OGH 11Os55/96 (11Os84/96)

OGH11Os55/96 (11Os84/96)6.8.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 6.August 1996 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Hager als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut, Dr.Schindler, Dr.Mayrhofer und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Scholz als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Christian K***** wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Wr.Neustadt vom 30.Jänner 1996, GZ 38 Vr 416/95-99, und deren Beschwerde gegen den Beschluß vom selben Tag (§§ 494 a Abs 4, 498 Abs 3 StPO, S 275/III iVm ON 99), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Bassler, des Angeklagten Christian K***** und des Verteidigers Dr.Christian Stocker, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und die Zusatzfreiheitsstrafe auf 14 (vierzehn) Jahre und 2 (zwei) Monate erhöht.

Der Angeklagte wird mit seiner Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

Der Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde der Angeklagte Christian K***** des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er am 21.Mai 1995 in W***** dadurch versucht Kurt Pi***** vorsätzlich zu töten, daß er dem am Boden Liegenden mit einem ca 26 kg schweren Granitpflasterstein zumindest zweimal auf den Kopf schlug.

Die Geschworenen hatten die (anklagekonform) auf das Verbrechen des versuchten Mordes gerichtete Hauptfrage I (mit 5 zu 3 Gegenstimmen) bejaht. Die Eventualfragen III nach dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung und V nach dem Verbrechen der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen sowie die jeweils auf diese Fragen abstellenden Eventualfragen II, IV und VI nach dem Vergehen der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung blieben demgemäß unbeantwortet.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 5, 6, 8, 10 a, 11 und 12 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der in keinem Anfechtungspunkt Berechtigung zukommt:

Einen seine Verteidigungsrechte beeinträchtigenden Verfahrensmangel (Z 5) erblickt der Beschwerdeführer darin, daß der Schwurgerichtshof seinen in der Hauptverhandlung gestellten (249/III) Antrag auf Einholung eines psychiatrischen Gutachtens über die Aussagefähigkeit des Zeugen Peter R***** abgewiesen hat, der "nach Intellekt und Persönlichkeitsstruktur aus Ärger über eine Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen "Pi*****" den Angeklagten "falsch" belastet habe.

Der Schwurgerichtshof begründete die Abweisung dieses Antrages zutreffend damit, daß die Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Zeugenaussage ausschließlich in die Kompetenz der Tatrichter im Rahmen der ihnen gemäß § 258 Abs 2 StPO obliegenden freien Beweiswürdigung fällt (249/III). Dieser Argumentation ist noch hinzuzufügen, daß der Aussage des Zeugen R***** keine objektiven Anhaltspunkte dafür zu entnehmen sind, er wäre allenfalls nicht in der Lage, über Wahrgenommenes zu berichten, es mangle sohin an der "Aussagefähigkeit".

Durch die Abweisung des Beweisantrages wurden sohin die Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht beeinträchtigt.

Es versagt aber auch die Rüge der Fragestellung (Z 6), mit der der Angeklagte unter Bezugnahme auf § 313 StPO und unter Hinweis auf seine Verantwortung, es sei ihm nach dem zweiten Schlag mit dem Stein gegen den Kopf des am Boden liegenden, stöhnenden Opfers "bewußt geworden, was er jetzt gemacht habe", "daß da etwas Gröberes passiert sei", worauf er den Stein weggeworfen und aus Angst den Tatort verlassen habe (39 ff/III), eine Zusatzfrage in Richtung freiwilligen Rücktritts vom Versuch (§ 16 Abs 1 StGB) reklamiert.

