OGH 6Ob2190/96v

OGH6Ob2190/96v30.9.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hertha G*****, vertreten durch Dr.Amhof & Dr.Damian Partnerschaft, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Otto G*****, vertreten durch Dr.Heinz-Peter Wachter, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalts, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 24. Jänner 1996, GZ 45 R 2214/95-45, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Hietzing vom 21. August 1995, GZ 1 C 73/94p-39, teilweise abgeändert und die Unterhaltsklage hinsichtlich eines Unterhaltsrückstandes für die Zeit vom 1.Dezember 1993 bis 18.September 1994 in der Höhe von 52.812,-- S abgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

I. zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird, soweit sie sich gegen die Abweisung des Begehrens auf Bezahlung eines Unterhaltsrückstands für die Zeit vom 1.12.1993 bis 12.1.1994 richtet, nicht Folge gegeben und das angefochtene Teilurteil in diesem Umfang bestätigt;

II. den

Beschluß

gefaßt:

Im übrigen Umfang (also hinsichtlich des Begehrens auf Bezahlung eines Unterhaltsrückstands für die Zeit vom 13.1.1994 bis 18.9.1994) wird der Revision Folge gegeben.

Insoweit wird das angefochtene Teilurteil und das Urteil des Erstgerichtes aufgehoben und die Rechtssache zur Verhandlung und Urteilsfällung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Ehe der Parteien wurde mit Urteil des Erstgerichtes vom 22.1.1993 aus dem Alleinverschulden des Mannes geschieden. Das Scheidungsurteil erwuchs am 12.1.1994 in Rechtskraft. Mit gerichtlichem Vergleich vom 28.3.1990 verpflichtete sich der Beklagte, der Klägerin bis zur rechtskräftigen Scheidung der Ehe einen monatlichen Unterhalt von 4.000,-- S zu bezahlen.

Mit ihrer am 19.9.1994 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin einen laufenden Unterhalt von 6.600,-- S monatlich ab Klagezustellung und für die Vergangenheit die Bezahlung eines Unterhaltsrückstandes von 19.800,-- S. In der Tagsatzung vom 8.3.1995 dehnte sie das Begehren auf Bezahlung eines laufenden Unterhalts von 9.500,-- S monatlich sowie auf Bezahlung eines Unterhaltsrückstandes von 55.000,-- S aus. Der Unterhaltsrückstand werde für den Zeitraum Dezember 1993 bis September 1994 begehrt (S 1 zu ON 17).

Die Klägerin begründete ihr Unterhaltsbegehren mit überdurchschnittlichen Einkommensverhältnissen des Beklagten. Sie selbst könne aus physischen und psychischen Gründen keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Der Beklagte habe sich seiner Unterhaltsverpflichtung absichtlich im Sinne des § 72 EheG entziehen wollen. Er habe dem Ersuchen der Klägerin nach Bekanntgabe seiner Einkommensverhältnisse nicht entsprochen.

Der Beklagte beantragte die Abweisung der Unterhaltsklage. Er verdiene monatlich nur zwischen 13.500,-- und 14.000,-- S. Die Klägerin könne durch Putzarbeiten (uä) monatlich mindestens 7.000,-- S verdienen. Dies sei bei der Unterhaltsfestsetzung zu berücksichtigen. Für die Vergangenheit könne die Klägerin nichts fordern. Derartige Unterhaltsansprüche geschiedener Ehegatten setzten nach § 72 EheG einen Leistungsverzug voraus. Ein solcher liege nicht vor, weil der Beklagte seiner Verpflichtung aus dem Unterhaltsvergleich nachgekommen sei. Der Klägerin sei ein Wohnungsrecht an der ehemaligen ehelichen Wohnung vom Liegenschaftseigentümer eingeräumt worden. Dies sei in der Absicht geschehen, zukünftige Einkünfte der Klägerin aus der Vermietung der Liegenschaft zu verhindern. Das der Klägerin eingeräumte Wohnungsrecht habe einen Wert von 10.000,-- S monatlich. Dies sei bei der Bemessung der Unterhaltsanspruchs zu berücksichtigen. Der Beklagte habe auf den Liegenschaften mit zwei Häusern, welche der Vater der Klägerin an die Eheleute vererben habe wollen, Investitionen im Ausmaß von mehr als 500.000,-- S getätigt. Diese Investitionen kämen nunmehr ausschließlich der Klägerin zugute. Der Betrag von 500.000,-- S werde als Gegenforderung gegen die Klageforderung eingewandt. Ein vom Beklagten gemäß §§ 81 ff EheG gestellter Aufteilungsantrag sei nach einer Äußerung der Klägerin als verfristet zurückgewiesen worden. Die Verfristung sei von der Klägerin aufgrund hinhaltender Vergleichsgespräche bewirkt worden. Dadurch sei der Beklagte gehindert worden, seine Ansprüche aus den Investitionen im Aufteilungsverfahren geltend zu machen. Der entstandene Schaden in der genannten Höhe werde als Gegenforderung eingewandt. Der Beklagte bezahle 10.000,-- S monatlich als Rückzahlung ehelicher Schulden. Dies sei bei der Festsetzung des Unterhalts zu berücksichtigen.

