OGH 11Os103/96

OGH11Os103/9627.8.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. August 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Hager, Dr. Schindler, Dr. Mayrhofer und Dr. Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Scholz als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Ruza N***** wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Hollabrunn vom 11. August 1995, GZ U 522/92-44, sowie einen davor gelegenen Vorgang nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Weiß, der Verurteilten und des Verteidigers Mag. Kurz zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Beschluß des Bezirksgerichtes Hollabrunn vom 11. August 1995, Seite 267 in ON 44, verletzt das Gesetz

1. in dem im XX.Hauptstück der Strafprozeßordnung verankerten Grundsatz der materiellen Rechtskraft und

2. infolge Unterbleibens der Einsichtnahme in den Akt über die frühere Verurteilung, AZ 1 b E Vr 5214/90 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vor der Beschlußfassung, in der Bestimmung des § 494 a Abs 3 StPO.

Dieser Beschluß wird aufgehoben.

Text

Gründe:

Mit rechtskräftigem Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 29. Oktober 1991, GZ 1 b E Vr 5214/90-13, wurde Ruza N***** des Vergehens des versuchten schweren Betruges nach §§ 15, 146, 147 Abs 2 StGB und anderer Delikte schuldig erkannt und zu einer einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt, die gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Nach Ablauf der Probezeit sprach das Landesgericht für Strafsachen Wien mit rechtskräftigem Beschluß vom 19. April 1995 (ON 39 dA) die endgültige Strafnachsicht aus (§§ 43 Abs 2 StGB, 497 Abs 1 StPO).

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Hollabrunn vom 11. August 1995, GZ U 522/92-44, wurde über Ruza N***** wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB eine Geldstrafe verhängt. Gleichzeitig faßte das Bezirksgericht den Beschluß, die im Verfahren des Landesgerichtes für Strafsachen Wien bestimmte Probezeit auf fünf Jahre zu verlängern.

Rechtliche Beurteilung

Dieser Beschluß des Bezirksgerichtes Hollabrunn vom 11. August 1995 steht, wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Gemäß § 494 a Abs 3 StPO hat das Gericht vor einer der im § 494 a Abs 1 StPO vorgesehenen Entscheidungen unter anderem Einsicht in die Akten über die frühere Verurteilung zu nehmen; das Gericht kann sich nur dann mit der Einsicht in eine Abschrift des früheren Urteils begnügen, wenn diese - was hier nicht zutraf - eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung darzustellen vermag. Im vorliegenden Fall unterblieb die somit fallbezogen zwingend vorgeschriebene Akteneinsicht offenbar (ON 38 und 40 des zitierten Aktes), obgleich die Möglichkeit einer zwischenzeitig erfolgten endgültigen Strafnachsicht bereits aufgrund der aus der (verlesenen - 265) Strafregisterauskunft ON 34 ersichtlichen Urteilsdaten indiziert war.

Diese Gesetzesverletzung hatte zur Folge, daß das Bezirksgericht Hollabrunn keine Kenntnis von der bereits am 19. April 1995 ausgesprochenen endgültigen Strafnachsicht erlangte und die Entscheidungskompetenz über den Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu Unrecht in Anspruch nahm. Ein gemäß § 497 StPO gefaßter Beschluß auf endgültige Strafnachsicht entfaltet (selbst schon vor Eintritt der Rechtskraft) Bindungswirkung, derzufolge ein Gericht ohne vorangegangene Aufhebung des Beschlusses nicht berechtigt ist, über den Entscheidungsgegenstand neuerlich abzusprechen. Der (rechtswidrige) Beschluß des Bezirksgerichtes Hollabrunn konnte somit weder den Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien auf endgültige Strafnachsicht beseitigen noch sonst für die Verurteilte irgendwelche Rechtsfolgen nach sich ziehen. Die konstitutive Wirkung des Beschlusses des Landesgerichtes für Strafsachen Wien blieb vielmehr unberührt (vgl EvBl 1989/64, 15 Os 112/95 ua).

Da sich die aufgezeigte Gesetzesverletzung zum Nachteil der Angeklagten auswirkt, war spruchgemäß zu erkennen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte