OGH 15Os29/96(15Os39/96)

OGH15Os29/96(15Os39/96)11.4.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 11.April 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Mag.Strieder, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Rauer als Schriftführerin, in der Mediensache des Antragstellers Mag.Manfred P***** und anderer Antragsteller gegen die Antragsgegnerin M*****Ges.m.b.H. wegen § 6 MedienG über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Urteile 1. des Oberlandesgerichtes Wien vom 24.Jänner 1995, AZ 21 Bs 268/94, 2. des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 20.Juli 1995, GZ 9 a E Vr 10.480/93-41, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Weiss, der Antragsteller Mag.P*****, Mag.B***** und Mag.Gö***** sowie des Vertreters der Antragsteller, Rechtsanwalt Dr.Ringhofer, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

I. Das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 24. Jänner 1995, AZ 21 Bs 268/94 (= ON 28 des Vr-Aktes), verletzt insoweit das Gesetz in der Bestimmung des § 6 Abs 2 Z 2 lit a MedienG, als es die Antragsgegnerin und Medieninhaberin "M*****GesmbH", ohne ihr die Möglichkeit einzuräumen, den angebotenen Wahrheitsbeweis zu erbringen, wegen der auf Seite 48 iVm Seite 51 in der Ausgabe vom September 1992 der periodischen Druckschrift "Wiener" veröffentlichten Behauptung, die dort als unbeliebt bezeichneten Lehrer "beschimpften Schüler", gemäß § 6 Abs 1 MedienG (aF) zur Zahlung von Entschädigungsbeträgen in Höhe von je 30.000 S an die Antragsteller Mag.Peter J*****, Mag.Maria G***** und Mag.Jürgen Gö***** sowie in Höhe von je 25.000 S an die Antragsteller Mag.Wolfgang Ko*****, Mag.Christine B*****, Dr.Edith F*****, Mag.Barbara Kr*****, Mag.Alfred R*****, Mag.Brigitte Re*****, Dr.Brigitte T***** und Wolfgang Ka***** verurteilte und zugleich aussprach, im zu erneuernden Verfahren habe der Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien bei Festsetzung des Entschädigungsbetrages betreffend den Antragsteller Mag.Manfred P***** die unter Punkt I.2.B des Berufungsurteils getroffenen Feststellungen und die dazu geäußerte Rechtsansicht zu berücksichtigen.

II. Gemäß § 292 letzter Satz StPO werden aufgehoben:

1. Das bezeichnete Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht, das im übrigen unberührt bleibt, in den Aussprüchen

a) die Antragsgegnerin habe gemäß § 6 Abs 1 MedienG (aF) an die elf genannten Antragsteller eine Entschädigung für die erlittene Kränkung wegen Verwirklichung des Tatbestandes der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB zu zahlen,

b) der Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien habe im zu erneuernden Verfahren betreffend den Antragsteller Mag.P***** die Feststellungen und die Rechtsansicht laut Punkt I.2.B des Berufungsurteils zu berücksichtigen,

c) über den Kostenersatz, soweit er von der (teilweisen) Urteilsaufhebung berührt wird;

2. das darauf beruhende Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 20.Juli 1995, GZ 9 a E Vr 10.480/93-41, das im übrigen unberührt bleibt, in den Aussprüchen

a) die Antragsgegnerin "M*****GesmbH habe unter Berücksichtigung der Feststellungen und der Rechtsansicht laut Punkt I.2.B des Berufungsurteils einen Entschädigungsbetrag von 30.000 S an den Antragsteller Mag.P***** zu zahlen,

b) über den Kostenersatz, soweit er von der (teilweisen) Urteilsaufhebung berührt wird.

III. Gemäß § 288 Abs 2 zweiter Satz StPO wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

IV. Mit ihrer gegen das Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 20.Juli 1995, GZ 9 a E Vr 10.480/93-41, erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld wird die Antragsgegnerin auf die zu Punkt III. ergangene Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

I. In der Ausgabe vom September 1992 der periodischen Druckschrift "Wiener" wurde auf den Seiten 48, 50 und 51 unter dem Titel "Wiener-Lehrertest" "Was Schüler von ihren Lehrern halten" ein vom Journalisten Georg N***** verfaßter Artikel veröffentlicht. Mit dem Texthinweis, es handle sich um das Ergebnis einer Befragung tausender Schüler allgemein bildender höherer Schulen (AHS) in ganz Österreich, werden darin auf Seite 51 in einer mit "Zeugnisverteilung" übertitelten Rubrik mehrere Lehrer aus sieben Bundesländern unter Nennung ihres vollen Namens, ihrer Schule und ihres Unterrichtsfaches entweder als besonders beliebt oder als unbeliebt bezeichnet. In zwei anderen Kästen sind einerseits die jeweils hervorstechendsten positiven Eigenschaften der beliebten (S 50), andererseits die negativen Eigenschaften der unbeliebten Lehrer ("ungerecht, inkompetent, zu viel Druck, langweilig, Unterricht schlecht, intolerant, autoritär, beschimpft Schüler, unsympathisch, überheblich") angeführt (S 48). In einer weiteren, mit "Starke Sprüche über Lehrer" übertitelten Rubrik (S 50) werden auszugsweise verschiedene Beschreibungen von AHS-Schülern über bestimmte Lehrer wiedergegeben, wobei die Verknüpfung der personenbezogenen Angaben in diesen Rubriken mit den Daten im Kasten "Zeugnisverteilung" eine namentliche Zuordnung zu bestimmten Lehrern leicht möglich macht, so etwa die Beschreibung "Nazi, Sklaventreiber, Rassist, komplexbeladen, fauler Mundgeruch, Schweißhände" zum Turnlehrer Mag.Gö***** vom BGR 23, Anton-Krieger-Gasse.

Mit Schriftsätzen vom 22. und 29.Oktober 1992 erhoben zwölf der als unbeliebt apostrophierten Lehrer beim Landesgericht für Strafsachen Wien Privatanklage gegen den Artikelverfasser Georg N***** wegen der Vergehen nach §§ 111, 115 StGB und stellten unter einem gegen die Medieninhaberin "M*****GesmbH" mit Sitz in 3400 Klosterneuburg Anträge gemäß §§ 6, 8, 33 und 34 MedienG. Am 4.November 1992 trat der angerufene Gerichtshof das Strafverfahren gemäß § 486 Abs 1 StPO in Verbindung mit § 8 Abs 3 MedienG an das Landesgericht St.Pölten ab (ON 4), dessen Ratskammer mit Beschluß vom 1.Dezember 1992 (ua) das Strafverfahren gegen den Artikelverfasser Georg N***** (infolge verspäteter Einbringung der Privatanklage) gemäß § 486 Abs 3 StPO einstellte (ON 7).

Das verbleibende Verfahren gegen die Antragsgegnerin wurde hingegen als selbständiges Verfahren fortgesetzt und mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 2.August 1993 an das Landesgericht für Strafsachen Wien delegiert (ON 14).

In einer am 14.Mai 1993 bei diesem Gericht eingelangten Eingabe bot die Antragsgegnerin sowohl den Wahrheitsbeweis als auch den Beweis gemäß § 6 Abs 2 Z 2 lit b MedienG an (38 ff). Dieser Beweisantrag wurde auch in der Hauptverhandlung vom 27.Jänner 1994 des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien aufrecht erhalten, jedoch abgewiesen (68).

