OGH 2Ob2022/96h

OGH2Ob2022/96h28.3.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Pflegschaftssache des am 2.5.1985 geborenen Sascha B*****, vertreten durch das Amt für Jugend und Familie 21.Bezirk, 1210 Wien, Am Spitz 1, infolge Revisionsrekurses des Pflegebefohlenen gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 28.Dezember 1995, GZ 44 R 1139/95s-171, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 27.September 1995, GZ 1 P 82/91-165, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes insgesamt wie folgt zu lauten hat:

Gerhard B***** ist als Vater des Minderjährigen Sascha B***** schuldig, zusätzlich zu der ihm auferlegten Unterhaltsverpflichtung einen Betrag von S 883,-- binnen 14 Tagen an den Pflegebefohlenen zu Handen seines Sachwalters zu bezahlen.

Das Mehrbegehren des Pflegebefohlenen auf Zahlung eines weiteren Betrages in der Höhe von S 955,50 wird abgewiesen.

Text

Begründung

Der Vater des Pflegebefohlenen ist aufgrund des Beschlusses des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 15.2.1995, zu einer monatlichen Unterhaltsleistung in der Höhe von S 1.000,-- für die Zeit vom 1.2.1993 bis 30.4.1994 und zu einer solchen in der Höhe von S 2.200,-- ab 1.5.1994 verpflichtet. In dieser Entscheidung wurde für das Jahr 1994 unter Anwendung der Anspannungstheorie von einem erzielbaren Einkommen von S 13.170,-- ausgegangen und die Unterhaltspflicht mit 17 % dieses Einkommens festgesetzt.

Mit Schriftsatz vom 2.2.1995 beantragte der Pflegebefohlene den Vater zur Zahlung eines Betrages von S 883,--, das seien 50 % der Kosten für die Schullandwoche im Schuljahr 1993/1994 zu verpflichten. Es seien für die Schullandwoche S 1.766,-- aufgelaufen, die zur Gänze von der Mutter bezahlt wurden; es sei daher der Vater zu einer einmaligen Leistung von S 883,-- zu verpflichten.

Mit Schriftsatz vom 28.3.1995 beantragte der Pflegebefohlene den Vater zur Zahlung eines weiteren einmaligen Betrages von S 955,50, das seien 50 % der Kosten für den Ankauf einer Brille, zu verpflichten. Zur Begründung dieses Antrages wurde lediglich vorgebracht, die Mutter ersuche, den Vater zu einem 50 % Kostenbeitrag zu verpflichten. Diesem Antrag waren beigegeben eine Bestätigung der öffentlichen Volksschule ***** Wien, J*****gasse 1, über die Teilnahme an der Schullandwoche vom 25.4. bis 30.4.1994 und die Kosten von S 1.766,-- sowie eine Rechnung vom 24.11.1993 über den Ankauf einer neuen Brillenfassung und neuer Gläser über S 2.834,-- abzüglich eines Krankenkassenbeitrages von S 923,--.

Der Vater äußerte sich zu diesen Anträgen nicht.

Das Erstgericht wies diese Anträge mit der Begründung ab, daß nur bei existenznotwendigem Individualbedarf die durch die Judikatur üblichen Unterhaltsbemessungssätze überschritten werden dürften. Es sei überdies einem 10-jährigen Buben zumutbar, eine Brille zu tragen, die von der Krankenkasse finanziert werde.

Das vom Pflegebefohlenen angerufene Rekursgericht bestätigte die Entscheidung und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig.

Das Rekursgericht führte aus, daß nach ständiger Rechtsprechung der Gerichte zweiter Instanz weder die Kosten der Anschaffung einer Brille noch die Kosten einer Schullandwoche einen existenznotwendigen Individualbedarf darstellten, den der Vater neben der Geldunterhaltsleistung zu decken habe. Das Rekursgericht teilte auch die Ansicht des Erstgerichtes, daß das Tragen einer von der Krankenkasse finanzierten Brillenfassung einem 10-jährigen Buben zumutbar sei, zumal sich deren Aussehen seit einigen Jahren nicht schon grundsätzlich von teureren Brillenfassungen unterscheide; das Tragen einer "Krankenkassenfassung" stelle daher keine soziale Diskriminierung eines Kindes dar. Das Tragen von Kunststofflinsen könnte bei starken Brillen oder besonderer Empfindlichkeit des Trägers indiziert erscheinen, doch sei weder im Antrag noch im Rechtsmittel ein diesbezügliches Vorbringen erstattet worden.

Richtig sei, daß sich das Kind der Teilnahme an der Schullandwoche aus finanziellen Gründen nicht entziehen könne, doch stehe es der obsorgeberechtigten Mutter frei, gemäß § 13 Abs 3 lit b SchUG die Teilnahme ihres Sohnes an der Schullandwoche abzulehnen. Auch wenn die Ausschließung des Kindes aus der Klasse für die Dauer der Schullandwoche nicht seinem Wohl diene, handle es sich bei dem zur Vermeidung dieser Folgen notwendigen Aufwand nicht um einen existenznotwendigen Bedarf des Kindes.

Der ordentliche Revisionsrekurs wurde für zulässig erklärt, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshof zu den hier zu lösenden Rechtsfragen nicht vorliege.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Pflegebefohlenen mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß der Vater zur Zahlung eines einmaligen Betrages von S 883,-- für die Schullandwoche und eines weiteren Betrages von S 955,50 für den Ankauf einer neuen Brille verpflichtet werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist auch zum Teil berechtigt.

