Abs 1 StPO;

2. das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 28. April 1994, AZ 26 Bs 143/94 (= ON 48 des Vr-Aktes), insoweit darin der Privatanklägerin die Kosten des (erfolglosen) Berufungsverfahrens auferlegt wurden, im § 390a iVm § 390 Abs 1 StPO;

3. die auf dem vorzitierten Berufungsurteil beruhenden Beschlüsse des Einzelrichters

a) vom 28.November 1994, ON 52,

b) vom 24.August 1995, ON 61,

in denen jeweils die von der Privatanklägerin zu ersetzenden Kosten der Verteidigung des (rechtskräftig freigesprochenen) Angeklagten im Verfahren erster und zweiter Instanz bestimmt wurden, in den §§ 393 Abs 3, 395 Abs 1 StPO;

4. der Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Beschwerdegericht vom 20.April 1995, AZ 23 Bs 133/95 (= ON 56 des Vr-Aktes), mit dem der (von der Privatanklägerin nur bezüglich eines den Betrag von 28.592,40 S übersteigenden Ersatzes der Verteidigungskosten bekämpfte) Beschluß des Einzelrichters zur Gänze aufgehoben und diesem eine neuerliche Entscheidung aufgetragen wurde, im (auch für das Beschwerdeverfahren geltenden) Grundsatz der formellen (Teil-)Rechtskraft.

II. Es werden das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 28.April 1994, AZ 26 Bs 143/94, das im übrigen unberührt bleibt, im Kostenausspruch, die darauf beruhenden Beschlüsse des Einzelrichters vom 28.November 1994 und vom 24.August 1995, ON 52 und 61, sowie der Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Beschwerdegericht vom 20. April 1995, AZ 23 Bs 133/95, aufgehoben und der Kostenbestimmungsantrag des Angeklagten (ON 50) zurückgewiesen.

Mit ihren Beschwerden (ON 63 und 64) werden die Privatanklägerin und der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

I. Mit dem im Spruch unter I 1 bezeichneten Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wurde Dieter M***** von der durch die Privatanklägerin C. van der L***** N.V. gegen ihn wegen des Vergehens nach § 159 PatentG erhobenen Privatanklage gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Dieses Urteil, welches entgegen der (zwingenden) Vorschrift des § 390 Abs 1 zweiter Satz StPO keinen Kostenausspruch enthält, was der (anwaltlich vertretene) Angeklagte unbekämpft ließ, wurde nur von der Privatanklägerin mit Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld angefochten. Dieser gab das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 28.April 1994, AZ 26 Bs 143/94 (= ON 48 des Vr-Aktes), nicht Folge und verfällte die Privatanklägerin (im Sinne des Antrages des Angeklagten in seiner Gegenausführung ON 44) gemäß § 390 a StPO "auch" in den Ersatz der Kosten des Rechtsmittelverfahrens.

Mit Beschluß vom 28.November 1994 (S 340 mit Anordnung der Verwendung des StPO-Form Ko 5 = Bestimmung der Kosten einer Prozeßpartei) bestimmte der Einzelrichter daraufhin die von der Privatanklägerin dem rechtskräftig freigesprochenen Angeklagten über dessen Antrag (ON 50) zu ersetzenden Kosten der Verteidigung mit 44.342,40 S. In ihrer dagegen ergriffenen (Kosten-)Beschwerde (ON 54) wandte sich die Privatanklägerin nur gegen deren Höhe und beantragte ausdrücklich, die Kosten der Verteidigung des Angeklagten lediglich mit 28.592,40 S festzusetzen. Dessen ungeachtet kassierte das Oberlandesgericht Wien mit Beschluß vom 20.April 1995 (ON 56) die erstgerichtliche Entscheidung (wegen der Unterlassung der Einholung einer Äußerung des Gegners und wegen Fehlens jeglicher Begründung) zur Gänze und trug dem Einzelrichter eine neuerliche (begründete) Entscheidung auf. In Befolgung dieses Auftrages bestimmte das Erstgericht mit Beschluß vom 24. August 1995 (ON 61) die dem Angeklagten zu ersetzenden Verteidigungskosten (nur mehr) mit 36.852 S und wies das Mehrbegehren ab. Über die dagegen sowohl von der Privatanklägerin (erneut bloß wegen der den Betrag von 28.592,40 S übersteigenden Summe - ON 63) als auch vom Angeklagten (ON 64) erhobenen Beschwerden wurde noch nicht entschieden.

