OGH 13Os195/95

OGH13Os195/958.5.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Mai 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel, Dr. Ebner, Dr. Rouschal und Dr. Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gottweis als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Ibrahim Avdo A***** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Steyr als Schöffengericht vom 20. April 1995, GZ 11 Vr 497/93-45, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ibrahim A***** im zweiten Rechtsgang des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (1) sowie des Vergehens des Mißbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (2) schuldig erkannt, weil er am 13. Oktober 1993 in Steyr dadurch, daß er seine siebenjährige Enkeltochter Edina A***** entkleidete, auf eine Matratze legte, das Mädchen im Genitalbereich betastete und seinen eigenen Geschlechtsteil entblößte, eine unmündige (1), seiner Aufsicht unterstellte (2) Person auf eine andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbrauchte.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Gründe der Z 3, 4 und 5 a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Voranzustellen ist, daß die nunmehr achtjährige Edina A*****, die Enkelin des Angeklagten, in der Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht, in der sie über das ihr nach § 152 Abs 1 (Z 2) StPO zustehende Entschlagungsrecht belehrt worden war (S 227) erklärt hatte, aussagen zu wollen und in bezug auf ihre den Angeklagten belastenden Aussagen vor der Polizei (Bericht S 17 und 45) angab, die Polizisten (aus Angst vor ihnen) "angelogen" zu haben (S 233).

Über den anklagegegenständlichen Vorfall selbst wurde sie in der Hauptverhandlung nicht befragt. Nachdem sich der Verteidiger der beabsichtigten Verlesung der Anzeige ON 2 (die die obgenannten Berichte enthält), insofern widersetzte, als er sich gegen die "Verlesung der Seiten 45/47" aussprach, "da dies eine Umgehung des Verlesungsverbots darstellt", bestätigte die Mutter der Zeugin, vom Vorsitzenden befragt, daß ihre Tochter vom Entschlagungsrecht nicht Gebrauch gemacht habe. Über eine weitere Frage des Vorsitzenden, mit der nach dem Inhalt des Verhandlungsprotokolls ersichtlich auf die Bestimmung des § 153 StPO Bezug genommen wurde, erklärte sie aber, daß das Mädchen zum Vorfall selbst nicht befragt werden dürfe (S 253). Daraufhin wurden von der Verlesung all jene im Akt befindlichen Passagen ausgeschlossen, die die Schilderung der Zeugin (vor der Polizei und der Sachverständigen) über das inkriminierte Tatgeschehen zum Gegenstand hatten (S 253).

Ungeachtet dessen gründet sich, wie dem Beschwerdeführer zuzugeben ist, die für die Schuldfrage entscheidende Feststellung, wonach der Angeklagte seine Enkelin auf eine Matratze legte, ihr sowohl die Hose als auch die Unterhose auszog und das Mädchen im Genitalbereich betastete, ganz offenkundig auf der Darstellung der Unmündigen vor der Polizei (Bericht S 17 und 45). Denn aus einem anderen Beweisergebnis kann dieser Geschehensablauf mängelfrei nicht erschlossen werden. Daß das Schöffengericht die bekämpfte Urteilsannahme formell auf die Aussage des Zeugen W***** stützt, vermag daran nichts zu ändern, hat doch dieser Zeuge seinen Angaben zufolge weder das "auf die Matratze legen" oder "Ausziehen" des Mädchens durch seinen Großvater noch vor allem das diesem angelastete Betasten des Geschlechtsteiles wahrgenommen.

Diesen Umstand greift der Beschwerdeführer inhaltlich zutreffend in seinen Ausführungen zur Nichtigkeitsbeschwerde auf. Soweit er dabei formell den Nichtigkeitsgrund der Z 3 des § 281 Abs 1 StPO, ausgehend davon, daß Edina A***** ein Entschlagungsrecht nach § 153 StPO eingeräumt worden sei, anzieht, ist dies schon deshalb verfehlt, weil diese Gesetzesstelle in der Aufzählung des § 281 Abs 1 Z 3 StPO nicht genannt ist (s auch Mayerhofer/Rieder StPO3 Nr 18 zu § 153). Das Umgehungsverbot des § 252 Abs 4 StPO wiederum bezieht sich auf die Bestimmungen des Abs 1 dieser Gesetzesstelle und somit auf Zeugen, die eine Aussage nach § 152 StPO verweigern (§ 252 Abs 1 Z 2 a StPO). Der Umstand, daß Edina A***** von ihrem ihr als Angehöriger iSd § 72 StGB in § 152 Abs 1 StPO zugebilligten Entschlagungsrecht ausdrücklich keinen Gebrauch gemacht hatte, hätte vielmehr angesichts dessen, daß sie in der Hauptverhandlung in wesentlichen Punkten von ihren früheren Angaben abgewichen ist, die Verlesung jener in den Akten enthaltenen Schriftstücke, in denen ihre Aussagen festgehalten wurden oder darauf Bezug genommen wurde, zugelassen (§ 252 Abs 1 Z 2 StPO), ohne daß hiedurch gegen das in § 252 Abs 4 StPO normierte Umgehungsverbot verstoßen worden wäre.

Im übrigen konnte auch die (gegenteilige) Erklärung der Mutter des Tatopfers die Gewährung des Entschlagungsrechtes (nach § 153 StPO) gar nicht begründen (vgl auch SSt 60/11).

Nichtigkeit des Verfahrens begründet diese Gesetzesverletzung jedoch nur unter den Voraussetzungen des § 281 Abs 1 Z 4 StPO. Um diesen Nichtigkeitsgrund geltend machen zu können, hätte die Verteidigung durch die Antragstellung auf Einvernahme der Zeugin ein Zwischenerkenntnis des Gerichtshofes herbeiführen müssen, was sie jedoch unterlassen hat.

Mit dem Einwand, das Erstgericht habe sich auf Verfahrensergebnisse gestützt, die einer Verwertung entzogen waren, zeigt die Beschwerde allerdings gleichzeitig und, wie oben ausgeführt, zutreffend auf, daß sich das Erstgericht in einem entscheidungswesentlichen Punkt auf Beweise, nämlich die Aussage der Edina A***** vor der Polizei, stützte, die keinen Eingang in die Hauptverhandlung gefunden haben. Dies begründet die vom Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen zur Z 3 der Sache nach relevierte Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 5 StPO (Mayerhofer/Rieder StPO3 § 258 E 7 mwN), die die Urteilsaufhebung und Anordnung einer Verfahrenserneuerung schon bei einer nichtöffentlichen Sitzung erzwang (§ 285 e StPO), ohne daß es noch der Erörterung der weiteren Beschwerdeeinwendungen bedurfte.

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