OGH 12Os61/96

OGH12Os61/9610.10.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 10.Oktober 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Horak als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut, Dr.Schindler, Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Stitz als Schriftführer, in der Strafsache gegen Thomas D***** und einen weiteren Angeklagten wegen des Verbrechens nach § 12 Abs 1 und Abs 3 Z 3 SGG und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Thomas D***** und Thomas T***** und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Schöffengericht vom 20. Februar 1996, GZ 18 Vr 963/95‑41, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Thomas D***** wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in den diesen Angeklagten betreffenden Schuldsprüchen wegen des Verbrechens nach § 12 Abs 1 SGG zu A I 1 und 2, in den Schuldsprüchen wegen des Verbrechens nach § 12 Abs 1 und Abs 3 Z 3 SGG zu A I 3 bis 6 sowie hinsichtlich des Schuldspruchs A I 7 insoweit, als der Ausspruch, Thomas D***** habe Suchtgift in einer Menge, die zumindest das Fünfundzwanzigfache der großen Menge ausmacht, ein- und ausgeführt bzw in Verkehr gesetzt, auch dieses Schuldspruchfaktum betrifft und in die Tatqualifikation nach § 12 Abs 3 Z 3 SGG miteinschließt, demgemäß hinsichtlich dieses Angeklagten auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Thomas D***** ebenso wie - zur Gänze - jene des Angeklagten Thomas T***** zurückgewiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte D***** und die Staatsanwaltschaft, soweit sie den diesen Angeklagten betreffenden Strafausspruch bekämpft, auf die teilkassatorische Entscheidung verwiesen.

Über die Berufung des Angeklagten Thomas T***** sowie über die diesen Angeklagten betreffende Berufung der Staatsanwaltschaft wird das Oberlandesgericht Innsbruck zu befinden haben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten Thomas D***** - soweit seine Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen wurde - und dem Angeklagten Thomas T***** im Umfang seiner Nichtigkeitsbeschwerde die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Thomas D***** wurde in zwei Fällen (A I 1 und 2) des Verbrechens nach § 12 Abs 1 SGG, (A I 3 bis 7) des Verbrechens nach § 12 Abs 1 und Abs 3 Z 3 SGG sowie (B) des Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG, Thomas T***** - gleichfalls in zwei Fällen (A II 1 und 2) - des Verbrechens nach § 12 Abs 1 SGG und (B 2) des Vergehens nach § 16 SGG schuldig erkannt. Demnach haben (A) Thomas D***** jeweils zu A I 1 bzw 2 und Thomas T***** A II 1 und 2 den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer großen Menge, Thomas D***** überdies zu A I 3 bis 7 in einer Menge, die zumindest das Fünfundzwanzigfache der großen Menge ausmachte, ein- und ausgeführt bzw in Verkehr gesetzt, nämlich (I) Thomas D***** (1) Mitte Februar 1995 gemeinsam mit dem gesondert verfolgten Nedzad H***** 2.000 Stück Ecstasy‑Tabletten aus Deutschland nach Österreich geschmuggelt; (2) Ende Februar/Anfang März 1996 2.500 Stück Ecstasy‑Tabletten aus Deutschland nach Österreich geschmuggelt und in Vorarlberg an Nedzad H***** übergeben; (3) Ende März 1995 10.000 Stück Ecstasy‑Tabletten aus Deutschland in die Schweiz geschmuggelt und an Walter Z***** übergeben; (4) Ende April 1995/Anfang Mai 1995 in Singen (BRD) gemeinsam mit Nedzad H***** 10.000 Stück Ecstasy‑Tabletten an Ilker G***** übergeben; (5) im Mai 1995 5.000 Stück Ecstasy‑Tabletten nach Liechtenstein geschmuggelt und in Schaan dem Ilker G***** übergeben; (6) im Mai 1995 in Dornbirn 1.000 Stück Ecstasy‑Tabletten dem Ilker G***** übergeben; (7) am 11. Juli 1995 gemeinsam mit Thomas T***** 9.820 Stück Ecstasy‑Tabletten und 7 Gramm Kokain aus Deutschland nach Österreich geschmuggelt; (II) Thomas T***** (1) in der Zeit von Februar bis Juni 1995 auf fünf Fahrten insgesamt 450 Stück Ecstasy‑Tabletten aus der Schweiz nach Vorarlberg geschmuggelt und verkauft; (2) am 11. Juli 1995 (gemeinsam mit Thomas D*****) 9.820 Stück Ecstasy‑Tabletten aus Deutschland nach Österreich geschmuggelt und davon 4.800 Tabletten an A***** sowie 3.000 Tabletten an T***** weitergegeben; (B) außer den Fällen der §§ 12 und 14 a SGG den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift erworben und besessen, nämlich (I) Thomas D***** (1) von Februar oder März 1995 bis 17. Juli 1995 in Vorarlberg durch den Konsum von insgesamt 5 Gramm Kokain; (2) von Sommer 1994 bis Dezember 1994 in Vorarlberg und der Schweiz durch den Konsum von zumindest 150 Ecstasy‑Tabletten; (3) von Juni 1994 bis August 1994 in Lochau und Hohenems durch den Konsum von Cannabisharz; (II) Thomas T***** im April 1994 sowie von August 1994 bis Anfang Juli 1995 in Vorarlberg und Zürich durch den Konsum von Ecstasy‑Tabletten.

