Spruch:
1.) Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.
2.) Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung unter Einbeziehung der unangefochten gebliebenen Teile zu lauten hat:
Die Klagsforderung besteht mit S 1,310.009,70 samt 8 % Zinsen seit 6.3.1986 zu Recht.
Die Gegenforderung besteht mit S 129.708,50 (netto) samt 4 % Zinsen vom 1.1.1987 bis 15.9.1989 zu Recht; hinsichtlich des weiteren Betrages bis zur Höhe der Klagsforderung besteht die Gegenforderung nicht zu Recht.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 1,310.009,70 samt 8 % Zinsen seit 6.3.1986 abzüglich S 129.708,50 samt 4 % Zinsen vom 1.1.1987 bis 15.9.1989 binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
3.) Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die Verfahrenskosten
der ersten Instanz von S 142.968,96 (darin S 20.156,16 USt und S 22.032,-- Barauslagen),
der zweiten Instanz von S 57.561,60 (darin S 6.273,60 USt und S 19.920,-- Barauslagen) sowie
der dritten Instanz von S 88.667,50 (darin S 5.092,50 USt und S 26.510,-- Barauslagen)
binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte war bis 3.März 1986 bei der klagenden Versicherungs AG als Direktionssekretärin im Angestelltendienstverhältnis mit einem monatlichen Bruttogehalt von zuletzt S 55.510,-- beschäftigt. Aufgrund fingierter Schadensfälle erhielt sie von dieser am 6.August 1980 S 488.844,-- und am 9.März 1981 S 351.091,--. Am 25.September 1979 wurden ihr nach einem Erdrutsch auf einem ihr gehörigen Grundstück S 150.000,-- als Kulanzzahlung geleistet, obschon der Schaden durch die bei der Klägerin bestehende Sturmschadenversicherung nicht gedeckt war. Die Zahlung der klagenden Partei erfolgte über Zusage des Generaldirektors R*****, in dessen Kompetenzbereich Kulanzzahlungen fielen.
Am 9.Mai 1981 wurden der Beklagten auf dem Konto ihres Gatten S 995.000,-- gutgeschrieben. Von diesem Betrag zahlte sie S 900.000,-- an Dr.R***** zurück und behielt auf Grund seiner Erklärung, es handle sich insoweit um eine Gratifikation für Überstundenleistung und Mehrarbeit bei der Umstellung auf EDV, den Rest von S 95.000,-- für sich.
Punkt 7 des Dienstvertrages der Beklagten sieht einen Abfertigungsanspruch auch bei Selbstkündigung vor. Der bezügliche Teil des Dienstvertrages lautet weiter wie folgt:
"Der Abfertigungsanspruch ist nur dann verwirkt, wenn Sie ohne wichtigen Grund gemäß § 26 AngG vor Erreichung des 65. Lebensjahres austreten oder das Dienstverhältnis aus einem groben Verschulden vom Dienstgeber gelöst wird, der nach § 27 AngG die Entlassung rechtfertigt......"
Als die Beklagte am 3.März 1986 mit den Vorwürfen, aus fingierten Schadensmeldungen Beträge erhalten zu haben, konfrontiert und ihr die Selbstkündigung nahegelegt wurde, löste sie das Dienstverhältnis zur klagenden Partei durch Arbeitnehmerkündigung auf. Sie verpflichtete sich selbst und durch ihren freigewählten Vertreter in Vereinbarungen vom 3. und 6.März 1986 zur Rückzahlung eines Betrages von S 2,476.009,70 samt 8 % Zinsen pa ab 4.März 1986 bzw 6.März 1986. In der Folge wurde sie wegen des versuchten schweren Betruges nach §§ 15, 146, 147 Abs 3 StGB rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt.
