OGH 14Os26/96

OGH14Os26/9619.3.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 19.März 1996 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer, Dr.Ebner, Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Mänhardt als Schriftführer, in der Strafsache gegen Alfred N***** (früher E*****) wegen des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels als Schöffengericht vom 1.Dezember 1995, GZ 13 Vr 973/94-57, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Erster Generalanwalt Dr.Hauptmann, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr.Anderle zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Alfred N***** (früher E*****) des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er zu Weihnachten 1993 und im Juli 1994 in St.M*****, als Leiter der dortigen Außenstelle des Beruflichen Bildungs- und Rehabilitationszentrums ***** die am 18.Jänner 1968 grborene Claudia P*****, eine geistig behinderte Klientin der geschützten Werkstätte dieser Institution, durch die Äußerungen, daß sie "aus dem Heim des P*****hofes geschmissen und in ein Heim für schwer erziehbare Kinder kommen werde, falls sie etwas über die Vorfälle weitererzähle", mithin durch gefährliche Drohung mit der Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Existenz, zu der Unterlassung genötigt, sich wegen des von ihm wiederholt an ihr vollzogenen Beischlafes und vorgenommener weiterer geschlechtlicher Handlungen anderen Personen anzuvertrauen.

Von den gegen ihn wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB und weiterer Fälle der schweren Nötigung erhobenen Anklagevorwürfen wurde er unter einem gemäß § 259 Z 3 StPO rechtskräftig freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Den Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Gründe der Z 5, 5 a, 9 (lit a) und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der jedoch keine Berechtigung zukommt.

Die Urteilsfeststellung, der Angeklagte sei sich der Bedeutung der Erhaltung des Arbeitsplatzes in der geschützten Werkstätte für die wirtschaftliche Existenz der Claudia P***** voll bewußt gewesen (US 9 vorl Abs), ist mit dem amtsbekannten Bestand weiterer Einrichtungen dieser Art durchaus in Einklang zu bringen. Die Existenz anderer geschützter Werkstätten bietet noch keinerlei Gewähr dafür, daß einer wegen ihres Verhaltens aus einer solchen Einrichtung als untragbar ausgegliederten Behinderten die Aufnahme in einen gleichartigen Betrieb ohne weiteres möglich wäre.

Es stehen auch jene Verfahrensergebnisse, wonach der Angeklagte keine rechtliche Kompetenz zur Auflösung von Dienstverhältnissen hatte (siehe insb S 233 und 279/II), nicht im Widerspruch zur Urteilsfeststellung, er habe als Leiter des P*****hofes faktisch starken Einfluß auf die Dienstverhältnisse gehabt und wesentlichen Einfluß auf deren allfällige Auflösung nehmen können (US 12 unten). Für eine solche Einflußnahme, die insbesondere in einer ihm als Werkstättenleiter zustehenden Bewertung der Leistungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft sowie des Verhaltens der behinderten Mitarbeiter am Arbeitsplatz bestand, bedurfte es keiner dienstrechtlichen Befugnisse. Genug daran, daß es unter anderem zu seinen Aufgaben gehörte, die tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen für Kündigungen und Entlassungen zu erarbeiten und zu beabsichtigten Maßnahmen dieser Art Stellung zu nehmen (siehe insb 503/I und 233/II).

Nicht erörterungsbedürftig waren auch die ursprünglichen Angaben der Claudia P***** (S 227/I), denenzufolge der Angeklagte sich geäußert hätte, wenn P***** etwas erzähle, würden "beide" - also sowohl der Angeklagte als auch P***** - "aus dem Heim geschmissen". Im hier allein wesentlichen Punkt, nämlich der Ankündigung des Arbeitsplatzverlustes für Claudia P*****, widerspricht diese Aussage keineswegs den späteren Bekundungen dieser Zeugin (S 16 f/I, 201 und 207/II). Der zunächst von ihr behauptete Wortlaut, der auch einen Hinweis auf die dem Angeklagten selbst drohende Entlassung enthielt, läßt durchaus nicht nur die vom Angeklagten angestrebte Interpretation als "gutmeinende Warnung" vor den Folgen der Aufdeckung der sexuellen Beziehungen zu. Er kann vielmehr - im Einklang mit dem vom Erstgericht aufgrund der späteren Aussagen der Zeugin festgestellten Sinngehalt - als Ankündigung aufgefaßt werden, der Angeklagte werde ungeachtet der ihm selbst drohenden dienstrechtlichen Folgen im Falle einer Aufdeckung der sexuellen Kontakte seinen faktischen Einfluß jedenfalls noch dahin zu nützen wissen, daß auch Claudia P***** ihren Arbeitsplatz einbüßen werde.

Die behaupteten Unvollständigkeiten der Entscheidungsgründe (Z 5) liegen daher allesamt nicht vor.

Ebensowenig bestehen erhebliche Bedenken (Z 5 a) gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen. Zu Unrecht beruft sich der Beschwerdeführer auf das psychiatrische Gutachten über Claudia P***** (S 29 bis 33/II und S 371 ff/II), weil der Sachverständige die Aussagefähigkeit der Zeugin als ausreichend bezeichnet und ihr die Aussageehrlichkeit keineswegs abgesprochen hat, wenngleich er meinte, daß diese Frage "wesentlich schwieriger zu beurteilen" sei.