Mit Urteil vom selben Tag wurde der Antragsgegnerin (nur) in bezug auf den Antragsteller Mag.Jürgen Gö***** wegen der auf ihn bezogenen Beschreibung "Nazi ... Rassist", durch welche in einem Medium der objektive Tatbestand der Beschimpfung oder Verspottung nach § 115 StGB gegenüber diesem Antragsteller hergestellt worden sei, gemäß § 6 Abs 1 MedienG die Zahlung eines Entschädigungsbetrages von 30.000 S auferlegt, gemäß § 33 Abs 2 MedienG auf Einziehung, ferner gemäß § 34 Abs 3 MedienG auf Urteilsveröffentlichung erkannt und die Antragsgegnerin gemäß §§ 389 Abs 1 StPO, 41 Abs 1 MedienG in diesem Umfang zum Kostenersatz verurteilt. Das darüber hinausgehende Begehren des Antragstellers Mag.Gö***** sowie das Begehren der übrigen elf Antragsteller (ua wegen der Behauptung im inkriminierten Bericht, sie "beschimpften Schüler") wurden hingegen - unter gleichzeitiger Verfällung der Antragsteller zum Ersatz der Verfahrenskosten im Umfang der Abweisung - mit der Begründung abgewiesen, es handle sich bei diesen Äußerungen um zulässige und daher straflose Kritik (ON 19).

In Stattgebung der sowohl von den zwölf Antragstellern als auch von der Antragsgegnerin dagegen erhobenen Berufungen wegen Nichtigkeit und Schuld, teils aus deren Anlaß (§§ 477 Abs 1, 489 Abs 1 StPO) hob das Oberlandesgericht Wien nach Beweisergänzung durch Verlesung des inkriminierten Artikels mit Urteil vom 24.Jänner 1995, AZ 21 Bs 268/94 (= ON 28 des Vr-Aktes), das Ersturteil weitgehend auf (unberührt blieben die - laut dessen Punkt 5. erfolgte - Abweisung der Anträge sämtlicher Antragsteller - außer jenem des Antragstellers Mag.Gö***** - auf Urteilsveröffentlichung und Einziehung der zur Verbreitung bestimmten Medienstücke der inkriminierten Ausgabe sowie auf Zuerkennung eines Entschädigungsbetrages gemäß § 6 Abs 1 MedienG wegen eines Großteils der inkriminierten Äußerungen) und wies die Anträge des Antragstellers Mag.Gö***** auf Einziehung und Urteilsveröffentlichung zur Gänze sowie auf Zuerkennung einer Entschädigung gemäß § 6 Abs 1 MedienG hinsichtlich der Formulierungen "Rassist" und "Nazi" ab. Zugleich stellte das Berufungsgericht einerseits im Punkt I.2.A des Urteilssatzes fest, daß die dort drei namentlich genannten Antragsteller durch die im Berufungsurteil angeführten Formulierungen des inkriminierten Artikels öffentlich verspottet wurden; andererseits konstatierte es im Punkt I.2.B des Urteilssatzes, daß alle zwölf Antragsteller (darunter auch Mag.Manfred P*****) durch die veröffentlichte Behauptung, sie "beschimpften Schüler" in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise, nämlich in einem Druckwerk, eines unehrenhaften und gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigt wurden, das geeignet ist, sie in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen und herabzusetzen.

Zufolge dieser Feststellung sprach der Gerichtshof zweiter Instanz, ohne den schon seinerzeit angebotenen Wahrheitsbeweis für die Richtigkeit der im Punkt I.2.B wiedergegebenen Behauptung ("beschimpften Schüler") zuzulassen, aus, daß die Antragsgegnerin gemäß § 6 Abs 1 MedienG (aF) eine Entschädigung für erlittene Kränkung, und zwar an die drei im Punkt I.2.A des Berufungsurteils genannten Antragsteller wegen Verwirklichung des Tatbestandes der üblen Nachrede (§ 111 StGB) und der Verspottung (§ 115 StGB) von je 30.000 S sowie an die verbleibenden acht Antragsteller (also mit Ausnahme des Antragsteller Mag.Manfred P*****) wegen Verwirklichung des Tatbestandes der üblen Nachrede (§ 111 StGB) von je 25.000 S zu zahlen habe.

