Spruch:
Der Vorgang, daß über die Beratung und Abstimmung des Landesgerichtes Wiener Neustadt bei Fassung des Beschlusses vom 20.Juli 1995, GZ 11 b Vr 322/93-95, weder ein Beratungsprotokoll aufgenommen, noch ein vom Schriftführer unterfertigter Abstimmungsvermerk hergestellt wurde, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 120 Abs 5 Geo.
Der Beschluß wird aufgehoben und dem Landesgericht Wiener Neustadt die neuerliche Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag des Verurteilten aufgetragen.
Text
Gründe:
Rechtliche Beurteilung
In der geschworenengerichtlichen Strafsache gegen Mehmet Ü***** wegen der Verbrechen des versuchten schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 2. Fall StGB sowie des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB lehnte das Landesgericht Wiener Neustadt durch einen Senat von drei Richtern in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluß vom 20.Juli 1995, GZ 11 b Vr 322/93-95, einen Antrag des rechtskräftig Verurteilten auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens ab. Einer Beschwerde des Verurteilten gegen diesen Beschluß gab das Oberlandesgericht Wien am 24. August 1995 keine Folge (ON 98/III).
Aus dem Akt ist über die prozessualen Umstände der erstinstanzlichen Beschlußfassung lediglich ein vom Berichterstatter verfaßter Entwurf eines Abstimmungs- vermerks (§ 120 Abs 5 Geo) ersichtlich, der nicht unterschrieben wurde. Inhaltlich dieses vorbereitend ausgefüllten Vermerks entschied als weiteres Senatsmitglied ein Richter, der gemäß § 68 Abs 3 StPO von der Beschlußfassung ausgeschlossen war. Diese Ausgeschlossenheit hatte bereits vorher in aktenkundiger Weise Beachtung gefunden (ON 84/III). Ferner ist im Vermerkentwurf neben dem Vorsitzenden als weiterer Sitzungsteilnehmer ein Staatsanwalt angeführt (AS 277/III).
Der Versuch, eine nähere Aufklärung über die Sitzungsvorgänge herbeizuführen, ergab, daß
- aller Wahrscheinlichkeit nach der Sitzung kein Schriftführer beigezogen war;
- es unwahrscheinlich ist, daß der im Vermerk genannte Richter, dessen Ausgeschlossenheit bereits aktenmäßig erwähnt worden war, sich tatsächlich an der Beschlußfassung beteiligt hat, die damalige Senatszusammen- setzung jedoch nicht mehr rekonstruierbar ist;
- es nicht mit Gewißheit feststellbar ist, ob ein Vertreter der Anklagebehörde an der Beratung teilgenommen hat, wofür seit der Änderung des § 35 Abs 2 StPO durch das StPÄG 1993 keine Rechtsgrundlage gegeben wäre.
Somit läßt die Aktenlage ohne jegliche Sachverhaltswürdigung jedenfalls den Befund zu, daß eine gesetzmäßige Dokumentation der einschlägigen strafgericht- lichen Tätigkeit durch eine öffentliche Urkunde nicht erfolgt ist, weil über die Sitzung kein (unter besonderen Gegebenheiten erforderlicher) Beratungsprotokoll und auch kein (als Mindeststandard gebotener) von einem Schriftführer unterfertigter Abstimmungsvermerk vorliegt (§ 120 Geo).
Im gerichtlichen Strafverfahren ist gemäß § 23 StPO jeder Gerichtssitzung - und damit auch jeder Sitzung des im § 13 Abs 3 StPO genannten Senates - ein Schriftführer beizuziehen (Lohsing-Serini, 138; Mayer, Commentar zu § 23 Nr 12). Bei Beurkundung der Beratung und Abstimmung durch einen Vermerk hat der Schriftführer diesen Abstimmungsvermerk zu unterschreiben (§ 120 Abs 5 Geo). Im Hinblick auf die gesetzlich angeordnete Beiziehung eines Schriftführers sind im Strafverfahren die für andere Verfahrensarten vorgesehenen Regelungen über die zugelassene Nichtbeteiligung eines Schriftführers (§ 121 Abs 5 Geo) nicht anwendbar.
Der unterlaufene Verstoß gegen § 120 Abs 5 Geo hat zur Folge, daß die indizierten Möglichkeiten weiterer Gesetzesverstöße mit abstrakt in Betracht kommenden verfahrensrechtlichen Benachteiligungen des Verurteilten nicht ausschließbar sind, weshalb im Sinne des § 292 letzter Satz StPO der von der mangelhaften Beurkundung betroffene Beschluß zu beheben und eine Erneuerung der Entscheidung anzuordnen war.
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