Das Erstgericht gab der Klage zur Gänze statt. Es stellte die Klageforderung als zu Recht bestehend fest, wies die Gegenforderung des Beklagten ab und gab dem Leistungsbegehren sowohl hinsichtlich des laufenden Unterhalts als auch hinsichtlich des Unterhaltsrückstandes statt. Für das nur die Frage des Unterhaltsrückstandes betreffende Revisionsverfahren ist von den Feststellungen des Erstgerichtes nur hervorzuheben, daß der Beklagte im Jahr 1993 durchschnittlich 27.952,66 S, im Jahr 1994 29.324,14 S und von Jänner bis Mai 1995 26.351,50 S netto verdient und daß er die mit dem gerichtlichen Vergleich übernommenen Unterhaltsbeiträge von 4.000,-- S monatlich rechtzeitig bezahlt habe. Hinsichtlich der übrigen Feststellungen kann auf das erstinstanzliche Urteil verwiesen werden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge, wies (mit Teilurteil) das Begehren auf Bezahlung eines Unterhaltsrückstandes für die Zeit vom 1.12.1993 bis 18.9.1994 ab und hob mit Beschluß das Ersturteil hinsichtlich der Entscheidung über den laufenden Unterhalt sowie einen (kleinen) Teil des Unterhaltsrückstandes zur Verfahrensergänzung auf, ohne eine Anfechtung des Aufhebungsbeschlusses gemäß § 519 ZPO zuzulassen. Das Berufungsgericht bejahte einen Mangel des Verfahrens erster Instanz. Zum Thema, daß gegen eine berufliche Tätigkeit der Klägerin keine gesundheitlichen Gründe sprächen, hätte das Erstgericht den vom Beklagten beantragten Sachverständigenbeweis durchführen müssen. Das Berufungsgericht erachtete ferner die Feststellungen zum Thema der Anrechnung der Ersparnis von Wohnungskosten für ergänzungsbedürftig. Die der Klägerin eingeräumte Dienstbarkeit der Wohnung sei zu bewerten. Auch hiezu sei der Sachverständigenbeweis erforderlich.

Zur Abweisung des Begehrens auf Bezahlung eines Unterhaltsrückstandes führte das Berufungsgericht aus, daß nach einem Teil der oberstgerichtlichen Rechtsprechung aus einem Zeitraum von einem Jahr vor Rechtsanhängigkeit Unterhalt auch ohne die Voraussetzung des Verzuges des Unterhaltsverpflichteten gefordert werden könne. Nach einer jüngeren Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (8 Ob 584/93) habe der Unterhaltsberechtigte aber gemäß § 72 EheG die materiellrechtlichen Voraussetzungen des Verzuges zu schaffen. Ihn treffe hiefür die Behauptungs- und Beweislast. Dieser Rechtsmeinung schließe sich das Berufungsgericht an. Die Klägerin habe keinen Tatbestand behauptet oder bewiesen, der auf einen Verzug des Beklagten schließen lasse. Unter Hinweis auf die unterschiedliche oberstgerichtliche Judikatur sprach das Berufungsgericht aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei.

Gegen das Teilurteil richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung dahin, daß der Klage stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht erkannten Grund zulässig. Sie ist auch im Sinne des gestellten Aufhebungsantrages teilweise berechtigt.

