OGH 11Os66/96

OGH11Os66/969.7.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 9.Juli 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Hager, Dr.Schindler, Mag.Strieder und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Spieß als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Ernst P***** (verehelichter K*****) und einen anderen wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Ernst P***** (verehelichter K*****) gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 22.November 1995, GZ 11 Vr 3298/94-41, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch des Angeklagten Ernst P***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (PunktA/b/I des Urteilssatzes) und demgemäß auch in dem diesen Angeklagten treffenden Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ernst P***** (ua) des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (Punkt A/b/I des Urteilssatzes) schuldig erkannt, weil er am 12.März 1995 in Graz Natascha A***** in zwei Angriffen durch gefährliche Drohung mit gegenwärtiger schwerer Gefahr für Leib und Leben sowie mit Gewalt zur Duldung des Beischlafes und zur Vornahme eines Oralverkehrs, somit einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, nötigte.

Rechtliche Beurteilung

Die (ihrem Inhalt nach) allein auf diesen Schuldspruch abgestellte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten releviert § 281 Abs 1 Z 3 und 5 a StPO.

Die Beschwerde ist unter dem Aspekt der Verfahrensrüge (Z 3) berechtigt, die sich zu Recht gegen die Verlesung der Aussagen der Zeugin Natascha A***** in der Hauptverhandlung vom 22.November 1995 trotz des Widerspruchs der Verteidigerin wendet.

Die Verlesung der Aussage eines Zeugen wegen seines unbekannten Aufenthaltes nach - dem unter der Nichtigkeitssanktion (Z 3) stehenden - § 252 Abs 1 Z 1 StPO setzt voraus, daß (zumindest) die Ausforschung des Zeugen durch die Sicherheitsbehörden versucht wurde, aber ohne positives Ergebnis blieb (Mayerhofer/Rieder, StPO3 § 252 E 34 a und 34 b). Da mit der (bloßen) Verlesung der Aussage eines Belastungszeugen das für ein faires Verfahren im größtmöglichen Umfang einzuräumende Fragerecht des Angeklagten beschnitten wird, erfordert die Auslegung der genannten Bestimmung, daß vorher die aus dem Akt nachvollziehbaren Möglichkeiten der Ausforschung des Zeugen ausgeschöpft wurden.

Der bekämpfte Schuldspruch basiert in erster Linie auf den Aussagen der Zeugin Natascha A***** vor der Gendarmerie (ON 2 der ON 23 in ON 38, 21 ff/I) und vor dem Untersuchungsrichter (ON 5 der ON 23 in ON 38). Diese Aussagen wurden in der Hauptverhandlung vom 22.November 1995 trotz Widerspruchs der Verteidigerin verlesen (29, 41/II iVm ON 46), wobei das Erstgericht die Verlesung unter Hinweis auf einen Aktenvermerk (offenbar der Geschäftsabteilung) vom 17.November 1995 (1 g verso) auf § 252 Abs 1 Z 1 StPO stützte. Demnach teilte der Gendarmerieposten Gleisdorf im Anschluß an einen (unjournalisiert) im Akt erliegenden Bericht des Postamtes Gleisdorf über die Nichtbehebung der hinterlegten Zeugenladung mit, daß die Zeugin "bereits am 28.9.1995 amtlich abgemeldet" worden und der "dzt. Aufenthaltsort der Natascha A*****" "nicht bekannt" sei.

Nach der Aktenlage fehlt der (allein eingeholten) telefonischen Auskunft des Gendarmeriepostens Gleisdorf, wonach die Zeugin Natascha A***** im September 1995 amtlich abgemeldet wurde, (derzeit) die Eignung für die Annahme eines nicht erreichbaren Beweismittels. Zunächst fällt auf, daß das Postamt Gleisdorf eine Zustellung der Ladung vornahm (vgl die Feststellung des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung vom 22.November 1995, die Ladung der Zeugin sei durch Hinterlegung ausgewiesen 29/II), und in der Folge die nicht behobene Ladung zurückstellte, sowie daß - wie sich aus dem Aktenvermerk vom 22.November 1995 (1 g verso) ergibt - die Zeugin offenbar einen noch aufrechten Telefonanschluß besaß. Hinzu kommt aber vor allem, daß im Akt mehrere Kontaktadressen angeführt sind, deren Überprüfung zwecks Ausforschung der Zeugin jedenfalls geboten gewesen wäre, ehe von einem unbekannten, weil auch mit Hilfe von Erhebungen der Sicherheitsbehörde nicht feststellbaren Aufenthalt von Natascha A***** ausgegangen und damit deren Aussage im Vorverfahren verlesen werden durfte. Dies gilt für die ehemalige Unterkunft der Genannten in einem Wohnprojekt (121 in ON 38), für die Adressen jener Freunde bzw Verwandten - hier insbesondere der Tante Gertrude G***** in 8311 Markt Hartmannsdorf, Reith 18 -, wo die Zeugin mitunter nächtigte (79 in ON 38 sowie 25, 27 je in ON 23 in ON 38), für die Wohnung ihrer Mutter Hertha A***** in 8321 St.Margarethen, Takern I, Haus Nr.3 (85 in ON 38), für die (ehemalige?) Berufsadresse (263 in ON 38) und den ständigen Aufenthalt während der Freizeit (17, 25 in ON 23 in ON 38) sowie für die Adresse des Jugendamtes Weiz, Nebenstelle Gleisdorf (20, 85 je in ON 38).

Davon ausgehend durfte sich der Schöffensenat vor Durchführung zweckdienlicher Erhebungen über den Aufenthalt der Natascha A***** nicht mit der Verlesung der Aussagen der Zeugin in der Hauptverhandlung begnügen.

Da sich somit eine Verfahrenserneuerung als unumgänglich erweist, war das angefochtene Urteil - ohne daß auf die weiteren Ausführungen eingegangen werden mußte - in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde schon bei der nichtöffentlichen Beratung wie im Spruch aufzuheben (§ 285 e StPO).

Damit ist die Berufung gegenstandslos.

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