Hingegen wurde das (selbständige) Verfahren hinsichtlich des vom Erstgericht abgewiesenen Antrages des Antragstellers Mag.P***** auf Zuerkennung einer Entschädigung für die erlittene Kränkung gemäß § 6 Abs 1 MedienG wegen der (zusätzlichen) Behauptung im inkriminierten Artikel "Humanität und Gerechtigkeit sind für ihn ein Fremdwort" sowie zur Festsetzung des Entschädigungsbetrages "unter Berücksichtigung des Punktes I.2.B des Berufungsurteiles", dessen Feststellungen (in Verbindung mit der damit geäußerten Rechtsansicht - vgl § 293 Abs 2 StPO) als "endgültig" bezeichnet werden (US 24), zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Gemäß §§ 389 Abs 1, 390 Abs 1, 390 a Abs 1 StPO iVm §§ 8 a Abs 3, 41 Abs 1 MedienG wurden die elf Antragsteller (also mit Ausnahme des Mag.P*****) sowie die Antragsgegnerin zum Ersatz der Kosten erster und zweiter Instanz jeweils im Umfang der Abweisungen ihrer Anträge (nach §§ 33, 34, 6 MedienG) bzw der Zusprüche von Entschädigungsbeträgen nach § 6 Abs 1 MedienG verurteilt.

In den (alle zwölf Antragsteller betreffenden) Ausführungen laut Punkt I.2.B des Berufungsurteils legte das Oberlandesgericht dar, daß durch die Behauptung, die unbeliebten Lehrer "beschimpften Schüler", nicht bloß - wie bei den übrigen in der Rubrik "Die Unbeliebten" auf Seite 48 der inkriminierten Veröffentlichung wiedergegebenen Negativeinschätzungen - auf (fehlende) berufliche Fähig- keiten der beschriebenen Lehrer abgestellt werde, sondern den Antragstellern hiemit den guten Sitten widersprechende Handlungsweisen, nämlich die Verwirklichung des Vergehens der Beschimpfung nach § 115 StGB, unterstellt werde. In diesem Zusammenhang wird in der Rechtsmittelentscheidung wörtlich ausgeführt:

"Insbesondere bei Pädagogen, von welchen auf Grund ihrer Erziehungsfunktion ein erhöhtes Maß an Sorgfalt im Umgang mit den ihnen anvertrauten Schülern zu fordern ist, stellt die Behauptung, daß sie sich des Mittels der Beschimpfung bedienen, einen schwerwiegenden Eingriff in ihre (Berufs-)Ehre dar, der den objektiven Tatbestand der üblen Nachrede nach § 111 StGB erfüllt. Da jedoch gemäß § 112 StGB der Wahrheitsbeweis (und der Beweis des guten Glaubens) über strafbare Handlungen, die nur auf Verlangen eines Dritten verfolgt werden, nicht zuzulassen ist, steht bereits jetzt fest, daß den Antragstellern diesbezüglich ein Entschädigungsanspruch nach § 6 Abs 1 MedienG zusteht, sodaß in der Sache selbst zu entscheiden und ein Entschädigungsbetrag festzusetzen war" (US 22 f).

Auf Grund dieser rechtlichen Überlegungen erachtete das Berufungsgericht daher lediglich in Ansehung der objektiv ebenfalls den Tatbestand der üblen Nachrede nach § 111 StGB verwirklichenden, auf Mag.Manfred P***** bezogenen (aber nicht bloß auf Verlangen eines Dritten verfolgbaren) weiteren Behauptung "Humanität und Gerechtigkeit sind für ihn ein Fremdwort" (womit nach Ansicht des Berufungsgerichtes dieser Antragsteller gleichsam als eine "Ausgeburt" nicht "menschengerechter" geradezu "menschenunwürdiger" Ungerechtigkeit bezeichnet und demnach in seinem Ansehen empfindlich herabgesetzt werde) die Durchführung des (bereits in erster Instanz angebotenen) Wahrheitsbeweises gemäß § 6 Abs 2 Z 2 lit a MedienG als zulässig (US 29 f).

