OGH 9ObA2187/96z

OGH9ObA2187/96z25.9.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Klinger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier und Dr. Steinbauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Scheuch und Mag. Gabriele Jarosch als weitere Richter in den verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Parteien 1.) Eugen L*****, Angestellter, ***** ***** vertreten durch Zamponi, Weixelbaum & Partner, Rechtsanwälte OEG in Linz, 2.) V***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Grassner/Lenz/ Thewanger & Partner, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Angestelltenbetriebsrat der Firma V*****, gewählt am 8.3.1995, vertreten durch den Betriebsratvorsitzenden Harald F*****, ***** vertreten durch Dr. Gottfried Eypeltauer und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen Nichtigkeit und Anfechtung einer Betriebsratswahl (Streitwert S 500.000), infolge Revision der Zweitklägerin und der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9. Mai 1996, GZ 11 Ra 30/96b-21, womit infolge Berufung der Zweitklägerin und der Beklagten das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 28. September 1995, GZ 8 Cga 75/95g (verbunden mit 8 Cga 71/95v)-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der Zweitklägerin wird Folge gegeben; der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, daß sie insgesamt zu lauten haben:

"Es wird festgestellt, daß die am 8.3.1995 im Betrieb der V***** Gesellschaft mbH in ***** durchgeführte Wahl des Angestelltenbetriebsrates nichtig ist."

Die beklagte Partei wird mit ihrer Revision auf diese Entscheidung verwiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Erstkläger S 6.086,40 (hievon S 1.014,40 Umsatzsteuer) und der Zweitklägerin S 34.625 (hievon S 3.562,50 Umsatzsteuer und S 13.250 Pauschalgebühren) an Kosten des Revisionsverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 21.3.1994 fand im Betrieb der Zweitklägerin die Wahl des Angestelltenbetriebsrates statt. Diese Wahl wurde vom Erstkläger beim Landesgericht Linz als Arbeits- und Sozialgericht mit dem Begehren, die Wahl für ungültig zu erklären, angefochten. Mit Urteil vom 16.11.1994, zugestellt am 14.12.1994 wurde der Wahlanfechtung des Erstklägers stattgegeben und die Wahl für ungültig erklärt. Dieses Urteil wurde sowohl vom Oberlandesgericht Linz als auch vom Obersten Gerichtshof bestätigt. In Vorbereitung einer Betriebsratswahl wurde von Harald F***** eine Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes einberufen. Er wurde mit Schreiben vom 6.2.1995 aufmerksam gemacht, daß diese Handlung gesetzwidrig sei und aufgefordert, davon Abstand zu nehmen. Dennoch wurde eine Betriebsversammlung abgehalten und am 8.3.1995 eine Betriebsratswahl durchgeführt, wobei die von Harald F***** angeführte Liste sieben Mandate erhielt. Am 21.2.1995 wurde durch den Betriebsratsvorsitzenden des gemäß § 61 Abs 2 ArbVG wieder im Amt befindlichen (alten) Betriebsrats eine Betriebsversammlung einberufen. Am 14.3.1995 kam es zu einer Wahl, bei der zwei wahlwerbende Gruppen auftraten und die Liste 1 43 Stimmen und drei Mandate und die Liste 2 52 Stimmen und vier Mandate erhielten. Die verschiedenen Angestelltenbetriebsräte der Zweitklägerin setzen sich wie folgt zusammen:

Alter Betriebsrat: H*****, F*****, G*****, L*****, S*****, M***** und Sch*****.

Betriebsrat vom 21.3.1994: F*****, G*****, S*****, M*****, W*****, Ha***** und H*****.

Betriebsrat vom 8.3.1995: F*****, G*****, S*****, H*****, W*****, Ha***** und B*****.

Betriebsrat vom 14.3.1995: G*****, W*****, Ha*****, H*****, L*****, H***** und L*****.

Der Erstkläger stellt den Antrag, die am 8.3.1995 durchgeführte Wahl des Angestelltenbetriebsrates für nichtig, in eventu für ungültig zu erklären. Die Zweitklägerin beantragt, diese Wahl für nichtig zu erklären.

Die beklagte Partei beantragte die Klageabweisung.

Das Erstgericht wies das Begehren auf Nichtigerklärung der Betriebsratswahl ab, sprach hingegen aus, daß diese Wahl ungültig sei.