Der von der Klägerin beantragte Unterhaltsrückstand betrifft nicht zur Gänze einen nach § 72 EheG zu beurteilenden Unterhaltsanspruch, wenn er auch für einen Zeitraum von weniger als einem Jahr vor Klageeinbringung gestellt wurde. Bis zur Rechtskraft des Scheidungsurteils (diese trat am 12.1.1994 ein), mit dem die Ehe aufgelöst wurde, hatte die Klägerin einen Unterhaltsanspruch bei aufrechter Ehe nach § 94 ABGB, danach einen solchen nach § 66 EheG.

Hinsichtlich des Unterhaltsanspruchs während aufrechter Ehe haben die Parteien aber einen Unterhaltsvergleich geschlossen, dessen Bereinigungswirkung dazu führt, daß die Klägerin für die Zeit bis zum Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsurteils nicht neuerlich (zusätzlich) Unterhalt begehren kann (ganz abgesehen davon, daß sie ihren Anspruch ausschließlich auf § 72 EheG stützte). Für die Zeit bis zum 12.1.1994 ist die Sache wegen res transacta im Sinne einer Abweisung des Unterhaltsbegehrens spruchreif. Das angefochtene Teilurteil ist in diesem Umfang zu bestätigen.

Zu dem nach § 72 EheG zu beurteilenden Begehren auf Bezahlung eines Unterhaltsrückstands für die Zeit vor der Rechtsanhängigkeit hat der erkennende Senat erwogen:

Seit der Entscheidung des verstärkten Senates vom 9.6.1988, 6 Ob 544/87 = SZ 61/143, können Unterhaltsansprüche auch für die Vergangenheit gestellt werden; sie unterliegen nur der Verjährung des § 1480 ABGB. Der Entscheidung lag der Unterhaltsanspruch eines Kindes nach § 140 ABGB zugrunde. § 72 EheG, also eine Bestimmung über den Unterhaltsanspruch geschiedener Ehegatten, ist nach der Entscheidung des verstärkten Senates auf den Kindesunterhalt nicht analog anwendbar.

Nach § 72 EheG kann der Unterhaltsberechtigte für die Vergangenheit Erfüllung oder Schadenersatz wegen Nichterfüllung erst von der Zeit an fordern, in der der Unterhaltspflichtige in Verzug gekommen oder der Unterhaltsanspruch rechtshängig geworden ist, für eine länger als ein Jahr vor der Rechtsanhängigkeit liegende Zeit jedoch nur, soweit anzunehmen ist, daß der Verpflichtete sich der Leistung absichtlich entzogen hat.

Es trifft zu, daß die oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage des Verzuges des Unterhaltspflichtigen als Voraussetzung für einen Zuspruch für die Zeit von höchstens einem Jahr vor der Rechtsanhängigkeit nicht einheitlich ist. Schon in seiner Entscheidung vom 15.9.1988 (8 Ob 626/87, Leitsatz veröffentlicht in EFSlg 57.283) erachtete der 8.Senat die Auslösung des Verzuges des Unterhaltspflichtigen durch eine konkrete Unterhaltsforderung des Unterhaltsberechtigten, die auch außergerichtlich erhoben werden könne (Mahnung), für erforderlich und hielt diese Ansicht in der Folge unter Hinweis auf die Lehrmeinung Zankls in Schwimann, ABGB Rz 4 zu § 72 EheG und Vorjudikatur (JBl 1991, 589; 2 Ob 510/91; 6 Ob

545/91) aufrecht (3.2.1994, 8 Ob 584/93 = AnwBl 1994/4794, Leitsatz

veröffentlicht in EFSlg 75.600). Nach der Entscheidung 8 Ob 532/92 =

ÖA 1992, 86 liege der Grund, daß der Unterhaltsberechtigte den früheren Ehegatten in Schuldnerverzug setzen müsse, darin, daß ein derartiges Erfordernis für den Unterhaltsanspruch bei aufrechter Ehe (§ 94 ABGB) wegen der besonderen familienrechtlichen Bindungen nicht erforderlich sei und der Ehepartner ohne Verlangen des anderen für die angemessene Befriedigung der Unterhaltsbedürfnisse sorgen müsse, dies gelte aber nach Scheidung der Ehe und Wegfall der Fürsorgepflicht des früheren Ehepartners nicht mehr.