Auf die vom Nichtigkeitswerber betonten Widersprüche in den Angaben der Zeugin P***** hinsichtlich belangloser Details ist das Erstgericht ohnehin eingegangen (US 13/14), hat sie jedoch - mit gerade angesichts der geistigen Kapazität der Zeugin (S 373/II) durchaus nachvollziehbarer Begründung - für nicht geeignet befunden, die Glaubwürdigkeit ihrer dem Schuldspruch zugrundeliegenden Bezichtigung gegen den Angeklagten zu erschüttern. Wenn der Beschwerdeführer diesen Umständen und der - nicht nur in einem für ihn günstigen Sinne interpretierbaren - Wiedergabe seiner Äußerung durch die Zeugin vor der Gendarmerie (S 227/I oben) weitaus größere Bedeutung für seine Entlastung zuschreibt als das Schöffengericht, versucht er nur, dessen Beweiswürdigung nach Art einer hier unzulässigen Schuldberufung zu bekämpfen.

Schließlich ist auch sein Hinweis auf die leichte Erkennbarkeit der Wirklichkeitsferne einer Ankündigung, die zu den Tatzeiten bereits 25- bzw 26-jährige Zeugin P***** werde in ein Heim für schwer erziehbare "Kinder" kommen, nicht geeignet, ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der entscheidenden Tatsachenfeststellungen zu begründen. Daß diese Ankündigung vom Angeklagten dazu bestimmt und auch objektiv geeignet war, in der Adressatin den Eindruck einer ihr drohenden Unterbringung in einem Kindererziehungsheim zu erwecken, wurde vom Erstgericht ohenhin nicht angenommen. Mit der urteilsmäßig festgestellten Zielrichtung und Eignung der unmittelbar vorangegangenen Androhung des Arbeitsplatzverlustes ist aber auch eine hieran anknüpfende Äußerung vereinbar, die etwa nur den Zweck verfolgte, der Claudia P***** drastisch vor Augen zu führen, daß sie - gleich einem schwer erziehbaren Kind - auf die Unterbringung in einer heimähnlichen Institution angewiesen sei.

Der Rechtsrüge (Z 9 lit a) zuwider wurde die Eignung der inkriminierten Äußerung, der Adressatin die begründete Besorgnis (§ 74 Z 5 StGB) einzuflößen, der Angeklagte sei in der Lage und willens, ihre wirtschaftliche Existenz zu vernichten (§ 106 Abs 1 Z 1 StGB), vom Erstgericht zutreffend bejaht. Diese Eignung ist objektiv zu beurteilen, wobei auch in der Person des Bedrohten gelegene besondere Umstände mitzuberücksichtigen sind. Demnach kommt es darauf an, welchen Eindruck die Bedrohte bei unbefangener Betrachtung der Situation unter Berücksichtigung allfälliger besonderer, in ihrer Person gelegener Umstände gewinnen konnte (Leukauf-Steininger Komm3 § 74 RN 21). Angesichts der bereits erwähnten faktischen Möglichkeiten einer Beeinflussung von Kündigungs- und Entlassungsentscheidungen durch den Angeklagten konnte Claudia P***** durchaus befürchten, er sei imstande und im Falle eines Bruches ihrer Verschwiegenheit auch gewillt, ihre wirtschaftliche Existenz zu vernichten, nachdem ihre geringe geistige Entwicklung (US 9) ihr die Erlangung eines anderen Arbeitsplatzes kaum ermöglicht hätte und auch keine Anhaltspunkte dafür hervorgekommen sind, daß eine andere geschützte Werkstätte sie nach einer vom Angeklagten mitveranlaßten Ausgliederung aus dem P*****hof aufzunehmen bereit gewesen wäre (vgl ÖJZ-LSK 1996/50). Der Einwand, daß sich P***** durch die sexuellen Handlungen mit dem Angeklagten nicht strafbar gemacht habe, geht in diesem Zusammenhang ins Leere. Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinngehalt der inkriminierten Äußerung ergibt sich, daß der Angeklagte ihr eine wegen eines strafbaren Verhaltens zu befürchtende Ausgliederung aus der geschützten Werkstätte angedroht hätte.

Die Subsumtionsrüge (Z 10), wonach nur Versuch in Betracht komme, weil Claudia P***** die Vorfälle weder innerhalb des P*****hofes noch vor der Exekutive oder dem Gericht verschwiegen habe, nimmt nicht auf den Urteilssachverhalt in seiner Gesamtheit Bezug. Der Beschwerdeführer übergeht insoweit nämlich die Urteilsfeststellung (US 15), derzufolge er durch die Drohungen bewirkte, daß sich die Zeugin P***** letztlich erst im September 1994, also rund neun Monate nach dem ersten und zwei Monate nach dem zweiten Vorfall, ihrer Sachwalterin anvertraut und es sohin unterlassen hat, dies schon unmittelbar danach zu tun. Aus diseser Feststellung ergibt sich, daß die Nötigung jeweils vollendet war, weil deren Erfolg bereits dann eintritt, wenn der Genötigte zumindest begonnen hat, sich in der vom Täter geforderten Weise zu verhalten (Leukauf-Steininger Komm3 § 105 RN 28 und 29 mwN).

Die zum Teil nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführte, im übrigen aber unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher zu verwerfen.

Bei der Strafbemessung wertete das Schöffengericht das Zusammentreffen zweier strafbarer Handlungen derselben Art und das Ausnützen der Hilflosigkeit des Tatopfers als erschwerend; als mildernd hingegen die Unbescholtenheit des Angeklagten. Es verhängte über ihn eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten, die es ihm für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachsah.

Die dagegen gerichtete Berufung des Angeklagten, mit der er unter Hinweis auf seine Unbescholtenheit und den Selbstschutzcharakter seiner Tat die Herabsetzung der Strafe auf das Mindestmaß beantragt, ist unbegründet, hat er doch die Anlaßsituation durch sein jedenfalls dienstwidriges Vorverhalten selbst heraufbeschworen.

Der Ausspruch über die Kostenersatzpflicht des Angeklagten ist in § 390 a StPO begründet.

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