OGH 11Os56/96

OGH11Os56/967.5.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. Mai 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Hager, Dr. Schindler, Dr. Rouschal und Dr. Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gottweis als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Karl L***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 15. Mai 1995, AZ 10 Bs 82,83/95, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Weiß, und des Verteidigers Mag. Lang, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache zum AZ 9 E Vr 849/94 des Landesgerichtes Ried im Innkreis verletzt das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 15. Mai 1995, AZ 10 Bs 82,83/95, das Gesetz in der Bestimmung des § 105 Abs 2 StGB.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 10. Jänner 1995, GZ 9 E Vr 849/94-8, wurde Karl L***** (neben anderen Delikten) zu Punkt 2/c des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er am 18. Februar 1994 in M***** seinen ehemaligen Arbeitgeber Josef K***** zur Auszahlung ihm vermeintlich zustehender Provisionen durch gefährliche Drohung, nämlich die schriftliche Androhung von (mit den Provisionen nicht im Zusammenhang stehenden, vgl US 11) Anzeigen bei der Gebietskrankenkasse und dem Finanzamt zu nötigen vesucht (siehe Schreiben S 23 und 24).

Rechtlich führte das Landesgericht aus, daß die Androhung einer Anzeige bei der Gebietskrankenkasse und dem Finanzamt kein zulässiges Mittel darstelle, um die Auszahlung vermeintlich zustehender Provisionen zu erreichen. Eine Rechtfertigung im Sinne des § 105 Abs 2 StGB setze voraus, daß weder das angewendete Nötigungsmittel noch der Zweck, der damit erreicht werden soll, den guten Sitten widerstreite und daß darüber hinaus auch die konkrete Verknüpfung von Mittel und Zweck nicht sittenwidrig sei. Die (angedrohte) Anzeige bei der Gebietskrankenkasse und beim Finanzamt stelle aber kein adäquates Mittel zur Durchsetzung eines Rechtsanspruches dar und sei sohin sittenwidrig (US 19).

Das Oberlandesgericht Linz gab mit Urteil vom 15. Mai 1995, AZ 10 Bs 82,83/95 (= ON 20 des Vr-Aktes), der Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit teilweise Folge, hob das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt blieb, im Punkt 2/c des Urteilssatzes auf und sprach den Angeklagten in diesem Umfang vom bezüglichen Anklagevorwurf gemäß § 259 Z 3 StPO frei.

Zur Begründung führte das Berufungsgericht aus, daß nach den Feststellungen des Erstgerichtes der Angeklagte subjektiv von der Richtigkeit seiner geltend gemachten Forderungen ausging. Die Drohung mit einer vom subjektiven Empfinden getragenen richtigen Anzeige könne aber "nach der in Leukauf-Steininger dargestellten Judikatur" keineswegs als sittenwidrig oder als sozial unerträgliches Mittel angesehen werden. Zutreffend habe der Angeklagte daher unter Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO die irrtümliche Nichtannahme des Rechtfertigungsgrundes des § 105 Abs 2 StGB aufgezeigt (US 14).

Rechtliche Beurteilung

Die Annahme des besonderen Rechtfertigungsgrundes nach § 105 Abs 2 StGB steht - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Das Berufungsgericht begründet seine Entscheidung nämlich ausschließlich damit, daß eine Drohung mit einer als richtig empfundenen Anzeige nicht als sittenwidriges oder sozial unerträgliches Mittel angesehen werden könne.

Dabei läßt das Berufungsgericht den in ständiger Judikatur und von der Lehre (vgl Leukauf-Steininger, Komm3 RN 24 bis 27; Kienapfel, BT I3 RN 59-70; Foregger-Kodek, StGB5 Anm V; Mayerhofer-Rieder, StGB4, E 26 ff; je zu § 105 StGB) vertretenen Grundsatz außer Acht, daß die Annahme des Rechtfertigungsgrundes nach § 105 Abs 2 StGB nicht nur voraussetzt, daß sowohl das angewendete Nötigungsmittel als auch der Nötigungszweck den guten Sitten nicht widerstreitet, sondern daß zwischen beiden auch ein sachlicher Zusammenhang im Sinn einer Mittel-Zweck-Beziehung bestehen muß (Leukauf-Steininger aaO RN 27). Danach liegt umgekehrt Rechtswidrigkeit u.a. dann vor, wenn ein qualitatives Mißverhältnis zwischen dem eingesetzten Mittel und dem erstrebten Zweck besteht oder wenn gerade die spezifische Verknüpfung von Mittel und Zweck sittenwidrig ist.

Eine derartige sittenwidrige Verknüpfung von Mittel und Zweck ist daher im Fall einer zur Durchsetzung eines wirklichen oder vermeintlichen Anspruches angedrohten (Straf-)Anzeige dann gegeben, wenn deren Zweck (hier: Durchsetzung eines vermeintlichen Provisionsanspruches) mit der Drohung (hier: Anzeigeerstattung bei der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse und dem Finanzamt) nicht zusammenhängt (vgl insbesondere Kienapfel aaO, RN 67 und 69). Im vorliegenden Fall war nach den vom Berufungsgericht übernommenen erstgerichtlichen Feststellungen dem Angeklagten auch bewußt, daß seine Drohung mit Anzeigeerstattung bei der Gebietskrankenkasse und beim Finanzamt mit seinen Ansprüchen nichts zu tun hatte und (daher) auch kein zulässiges Mittel zur Durchsetzung seiner Ansprüche darstellte (US 11 und 19).

Das Berufungsgericht hat somit das Vorliegen des Rechtfertigungsgrundes nach § 105 Abs 2 StGB zu Unrecht bejaht. Da sich diese Gesetzesverletzung zum Vorteil des Angeklagten auswirkte, hatte es mit ihrer Feststellung sein Bewenden.

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