Voraussetzung für die Stellung von Zusatzfragen ist, daß in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht wurden, die - wenn sie als erwiesen angenommen werden - die Strafbarkeit ausschließen oder (fallbezogen) aufheben würden. Verfahrensergebnisse, die eine Fragestellung nach dem Strafaufhebungsgrund des freiwilligen Rücktritts vom Versuch indizieren, liegen aber nicht vor. Denn der einen Tötungsvorsatz in Abrede stellenden Verantwortung des Angeklagten ist nicht zu entnehmen, daß er bei seinem Entschluß, den Stein wegzuwerfen, von der Annahme geleitet war, daß die Realisierung des (ihm von den Geschworenen unterstellten) ursprünglichen Tötungsvorsatzes noch weiterer Aggressionsakte bedurft hätte, der Versuch mithin noch nicht beendet gewesen wäre. Daß diese nach Lage des Falles für die Annahme freiwilligen Rücktritts vom Versuch erforderliche Voraussetzung auf die Verantwortung des Angeklagten nicht zutrifft, ergibt sich nicht nur aus der (auch für den Angeklagten als mit den Grundbegriffen des Boxens Vertrauten; 53/III) evidenten Tötungseignung der zweimaligen Schlagführung gegen den Kopf des am Boden liegenden Opfers mit einem 26 kg schweren Granitstein, sondern auch daraus, daß sich der Angeklagte - nach Erreichen seines zugestandenen Zieles, Kurt Pi***** "kampfunfähig zu machen" und im Bewußtsein, daß "etwas Gröberes passiert ist" - ohne jede Hilfeleistung von dem schwerverletzten, auf offener Straße röchelnden und stöhnenden Opfer abwendete und - aus Angst - vom Tatort flüchtete.

Dem Beschwerdevorbringen zuwider mangelt es sohin an einem konkreten Vorbringen in Richtung strafaufhebenden Rücktritts vom Versuch, das den Schwur- gerichtshof zur Stellung einer Zusatzfrage im Sinne des § 313 StPO verpflichtet hätte.

Demgemäß schlägt aber auch die Instruktionsrüge (Z 8) nicht durch. Denn abgesehen davon, daß die Rechtsbelehrung - dem Beschwerdevorbringen zuwider - ohnedies (überflüssigerweise) auch die Kriterien eines Rücktrittes vom Versuch erörtert (295, 297/III), verkennt der Beschwerdeführer, daß die Rechtsbelehrung nur die in den gestellten Fragen aufscheinenden Rechtsbegriffe zu erläutern hat (§ 321 Abs 2 StPO), nicht aber auch solche, die in Fragen enthalten sind, die den Geschworenen gar nicht gestellt wurden.

Nicht zielführend ist auch die Tatsachenrüge (Z 10 a), mit der sich der Beschwerdeführer unter Hinweis auf seine Verantwortung in weitwendigen Ausführungen bemüht, mit Bezugnahme auf die Angaben der Zeugen Erich und Christian Bu***** sowie die Aussage des Zeugen Bernd Br***** die Glaubwürdigkeit der Angaben der Zeugen Peter R***** und Michael Pr***** zu erschüttern und diese als "frei erfunden" darzustellen. Solcherart zeigt er nämlich nicht sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen (insb des von den Geschworenen konstatierten Tötungsvorsatzes) auf, sondern bekämpft bloß in unzulässiger Weise die gemäß Art 91 Abs 2 B-VG ausschließlich den Geschworenen zugewiesene Beweiswürdigung.

Mit seinen Rechtsrügen stellt der Beschwerde- führer nicht auf den Wahrspruch der Geschworenen ab; er verlangt vielmehr unter Hinweis auf § 16 Abs 1 StGB seinen Freispruch (Z 11 lit a) bzw die Beurteilung des "gesamten Handlungsablaufs" als Verbrechen der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen" oder "als Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung" (Z 12). Solcherart entbehren sie aber einer gesetzmäßigen Darstellung. Denn Voraussetzung für die erfolgreiche Geltendmachung dieser materiellrechtlichen Nichtigkeitsgründe ist, daß ein Vergleich der im Wahrspruch festgestellten Tat (unter Festhalten auch an den im Wahrspruch festgestellten Tatsachen zur subjektiven Tatseite) mit deren im Urteilsspruch erfolgten Unterstellung unter das Strafgesetz einen Rechtsirrtum ergibt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verhängte über den Angeklagten nach § 75 StGB eine Zusatzstrafe von elf Jahren und zwei Monaten (gemäß §§ 31 Abs 1, 40 StGB unter Bedachtnahme auf die im Verfahren zum AZ 7 b E Vr 3206/95 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien ausgesprochenen Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten). Unter einem sah es vom Widerruf der im Verfahren zum AZ 15 b U 213/93 des Jugendgerichtshofes Wien gewährten bedingten Strafnachsicht hinsichtlich der wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB verhängten Freiheitsstrafe in der Dauer eines Monats (deren Probezeit bereits auf fünf Jahre verlängert ist) ab.