Die Beklagte hat gegen die klagende Partei Ansprüche auf Provisionen in der Höhe von S 129.708,50 netto samt 4 % Zinsen für den Zeitraum vom 1.Jänner 1987 bis 15.September 1989. Sie erhob im Verfahren 8 Cga 47/93 des ASG Wien gegen die klagende Partei Provisionsansprüche aus den Jahren 1987 bis 1991 im Umfang von S 277.218,50. Daraufhin brachte die klagende Partei aufgrund der Anerkenntnisse der Beklagten vom 3. und 6.März 1986 zu 8 Cga 6/93 des ASG Wien die vorliegende Widerklage über zuletzt S 1,310.009,70 samt 8 % Zinsen seit 6.März 1986 ein. Die beklagte Partei wendete dagegen eine Gegenforderung von zuletzt S 1,069.953,27 netto aus dem Grunde der Abfertigung (netto S 790.244,77,--, ON 12), Provision und des Schadenersatzes und von S 432.845,24 brutto an Überstundenentgelt jeweils samt 8 % Zinsen bis zur Höhe der Klagsforderung aufrechnungsweise ein.
Das Erstgericht sprach über die Provisionsforderung der Klägerin mit Teilurteil vom 16.Februar 1994 (8 Cga 47/93-13) ab. Ausgehend von dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt stellte das Erstgericht im Verfahren 8 Cga 6/93x die Klagsforderung mit S 1,310.009,70 und die Gegenforderung mit S 1,069.953,27 als zu Recht bestehend, die restliche Gegenforderung bis zur Höhe der Klagsforderung dagegen als nicht zu Recht bestehend fest und verpflichtete die Beklagte, der klagenden Partei S 240.056,05 samt 8 % Zinsen seit 6.März 1986 zu bezahlen.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, die Auszahlung der Abfertigung sei nicht sittenwidrig, der Vorschlag, die Beklagte solle kündigen, sei von der klagenden Partei ausgegangen. Nach dem Inhalt des Dienstvertrages sei die Klägerin zur Zahlung der Abfertigung auch bei Dienstnehmerkündigung verpflichtet. Die Zahlung einer Abfertigung entfalle lediglich bei Auflösung des Dienstverhältnisses aus wichtigem Grund (Entlassungsgrund gemäß § 27 AngG). Da die klagende Partei und die Beklagte jedoch bei Ausspruch der Kündigung durch die Beklagte keine andere Vereinbarung getroffen hätten, treffe die Klägerin die sich aus dem Dienstvertrag ergebende Verpflichtung zur Zahlung der Abfertigung. Die Beklagte habe auch Anspruch auf S 150.000,-- (netto) als Schadenersatz für das Ereignis im Jahre 1978, weil Dr.R***** den Ersatz zugesagt habe, dies müsse die klagende Partei gegen sich gelten lassen.
Das Berufungsgericht gab der gegen das erstgerichtliche Urteil erhobenen Berufung der klagenden Partei - die Abweisung der Gegenforderung aus Überstundenentgelten blieb durch die Beklagte unangefochten - teilweise Folge, indem es die Klagsforderung mit einem Betrag von S 1,310.009,70 samt 8 % Zinsen seit 6.März 1986 als zu Recht bestehend, die Gegenforderung mit S 919.953,27 samt 4 % Zinsen aus S 790.244,77 seit 4.März 1986 und aus S 129.708,50 vom 1. Jänner 1987 bis 15.September 1989 als zu Recht bestehend feststellte. Die Beklagte sei daher schuldig, der klagenden Partei S 1,310.009,-- sA abzüglich S 790.244,77 und S 129.708,50 sA zu bezahlen.
Unberechtigt sei zwar die Berufung der klagenden Partei, soweit sie sich gegen die Abfertigungsforderung der beklagten Partei wende, hingegen insoweit berechtigt, als sie sich gegen einen Teilbetrag von S 150.000,-- netto und gegen die unrichtige Zinsenforderung aus den Provisionsansprüchen der Beklagten richte. Ungeachtet des Vorliegens eines Entlassungsgrundes habe die klagende Partei ein Verhalten gesetzt, das sie sich als schlüssigen Verzicht auf das ihr zustehende Entlassungsrecht zurechnen lassen müsse. Nehme nämlich ein zur Erklärung einer fristlosen Entlassung Berechtigter bewußt sein Recht zur vorzeitigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht wahr, so werde mangels Geltendmachung eines wichtigen Grundes auf das Entlassungsrecht verzichtet. Ein solcher Verzicht könne ausdrücklich durch Erklärung oder stillschweigend erfolgen. Der in Kenntnis der erfolgten unberechtigten Zahlungen an die Beklagte erstattete Vorschlag der klagenden Partei, die Beklagte solle selber kündigen, und die Annahme dieses Vorschlages durch die Beklagte könne nur als schlüssiger Verzicht der klagenden Partei auf ihr Entlassungsrecht verstanden werden. Damit sei die klagende Partei aufgrund des Dienstvertrages zur Zahlung der der Höhe nach unbestrittenen Abfertigung verpflichtet.