Mit Urteil vom 20.Juli 1995, GZ 9 a E Vr 10.480/93-41, sprach der Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien im zweiten (nur mehr den Antragsteller Mag.P***** betreffenden) Rechtsgang aus, daß durch die Behauptung "Humanität und Gerechtigkeit sind für ihn ein Fremdwort" im inkriminierten Artikel gegenüber dem Antragsteller Mag.P***** in einem Medium gleichfalls der objektive Tatbestand des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB hergestellt worden sei. Da nach Ansicht des Einzelrichters aber der Antragsgegnerin in bezug auf diese Behauptung der Wahrheitsbeweis nicht gelungen war, erkannte er die Antragsgegnerin unter Berücksichtigung der (auch den Antragsteller Mag.P***** betreffenden) Feststellung laut Punkt I.2.B des Berufungsurteils ("beschimpften Schüler") schuldig, gemäß § 6 Abs 1 MedienG (aF) an den Antragsteller Mag.P***** einen Entschädigungsbetrag von 30.000 S zu zahlen.

Dieses Urteil ist noch nicht in Rechtskraft erwachsen. In ihrer dagegen erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld wendet sich die Antragsgegnerin aber nur mehr gegen die - unter Versagung des angebotenen Wahrheitsbeweises vom Berufungsgericht in seinem Urteil enthaltenen - Ausführungen laut Punkt I.2.B ("beschimpft Schüler") als Teil der erstgerichtlichen Feststellungsgrundlage des nunmehr erfolgten Zuspruchs eines Entschädigungsbetrages an den Antragsteller Mag.P*****.

Rechtliche Beurteilung

II. Das bezeichnete Urteil des Oberlandesgerichtes Wien steht - wie der Generalprokurator in seiner dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt - mit dem Gesetz insoweit nicht im Einklang, als es, ohne den angebotenen (vgl 38 f, 68) Wahrheitsbeweis zuzulassen, wegen der Äußerung im inkriminierten Artikel, sie "beschimpften Schüler", elf Antragstellern einen Entschädigungsbetrag gemäß § 6 Abs 1 MedienG (aF) zuerkennt und in bezug auf den Antragsteller Mag.Manfred P***** ausspricht, daß das Landesgericht für Strafsachen Wien bei der im zweiten Rechtsgang gemäß § 6 Abs 1 MedienG (aF) vorzunehmenden Festsetzung des Entschädigungsbetrages an die im Berufungsurteil laut Punkt I.2.B getroffenen Feststellungen und die im Zusammenhang damit zum Ausdruck gebrachte Rechtsansicht gebunden sei.

Der Gerichtshof zweiter Instanz hat dabei übersehen, daß der beim Tatbestand der üblen Nachrede nach § 111 StGB im § 112 StGB statuierte Ausschluß des Wahrheitsbeweises (und des Beweises des guten Glaubens) bei strafbaren Handlungen, die nur auf Verlangen eines Dritten verfolgt werden, gemäß § 6 Abs 2 Z 2 lit a MedienG dann nicht gilt, wenn die üble Nachrede ein Medieninhaltsdelikt bildet (Graff "Das neue Medienrecht - Vorzüge und Schwächen" in RZ 1981, 216; Hager/Walenta, Persönlichkeitsschutz3, 39). Diesfalls ist daher auch ein Anspruch auf Entschädigung für erlittene Kränkung gemäß § 6 Abs 1 MedienG unter anderem dann ausgeschlossen, wenn die Veröffentlichung wahr ist.

Während somit nach dem Strafgesetzbuch in bezug auf Tatsachen des Privat- oder Familienlebens und über strafbare Handlungen, die nur auf Verlangen eines Dritten verfolgt werden, der Wahrheitsbeweis immer ausgeschlossen ist, kann im Medienbereich der Wahrheitsbeweis auch hin- sichtlich der Tatsachen des Privat- und Familienlebens geführt werden, sofern diese mit dem öffentlichen Leben unmittelbar zusammenhängen.