In anderen, vor allem jüngeren Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes wurde hingegen die Berechtigung des Unterhaltsanspruchs für die Vergangenheit (ein Jahr vor Rechtsanhängigkeit) nicht von einem Verzug des Unterhaltspflichtigen abhängig gemacht (5 Ob 534, 1515/90 = JBl 1990, 800; 1 Ob 585/93 = EFSlg 72.379; 1 Ob 570/95 = JBl 1996, 442; 5 Ob 1572/95). Sehr eingehend befaßte sich die Entscheidung 1 Ob 585/93 mit der bis dahin vorliegenden Judikatur sowie der österreichischen und der deutschen Lehre. Daß es keiner In-Verzug-Setzung bedürfe, entspreche schon der Wortinterpretation. Es sei begrifflich unmöglich, einen ab Rechtsanhängigkeit zugesprochenen Unterhalt als solchen für die Vergangenheit - was § 72 EheG allein regle - zu verstehen. Die Auffassung, die Forderung von Unterhalt für die Vergangenheit setze voraus, daß der Schuldner in Verzug gesetzt worden sei, sei sichtlich von der Rechtsansicht geprägt, daß Unterhalt für die Vergangenheit grundsätzlich nicht begehrt werden könne. Von diesem Grundsatz gehe § 1585b BGB aus, dessen Abs 2 und 3 inhaltlich dem § 72 EheG entsprechen. Nach einer deutschen Lehrmeinung liege der Gesetzesbestimmung der Gedanke zugrunde, daß die Befriedigung von Bedürfnissen einer zurückliegenden Zeit nicht möglich sei und deshalb keine Notwendigkeit bestehe, darauf beruhende Ansprüche fortdauern zu lassen. Darüber hinaus solle der Unterhaltsschuldner auch vor Härten geschützt werden, die sich aus einer Inanspruchnahme für eine Zeit ergeben könnten, in der er mit dem Unterhaltsanspruch noch nicht rechnen habe müssen. Nach der Entscheidung GlU 1214 sei es wesentlich, daß der Verpflichtete die Verpflegung nicht noch einmal in Anspruch nehmen könne. Der Unterhaltspflichtige solle mit der Einforderung erheblich rückständiger Unterhaltsforderungen nicht überrascht werden können. Von dieser Auffassung sei aber der verstärkte Senat mit seiner Entscheidung SZ 61/143 abgegangen. Im Lichte dieser Entscheidung und nicht unter Heranziehung der zu den § 72 EheG vergleichbaren Bestimmungen des deutschen BGB, deren Grundgedanken für den österreichischen Rechtsbereich als überholt angesehen werden müßten, sei auch § 72 EheG auszulegen. Die Einforderung von Unterhaltsrückständen sei grundsätzlich, soweit nicht - wie dies im § 72 EheG der Fall sei - eine Sonderregelung bestehe, nur durch die Verjährung beschränkt. Der gesetzliche Unterhaltsanspruch verliere oder ändere seine Eigenschaft mit Ablauf der Unterhaltsperiode, für die er geschuldet werde, nicht. Eine Mahnung sei nicht erforderlich, um den Unterhaltsanspruch seiner Höhe nach zur Entstehung zu bringen. Eine einschränkende Auslegung unter dem Gesichtspunkt, daß Unterhalt für die Vergangenheit nicht gefordert werden könne, sei nicht geboten. Demnach sei nach § 72 EheG die Einforderung eines einjährigen Unterhaltsrückstandes ab Klageeinbringung unabhängig davon zulässig, ob und wann der Schuldner durch Mahnung in Verzug gesetzt worden sei.