Der Pflegebefohlene macht in seinem Rechtsmittel geltend, er sei grundsätzlich verpflichtet gewesen, an der Schullandwoche teilzunehmen. Es hätte daher die Erziehungsberechtigte die entsprechenden Kosten tragen müssen. Die Teilnahme an dieser Veranstaltung stelle auch eine pädagogische Notwendigkeit dar, da die erlebte Gemeinschaft für die Entwicklung von großer Bedeutung sei. Die Kosten der Schullandwoche seien daher ein Individualbedarf der von beiden Elternteilen zu tragen sei.

Bezüglich der Kosten für eine Brille wird in dem Rechtsmittel ausgeführt, es sei gerichtsbekannt, daß "Krankenkassenbrillen" aufgrund ihrer billigen Ausführung als solche erkannt werden und daß sie durch geringe Bruchsicherheit nicht die Sicherheitsbedingungen erfüllten, die gerade bei einem 10-jährigen Kind zu fordern seien. Erfahrungsgemäß lehnten es Kinder daher ab, diese Brillen zu tragen.

Diesen Ausführungen kommt im Ergebnis zum Teil Berechtigung zu:

Unter dem Regelbedarf versteht man im allgemeinen jenen Bedarf, den jedes Kind einer bestimmten Altersstufe in Österreich ohne Rücksicht auf die konkreten Lebensverhältnisse seiner Eltern an Nahrung, Kleidung, Wohnung und zur Bestreitung der weiteren Bedürfnisse hat. Der Sonderbedarf ist dagegen der Bedarf, der dem Unterhaltsberechtigten infolge Berücksichtigung der bei der Ermittlung des Regelbedarfes bewußt außer acht gelassenen Umstände erwächst (SZ63/81 mwN). Ob ein solcher Sonderbedarf vom Unterhaltspflichtigen zu decken ist, hängt davon ab, wovon dieser Sonderbedarf verursacht wurde (EFSlg 61.849). Generell kann gesagt werden, daß solcher Sonderbedarf durch Momente der Außergewöhnlichkeit und Individualität bestimmt wird, also nicht mit weitgehender Regelmäßigkeit für die Mehrzahl der Unterhaltsberechtigten anfällt (EFSlg 67.839) wobei jedenfalls ein die Gesundheit betreffender Individualbedarf im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen deckungspflichtig ist (EFSlg 61.849, 67.838). Wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung vom 29.8.1995, 5 Ob 524/95 ausgeführt hat, gehören die Kosten für die Anschaffung einer Brille zu den die Gesundheit betreffenden Kosten, die nicht alle oder doch nicht die Mehrzahl der Minderjährigen einer bestimmten Altersgruppe in gleicher Weise trifft. Ein solcher Bedarf wird daher nicht durch den auf die Befriedigung der generell bei den Minderjährigen einer bestimmten Altersklasse in gleicher Weise gegebenen Bedürfnissen abgestellten laufenden Unterhalt gedeckt. Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsansicht, wonach Kosten für die Anschaffung einer Brille grundsätzlich einen Sonderbedarf darstellen, an. Allerdings ist bei den Kosten für die Anschaffung einer Brille zu bedenken, daß seitens der Krankenversicherung zumindest ein Teil der Brillenkosten getragen wird. Daß Brillen, die mit dem Beitrag der Krankenkasse angeschafft werden können, für den Pflegebefohlenen (sei es aus optischen, sei es aus gesundheitlichen) Gründen nicht zumutbar wären, wurde im Verfahren erster Instanz nicht vorgebracht. Es ist auch nicht notorisch, daß das Tragen derartiger Brillen - sei es wegen ihres Aussehens, sei es wegen ihrer Qualität - nicht zumutbar ist.

Auf die erst im Rekursverfahren und teilweise erst im Revisionsrekursverfahren aufgestellten Behauptungen über die fehlende Zumutbarkeit des Tragens von Brillen, die mit dem Krankenkassenbeitrag angeschafft werden können, ist nicht weiter einzugehen, weil derartige Behauptungen im Verfahren erster Instanz nicht aufgestellt wurden. § 10 AußStrG eröffnet aber nach ständiger Rechtsprechung nicht die Möglichkeit, erst im Rechtsmittelverfahren diese nicht aufgestellten Tatsachenbehauptungen vorzubringen (EFSlg 70.291 ua).

Die Vorinstanzen haben daher im Ergebnis zu Recht den Antrag, dem Vater zur Tragung der halben Brillenkosten zu verpflichten, abgewiesen.

Anders verhält es sich hingegen mit den Kosten für die Schullandwoche. Auch bei diesen Kosten handelte es sich um solche die über den gewöhnlichen Schulaufwand hinausgehen (5 Ob 524/95). Sie sind daher vom Unterhaltspflichtigen unter Berücksichtigung der unter dem Regelbedarf liegenden laufenden Unterhaltszahlungen grundsätzlich zu tragen. Allerdings muß dem Unterhaltspflichtigen ein zur Deckung der seinen Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse entsprechender Betrag verbleiben (EFSlg 61.850). Im Hinblick darauf, daß der Unterhaltspflichtige ein Einkommen von S 13.170,-- pro Monat erzielen kann und der von ihm zu tragende Beitrag zu dem Sonderbedarf des Kindes relativ gering ist, kann nicht gesagt werden, daß durch die Tragung dieser Kosten ein zur Deckung der den Lebensverhältnissen des Vaters angemessenen Bedürfnisse entsprechender Betrag nicht verbliebe.

Es war daher dem Rekurs des Pflegebefohlenen teilweise Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.

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