Rechtliche Beurteilung

II. Zutreffend zeigt die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes mehrfache den Untergerichten unterlaufene Gesetzesverletzungen auf:

Zu 1.: Das (freisprechende) Urteil des Einzelrichters (ON 38) verletzt insoweit, als es keinen Ausspruch über die Verpflichtung der Privatanklägerin zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens enthält, das Gesetz in der Bestimmung des § 390 Abs 1 StPO. Nach dem zweiten Satz dieser (zwingend anzuwendenden) Vorschrift ist nämlich in einem Privatanklageverfahren, das auf andere Weise als durch ein verurteilendes Erkenntnis beendigt wird, dem Privatankläger der Ersatz aller infolge seines Einschreitens aufgelaufenen Kosten in der das Verfahren für die Instanz erledigenden Entscheidung aufzutragen. Im Fall eines Freispruchs (wie hier) hat demnach der Ausspruch der Kostenersatzpflicht im freisprechenden Urteil zu erfolgen.

Zu 2.: Da im Urteil des Einzelrichters ein grund-sätzlicher Kostenausspruch unterblieben ist und dieser Fehler vom (anwaltlich vertretenen) Angeklagten unbekämpft gelassen wurde, war es dem Gerichtshof zweiter Instanz verwehrt, in seinem Berufungserkenntnis eine Kostenentscheidung zu fällen. Denn nach einhelliger Rechtsprechung setzt § 390 a StPO unabdingbar voraus, daß (auf den aktuellen Fall bezogen) bereits im Urteil erster Instanz über die Kostenersatzpflicht nach § 389 oder § 390 StPO abgesprochen wurde (vgl SSt 48/79; EvBl 1980/153, 1981/187 = JBl 1981, 605; 9 Os 33-36/87, 14 Os 78, 79/90; Mayerhofer/Rieder StPO3 § 390a E 5a). Zufolge Nichtbeachtung dieser im § 390a StPO normierten Akzessorietät der Kostenersatzpflicht für das Rechtsmittelverfahren verstößt das Berufungsurteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 28.April 1994, AZ 26 Bs 142/94 (ON 48), gleichfalls gegen das Gesetz (§ 390 a StPO).

Zu 3.a.: Der über die ziffernmäßige Höhe der Kosten der Verteidigung des Angeklagten absprechende Beschluß des Einzelrichters vom 28. November 1994 (ON 52) hinwieder steht insoweit mit den Bestimmungen der §§ 393 Abs 3, 395 Abs 1 StPO nicht im Einklang, als es ihm nach dem Vorhergesagten an der essentiellen Grundlage, nämlich einem grundsätzlichen Kostenausspruch im Urteil erster Instanz, gebricht (SSt 52/16; 14 Os 185, 186/88).

Zu 4.: Dessen ungeachtet erfolgte die gänzliche Aufhebung des - wie dargelegt - gegen die §§ 393 Abs 3, 395 Abs 1 StPO verstoßenden Beschlusses vom 28.November 1994 (ON 52), mit dem die dem Angeklagten von der Privatanklägerin zu ersetzenden Kosten der Verteidigung antragsgemäß mit 44.342,40 S bestimmt worden waren, zu Unrecht. Da sich das Gericht auch im Verfahren über eine (Kosten-)Beschwerde auf die in Beschwerde gezogenen Punkte zu beschränken hat, hätte das Oberlandesgericht Wien den bezeichneten Beschluß des Einzelrichters - unbeschadet des Umstandes, daß sich dieser rechtsirrtümlich darauf eingelassen hatte, die Verteidigungskosten gemäß § 395 Abs 1 StPO zu bestimmen - nur in dem (das Mehrbegehren abweisenden) Umfang, in welchem er ausdrücklich angefochten worden war, nicht aber in seinem unbekämpft gebliebenen Teil im Betrag von 28.592,40 S aufheben dürfen. Die kassatorische Entscheidung des Gerichtshofes zweiter Instanz vom 20.April 1995, AZ 23 Bs 133/95 (ON 56), verstößt daher insofern gegen den auch im Beschwerdeverfahren geltenden Grundsatz der formellen (Teil-)Rechtskraft (vgl abermals SSt 52/16, 14 Os 185, 186/88 sowie SSt 56/41, SSt 16/92, jeweils mit Judikatur- und Literaturhinweisen).

Zu 3.b.: Trotz des Auftrages des Beschwerdegerichtes, nach gänzlicher Aufhebung des ersten Kostenbestimmungsbeschlusses eine neuerliche (begründete) Entscheidung zu fällen, ist mangels eines urteilsmäßigen Ausspruchs über die grundsätzliche Kostenersatzpflicht der Privatanklägerin gemäß § 390 Abs 1 StPO auch die mit Beschluß des Einzelrichters vom 24.August 1995 (ON 61) erfolgte Kostenbestimmung mit dem Gesetz nicht vereinbar (§§ 393 Abs 3, 395 Abs 1 StPO).

