OGH 8Ob2233/96g

OGH8Ob2233/96g12.9.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer, Dr. Flossmann, Dr. Rohrer und Dr. Baumann in der Konkurssache über das Vermögen des Franz O*****, Masseverwalterin Dr. Herta Schmid, Rechtsanwältin in Wien, wegen Ausscheidung der Nutzungsrechte an einer Kleingartenparzelle infolge Revisionsrekurses der Masseverwalterin gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 28. Juni 1996, GZ 28 R 66/96y-67, mit dem infolge Rekurses des Gemeinschuldners der Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 31. März 1995, GZ 6 S 40/96i-54, abgeändert wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Mit Beschluß vom 7.10.1991 wurde über das Vermögen des nunmehrigen Gemeinschuldners der Konkurs eröffnet und die nunmehrige Revisionsrekurswerberin zur Masseverwalterin bestellt. Zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung hatte der Gemeinschuldner gemeinsam mit seiner Gattin seinen ordentlichen Wohnsitz in der Wohnung seiner Schwiegermutter im 5. Wiener Gemeindebezirk, wobei die Mietrechte an dieser Wohnung der Schwiegermutter zustehen. Damals war das Verhältnis zu seiner Gattin bereits gestört. Infolge der Konkurseröffnung kam es im Herbst 1993 zur faktischen Trennung der Ehegatten und zum Auszug des Gemeinschuldners aus der Wohnung der Schwiegermutter. Ein Ehescheidungsverfahren wurde aufgrund der Weigerung der Gattin des Gemeinschuldners bisher nicht eingeleitet. Seit dem Auszug aus der Wohnung der Schwiegermutter wohnt der Gemeinschuldner in seinem Schrebergartenhaus im 12. Wiener Gemeindebezirk, wo er seit 1.1.1995 auch polizeilich gemeldet ist. Vor Herbst 1993 wohnte er während etwa 20 Jahre lediglich in den Sommermonaten von Mai bis etwa Anfang Oktober in diesem Schrebergartenhaus, jedoch ohne polizeiliche Meldung, da eine ganzjährige Benützung dieses Hauses vor dem 1.1.1995 nicht zulässig war.

Der Gemeinschuldner bezieht seit März 1994 eine Notstandsunterstützung von monatlich S 4.300,--, und verdient mit Gelegenheitsarbeiten etwas dazu. Er ist 51 Jahre alt und seit März 1994 als arbeitslos gemeldet; bisher ist es ihm nicht gelungen, eine fixe Beschäftigung zu finden. Der jährliche Pachtzins für das Schrebergartenhaus beträgt S 6.000,--. Über die für die Beschaffung einer Wohnung erforderlichen Mittel verfügt der Gemeinschuldner nicht. Zu seiner Ehegattin und deren Mutter kann er nicht zurückziehen.

Im Zuge des Konkursverfahrens beantragte der Gemeinschuldner, die Rechte aus dem Unterpachtvertrag betreffend die strittige Kleingartenparzelle aus der Masse auszuscheiden und ihm zur freien Verfügung zu überlassen. Dieser Garten samt Haus diene der Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses; er habe keine andere Unterkunft und verfüge auch nicht über die Mittel, sich eine Wohnung zu beschaffen.

Die Masseverwalterin sprach sich gegen den Antrag aus, legte ein Schätzungsgutachten eines Sachverständigen über den Schätzwert der auf der genannten Parzelle befindlichen Baulichkeiten (S 71.100,--), Außenanlagen (S 67.260,--), Kulturen (S 6.150,--) und des Inventars (S 16.200,--), insgesamt sohin von S 160.710,-- vor und wies darauf hin, daß das Gartenhaus nicht ganzjährig bewohnbar sei und der Kleingartenverein Anschlußgebühren für Wasserleitung und Kanal im Betrag von S 28.000,-- im Konkurs angemeldet habe.

Im ersten Rechtsgang gab das Erstgericht dem Antrag des Gemeinschuldners statt, über Rekurs der Masseverwalterin wurde die Entscheidung zur Klärung der Frage aufgehoben, welche Wohnung der Gemeinschuldner zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung als einzige benutzt hatte und ob der Gemeinschuldner bei Abweisung seines Antrages tatsächlich von Obdachlosigkeit bedroht wäre.