Hinsichtlich der Suchtgiftqualität stützen sich die tatrichterlichen Feststellungen zum Teilfaktum A I 7 (bzw A II 2) auf die Analyseergebnisse der sichergestellten Suchtgiftquanten (ca 5 % Reingehalt an Amphetamin‑Base bei einem durchschnittlichen Tablettenmindestgewicht von 0,2 Gramm, insgesamt sohin 98,2 Gramm Amphetamin‑Base), im übrigen aber bei der qualitativen Differenzierung zwischen den Teilkomplexen A I 1 und 2 (5 % Reingehalt) bzw A I 3 bis 6 (2,5 % Reingehalt) auf eine Reihe von Schlußfolgerungen aus mittelbar aufschlußreichen Verfahrensergebnissen, darunter auch auf die Angaben des gesondert verfolgten Abnehmers Ilker G***** im Vorverfahren.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpfen beide Angeklagten, Thomas D***** aus § 281 Abs 1 Z 1, 3, 4, 5, 5 a, 9 lit a und 10 StPO, Thomas T***** allein aus Z 11 leg cit jeweils mit Nichtigkeitsbeschwerde.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Thomas D*****

Dieser kommt Berechtigung zu, soweit mit der Verfahrensrüge (Z 4) die Abweisung des in der Hauptverhandlung gestellten (67/III) Antrages auf Vernehmung des Zeugen Ilker G***** (im Fall seines Nichterscheinens vor dem Erstgericht im Rechtshilfeweg in der Schweiz mit entsprechender Interventionsmöglichkeit für den Verteidiger) als Beeinträchtigung wesentlicher Verteidigungsinteressen geltend gemacht wird. Im Sinn der Beschwerdeargumentation trifft es nämlich zu, daß die Nichtbefolgung der - wenn auch vom Zeugen in der Schweiz eigenhändig übernommenen - Ladung für die Hauptverhandlung vom 20. Februar 1996 der erstgerichtlichen Auffassung zuwider die Verlesungsvoraussetzung nach § 252 Abs 1 Z 1 StPO nach Lage des Falles ebensowenig verwirklichte wie der Umstand, daß Ilker G***** im vorliegenden Strafverfahren bereits gerichtlich als Zeuge vernommen worden war, weil die bisher aktenkundigen Angaben dieses Belastungszeugen zu einzelnen Modalitäten seiner Suchtgiftkontakte zu Thomas D***** (insbesondere hinsichtlich der örtlichen Zuordnung der Suchtgiftausfolgung - 413 bzw 424/II) Widersprüche aufwiesen, zu denen der Verteidigung nicht vorweg jedwedes beachtliche Interesse an entsprechenden Vorhalten an den Zeugen abzusprechen ist. Daß der in der Schweiz an aktenkundiger Anschrift erreichbare Zeuge Ilker G***** (im Gegensatz zu seiner Anreise- und Aussagebereitschaft im Vorverfahren) der Ladung zur Hauptverhandlung nicht Folge leistete, stellt keine hinreichende Grundlage für die Annahme dar, sein persönliches Erscheinen (bzw seine prozessual gleichwertige Vernehmung im Rechtshilfeweg) könne aus erheblichen Gründen nicht bewerkstelligt werden. Der in der benachbarten Schweiz unweit vom österreichischen Staatsgebiet wohnhafte und bisher sowohl für die Schweizer Behörden als auch für die inländische Gerichtsbarkeit stets erreichbare Zeuge wurde vom erkennenden Gericht lediglich einmal erfolglos geladen, ohne daß die Gründe seines