Soweit sich die klagende Partei gegen die Gegenforderung der Beklagten im Ausmaß von S 150.000,-- (Schaden 1978) wende, sei der Einwand zutreffend. Das Erstgericht habe außer acht gelassen, daß sich die Beklagte verpflichtet habe, unter anderem auch diesen Betrag von S 150.000,-- an die klagende Partei zurückzuzahlen. Weiters sei der Zinsenlauf der Provisionsforderung zu berichtigen.
Gegen das berufungsgerichtliche Urteil richten sich die Revisionen beider Streitteile jeweils aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und zwar
1.) der beklagten Partei gegen die Verneinung der weiteren Gegenforderung von S 150.000,-- netto und mit dem Antrag, es abzuändern und die Gegenforderung insgesamt mit einem Betrag von S 1,069.953,27 sA als zu Recht bestehend festzustellen;
2.) der klagenden Partei gegen die Feststellung einer über den Betrag von S 129.708,50 samt 4 % Zinsen vom 1.1.1987 bis einschließlich 15. September 1989 hinaus- gehenden Gegenforderung und mit dem Antrag, es in der nunmehr aus Punkt 2.) des Urteilspruches ersichtlichen Weise abzuändern.
Beide Streitteile beantragen in ihren Revisionsbeantwortungen, den Revisionen der Gegenseite nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der klagenden Partei ist berechtigt, nicht aber die der beklagten Partei.
1.) Die klagende Partei wendet sich gegen die Berücksichtigung der Abfertigung der Beklagten; der Vorschlag der klagenden Partei, die Beklagte solle ihr Arbeitsverhältnis selbst kündigen, könne nicht als schlüssiger Verzicht auf das Entlassungsrecht angesehen werden. Nachfolgende Erhebungen hätten nämlich ergeben, daß nach der Zusage des Klagevertreters, für den Fall der Refundierung eines Betrages von
S 900.000,-- wäre über allfällige Abfertigungsansprüche der Beklagten zu verhandeln, noch weitere rechtswidrige Überweisungen an die Beklagte aufgedeckt worden seien. Die angeführte Vereinbarung, die zur Selbstkündigung der Beklagten geführt habe, sei dahin zu verstehen, daß eine Abfertigung nur dann an die Beklagte bezahlt werden könnte, wenn sie sich keines zur Entlassung berechtigenden Fehlverhaltens schuldig gemacht hätte. Die Beklagte habe durch ihre schwerwiegenden Treueverstöße den Abfertigungsanspruch verloren, seine Geltendmachung erscheine rechtsmißbräuchlich.