Es vertrat die Rechtsansicht, daß mangels Anwendbarkeit des § 61 Abs 2 a ArbVG die Vorbereitungen zur Betriebsratswahl durch den Betriebsratsvorsitzenden des alten Betriebsrates getroffen hätten werden müssen. Harald F***** sei daher nicht berechtigt gewesen die Betriebsratswahl vorzubereiten und eine Betriebsversammlung zur Wahl des Wahlvorstandes einzuberufen und die Betriebsratswahl letztlich durchzuführen. Eine nicht vom zuständigen Organ einberufene Betriebsversammlung sei keine Betriebsversammlung im Sinne des ArbVG. Ihre Beschlüsse seien ungültig. Die Wahl eines Wahlvorstandes auf Grund einer durch ein nicht befugtes Organ einberufenen Betriebsversammlung begründe einen wesentlichen Verfahrensmangel, der objektiv geeignet sei, das Wahlergebnis zu beeinflussen. Diese Wahlmängel seien aber keine Nichtigkeitsgründe.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen der Zweitklägerin und des beklagten Betriebsrates nicht Folge und teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß durch die Vorgangsweise des am 21.3.1994 gewählten Betriebsrates, dessen Wahl für ungültig erklärt worden sei, zur Vorbereitung der Wahl vom 8.3.1995 wesentliche Bestimmungen des Wahlverfahrens verletzt seien, die nicht nur geeignet gewesen wären, das Wahlergebnis zu beeinflussen, sondern dieses auch beeinflußt haben, weil ansonsten die beiden Betriebsratswahlen vom 8.3.1995 und vom 14.3.1995 zum gleichen Ergebnis geführt hätten. Die Einberufung der Betriebsversammlung zur Wahl des Wahlvorstandes durch ein nicht zuständiges Organ mache zwar die Betriebsratswahl anfechtbar aber nicht nichtig. Da die verfahrensgegen- ständlichen Betriebsratswahlen nicht während der Amtsperiode eines bestehenden Betriebsrates durchgeführt, sondern deshalb notwendig wurden, weil die Betriebsratswahl vom 21.3.1994 vom Gericht für ungültig erklärt worden war, könne daher keine Rede davon sein, daß die angefochtene Betriebsratswahl während der Amtsperiode eines bestehenden Betriebsrates erfolgt wäre.

Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Zweitklägerin und der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen der Zweitklägerin auf Abänderung des angefochtenen Urteils dahin, daß die Betriebsratswahl zum 8.3.1995 nichtig sei, und des beklagten Betriebsrates auf Abänderung, daß auch das Begehren auf Ungültigerklärung der Betriebsratswahl abgewiesen werde. Hilfsweise liegen Aufhebungsanträge vor.

Der Erstkläger stellt den Antrag, der Revision der Beklagten und die beklagte Partei, der Revision der Zweitklägerin nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des beklagten Betriebsrates ist nicht, die Revision der Zweitklägerin hingegen ist berechtigt.

Auf Grund des Art X § 2 Z 9 ASGG - Nov 1994, BGBl 1994/624, mit der unter anderem auch das ArbVG geändert wurde, kommt die neue Bestimmung des § 62 Abs 2 a ArbVG, wonach bei Ungültigerklärung der Wahl eines Betriebsrates durch ein Urteil eines Gerichtes erster Instanz der Betriebsrat, dessen Wahl angefochten wurde, seine Tätigkeit bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Anfechtungsklage, längstens bis zum Ablauf der vierjährigen Tätigkeitsdauer fortzusetzen hat, es sei denn, es wird ein neuer Betriebsrat gewählt, nicht zur Anwendung, weil die vor dem Urteil des Gerichtes erster Instanz durchgeführte Verhandlung vor dem 31.12.1994 geschlossen wurde.

Im Falle der Anfechtung einer Betriebsratswahl trifft das Gericht eine rechtsgestaltende Entscheidung (Cerny/Haas/Laßnigg/Schwarz, ArbVG II, 290; DRdA 1996/31 [Trost] = tw vö RdW 1996, 130). Bis zu dieser bleibt der Betriebsrat bestehen, seine Funktionsperiode ist daher weiter aufrecht. Er kann ohne Rücksicht auf die Anfechtung nach seiner Konstitutionierung seine Tätigkeit im vollen Umfang aufnehmen. Erst ab Ungültigerklärung der Wahl, die die Tätigkeitsdauer des neu gewählten Betriebsrates gemäß § 62 Z 5 ArbVG vorzeitig beendet, können wirksame Rechtshandlungen nicht mehr vorgenommen werden (Floretta/Strasser, ArbVG2, 347, 352; DRdA 1996/31 [Trost] = tw vö RdW 1996, 130).

Dabei wird gemäß § 61 Abs 1 ASGG das der rechtsgestaltenden Anfechtungsklage stattgebende Urteil des Gerichtes erster Instanz, mit dem die Betriebsratswahl für ungültig erklärt wird, wirksam, sodaß nicht die rechtskräftige Beendigung des Anfechtungsverfahrens abgewartet werden muß (Cerny/Haas/Laßnigg/Schwarz aaO, 299, 304; DRdA 1995/22 [Kuderna]; 9 ObA 2079/96). Die Änderung der materiellen Rechtslage tritt mit Urteilszustellung für die weitere Prozeßdauer ein (Kuderna ASGG2, 388).

