OGH 12Os42/96(12Os43/96)

OGH12Os42/96(12Os43/96)23.5.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 23.Mai 1996 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schindler, Dr.Rouschal, Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Waldner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Josip M***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 Z 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen die Urteile des Landesgerichtes Leoben vom 17.März 1995, GZ 12 E Vr 809/94-15a, und des Oberlandesgerichtes Graz vom 24. Juli 1995, AZ 9 Bs 251/95, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Tiegs, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren 12 E Vr 809/94 des Landesge- richtes Leoben ist das Gesetz in der Bestimmung des § 88 Abs 2 Z 4 StGB verletzt:

1. durch Punkt 1 des freisprechenden Teils des Urteils des Landesgerichtes Leoben vom 17.März 1995,

2. durch die Bestätigung dieses Freispruchs mit Berufungsentscheidung des Oberlandesgerichtes Graz vom 24.Juli 1995, AZ 9 Bs 251/95.

Text

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Leoben legte Josip M***** im oben bezeichneten Verfahren mit Strafantrag vom 22.August 1994 als Vergehen der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 Z 1 StGB (1.), der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 3 (§ 81 Z 1) StGB (2.) und der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 StGB (3.) zur Last, am 24.Juli 1994 in Unterkainisch auf der Salzkammergutbundesstraße B 145 als Lenker des PKW Peugeot 741, polizeiliches Kennzeichen GM 72 AH, unter dem Einfluß einer, wenngleich geringgradigen, Alkoholisierung mit überhöhter Geschwindigkeit bei Dunkelheit ein Überholmanöver durchgeführt zu haben, dadurch mit seinem Fahrzeug von der Straße abgekommen und gegen eine Böschung gefahren zu sein, wobei sich das Fahrzeug überschlug, nach Überqueren der B 145 zwischen (richtig: neben) dem Gleiskörper der Salzkammergutbahn auf den Rädern stehend zum Stillstand kam und dadurch unter besonders gefährlichen Verhältnissen fahrlässig

1. den Tod der Ivanka St***** und der Sanela S***** herbeigeführt,

2. Brigitta L***** und Branko S*****, die jeweils multiple Prellungen und Excoreationen erlitten, am Körper verletzt sowie

3. eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit der Snjezana J***** und der Sladjana M***** herbeigeführt zu haben (ON 3).

Das Landesgericht Leoben sprach Josip M***** mit Urteil vom 17.März 1995, GZ 12 E Vr 809/94-15a, lediglich der Vergehen der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB und der fahrlässigen Körperverletzung an Brigitta L***** nach § 88 Abs 1 StGB schuldig, während es hinsichtlich der übrigen Anklagepunkte einen Freispruch gemäß § 259 Z 3 StPO fällte.

Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen ereignete sich der Unfall auf einer 5,7 m breiten, mit einer Leitlinie versehenen Freilandstraße (US 4), die sich im Unfallbereich - bis zu einem Meter in die Fahrbahn hineinreichend - in einem sehr desolaten Zustand befand, weil sie teilweise ausgebrochen, gerissen und aufgewölbt war (US 5). Mit Ausnahme eines eine Fahrbahnverengung anzeigenden Gefahrenzeichens war - aus der Fahrtrichtung des Angeklagten gesehen - kein Hinweis auf diesen Straßenzustand vorhanden. Die Fahrbahn war zur Unfallszeit (um 4,30 Uhr) trocken und es herrschte wenig Verkehr. Josip M*****, welcher an einer Hochzeitsfeier teilgenommen hatte und leicht alkoholisiert war (Blutalkoholwert: 0,4 %o) überholte einen vor ihm mit 80 bis 90 km/h fahrenden PKW, erhöhte dabei die Geschwindigkeit von 90 bis 100 km/h auf etwa 117 km/h und hielt einen Seitenabstand von ca 1,5 m ein. Durch Unachtsamkeit kam er mit seinem Fahrzeug zu weit nach links und deshalb auf dem desolaten linken Fahrbahnrand ins Schleudern. Nach einem Rechtslenkmanöver geriet er über den rechten Fahrbahnrand hinaus auf eine Böschung und kam schließlich - nach abermaliger Überquerung der Fahrbahn - außerhalb des linken Fahrbahnrandes zum Stillstand (US 6, 7). Von den im PKW des Angeklagten mitfahrenden Personen wurden Ivanka St***** und Sanela S***** tödlich, Brigitta L***** (durch multiple Excoreationen und Prellungen an Kopf und Brustkorb) und Branko S***** (durch eine Hautabschürfung am linken Handrücken) leicht verletzt.

Der von der Staatsanwaltschaft dagegen (mit dem Ziel einer Verurteilung im Sinne des Strafantrages) erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit gab das Oberlandesgericht Graz in seiner Entscheidung vom 24. Juli 1995, AZ 9 Bs 251/95, nicht Folge.

Auf Grund einer Beweisergänzung traf des Berufungsgericht die zusätzliche Feststellung, daß der Angeklagte in der Nacht vom 22. auf den 23.Juli 1994 von ca 23 Uhr bis 7 Uhr geschlafen und am darauffolgenden Tag nicht gearbeitet habe (S 183).

Davon ausgehend gelangte es in seiner rechtlichen Beurteilung zum Ergebnis, daß weder besonders gefährliche Verhältnisse im Sinne des § 81 Z 1 StGB noch schweres Verschulden nach § 88 Abs 2 StGB vorlagen und gestand dem Angeklagten - wie inhaltlich schon das Erstgericht - das sogenannte Bagatellfolgenprivileg nach § 88 Abs 2 Z 4 StGB hinsichtlich der Verletzung des Branko S***** zu.

Rechtliche Beurteilung

Zutreffend zeigt die Generalprokuratur in ihrer deshalb erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes auf, daß die Bejahung der Voraussetzungen nach § 88 Abs 2 Z 4 StGB mit dem Gesetz nicht im Einklang steht.

Wenn aus der Tat nicht nur eine unterhalb der Erheblichkeitsschwelle des § 88 Abs 2 Z 4 StGB liegende Verletzung einer Person, sondern darüber hinausgehende Verletzungen (oder der Tod) wenigstens einer weiteren Person entstanden sind, ist nach herrschender Rechtsprechung - gestützt auf den Gesetzeswortlaut - § 88 Abs 2 Z 4 StGB nicht anwendbar (Leukauf-Steininger Komm3 § 88 RN 23, EvBl 1989/140; aM Burgstaller im WK Rz 63, Kienapfel BT I3 RN 52, Mayerhofer-Rieder4 Anmerkung 5, jeweils zu § 88 StGB). Der Freispruch vom Vorwurf, Branko S***** durch dieselbe Tat eine Bagatellverletzung zugefügt zu haben, war daher aus Gründen des materiellen Strafrechts - infolge eintätigen Zusammentreffens bzw verstärkter Tatbestandsmäßigkeit aber auch formell - verfehlt (EvBl 1989/140; dieser Entscheidung wird in Mayerhofer-Rieder StGB4 § 88 E 16 im Widerspruch zu ihrem Wortlaut und Sinngehalt die gegenteilige Auffassung zugeschrieben).

Sowohl das Landesgericht Leoben als auch das Oberlandesgericht Graz haben daher die Bestimmung des § 88 Abs 2 Z 4 StGB verletzt.

Da die Gesetzesverletzungen dem Verurteilten nicht zum Nachteil gereichen, war in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes ohne Anordnung weiterer Maßnahmen (§ 292 letzter Satz StPO) spruchgemäß zu entscheiden.

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