Bei der Strafbemessung wertete es als erschwerend die einschlägigen, gegen die körperliche Integrität eines Menschen gerichteten Vorstrafen, und das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen gleicher und verschiedener Art, als mildernd hingegen den Beitrag zur Wahrheitsfindung und den Umstand, daß es beim Versuch geblieben ist.

Dagegen richten sich die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft, wobei erstere eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe, letztere eine Erhöhung der Freiheitsstrafe anstrebt. Die Staatsanwaltschaft strebt zudem mit ihrer Beschwerde den Widerruf der im Verfahren zum AZ 15 b U 213/93 des Jugendgerichtshofes Wien gewährten bedingten Strafnachsicht an.

Nur die Berufung der Staatsanwaltschaft ist im Recht.

Zutreffend wird darin nämlich darauf hingewiesen, daß die schweren Verletzungen des Tatopfers - samt möglichen Dauerfolgen - ebenso wie die brutale Vorgangsweise des Täters im Sinne der allgemeinen Grundsätze für die Strafbemessung (§ 32 Abs 3 StGB) mit entsprechendem Gewicht zu beachten sind. Das vom Berufungswerber ins Treffen geführte Geständnis des Tatsächlichen ist ihm nicht als mildernd zugute zu halten, da das Zugeben bloßer Tatsachen ohne Eingeständnis der subjektiven Merkmale des strafbaren Verhaltens nach ständiger Judikatur nicht mildernd zu wirken vermag (Leukauf/Steininger Komm3 § 33 RN 9, § 34 RN 26).

Dem Argument des Fehlens eines Mordvorsatzes bzw. daß die Tat nur aus Unbesonnenheit begangen wurde, stehen einerseits der Akteninhalt, nachdem der Angeklagte schon vor der Tat von einem Angriff auf Kurt Pi***** gesprochen hat, der Letzteren kampfunfähig machen sollte (vgl 67, 79, 135/I), andererseits die Annahme des Geschworenengerichtes zur subjektiven Tatseite entgegen. Diesbezüglich ist - ebenso wie hinsichtlich der Behauptung des Rücktritts vom Versuch durch den Angeklagten - auf die Ausführungen in Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde zu verweisen.

Da somit die vom Geschworenengericht ausgemittelte Strafe mit dem Erfolgsunwert der Tat nicht im Einklang steht, war unter richtiger Gewichtung der Strafzumessungsgründe sowie der Täterpersönlichkeit und der Schwere der Tat mit der im Spruch genannten Erhöhung der Strafe sämtlichen persönlichkeits- und tatbezogenen Kriterien des gegenständlichen Falles entsprechend Rechnung zu tragen.

Der Angeklagte war mit seiner Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen.

Letztlich ist die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Unterbleiben des Widerrufs der im Verfahren zum AZ 15 b U 213/93 des Jugendgerichtshofes Wien gewährten bedingten Strafnachsicht der dort über den Angeklagten verhängten Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Monat nicht berechtigt, scheint doch ein Widerruf zusätzlich zu seiner neuerlichen Verurteilung nicht mehr erforderlich, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten (§ 53 Abs 1 StGB). Selbst unter Berücksichtigung einer allfälligen (noch nicht aktuellen) Möglichkeit einer bedingten Entlassung aus dieser Freiheitsstrafe erzeugt der Vollzug einer langjährigen Freiheitsstrafe dann, wenn eine bedingte Entlassung mit Grund verfügt wird, wohl eine derart spezialpräventive Wirkung, daß es der Verbüßung einer einmonatigen Freiheitsstrafe dann nicht mehr bedarf (15 Os 58, 59/95 ua).

Demgemäß war der Beschwerde der Staatsanwaltschaft ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390 a StPO.

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