Im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht den Antrag ab, weil es meinte, daß das Schrebergartenhaus für den Gemeinschuldner zwar einen unentbehrlichen Wohnraum darstelle, bei dessen Verlust er der Obdachlosigkeit preisgegeben sei, er dieses jedoch zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung nicht als ständigen Wohnsitz benützt habe.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Gemeinschuldners Folge und änderte den erstgerichtlichen Beschluß dahingehend ab, daß es dem Gemeinschuldner die aus dem Unterpachtvertrag zustehenden Nutzungsrechte an der genannten Kleingartenparzelle zur freien Verfügung überließ. Es meinte in rechtlicher Hinsicht, daß § 5 Abs 3 KO, der auf § 105 EO verweise, bei Wohnungen, an denen für den Gemeinschuldner bloß Bestandrechte oder andere Nutzungsrechte begründet worden seien, nicht zum Tragen komme, wenngleich der Zweck dieser Vorschrift offensichtlich in der Vermeidung einer Obdachlosigkeit des Gemeinschuldners liege. Die Mietrechte fielen demnach in die Konkursmasse. § 42 Abs 4 MRG werde jedoch dahingehend ausgelegt, daß diese Rechte, soweit sie unentbehrliche Wohnräume beträfen, nicht verwertbar seien. Für Mietrechte außerhalb des Geltungsbereiches des MRG gelte diese Begünstigung jedoch nicht. Zur Schließung dieser Gesetzeslücke sei mit der KO-Nov 1993 dem § 5 KO ein Abs 4 angefügt worden. Diese Bestimmung trete zwar erst mit 1.1.1995 in Kraft und sei nur auf Verfahren anzuwenden, die nach dem 31.12.1994 eingeleitet worden seien. Der Gesetzgeber habe aber mit dieser Novellierung klar zum Ausdruck gebracht, daß er die Schließung einer ungewollten Regelungslücke in bezug auf Miet- und sonstige Nutzungsrechte an für die Gemeinschuldner unentbehrlichen Wohnräumen anstrebe. Diese planwidrige Gesetzeslücke sei daher durch Analogieschluß auszufüllen, indem die auf die Wohnungen im Haus des Gemeinschuldners anwendbare Regelung des § 5 Abs 3 KO entsprechend dem sozialen Schutzzweck dieser Norm (Vermeidung der Obdachlosigkeit des Gemeinschuldners) auf den ähnlichen Fall des bloßen Nutzungsrechtes des Gemeinschuldners an Wohnräumen erstreckt werde. Allerdings setze die Überlassung nach § 5 Abs 3 KO voraus, daß es sich dabei um unentbehrliche Wohnräume handle. Als unentbehrlich kämen aber nur solche Wohnräume in Betracht, die im Zeitpunkt der Eröffnung des Konkurses vom Gemeinschuldner bewohnt worden seien. Der nachmalige Gemeinschuldner habe das Schrebergartenhaus etwa seit 20 Jahren benützt. Lediglich während der kalten Jahreszeit habe er sich in der Wohnung seiner Schwiegermutter aufgehalten, weil die Unterkunft im Schrebergartenhaus damals nicht ganzjährig benutzt werden durfte. Die Benützung der Wohnung der Schwiegermutter, welche ihm offenbar nur prekaristisch eingeräumt und von ihm auch nicht dauernd in Anspruch genommen worden sei, sei mittlerweile infolge des gestörten Verhältnisses zu seiner Ehefrau unmöglich geworden. Im Hinblick auf die jederzeit widerrufliche und in der Folge tatsächlich unwiederbringlich verlorene Wohnmöglichkeit des Gemeinschuldners in der Wohnung seiner Schwiegermutter erweise sich somit seine Abwesenheit von der Unterkunft in seinem Schrebergartenhaus im Zusammenhalt mit der bloß jahreszeitlich bedingten Nutzungsunterbrechung lediglich als vorübergehend. Da eine solche bloß vorübergehende Abwesenheit die analoge Anwendung des § 5 Abs 4 KO nicht ausschließe und der Gemeinschuldner auch über keine andere Wohnmöglichkeit verfüge sei davon auszugehen, daß die Wohnung in dem Schrebergartenhaus für den Gemeinschuldner unentbehrlich sei. Da eine gesonderte Verwertung des Gartengrundstückes, auf dem sich diese Schrebergartenhütte befinde, schon aufgrund des einheitlichen Vertragsgegenstandes des Subpachtvertrages unmöglich sei, seien dem Gemeinschuldner in sinngemäßer Anwendung des § 5 Abs 4 KO die Nutzungsrechte an der gegenständlichen Kleingartenparzelle zur freien Verfügung zu überlassen.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil sowohl zur Frage der analogen Anwendung des § 5 Abs 4 KO in einem Verfahren, das vor dem 31.12.1994 eingeleitet worden sei, als auch betreffend die Unentbehrlichkeit einer vor der Konkurseröffnung mit Unterbrechung benützten Wohnung, oberstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen den rekursgerichtlichen Beschluß richtet sich der Revisionsrekurs der Masseverwalterin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den erstgerichtlichen Beschluß wiederherzustellen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zwar zulässig, aber im Ergebnis nicht berechtigt.