Im Lichte dieser Rechtsausführungen betrifft demnach die nach Ansicht des Berufungsgerichtes aus dem Gesamtzusammenhang des inkriminierten Artikels ableitbare (vgl US 18) Behauptung, die dort genannten unbeliebten Lehrer beschimpften auch Schüler, fallbezogen nicht den höchstpersönlichen Lebensbereich, weil Angelegenheiten des Geschäfts- oder Berufslebens nicht darunterfallen (Hartmann/Rieder Komm. zum Mediengesetz Band 4 S 72) und der in Rede stehende Artikel in seinem Gesamtzusammenhalt nicht auf ein Verhalten der Lehrer im privaten Bereich, sondern in der Schule (einem öffentlichen Bereich) abstellt.

Sonach wäre in bezug auf die in der periodischen Druckschrift "Wiener" veröffentlichten, den objektiven Tat- bestand der üblen Nachrede nach § 111 StGB erfüllenden Behauptung, sämtliche Antragsteller beschimpften Schüler, der Wahrheitsbeweis sehr wohl zulässig gewesen. Diese - dem Berufungsgericht unterlaufende und dem Erstgericht überbundene - Gesetzesverletzung wirkte sich zum (möglichen) Nachteil der - in der prozessualen Position eines Beschuldigten stehenden (§ 14 Abs 3 MedienG) - Antragsgegnerin aus, weil sie, ohne daß ihr die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit der Führung des Wahrheitsbeweises eingeräumt worden war, zur Zahlung von Entschädigungsbeträgen an die Antragsteller verurteilt wurde.

Im Gerichtstag wurde vom Vertreter der Antragsteller angeregt, der Oberste Gerichtshof möge (gemäß Art 89 Abs 2, 140 Abs 1 B-VG) mit einem § 6 MedienG betreffenden Antrag auf Prüfung der Verfassungsmäßigkeit an den Verfassungsgerichtshof herantreten.

Obschon - wie dargelegt - die in Rede stehende Regelung in Ansehung der Ermöglichung eines Wahrheits- beweises ein "Medienprivileg" darstellt, sieht sich der Oberste Gerichtshof zu einer derartigen Antragstellung nicht veranlaßt. Der Gesetzgeber ist nämlich nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes auch unter dem Aspekt des Gleichheitsgrundsatzes (Art 2 StGG) zu sachlich gerecht- fertigten Differenzierungen berechtigt. Eine solche scheint dem Obersten Gerichtshof unter Bedachtnahme auf die von den Straßburger Instanzen besonders betonte "herausragende Rolle der Presse in einem Rechtsstaat" (Newsletter 1994, 176, ÖJZ 1992,810, ÖJZ 1991,641, EuGRZ 1986,424), die mutatis mutandis auch vom Verfassungsgerichtshof in Ansehung einer die Medien begünstigenden Regelung beachtet wird (VfGSlg 13.577, 11.314, 11.297), gegeben, sodaß einem Antrag der angeregten Art ersichtlich kein Erfolg beschieden sein könnte.

Daher war in Stattgebung der Beschwerde wie im Spruch ersichtlich zu entscheiden.

Nur am Rande sei angemerkt, daß der Gerichtshof zweiter Instanz (ebenso wie das Landesgericht für Strafsachen Wien im zweiten Rechtsgang) zu Recht nicht geprüft hat, ob vorliegend etwa der spezifische Straflosigkeitsgrund der Einhaltung der journalistischen Sorgfaltspflicht nach § 6 Abs 2 Z 2 lit b MedienG gegeben war. Denn ein über- wiegendes Interesse der Öffentlichkeit an einer Veröffentlichung der bloß allgemeinen, auf keinen bestimmten Vorfall bezogenen Behauptung, ein als "unbeliebt" ein- gestufter Lehrer "beschimpfe Schüler", mit der sich der Artikelbefasser identifiziert, kann füglich nicht angenommen werden.

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