OGH 10ObS2079/96z

OGH10ObS2079/96z7.5.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer und Dr. Danzl als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Richard Warnung (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Rudolf Schleifer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Borka P*****, Arbeiterin, ***** vertreten durch Dr. Peter Raits, Rechtsanwalt in Salzburg, als Verfahrenshelfer, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6. Februar 1996, GZ 11 Rs 101/95-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 22. Mai 1995, GZ 20 Cgs 353/94y-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 12.7.1946 in Jugoslawien geborene Klägerin war in den letzten Jahren vor dem Stichtag (1.6.1994) ausschließlich als Hilfsarbeiterin tätig.

Aus orthopädischer Sicht leidet sie an einer habituellen Schulterluxation rechts, an einem beginnenden Carpaltunnelsyndrom beidseits sowie an einem chronischen Cervicalsyndrom mit einer Einschränkung der Beweglichkeit der Halswirbelsäule und einer verminderten Belastbarkeit des rechten Schultergelenks. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht leidet sie - abgesehen vom bereits erwähnten beginnenden Carpaltunnelsyndrom - an keinen körperlich-neurologischen Ausfällen. Psychiatrisch besteht eine depressive Verstimmung des körperlichen Rückbildungsalters ohne volle Psychosewertigkeit. Im weiteren besteht ein (der Klägerin offenbar bislang unbekannt gewesenes) Blutzuckerleiden.

Die Klägerin ist in der Lage, körperlich leichte, geistig einfache Arbeiten im Gehen, Stehen, Sitzen in geschlossenen Räumen für einen Achtstundentag ohne über das physiologische Ausmaß hinausgehende Pausen zu verrichten, solange nicht längere Arbeitszeiten mit höheren Anforderungen auf Tempo, Konzentration und Auffassungsvermögen erfolgen. Stoßzeiten kann sie nur kurzfristig standhalten. Heben und Tragen von Lasten über fünf Kilogramm, häufiges Bücken, Treppensteigen, Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten sowie Arbeiten an Maschinen oder am Fließband und das Arbeiten mit den Händen über dem Kopf ist zu vermeiden. Der Anmarschweg unterliegt keinen Einschränkungen. Im jetzigen Ausmaß besteht der Befund etwa seit Jahresmitte 1994. Eine psychiatrische Therapie erscheint zweckmäßig.

Auf Grund dieser Gegebenheiten lehnte die beklagte Partei mit Bescheid vom 4.10.1994 den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Invaliditätspension ab. Dem hiegegen erhobenen Klagebegehren gaben sowohl das Erst- als auch das Berufungsgericht keine Folge. Das Erstgericht beurteilte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahingehend, daß auf die Klägerin, die keinen Beruf erlernt hat, die Bestimmung des § 255 Abs 3 ASVG anzuwenden sei. Auf Grund des festgestellten Leistungskalküls seien ihr die Verweisungstätigkeiten einer Portierin, Museumsaufseherin oder Adjustiererin ohne Beschränkungen zumutbar.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Weil das Leistungskalkül nicht so eingeschränkt sei, daß es die dem Gericht bekannten Anforderungen an offenkundigen Verweisungsberufen übersteigt, brauche das Gericht "selbstverständlich" keinen berufskundlichen Sachverständigen beizuziehen, weil die Frage der Verweisbarkeit vom Gericht im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zu lösen sei. Schon bei Verweisbarkeit auf einen einzigen Beruf liege Invalidität gemäß § 255 Abs 3 ASVG nicht vor.

Rechtliche Beurteilung

Die hiegegen erhobene und von der beklagten Partei nicht beantwortete Revision ist gemäß § 46 Abs 3 Z 3 ASGG auch ohne die Voraussetzungen nach Abs 1 zulässig, jedoch nicht berechtigt.

1. Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO). Bereits das Berufungsgericht hat die aus der Nichtbeiziehung eines Dolmetschers zu den Sachverständigenuntersuchungen abgeleiteten Verfahrensmängel verworfen, sodaß diese nach ständiger Rechtsprechung nicht nochmals in der Revision mit Erfolg wiederholt werden können (ausführlich SSV-NF 7/74, RZ 1989/16, 10 ObS 2/96 uva). Dies gilt auch für die als Verfahrensmangel gerügte Gutachtensergänzung. Auch die als weiterer Verfahrensmangel dargestellte Unterlassung einer Vernehmung der Klägerin als Partei im Rahmen der Berufungsverhandlung ist zu verneinen: Im Verfahren erster Instanz war sie nach der Aktenlage zur letzten Streitverhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung (ON 6) nicht erschienen (ON 7). Der Beweisrüge hat das Berufungsgericht keine Folge gegeben, da es sich den als schlüssig und ausreichend erachteten Gutachten der medizinischen Sachverständigen anschloß. Die Beiziehung eines neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen zur Berufungsverhandlung ist weder im Berufungsschriftsatz noch in der Berufungsverhandlung beantragt worden.

2. Auch die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes ist zutreffend (§ 48 ASGG). Daß sich bei ihr als ungelernter Hilfsarbeiterin die Leistungsvoraussetzungen für eine Invaliditätspension nach § 255 Abs 3 ASVG richten, wird von der Revisionswerberin nicht in Abrede gestellt. Selbst wenn die von ihr im Rechtsmittel negierten Voraussetzungen für die Verweisungsberufe einer Adjustiererin, Verpackungsarbeiterin oder Parkgaragenkassierin nicht zutreffen sollten, verbleiben immer noch diejenigen einer Portierin oder Museumsaufseherin. Da somit die Invalidität der Klägerin (mangels Tätigkeit überwiegend in erlernten bzw angelernten Berufen) damit nicht nach Abs 1 dieser Gesetzesstelle zu beurteilen ist, müssen auch die Verweisungtätigkeiten - mangels Berufsschutzes - nicht in einem erlernten oder angelernten Beruf sein (SSV-NF 4/140). Da jedenfalls die beiden letztgenannten Verweisungsberufe auf Grund des vom Erstgericht festgestellten Gesamtleistungskalküls offenkundig sind, konnte das Berufungsgericht durchaus verläßlich beurteilen, ob der Klägerin die Ausübung der maßgeblichen Berufstätigkeiten im Hinblick auf dieses Leistungskalkül zugemutet werden durfte und konnte. Damit bedurfte es aber auch keiner (sei es durch ergänzende Begutachtung, sei es durch Vernehmung ihrer Person als Partei unter Beiziehung eines Dolmetschers) in diesem Zusammenhang geforderter weiterer Feststellungen (vgl SSV-NF 2/77). Da das Verweisungsfeld im Falle der nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilenden Invalidität nämlich mit dem gesamten Arbeitsmarkt ident ist (SSV-NF 1/4, 2/109, 6/56 [ausdrücklich in Zusammenhang mit gemindert erwerbsfähigen Hilfsarbeitern]), stellen die von den Vorinstanzen angeführten Verweisungstätigkeiten ohnedies nur eine beispielsweise Aufzählung aus einer ganzen Fülle von Tätigkeiten dar, welche die Klägerin auf Grund ihres unbestrittenermaßen eingeschränkten Leistungskalküls noch ausüben kann. Hiegegen kann auch nicht die in der Revision an mehreren Stellen (wenngleich primär in anderem Zusammenhang, nämlich ihrer Untersuchung bei den Sachverständigen ohne Dolmetscher) ins Treffen geführte Unkenntnis (besser wohl: nicht ausreichende Kenntnis) der deutschen Sprache gegen die Verweisbarkeit auf einen bestimmten Arbeitsplatz im Inland ins Treffen geführt werden (SSV-NF 6/26 mwN).

Die Vorinstanzen kamen damit zutreffend zum Ergebnis, daß die Klägerin nicht als invalid im Sinne des für sie maßgebenden § 255 Abs 3 ASVG gilt. Ihrer Revision war damit ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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