OGH 7Ob2008/96m

OGH7Ob2008/96m27.3.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Gerhard M*****, und 2. Liselotte M*****, beide vertreten durch Dr.Helfried Stadler, Rechtsanwalt in Mistelbach, wider die beklagte Partei Doris Sch*****, vertreten durch Dr.Hermann Gaigg, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 97.490,-- sA, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 25.Oktober 1995, GZ 36 R 422/95-20, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 20. März 1995, GZ 8 C 1881/93b-14, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten erster Instanz.

Text

Begründung

Die Beklagte und ihr damaliger Lebensgefährte Peter T***** erwarben am 22.5.1990 aus dem Tierschutzhaus W***** einen ca. 2 Jahre alten Schäferbastard. Dieser Hund war am 11.4.1990 herrenlos aufgefunden und ins Tierheim überstellt worden. Das Tier wurde von der Heimleiterin als lieb, freundlich und völlig problemlos beschrieben. Die Beklagte und ihr Lebensgefährte übersiedelten im Juli 1990 nach D***** in ein Einfamilienhaus. Dort oblag die Betreuung des Tieres der allein im Haushalt tätigen Beklagten. Das Anwesen war straßenseitig nicht eingezäunt, der Hund wurde daher an einer 4 m langen, an einem Betonklotz befestigten Leine gehalten. Das angrenzende Anwesen wurde von den Klägern und ihren fünf Kindern, darunter auch dem dreijährigen behinderten Christian, bewohnt. Die Beklagte und die Zweitklägerin waren befreundet. Die Kinder der Kläger spielten fallweise mit dem Hund, dieser ließ sich von ihnen streicheln. Die Beklagte ersuchte die Zweitklägerin aber ausdrücklich, die Kinder in ihrer Abwesenheit nicht allein zum Hund gehen zu lassen. Das Verhalten des Hundes war bis zum 18.10.1990 liebesbedürftig und gutmütig. Er hat sich in keiner Weise aggressiv verhalten. Er verbellte jedoch alle fremden Personen, die sich dem Grundstück der Beklagten näherten und knurrte sie an. Er neigte dazu, Menschen aus Anlaß der Begrüßung anzuspringen. Am 18.10.1990 übergab die Zweitklägerin den kleinen Christian der Beklagten, die dieser sehr mochte. Für den Hund übergab sie der Beklagten Knochen. Die Beklagte und der von ihr an der Hand gehaltene Christian begaben sich bis zu einem Punkt, den der Hund mit seiner Kette noch erreichen konnte, und schauten dem Tier beim Fressen zu. Danach erlaubte die Beklagte dem kleinen Christian das Streicheln des Tieres, wobei sie den Hund am Halsband hielt, um zu verhindern, daß der Hund das Kind anspringt. Danach forderte sie den kleinen Christian auf, er solle sich langsam vom Hund wegdrehen und weggehen. Als auch sie mit dem Kind gemeinsam weggehen wollte und sich Christian einige Schritte vom Hund entfernt hatte, schnappte das Tier das Kind am Bein, zog es zu sich, stellte sich über das Kind und nahm eine Position ein, als wolle es mit der Beklagten um die Beute raufen. Der Beklagten gelang es nicht, das Kind vom Hund wegzuziehen. Das Kind verstarb in der Folge an 60 bis 70 Bissen, die ihm der Hund zufügte.

Die Kläger begehren von der Beklagten die Bezahlung von S 97.490,-- sA für die von ihnen im Zusammenhang mit dem Begräbnis gemachten Aufwendungen. Die Beklagte habe den schon seiner Rasse nach als gefährlich und sensibel einzustufenden Hund in Anwesenheit des kleinen Christian nicht ausreichend verwahrt und habe den Angriff des Hundes auf das behinderte Kind nicht abgewehrt.