Die Fortführungsberechtigung der Tätigkeit des Betriebsrates durch den "alten" Betriebsrat gemäß § 61 Abs 2 ArbVG aF tritt daher bereits durch eine der Wahlanfechtung stattgebende Entscheidung des Gerichtes erster Instanz ein (Cerny/Haas/Laßnigg/Schwarz aaO, 299, 304). Nur bei rechtskräftiger Abweisung der Anfechtungsklage wird die durch das erste erstgerichtliche Urteil mit sofortiger Wirkung gestaltete Rechtslage rückwirkend beseitigt (Kuderna aaO, 388). Es endet dann die Tätigkeitsdauer des inzwischen im Hinblick auf die durch ein erstes Urteil eines Gerichtes erster Instanz ausgesprochene Ungültigerklärung der Wahl des zuvor gewählten Betriebsrates neu gewählten Betriebsrates gemäß § 62 Z 7 ArbVG unter den dort angeführten Voraussetzungen.

Das bedeutet, daß der mit 21.3.1994 gewählte Betriebsrat ab Zustellung des der Anfechtung stattgebenden Urteiles der ersten Instanz am 14.12.1994 seine Funktionsfähigkeit verlor. Nur bei Anwendbarkeit der ASGG-Novelle 1994 und der durch sie geschaffenen Bestimmung des § 61 Abs 2 a ArbVG hätte die Funktionsfähigkeit dieses Betriebsrates weiterbestanden.

Den Vorinstanzen ist daher beizupflichten, daß die Betriebsratswahl vom 8.3.1995 während der Dauer des Anfechtungsverfahrens (Rechtsmittelverfahrens) nur vom alten Betriebsrat in die Wege geleitet hätte werden dürfen. Den Vorinstanzen kann aber nicht gefolgt werden, daß keine Nichtigkeit dieser Betriebsratswahl vorliegt.

Es ist davon auszugehen, daß für die Dauer des Anfechtungs-(Rechtsmittel)verfahrens ein rechtswirksamer handlungsfähiger Betriebsrat, nämlich der "alte" Betriebsrat bestand, dessen Funktionsperiode sohin (wieder) aufrecht war und daher entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes die Wahl vom 8.3.1995 während der Funktionsperiode eines bestehenden Betriebsrates durchgeführt wurde. Die Behauptung der beklagten Partei, daß die Wahl auf Grund einer irrigen Rechtsansicht durchgeführt wurde, schlägt deshalb nicht durch, weil nach den Feststellungen Harald F***** mit Schreiben vom 6.2.1995 auf die Gesetzwidrigkeit seiner Handlung hingewiesen worden ist.

Wird aber durch die Wahl eines neuen Betriebsrats die Funktionsperiode eines handlungsfähigen Betriebsrats trotz Hinweises auf die Gesetzwidrigkeit der Abhaltung einer Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes, mißachtet und der Vorwurf der Rechtswidrigkeit nicht entkräftet, dann ist die Wahl eines neuen Betriebsrats als den elementarsten Grundsätzen einer Wahl

widersprechend als absolut nichtig zu werten (Arb 10.866 = RdW 1991,

86; DRdA 1995/7 = ZAS 1994/15; DRdA 1996/31 [Trost] = tw vö RdW 1996,

130). In Kenntnis der Rechtswidrigkeit handeln ist als verwerfliches Vorgehen zu qualifizieren. Ob der "alte" Betriebsrat nur deshalb wieder funktionsfähig geworden ist, weil das der Wahlanfechtung stattgebende Urteil erster Instanz noch nicht rechtskräftig war oder ob in einem anderen Falle ein Betriebsrat unabhängig von einer Wahlanfechtung besteht, macht keinen Unterschied, weil in beiden Fällen ein funktionsfähiger Betriebsrat vorhanden ist. In all diesen Fällen, in denen ein Betriebsrat funktionsfähig ist, sind in die Funktionsperiode dieses bestehenden Betriebsrats ohne dessen Zustimmung eingreifende Handlungen, die zur Schaffung von Kollisionsfällen zwischen Rechtshandlungen von zwei Betriebsräten führen können, unzulässig, weil damit ein untragbarer gesetzlich nicht vorgesehener Zustand bestünde, der zu beseitigen ist. Ein Nebeneinander handlungsfähiger Organe ist zu vermeiden (Arb 10.866 = RdW 1991, 86; DRdA 1996/31 [Trost]).

Da die Revision der Zweitklägerin schon mit ihrem Begehren auf Nichtigerklärung der Betriebsratswahl durchdringt, ist zum von der beklagten Partei bekämpften stattgegebenen Eventualbegehren des Erstklägers auf Anfechtung der Betriebsratswahl nicht mehr Stellung zu nehmen und die Revision der beklagten Partei daher auf die Entscheidung über die Revision der Zweitklägerin zu verweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 58 Abs 1 ASGG, §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Dabei war bei der Kostenbemessung der von der für die Bewertung des Streitgegenstandes in sinngemäßer Anwendung des § 56 JN zuständigen Zweitklägerin angegebene Streitwert zugrunde zu legen, auch wenn der Erstkläger in seiner Revisionsbeantwortung sich der Bewertung der beklagten Partei gefügt hat.

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