Fernbleibens von der Hauptverhandlung näher überprüft wurden. Bei der hier gegebenen Fallkonstellation bedeutete die Abweisung der auf eine kontradiktorische Sondierung der bisherigen Angaben des Belastungszeugen ausgerichteten, sachlich nicht vorweg unerheblichen Verteidigungsanträge daher den gerügten wesentlichen Verfahrensmangel. Da der Zeuge Ilker G***** antragsgemäß nicht nur zu der die Tathandlungen A I 5 und 6 betreffenden Beweisproblematik, sondern auch zur Frage der Amphetaminkonzentration tatverfangender Ecstasy‑Tabletten überhaupt geführt wurde, erfaßt die aus der Ablehnung seiner Einvernahme folgende Urteilsnichtigkeit sämtliche Teilfakten, zu denen allfällige ergänzende Angaben eine Erweiterung der entsprechenden Entscheidungsgrundlagen bedeuten können. Diese Voraussetzung trifft auf die Urteilsfakten A I 1 bis 6 zu. Die aus den dargelegten Erwägungen unvermeidbare Urteilsteilkassierung hat schließlich auch hinsichtlich des Faktums A I 7, dessen Grundlagen von den Ergebnissen der verabsäumten Beweisaufnahme unberührt bleiben, allerdings zur Folge, daß der Qualifikation nach § 12 Abs 3 Z 3 SGG im derzeitigen Verfahrensstand auch insoweit der Boden entzogen ist.

Soweit weitere Beschwerdeeinwände von der Teilaufhebung erfaßte Schuldspruchfakten betreffen, erweisen sie sich lediglich vollständigkeitshalber nach Maßgabe ihrer allfälligen Erheblichkeit für den zweiten Rechtsgang als erörterungsbedürftig:

Für die individuelle qualitative Beschaffenheit nicht mehr verfügbarer Ecstasy‑Tabletten ist dem Beschwerdestandpunkt zuwider von grundsätzlichen allgemeinen gutächtlichen Ausführungen eines einschlägigen Sachverständigen vorweg kein konkret‑fallspezifischer Aussagewert zu erwarten, weil gravierende Konsistenzschwankungen nach den forensischen Erfahrungen in der illegalen Suchtgiftszene notorisch sind. Im Sinn der vom Erstgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung angestellten Erwägungen trifft es daher zu, daß sich die nachträgliche Ermittlung der jeweils tatverfangenen Suchtgiftqualität insbesondere im Fall wiederholter Vertriebskontakte zwischen identen Personen an deren Preiskalkulation bzw fortgesetzter Abnahmebereitschaft zu orientieren hat, wovon letztere auch in die Beurteilung eines den an die bewußt kontinuierliche Begehung geknüpften Additionseffekt einschließenden Tätervorsatzes mitzuberücksichtigen ist. Da in den Urteilsgründen ohnedies unmißverständlich auf in den tatverfangenen Tabletten in unterschiedlicher Anreicherung enthaltene und nach Anhang IV zu § 1 Abs 2 SGV iVm § 1 SGG als psychotrope Substanz einem Suchtgift gleichzuhaltende Amphetamine abgestellt wird, kann der Rechtsrüge (Z 9 lit a) zuwider auch davon nicht die Rede sein, daß in der spruchgemäßen Tatindividualisierung ohne nähere Bezeichnung nach § 12 SGG deliktstauglicher Substanzen lediglich auf sogenannte „Ecstasy‑Tabletten“ Bezug genommen wird.