Die Beklagte wendete ein, sie treffe kein Verschulden am Tod des kleinen Christian durch den von ihrem Lebensgefährten gehaltenen Hund. Der Hund sei immer gutmütig gewesen und habe keinerlei Tendenz zur Aggresssivität aufgewiesen. Sie habe das Tier auch ausreichend verwahrt gehabt. Der Vorfall habe sich erst nach dem Füttern des Tieres ereignet. Das Verhalten des Tieres sei für sie in keiner Weise vorhersehbar gewesen. Bestritten wurde die Aktivlegitimation beider Kläger, weil nur einer die geltend gemachten Auslagen gemacht haben könne, weiters die Angemessenheit der begehrten Beträge.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Beklagte habe als Tierhalterin die nach den bekannten bzw. erkennbaren Eigenschaften des Tieres erforderlichen oder doch nach der Verkehrsauffassung vernünftigerweise zu erwartenden Vorkehrungen zur sorgfältigen Verwahrung getroffen. Darüber hinaus hätten die Kläger die von ihnen geltend gemachten Klagsforderungen nicht durch Vorlage entsprechender Rechnungen unter Beweis gestellt.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil mit dem angefochtenen Beschluß auf; die Erhebung des Rekurses an den Obersten Gerichtshof erklärte es für zulässig. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und vertrat die Ansicht, daß der Beobachtungszeitraum von rund fünf Monaten ab dem Erwerb des Tieres aus dem Heim viel zu kurz gewesen sei, um dessen mögliche Aggressivität verläßlich beurteilen zu können. Dementsprechend hätte die Beklagte beim Weggehen des Kindes den Hund solange am Halsband halten müssen, bis das Kind den Einflußbereich des Hundes verlassen habe. Im besonderen sei der Beklagten vorzuwerfen, daß sie sich, nachdem der Hund gefressen hatte, im Weggehen gemeinsam mit dem Kind umgedreht und damit vom Hund abgewendet habe, sodaß das Tier in diesem Zeitpunkt nicht mehr beaufsichtigt gewesen sei. Die Beklagte treffe daher ein Verschulden nach § 1320 ABGB. Da es das Erstgericht verabsäumt habe, die Kläger zu den geltend gemachten Auslagen im Zusammenhang mit dem Begräbnis als Partei zu befragen, sei das Ersturteil aufzuheben und dem Erstgericht aufzutragen gewesen, Feststellungen über die Art und die Höhe der geltend gemachten Auslagen zu treffen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung von der Beklagten erhobene Rekurs ist nicht berechtigt.

Das Rekursverfahren ist im wesentlichen mängelfrei geblieben. Die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß die Beklagte über das Verhalten (den Charakter) des Tieres nichts wußte, da dieses aus einem Tierheim stammte, ist in dem Sinn zu verstehen, daß ein Beobachtungszeitraum von nur fünf Monaten nach der Lebenserfahrung eine abschließende Beurteilung über das Verhalten eines erwachsenen Tieres, das von seiner Rasse, Größe und von seinem Kraftpotential her gesehen zu den eher gefährlichen Hunden gehört, als völlig problemlos nicht zuläßt. Gerade der Umstand, daß das Tier herrenlos aufgefunden und dann im Tierheim untergebracht wurde, hätte bei jedem einsichtigen Hundehalter zur Erkenntnis führen müssen, daß es mit ihm Eingewöhnungs- bzw. Anpassungsprobleme geben und daß der Hund durch seine Verstoßung psychische Schäden davongetragen haben kann. Die Feststellung des Erstgerichtes, daß sich der Hund bis zum gegenständlichen Vorfall stets als liebevolles gutmütiges Tier erwiesen habe, steht eben wegen des zu kurzen Beobachtungszeitraumes dazu nicht im Widerspruch. Richtig ist, daß sich für die Annahme des Berufungsgerichtes, auch die Beklagte habe sich vom Hund weggewendet, als sie den kleinen Christian zum Weggehen aufforderte, keine erstgerichtliche Feststellung findet, wohl aber ein zugestandenes Verhalten dieser Art durch die Beklagte in dem Einspruch ON 3. Die Beklagte blieb auch eine Erklärung darüber schuldig, weshalb sie den Hund nicht weiter am Halsband gehalten hat, obwohl sich das Kind noch im Auslaufbereich des Tieres befand. Der gerügten Mangelhaftigkeit kommt kein Einfluß auf die ansonsten zutreffende rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes zu.