Die von der Generalprokuratur zutreffend aufgezeigten Gesetzesverletzungen waren festzustellen.

III. Die Frage, ob und inwieweit bei einer Fallkonstellation wie der vorliegenden konkrete Wirkungen im Sinn des § 292 letzter Satz StPO zuzuerkennen ist, wurde bisher unterschiedlich gelöst.

Ein Teil der Judikatur ergänzte - ausgehend von der Überlegung, daß nicht nur die über den Angeklagten verhängte Strafe, sondern auch jeder sich daran knüpfende Nachteil für den Angeklagten zu beseitigen sei - das erstgerichtliche Urteil dahin, daß dem Privatankläger (Subsidiarankläger) gemäß § 390 Abs 1 StPO der Kostersatz aufgetragen wurde (SSt 55/51; SSt 52/16; EvBl 1981/187 = JBl 1981, 605; JBl 1973, 479 mit Glosse von Liebscher; SSt 29/21 und weitere unveröffentlichte Entscheidungen). Ein anderer Teil der Judikatur hält eine nachträgliche Ergänzung der vom Angeklagten unbekämpft gelassenen erstinstanzlichen Entscheidung im Kostenausspruch für unzulässig (SSt 58/48; JBl 1986, 59; RZ 1986/10; RZ 1978/36; RZ 1978/18; RZ 1972, 47; RZ 1972, 205 und weitere unveröffentlichte Entscheidungen).

Der nunmehr erkennende Senat legte sich demnach die Frage einer Einberufung eines verstärkten Senates gemäß § 8 Abs 1 Z 2 OGHG vor, verneinte jedoch eine solche Vorgangsweise aus der Erwägung, daß eine Kostenfrage im Strafprozeßrecht keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist.

Der erkennende Senat schließt sich im vorliegenden Fall zur Frage der konkreten Wirkung der zuletzt bezeichneten Ansicht an.

Er bejaht an sich den Gedanken einer Interpretation des letzten Satzes des § 292 StPO über den strikten Wortlaut hinaus und damit das Ergebnis, daß bei Wegfall eines Schuldspruches - infolge eines Freispruches durch den auf Grund einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes in der Sache selbst erkennenden Obersten Gerichtshof ergangenen auch alle einen Adnex des (bisherigen) Schuldspruches darstellenden Kostenaussprüche - ungeachtet ihrer mittlerweiligen Rechtskraft und demzufolge ihrer Exequierbarkeit - zu entfallen haben (Pallin StPO-FS 182 ff). Eine Anfechtung des seinerzeitigen unterinstanzlichen (grundsätzlichen) Kostenausspruches durch den Angeklagten kann füglich angesichts der zwingenden Bestimmung des § 389 Abs 1 StPO nicht gefordert werden.

Anders bei Unterbleiben eines Kostenersatzanspruches (zu Lasten des Privat- oder Subsidiaranklägers) in einem den Angeklagten freisprechenden Urteil erster Instanz:

Hier steht dem Angeklagten eine - durchaus erfolgversprechende - Kostenbeschwerde zu. Ob er sie erhebt, liegt in seiner Disposition. Es kann nicht von vornherein unterstellt werden, daß ein Angeklagter - insbesondere wenn er rechtsfreundlich vertreten ist - aus Rechtsunkenntnis eine Anfechtung unterläßt. Durchaus denkbar sind andere Gründe dafür, etwa ein bereits vereinbarter (allenfalls bedingter) Vergleich über die Kosten, eine Kompensation mit Gegenforderungen, allenfalls auch ein Verzicht. Angesichts dieser Möglichkeit, in einer bewußt vorgenommenen Disposition eine Anfechtung des Unterbleibens eines Kostenausspruches zu unterlassen, erscheint es dem erkennenden Senat nicht angängig, über eine allfällige Disposition hinaus (und allenfalls sogar dagegen) nachträglich eine Kostenersatzpflicht zu statuieren.

Im vorliegenden Fall war daher von der unangefochten gebliebenen Unterlassung des Ausspruches einer Kostenersatzpflicht der Privatanklägerin im erstgerichtlichen Urteil auszugehen. Demnach war der Kostenersatzausspruch des Oberlandesgerichtes Wien im Berufungsurteil ebenso wie die weiteren darauf beruhenden Beschlüsse des Landesgerichtes für Strafsachen Wien und des Oberlandesgerichtes Wien aufzuheben, der Kostenbestimmungsantrag des Angeklagten abzuweisen und die beiden noch unerledigten Kostenbeschwerden darauf zu verweisen.

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