OGH 14Os109/96

OGH14Os109/966.8.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 6.August 1996 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer, Dr.Ebner, Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Hawlicek als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Franz A***** wegen des Verbrechens des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 18.April 1996, GZ 7 Vr 745/95-21, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Weiss, des Angeklagten und des Verteidigers Dr.Perner zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und eine neue Hauptverhandlung vor dem Erstgericht angeordnet.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Franz A***** von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe im Juli 1993 in Ostermiething wiederholt mit seiner am 9.Juni 1980 geborenen, sohin unmündigen Nichte Sandra A***** den außerehelichen Beischlaf unternommen und hiedurch das Verbrechen des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft kommt Berechtigung zu.

Das Schöffengericht beurteilte die den Angeklagten belastenden Aussagen der Zeugin Sandra A***** aufgrund von Widersprüchen und Abweichungen als nicht glaubhaft und erachtete deshalb die vom öffentlichen Ankläger beantragte Ladung des Sachverständigen Dr.W***** zum Nachweis dafür, daß diese Zeugin nicht zur "Fabulation" und Selbstdarstellung neigt, für unnotwendig (S 208).

Der Beweisantrag stützte sich auf das Gutachten dieses lediglich im Vorverfahren beigezogenen gerichtspsychologischen Sachverständigen, welcher bei Sandra A***** weder in der Anamnese noch in den Testergebnissen (TGT-S) einen Hang zur Selbstdarstellung oder Konfabulation hatte feststellen können. Dr.W***** war vielmehr unter Berücksichtigung der familiären Umstände, der gewonnenen Daten aus der Anamnese und der Testauswertung zum Ergebnis gelangt, daß die Glaubwürdigkeit der Angaben von Sandra A***** bezüglich der Vergewaltigung durch Alexander M***** und Franz A***** zu bejahen sei (S 83). Der von deren Mutter behauptete Hang zur Unwahrheit (S 41) sei nach Meinung des Sachverständigen nicht als Persönlichkeitsstörung zu werten, sondern lediglich Ausdruck einer durch beidseitiges Mißtrauen geprägten gestörten Mutter-Tochter-Beziehung.

Angesichts dessen, daß im gegenständlichen Strafverfahren der Aussage der einzigen Tatzeugin lediglich die leugnende Verantwortung des Angeklagten gegenübersteht, und objektive Verfahrensergebnisse zur Beurteilung der Frage, welcher Darstellung die höhere Glaubwürdigkeit gebührt, fehlen, wären die gegen die Belastungszeugin vorgebrachten Argumente besonders sorgfältig zu prüfen und alle ihre Glaubwürdigkeit betreffenden Beweise aufzunehmen gewesen. Der Beschwerdeführerin ist beizupflichten, daß der beantragten Vernehmung des gerichtspsychologischen Sachverständigen durchaus die Eignung zukommt, durch Erläuterung der Persönlichkeitsstruktur der Zeugin und Erörterung der ihre Glaubwürdigkeit betreffenden Umstände (siehe S 81 f) die Beurteilungsgrundlage zu erweitern. Dies gilt auch für den Strafakt betreffend den wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 StGB rechtskräftig verurteilten Alexander M*****, dessen beantragte Beischaffung das Erstgericht gleichfalls zu Unrecht verweigert hat. Denn die Ergebnisse dieses Verfahrens sind bei umfassender Prüfung der Glaubwürdigkeit der Zeugin nicht von vorneherein bedeutungslos.

Mag auch der weiters begehrten Vernehmung der Kriminalbeamtin N.M***** (S 197) nur untergeordnete Bedeutung beizumessen sein, so war das Erstgericht auch insoweit nicht berechtigt, aufgrund einer vorzeitig gewonnenen Überzeugung das Beweisverfahren einzuschränken und angebotene Beweise unter vorgreifender Würdigung ihres Beweiswertes abzulehnen, wie dies auch im Falle der beantragten Vorführung des Videobandes über die nach § 162 a Abs 2 StPO vorgenommene Vernehmung der Zeugin Sandra A*****, welche sich in der Hauptverhandlung der Aussage entschlagen hat (§ 152 Abs 1 Z 2 StPO), geschehen ist (S 209).

Die Bestimmung des § 252 Abs 1 Z 2 a StPO sieht in einem solchen Fall nicht nur die Verlesung des Protokolles, sondern auch die Vorführung der technischen Aufzeichnung dieser Vernehmung vor. Damit soll dem erkennenden Gericht noch besser als durch die Verlesung des Protokolles ein unmittelbarer Eindruck von der Aussage des Zeugen vermittelt werden (siehe RV StPÄG 1993, 924 BlgNR XVIII.GP, 33). Durch die Verweigerung der Vorführung der Videoaufzeichnung wurde dem Schöffensenat die Möglichkeit genommen, auch den persönlichen Eindruck der genannten Zeugin bei Ablegung ihrer Aussage als wesentliches Beurteilungskriterium zu berücksichtigen.

Da durch die Abweisung der Beweisanträge sohin zum Nachteil der Strafverfolgung gegen verfahrensrechtliche Vorschriften verstoßen wurde, war spruchgemäß zu entscheiden.

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