Die Masseverwalterin meint, es könne durchaus zutreffend sein, daß der Gesetzgeber mit der Novellierung des § 5 KO die Schließung einer "ungewollten Regelungslücke" in bezug auf Miet- und sonstige Nutzungsrechte an für den Gemeinschuldner unentbehrlichen Wohnräumen angestrebt habe, er habe aber in der Übergangsbestimmung eindeutig ausgesprochen, daß die Bestimmung nur auf Verfahren anzuwenden sei, die nach dem 31.12.1994 eingeleitet worden seien; hätte er anderes gewollt, hätte er dies ausdrücklich normiert. Überdies kämen als unentbehrlich zu behandelnde Wohnräume nur solche in Betracht, die im Zeitpunkt der Eröffnung des Konkurses vom Gemeinschuldner bewohnt worden seien. Eine Änderung der Sachlage während der Dauer des Konkursverfahrens könne nicht zum Anlaß genommen werden, die Überlassung von Bestandteilen der Konkursmasse - so die Unterpachtrechte - in Anspruch zu nehmen, da es sonst jedem Gemeinschuldner freistünde, Differenzen mit seinen Familienmitgliedern vorzubringen, um eine Verwertung im Konkurs zu verhindern. Bestimmungen, die die Ausscheidung von Vermögensbestandteilen bzw die Überlassung ermöglichen sollen, seien nicht extensiv, sondern restriktiv auszulegen.

Diesen Ausführungen ist zu erwidern, daß es sich, wie die Revisionsrekurswerberin selbst zugesteht, bei der Anfügung des § 5 Abs 4 KO lediglich um die Schließung einer "ungewollten Gesetzeslücke" handelte.

Zweck des § 5 Abs 3 KO war und ist, den Gemeinschuldner vor Obdachlosigkeit zu bewahren. Daher wurde auch vor der KO-Nov 1993 diese Bestimmung iVm § 42 Abs 4 MRG dahingehend erweiternd ausgelegt, daß eine für den Gemeinschuldner unentbehrliche, dem MRG unterliegende Mietwohnung nicht nur der Exekution entzogen war, sondern daß diese Wohnräume auch aus der Konkursmasse ausgeschieden und dem Gemeinschuldner zur freien Verfügung überlassen werden konnten (SZ 52/144). Damit war aber dem Gemeinschuldner nicht in allen Fällen geholfen, nämlich dann nicht, wenn er nur über eine Wohnmöglichkeit anderer als mietrechtlicher (MRG) Art verfügte.

Bei der vor dem 1.1.1995 bestehenden Gesetzeslücke handelt es sich somit um eine planwidrige Unvollständigkeit innerhalb des positiven Rechts, deren Schließung - vom Zweck der sonst in diesem Zusammenhang bestehenden Regelungen her gesehen - geboten ist (für alle Koziol-Welser Grundriß I10 24 ff mwN; SZ 59/167 und 196; 61/206 uva):

Ein Grundprinzip der Konkursordnung ist, daß dem Gemeinschuldner das Notwendigste zum Leben und Wohnen zu überlassen ist. So ist ihm von dem, was er durch eigene Tätigkeit erwirbt oder was ihm während des Konkurses unentgeltlich zugewendet wird, das zu überlassen, was zu einer bescheidenen Lebensführung für ihn und für diejenigen, die gegen ihn einen gesetzlichen Anspruch auf Unterhalt haben, unerläßlich ist (§ 5 Abs 1 KO). Selbst wenn er nichts hat, was ihm nach § 5 Abs 1 KO überlassen werden könnte, und er auch nicht imstande ist, etwas durch eigene Tätigkeit zu verdienen, darf ihn der Masseverwalter nicht "verhungern" lassen, sondern hat ihm und seiner Familie mit Zustimmung des Gläubigerausschusses das zu gewähren, was zu einer bescheidenen Lebensführung unerläßlich ist (Abs 2). Ebenso sind ihm die unentbehrlichen Wohnräume im eigenen Haus oder eine für seine Wohnbedürfnisse unentbehrliche Eigentumswohnung zu überlassen (Abs 3). Daraus folgt, daß dem Gemeinschuldner auch vor der KO-Nov 1993, wenn er nicht über unentbehrliche Wohnräume der genannten Art, wohl aber über solche anderer Art, zB eine Genossenschaftswohnung oder ein nicht dem MRG unterliegendes Miet- oder Pachtobjekt verfügte, eben diese, soweit notwendig, zur freien Verfügung überlassen werden mußten.

Daraus, daß der Gesetzgeber diese Lücke nun explizit durch Anfügung eines Abs 4 an § 5 KO gefüllt hat (RV 1218 Blg 18. GP zu Art 1 Z 1), aber diese explizite Regelung erst für Konkursverfahren schuf, die nach dem 31.12.1994 eingeleitet worden sind, kann nicht geschlossen werden, daß er damit die gebotene analoge Anwendung der aus § 5 KO iVm § 42 Abs 4 MRG gewonnenen Grundsätze ausschließen wollte. Bis zur Anwendbarkeit des § 5 Abs 4 KO ist somit die bis dahin bestehende Gesetzeslücke nach den oben aufgezeigten Grundsätzen zu füllen. Es können daher dem Gemeinschuldner, auch wenn das Konkursverfahren bereits vor dem 1.1.1995 eröffnet worden ist, unentbehrliche Wohnräume anderer Art überlassen werden.

Darauf, daß diese Wohnräume erst nach der Konkurseröffnung für den Gemeinschuldner unentbehrlich geworden sind, kann es unter den oben aufgezeigten übergeordneten Gesichtspunkten der Sicherung seiner existenz-notwendigen Bedürfnisse nicht ankommen. Solche Wohnräume können ihm auch dann überlassen werden, wenn er zur Zeit der Konkurseröffnung noch über eine andere Wohnmöglichkeit verfügt hatte. Das ergibt sich schon daraus, daß anderenfalls einem Gemeinschuldner, der zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung über mehrere Wohnmöglichkeiten verfügt und diese abwechselnd benutzt hat, keinerlei Wohnräume überlassen werden dürften. Dies gilt erst recht dann, wenn diese andere Wohnmöglichkeit nur eine prekaristisch eingeräumte war. Selbstverständlich ist vor der Überlassung streng zu prüfen, ob der Bedarf wirklich gegeben ist; Differenzen mit Familienangehörigen dürfen nicht nur vorgeschützt werden, um eine Verwertung im Konkursverfahren zu verhindern; ein solches "Vorschützen" liegt hier aber nach den getroffenen Feststellungen nicht vor. Da dem Gemeinschuldner eine Wohnmöglichkeit zu überlassen ist, sofern diese für ihn unentbehrlich ist, muß dies auch für eine solche Wohnmöglichkeit gelten, deren ganzjährige Benützung erst nach Konkurseröffnung - hier durch Änderung der Rechtslage - zulässig wurde, mag es sich auch immer noch nur um eine "Notunterkunft" handeln.

Der angefochtene Beschluß ist daher zu bestätigen; dem Gemeinschuldner sind die Nutzungsrechte an der strittigen Kleingartenparzelle zur freien Verfügung zu überlassen, da eine gesonderte Verwertung der Gartenparzelle, auf dem sich die Schrebergartenhütte befindet, schon aus rechtlichen Gründen unmöglich ist.

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