Im Verfahren 8 Cga 195/93 des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien wurde der Anspruch der Beklagten auf Zahlung einer Abfertigung wegen Verjährung rechtskräftig abgewiesen (siehe 8 Ob 284/94). Da die Aufrechnung auf den Zeitpunkt zurückwirkt, in dem sich die Forderungen zuerst aufrechenbar gegenüberstanden (Aufrechnungslage, vgl E 2 zu § 1438 ABGB in MGA34), ist die Aufrechnung mit einer verjährten Forderung auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die Klage auf Zahlung dieser Forderung rechtskräftig wegen Verjährung abgewiesen wurde (4 Ob 546/95). Wenn auch die beklagte Partei ihre Abfertigungsforderung somit dennoch als Gegenforderung geltend machen kann so erweist sich diese aus nachstehenden Erwägungen aber als nicht berechtigt:
Regelmäßig bedeutet zwar der in Kenntnis eines Entlassungsgrundes vom Arbeitgeber erstattete Vorschlag, der Arbeitnehmer solle selbst kündigen, einen die Ansprüche des Arbeitnehmers wahrenden Verzicht auf die Ausübung des Entlassungsrechtes. Dies kann aber nicht für einen Fall wie den vorliegenden gelten, in dem der Vorschlag der klagenden Partei zur Arbeitnehmerkündigung Teil einer Gesamtvereinbarung war, wonach die Beklagte ua die ihr aus Manipulationen zugeflossenen Beträge in Raten zurückzahlen müsse. Lediglich eine Verwendungszusage des Vertreters der klagenden Partei hatte eine Berücksichtigung der Abfertigung für den Fall der ordnungsgemäßen Bezahlung dieser Raten in Form eines Nachlasses von den Rückzahlungen in Aussicht gestellt. Nach dem gesamten Ablauf der Gespräche vom 3. und 6.3.1986 mit der Entlassungsdrohung und dem Verzicht auf Fälligstellung eines teilweise noch offenen Arbeitgeberdarlehens ist die "vereinbarte" Selbstkündigung der Beklagten jedenfalls als Teil einer abschließenden Regelung zu verstehen, durch die die Vereinbarungen im Arbeitsvertrag überholt wurden. Die Bedingung der ordnungsgemäßen Ratenzahlung hat die Beklagte in der Folge aber nicht erfüllt, weshalb die klagende Partei auch ihr Recht aus dem vereinbarten Terminsverlust (bei Nichtzahlung von zwei Raten) geltend machte. Damit war aber auch der vorgenannten Verwendungszusage - allfällige Berücksichti- gung der Abfertigungsforderung in Form eines Abschlages - die Grundlage entzogen. Nach dem im Wege der hypothetischen Vertragsauslegung ermittelten vorstehenden Inhalt der Gesamtvereinbarung der Streitteile verstieße die Geltendmachung eines Abfertigungsanspruches durch die Beklagte somit aber jedenfalls auch gegen Treu und Glauben.
Der Revision der klagenden Partei war daher Folge zu geben und das Bestehen der auf einen Abfertigungsanspruch gegründeten Gegenforderung zu verneinen.
2.) Zur Gegenforderung von S 150.000,-- netto ("Kulanzzahlung" an die beklagte Partei aus einer Sturmschadenversicherung für den durch einen Erdrutsch in der Baugrube der Beklagte entstandenen Schaden) macht die Beklagte in ihrer Revision geltend, die klagende Partei müsse die Kulanzzusage des Dr.R***** gegen sich gelten lassen. Die klagende Partei habe sich entgegen dem Neuerungsverbot auch erstmalig in der Berufung insoweit auf den Rechtsgrund des nachfolgenden konstitutiven Anerkenntnisses bezogen.
Dem ist zu erwidern, daß die klagende Partei im Sinne der Ausführungen in ihrer Revisionsbeantwortung den Betrag von S 150.000,-- bereits in ihrer Klage unter Hinweis auf das Anerkenntnis der Rückzahlungspflicht der Beklagten zurückgefordert hat und diese Klageforderung auch von beiden Vorinstanzen als zu Recht bestehend erkannt wurde. Die Beklagte hatte diesen Betrag aber als hinsichtlich eines Schadens "vereinbarte" Kulanzzahlung ihrerseits wiederum aufrechnungsweise eingewendet und das Erstgericht stellte rechtsirrtümlich - nämlich ungeachtet obigen Anerkenntnisses - eine solche Gegenforderung fest. Das Berufungsgericht hat demgemäß ohne Verstoß gegen das Neuerungsverbot das Bestehen dieser Gegenforderung verneint (Urteil S 7/8).
Der Revision der Beklagten war daher nicht Folge zu geben.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 43 Abs 1 und 50 ZPO. Die klagende Partei ist mit rund 90 % ihres Klagebegehrens durchgedrungen, sie hat somit Anspruch auf Ersatz von 80 % ihrer Verfahrenskosten erster Instanz bzw 90 % ihrer Barauslagen, während ihr ihre Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zur Gänze zuzusprechen sind.
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