Dieser Begründung und dem gefundenen Ergebnis hält der erkennende Senat entgegen, daß die reine Wortinterpretation wohl eher für das Erfordernis des In-Verzug-Setzens spricht. § 72 EheG unterscheidet zunächst zwei Fälle (arg.: "oder"), nämlich den, daß der Unterhaltspflichtige in Verzug gekommen ist und den der Rechtshängigkeit. (Bei der "Rechtshängigkeit" handelt es sich um einen Begriff der dZPO (§ 261 I). Sie wird durch die "Erhebung" der Klage begründet, die nach § 253 I dZPO durch Zustellung eines Schriftsatzes (Klageschrift) erfolgt. Auch § 232 Abs 1 öZPO spricht davon, daß die Rechtshängigkeit der Streitsache (Streitanhängigkeit) durch die Zustellung der Klageschrift an den Beklagten begründet wird.) Nun trifft es sicher zu, daß ein Unterhaltsanspruch ab Rechtshängigkeit nicht ohneweiteres als Unterhaltsanspruch für die Vergangenheit (den § 72 EheG regelt), sondern nur als sogenannter "laufender" Unterhalt qualifiziert werden kann. Der daraus abgeleitete Schluß, der Unterhaltsanspruch für die Zeit davor setze keinen Verzug voraus, ist aber nach Ansicht des erkennenden Senates keineswegs zwingend aus dem Wortlaut des Gesetzes abzuleiten. Er führt auch zum bedenklichen Ergebnis, daß der Gesetzeswortlaut "in der der Unterhaltspflichtige in Verzug gekommen ist" keinen Sinn mehr hätte. Mit der in der Klage liegenden Mahnung (die Zustellung und die dadurch bewirkte Rechtshängigkeit vorausgesetzt) wird der Unterhaltsschuldner für den laufenden Unterhalt in Verzug gesetzt. Für die Zeit davor setzt das Gesetz aber einen Verzugstatbestand voraus. Auch dem Judikaturwandel in der Frage der Zulässigkeit von Unterhaltsbegehren von Kindern (§ 140 ABGB) für die Vergangenheit kommt für die Auslegung des Unterhaltsanspruchs geschiedener Ehegatten nach § 72 EheG keine entscheidende Bedeutung zu. Beim Kindesunterhalt begründet die besondere familienrechtliche Nahebeziehung zwischen dem Unterhaltsschuldner und dem Kind - genauso wie das Eheband für den Ehegattenunterhalt bei aufrechter Ehe - eine Verpflichtung zur Befriedigung der Unterhaltsbedürfnisse auch ohne Verlangen des Berechtigten. Dieser muß nicht in Verzug gesetzt (gemahnt) worden sein, damit Unterhalt für die Vergangenheit gefordert werden kann. Für den Unterhaltsanspruch geschiedener Ehegatten gilt jedoch die lex specialis des § 72 EheG, was mit dem Wegfall der ehelichen Fürsorgepflicht zu erklären ist (so schon 6 Ob 545/91). An dieser Auffassung hält der erkennende Senat fest.

Obwohl in der Frage des Verzuges des Unterhaltspflichtigen als Voraussetzung für den Unterhaltsanspruch für die Vergangenheit die Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes geteilt wird, ist die Revision der Klägerin für die Zeit vom 13.1. bis 18.9.1994 berechtigt. Sie verweist nämlich zutreffend darauf, daß sie ihren Anspruch auf Bezahlung eines Unterhaltsrückstandes auch auf den weiters im § 72 EheG geregelten Fall gestützt hat, daß der Beklagte sich seiner Unterhaltsverpflichtung absichtlich durch mangelnde Offenlegung seiner Einkommensverhältnisse entziehen habe wollen (Parteivorbringen der Klägerin ON 15). Der behauptete Sachverhalt könnte bei entsprechendem Nachweis seiner Richtigkeit durchaus einen Unterhaltsanspruch für die Vergangenheit auslösen (JBl 1990, 800). Eine Mahnung (im Sinne einer konkreten Zahlungsaufforderung) wäre vor Bekanntgabe der Einkommensverhältnisse des Unterhaltsverpflichteten gar nicht möglich. Der auf die behauptete absichtliche Entziehung des Unterhaltsschuldners von seiner Unterhaltspflicht gestützte Anspruch setzt schon aus diesem Grund ein In-Verzug-Setzen nicht voraus. Ausreichende Feststellungen der Vorinstanzen zu diesem Fall des § 72 EheG fehlen, was die Revisionswerberin zutreffend rügt. Das Verfahren wird daher auch zum Thema der mangelnden Offenlegung der Einkommensverhältnisse des Beklagten zu ergänzen sein. Daneben ist die vom Gericht zweiter Instanz für den laufenden Unterhalt für erforderlich gehaltene Verfahrensergänzung auch für den Unterhaltsrückstand wesentlich. Für den genannten Zeitraum ist daher nicht nur die Entscheidung des Berufungsgerichtes, sondern auch die des Erstgerichtes zur Verfahrensergänzung aufzuheben.

Der Vorbehalt der Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

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