Als nicht stichhältig erweist sich aber auch, was aus der Sicht sowohl der Z 1 als auch (nominell) der Z 10 des § 281 Abs 1 StPO zu jenen als Vergehen nach § 16 Abs 1 SGG beurteilten Tathandlungen vorgebracht wird, die der Angeklagte Thomas D***** vor Vollendung seines 19. Lebensjahres gesetzt hat (B I - teilweise - 2 und 3). Die dazu erhobenen Reklamationen der Befassung eines Schöffensenates in der gesetzlich für Jugendstrafsachen vorgesehenen Zusammensetzung bzw der (partiellen) Anwendung des § 5 Z 4 JGG scheitern schon daran, daß das Vergehen nach § 16 Abs 1 SGG für sich allein gar nicht dem sachlichen Kompetenzbereich der Senatsgerichtsbarkeit unterfällt und § 5 Z 4 JGG lediglich in solchen Fallkonstellationen wirksam wird, wo eine Jugendstraftat den Strafsatz bestimmt (ua Foregger‑Kodek StGB5 § 5 JGG Anm V). Die letzterwähnte Voraussetzung trifft hier aber - entgegen der die strafsatzbestimmende Tatbegehung nach vollendetem 19. Lebensjahr übergehenden, solcherart nicht umfassend am Urteilsinhalt orientierten Beschwerdeargumentation - nicht zu.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Thomas T*****

Mit dem auf § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO gestützten Einwand, das Erstgericht habe zum Urteilsfaktum A II 2 die Tatbegehung „unter Einwirkung des Erstangeklagten D*****“, damit aber den Milderungsgrund nach § 34 Z 4 StGB unberücksichtigt gelassen, erschöpft sich die Beschwerdeausführung des Zweitangeklagten auf die Geltendmachung eines bloßen (im Rahmen des Nichtigkeitsverfahrens unbeachtlichen) Berufungsgrundes.

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten D***** war daher spruchgemäß bereits in nichtöffentlicher Beratung mit einer Teilaufhebung des angefochtenen Urteils und - mangels Vorliegens der Voraussetzungen für eine abschließende Sachentscheidung im Rechtsmittelverfahren - mit Anordnung einer partiellen Verfahrenserneuerung vorzugehen (§ 285 e StPO). Die im übrigen (vom Angeklagten T***** zur Gänze) nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden waren - gleichfalls nichtöffentlich ‑ zurückzuweisen (§§ 285 d Abs 1 Z 1, 285 a Z 2 StPO).

Mit seiner Berufung war der Angeklagte D***** auf die (auch den ihn betreffenden Strafausspruch erfassende) Teilkassierung ebenso zu verweisen, wie insoweit die Berufung der Staatsanwaltschaft. Soweit sich letztere gegen die über Thomas T***** verhängte Freiheitsstrafe richtet, wird darüber wie auch über die Berufung dieses Angeklagten - sofern nicht im Zusammenhang mit dem zweiten Rechtsgang § 296 Abs 1 StPO zum Tragen kommen sollte - das hiefür zuständige Oberlandesgericht Innsbruck zu entscheiden haben (§ 285 i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte