OGH 14Os46/96

OGH14Os46/9616.4.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 16.April 1996 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer und Dr.E.Adamovic als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Eckert-Szinegh als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dr.Kurt U***** wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Mißbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 und § 15 StGB sowie anderer strafbarer Handlungen, AZ 9 Vr 1969/95 des Landesgerichtes Klagenfurt, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz vom 11.März 1996, AZ 10 Bs 85/96 (= ON 79), nach Anhörung des Generalprokurators in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dr.Kurt U***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.

Dem Bund wird der Ersatz der Beschwerdekosten an den Beschwerdeführer in der Höhe von 9.600 S (darin enthalten 1.600 S an Umsatzsteuer) auferlegt.

Text

Gründe:

Über den am 4.Juli 1942 geborenen, bisher unbescholtenen Dr.Kurt U***** wurde nach seiner Festnahme am 13.Dezember 1995 am 15.Dezember 1995 die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Verdunkelungsgefahr (§ 180 Abs 2 Z 2 StPO) verhängt.

Er steht - was nicht Beschwerdegegenstand ist - im dringenden Verdacht des Verbrechens des (zum Teil nur versuchten) Mißbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 und § 15 StGB (zum Teil auch als Beteiligter nach § 12 zweiter Fall StGB) und der Vergehen der Geschenkannahme durch Beamte nach § 304 Abs 2 und Abs 3 zweiter Fall StGB sowie des Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 StGB.

Ihm liegt im wesentlichen zur Last, als Beamter der Kärntner Landesregierung unter wissentlichem Mißbrauch seiner Amtsbefugnisse und zum Schaden des Staates ungerechtfertigt Konzessionen, Gewerbeberechtigungen und EU-Gemeinschaftslizenzen erteilt sowie Beamte des Bundes- ministeriums für öffentliche Wirtschaft und Verkehr zur amtsmißbräuchlichen Zuweisung von sog. "Deutschland-Genehmigungen" an Frächter bestimmt bzw dies zum Teil versucht zu haben. Ferner soll er als Beamter Geschenke im Wert von mehr als 25.000 S angenommen und unter Vorlage verfälschter Rechnungen seiner Dienststelle Reisegebühren betrügerisch herausgelockt haben.

In der (ersten) Haftverhandlung vom 27.Dezember 1995 entschied der Untersuchungsrichter auf Fortsetzung der Untersuchungshaft wegen Verdunkelungsgefahr. Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Graz mit Beschluß vom 11.Jänner 1996, AZ 9 Bs 4, 7/96 (= ON 33), nicht Folge und ordnete die Fortsetzung der Untersuchungshaft - unter Berücksichtigung der Bestimmung des § 194 Abs 1 StPO - mit Wirksamkeit bis 12.Feber 1996 an.

In der (zweiten) Haftverhandlung vom 12.Feber 1996 wurde die Fortsetzung der Untersuchungshaft nunmehr aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr (§ 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO) beschlossen, nachdem der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr wegen Zeitablaufes (§ 194 Abs 1 StPO) nicht mehr aktuell war. Auch diese Entscheidung wurde vom Oberlandesgericht Graz mit Beschluß vom 11.März 1996, AZ 10 Bs 85/96 (= ON 79), bestätigt.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluß richtet sich die vorliegende Grundrechtsbeschwerde, die begründet ist.

Zwar ist der Einwand unberechtigt, daß das Beschwerdegericht schon deshalb die Freilassung des Beschuldigten hätte verfügen müssen, weil die zweite Haftverhandlung nicht vor dem 12.Feber 1996 durchgeführt worden ist. Der mißverständlichen Formumlierung im Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz vom 11.Jänner 1996 (ON 33), der Beschuldigte sei "spätestens am 12.Feber 1996 zu enthaften, wenn nicht ... in einer davor stattfindenden Haftverhandlung die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus einem anderen als dem bisherigen Haftgrund angeordnet wird", kommt nämlich keine konstitutive Wirkung zu (EvBl 1994/139). Nach dem Gesetz (§ 181 Abs 1 StPO) genügt es, daß eine weitere Haftverhandlung vor Ablauf der Haftfrist, dh vor 24.00 Uhr des letzten Tages der Haftfrist durchgeführt wird, was hier (eben am 12. Feber 1996) auch geschehen ist.

Im übrigen ist dem Beschwerdegericht im Beschluß vom 11.Jänner 1996 (ON 33) - worauf im ange- fochtenen Beschluß zutreffend hingewiesen wird - ein Fehler bei der Berechnung der Haftfrist insofern unterlaufen, als es rechtsirrtümlich davon ausgegangen ist, daß die zweimonatige Höchstfrist für die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Verdunkelungsgefahr (§ 194 Abs 1 StPO) ab Festnahme (13.Dezember 1995) zu berechnen sei. Die in § 194 Abs 1 und Abs 2 StPO normierten Höchstfristen beziehen sich nämlich auf die Dauer der Untersuchungshaft als solche und beginnen daher erst mit dem Zeitpunkt deren Verhängung und nicht schon mit der Festnahme (wie etwa im Fall der 14-tägigen Haftfrist des § 181 Abs 2 Z 1 StPO). Der letzte Tag der vom Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz vom 11. Jänner 1996 (ON 33) ausgelösten Haftfrist war daher tatsächlich der 15.Feber 1996. Die Haftverhandlung vom 12.Feber 1996 hat somit jedenfalls rechtzeitig stattgefunden.

Im Recht ist der Beschwerdeführer jedoch mit seinem Haupteinwand, daß im angefochtenen Beschluß der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr (§ 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO) unrichtig beurteilt worden sei (§ 2 Abs 1 GRBG). Dabei war insbesondere zu berücksichtigen, inwieweit eine Minderung der Gefahr dadurch eingetreten ist, daß sich die Verhältnisse, unter denen die dem Beschuldigten angelasteten Taten begangen worden sind, geändert haben (§ 180 Abs 3 StPO).

Dies ist hier in einem entscheidenden Ausmaß der Fall, weil davon auszugehen ist, daß die involvierten Dienststellen (Amt der Kärntner Landesregierung, Bundes- ministerium für öffentliche Wirtschaft und Verkehr) es auch bei Aufhebung der Suspendierung des Beschuldigten und seiner Wiederbeschäftigung (ohnedies in einer anderen Abteilung) nicht an einer wirksamen Dienstaufsicht im betroffenen Kompetenzbereich ermangeln lassen werden. Auch von seiten der Nutznießer des dem Beschuldigten vorgeworfenen Amtsmißbrauches sind strafrechtlich relevante Interventionen nicht mehr zu erwarten, weil ihnen nach Aufdeckung der Malversationen des Beschuldigten und öffentlicher Berichterstattung darüber dies nicht mehr ziel- führend erscheinen kann. Damit ist aber der Befürchtung, daß der Beschuldigte ohne Haftfortsetzung ungeachtet des Eindruckes des gegen ihn geführten Strafverfahrens im Zusammenhang mit seiner Amtstätigkeit eine einschlägige strafbare Handlung mit nicht bloß leichten Folge begehen werde, der Boden entzogen.

Demgegenüber vermag die vom Oberlandesgericht Graz ins Treffen geführte Argumentation, daß die vorläufige Suspendierung des Beschuldigten angesichts der Möglichkeit einer Aufhebung dieser Maßnahme (verbunden mit einer Versetzung oder Änderung seiner Verwendung) die Tatbegehungsgefahr "nicht gänzlich ausschließe", er überdies auch als Privatperson in Anbetracht seiner finanziell angespannten Situation (infolge Kürzung seiner Bezüge) unter Ausnützung freundschaftlicher Bezie- hungen zu Amtskollegen an gegen dasselbe Rechtsgut wie die Anlaßtaten gerichteten strafbaren Handlungen mit nicht unerheblichen Folgen mitwirken könnte, mangels in diese Richtung weisender konkreter Verfahrensergebnisse nicht zu überzeugen.

Der Beschwerdeführer wurde somit durch den angefochtenen Beschluß im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.

Da aber Dr.U***** ohnedies bereits am 28.März 1996 enthaftet worden ist, erübrigt sich sowohl die Kassierung des in Grundrechtsbeschwerde gezogenen Beschlusses als auch eine dem § 8 Abs 2 GRBG entsprechende Anordnung an die Gerichte erster und zweiter Instanz.

Der Ausspruch über die Kostenersatzpflicht des Bundes gründet sich auf § 8 GRBG in Verbindung mit der Verordnung des Bundesministeriums für Justiz BGBl 1993/35.

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