Es trifft zwar zu, daß die Frage, ob der Hundehalter mit der gebotenen Sorgfalt für die Verwahrung des Tieres gesorgt hat, eine Frage des Einzelfalles ist; das Erstgericht hat aber bei der Beurteilung des vorliegenden Falles die von der oberstgerichtlichen Rechtsprechung dazu vertretenen Grundsätze insofern verletzt, als es vor allem der bei der Nähe von Kleinkindern geforderten besonderen Vorsicht des Hundehalters nicht die nötige Bedeutung zugemessen hat. Gemäß § 1320 Satz 2 ABGB ist der Halter eines Tieres für jeden Schaden verantwortlich, der in der besonderen Tiergefahr seine Ursache hat, wenn er nicht beweist, daß er für die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung des Tieres gesorgt hat. Tiere stellen ihrer Natur nach aufgrund der Unberechenbarkeit ihres triebhaften Verhaltens, das auf menschliche Interessen nicht Rücksicht nimmt, eine besondere Gefahrenquelle dar, die es rechtfertigt, dem Tierhalter im Falle der Vernachlässigung der im Einzelfall gebotenen Sorgfalt bei der Verwahrung des Tieres das Haftungsrisiko, das der typischen Tiergefahr entspringt, aufzuerlegen. Das Maß der erforderlichen Aufsicht und Verwahrung ist in elastischer und den Umständen des Einzelfalles Rechnung tragender Weise zu bestimmen; insbesondere sind Art und Individualität des Tieres bei der Beurteilung seiner Gefährlichkeit sorgfältig zu berücksichtigen und die Möglichkeit einer Schädigung durch das spezifische Tierverhalten zu bedenken. Es muß zwar nicht jede denkbare Möglichkeit einer Schädigung ausgeschlossen (vgl. Reischauer in Rummel ABGB2 § 1320 Rz 12, 20 ff mwN), aber doch das Risiko nach der Wahrscheinlichkeit seiner Verwirklichung bedacht werden.

Aus den zutreffenden Erwägungen des Berufungsgerichtes durfte die beklagte Mithalterin nach einer nur fünfmonatigen Beobachtungszeit selbst unter Berücksichtigung der davorliegenden einmonatigen Wahrnehmungen im Tierheim nicht der Auffassung sein, daß ihr Tier als völlig ungefährlich einzustufen ist. Sie hätte insbesondere berücksichtigen müssen, daß das Anketten bei einem Hund dessen Aggression hervorrufen kann und daß in der Nähe von Kleinkindern bei derart großen und von ihrer Natur her als gefährlich einzustufenden Hunden besondere Vorsicht geboten ist, weil Kleinkinder nach der Lebenserfahrung durch große Hunde stets potentiell gefährdet sind (vgl. SZ 65/106 mwN). Es sollten daher Kleinkinder nicht in den Einflußbereich eines angeketteten Hundes gebracht werden. Dazu kommt, daß die durch die Behinderung des kleinen Christian hervorgerufenen atypischen Bewegungen die Aufmerksamkeit des Tieres auf sich gezogen haben können. Weiters ereignete sich der Unfall noch in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Freßvorgang. Die Beklagte hätte daher der gerichtsbekannten Tatsache, daß Hunde beim Fressen besonders aggressiv sein können, Rechnung tragen müssen. Die Beklagte hätte daher auch den Hund nicht loslassen dürfen, solange sich das Kind noch im Einflußbereich des Hundes befand, oder dem Tier nach dem Fressen sofort einen Maulkorb umhängen müssen.

Da sich sohin die Aufhebung des Ersturteiles durch das Berufungsgericht als zutreffend erweist, war dem Rekurs ein Erfolg zu versagen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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