OGH 6Ob2112/96y

OGH6Ob2112/96y20.6.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der Betroffenen Michaela H*****, vertreten durch Dr.Michael Metzler, Rechtsanwalt in Linz, Sachwalterin Helga Rittenauer-Schatka, Verein für Sachwalterschaft und Patientenanwaltschaft in Linz, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Betroffenen gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz als Rekursgerichtes vom 7.März 1996, GZ 13 R 487/95-62, womit dem Rekurs der Sachwalterin nicht Folge gegeben und der Beschluß des Bezirksgerichtes Linz vom 13. November 1995, GZ 5 P 1079/95f-54, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs der Betroffenen wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird als nichtig aufgehoben.

Dem Rekursgericht wird eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen.

Text

Begründung

Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 3.8.1994 wurde für die Betroffene ein Sachwalter für die Besorgung der finanziellen Angelegenheiten und für den Umgang mit Ämtern, Behörden und Gerichten bestellt. Das Erstgericht stellte eine geringgradige geistige Behinderung und eine gestörte emotionale Entwicklung der Betroffenen fest (ON 20). Über Rekurs der bestellten Sachwalterin änderte das Rekursgericht deren Wirkungskreis dahin ab, daß sie für die Einkommens- und Vermögensverwaltung und zur Vertretung bei Ämtern, Behörden und Gerichten bestellt wurde (ON 25).

Am 3.5.1995 beantragte die Betroffene, vertreten durch einen Rechtsanwalt, die Aufhebung der Sachwalterschaft. Der Bestellung eines Sachwalters sei eine Lebenskrise zugrundegelegen. Die Voraussetzungen für eine Sachwalterschaft lägen jetzt nicht mehr vor (ON 33). Eine geistige Behinderung sei nicht mehr gegeben (ON 35). Am 13.7.1995 beantragte der Rechtsvertreter der Betroffenen, deren Vollmachtserteilung betreffend den Antrag auf Aufhebung der Sachwalterschaft zur Kenntnis zu nehmen; hilfsweise wurde beantragt, die Vollmachtserteilung zu genehmigen (ON 43).

Das Erstgericht wies den Antrag auf Beendigung der Sachwalterschaft ab (ON 54), weiters auch den Antrag auf Kenntnisnahme der Vollmachtserteilung und den hilfsweisen Antrag auf Genehmigung der Vollmachtserteilung (ON 55). Der erstgenannte Beschluß wurde dem gewählten Rechtsvertreter der Betroffenen nicht zugestellt.

Gegen die Abweisung des Antrages auf Aufhebung der Sachwalterschaft erhob die Sachwalterin Rekurs. Der Rechtsvertreter der Betroffenen rekurrierte nur gegen den Beschluß ON 55.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Sachwalterin nicht Folge und bestätigte die Abweisung des Antrages auf Aufhebung der Sachwalterschaft (P I. der Rekursentscheidung). Dem Rekurs der Betroffenen wurde Folge gegeben und die erstinstanzliche Entscheidung dahin abgeändert, daß die Vollmachtserteilung der Betroffenen an den Rechtsanwalt betreffend den Antrag auf Aufhebung der Sachwalterschaft und das über diesen Antrag durchgeführte Verfahren sachwalterschaftsbehördlich zur Kenntnis genommen wird (P II. der Rekursentscheidung). Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Gegen die Bestätigung der Abweisung des Antrages auf Aufhebung der Sachwalterschaft richtet sich der Revisionsrekurs der Betroffenen mit dem Antrag, die Entscheidung des Rekursgerichtes als nichtig aufzuheben und den Unterinstanzen die Fortsetzung des Verfahrens über den Aufhebungsantrag aufzutragen (hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag ohne Ausspruch über die Nichtigkeit gestellt).

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Die Wahrnehmung einer Nichtigkeit ist stets aus Gründen der Rechtssicherheit geboten. Bei Vorliegen einer Nichtigkeit ist die Zulässigkeit des Rechtsmittels wegen erheblicher Rechtsfrage zu bejahen (Kodek in Rechberger ZPO Rz 4 zu § 502 mwN). Dies gilt auch im außerstreitigen Verfahren (5 Ob 55/91).

Zutreffend rügt die Rekurswerberin, daß der erstinstanzliche Beschluß ihrem Vertreter zugestellt hätte werden müssen. Das Verfahren über die Bestellung von Sachwaltern für behinderte Personen nach § 273 ABGB ist in den §§ 236 bis 252 AußStrG geregelt. Gemäß § 251 AußStrG sind die Bestimmungen der §§ 236 bis 250 leg cit auf die Beendigung der Sachwalterschaft entsprechend anzuwenden. Das Gesetz normiert in eindeutiger Weise das Recht des Betroffenen, selbst einen Rechtsvertreter zu wählen. Sowohl der Beschluß über die Einstellung des Verfahrens als auch derjenige über die Bestellung eines Sachwalters ist auch dem Vertreter des Betroffenen zuzustellen (§ 246 AußStrG). Dem Vertreter steht ein Rekursrecht gegen die Bestellung des Sachwalters zu (§ 249 Abs 2 AußStrG). Aufgrund der Verweisungsnorm des § 251 leg cit gelten die angeführten Gesetzesbestimmungen auch für die Beendigung der Sachwalterschaft. Der gewählte Vertreter des Betroffenen ist Beteiligter des Verfahrens. Der die Aufhebung der Sachwalterschaft ablehnende Beschluß des Erstgerichtes hätte daher auch dem Rechtsvertreter der Betroffenen zugestellt werden müssen. Das dem Vertreter des Betroffenen (neben dessen eigener Rechtsmittelbefugnis) eingeräumte Rekursrecht dient dem Schutz des Betroffenen, vor allem in dem Fall, daß er aufgrund seiner Behinderung zur Erhebung eines geeigneten Rechtsmittels nicht in der Lage ist. Der Betroffenen und ihrem gewählten Vertreter hätte aber auch eine Ausfertigung des Rekurses der Sachwalterin gegen den erstinstanzlichen Beschluß zugestellt werden müssen. Wenn ein Rekurs nämlich nicht vom Betroffenen oder seinem Vertreter, sondern - wie hier - vom Sachwalter erhoben wird, ist das Rekursverfahren gemäß § 249 Abs 3 AußStrG zweiseitig. Diesfalls ist (je) eine Rekursausfertigung an den Betroffenen und seinen Vertreter zuzustellen. Diesen Personen steht eine Rekursbeantwortung frei. Im vorliegenden Fall wurden die Betroffene und ihr gewählter Vertreter am Verfahren über den Rekurs der Sachwalterin nicht beteiligt. Das Rekursgericht hat diesen Umstand nicht beachtet und damit das Recht der Genannten auf Gehör verletzt. Die Rekursentscheidung ist daher - worauf im Revisionsrekurs im Ergebnis zutreffend verwiesen wird - nichtig und aus diesem Grund aufzuheben. Das Rekursgericht wird im fortzusetzenden Verfahren die Zustellung des erstinstanzlichen Beschlusses an den gewählten Vertreter der Betroffenen sowie die Zustellung von Ausfertigungen des Rekurses der Sachwalterin (ON 59) an die Betroffene und ihren Vertreter zu veranlassen haben. Es wird sodann nach Ablauf der Rekursfrist bzw der Frist für die Rekursbeantwortung über den Rekurs der Sachwalterin (und einen allenfalls erhobenen Rekurs des Vertreters der Betroffenen) zu entscheiden haben.

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