OGH 14Os136/95

OGH14Os136/9519.3.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 19.März 1996 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer, Dr.Ebner, Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Mänhardt als Schriftführer, in der Strafsache gegen Ingrid W***** und Peter W***** wegen des Verbrechens des Menschenhandels nach § 217 Abs 1 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der beiden Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 18.Mai 1994, GZ 27 Vr 129/94-77, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Fabrizy, jedoch in Abwesenheit der beiden Angeklagten und ihres Verteidigers zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Ingrid W***** und aus deren Anlaß wird das angefochtene Urteil zur Gänze aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Ingrid W***** und Peter W***** werden von der wider sie erhobenen Anklage, in Aigen gewerbsmäßig Personen, mögen sie auch bereits der gewerbsmäßigen Unzucht ergeben gewesen sein, dieser Unzucht in einem anderen Staat als in dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen oder in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, zugeführt zu haben, und zwar:

A) vom 14.September 1993 bis 21.Jänner 1994 Ingrid W***** und Peter

W***** in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken die Staatsangehörigen der Dominikanischen Republik Martina Josefina E***** und Juana L***** sowie die Staatsangehörige von Thailand Wirat P*****, indem Ingrid W***** diesen im Club ***** unentgeltlich Unterkunft gewährte, Räumlichkeiten zur Ausübung der gewerbsmäßigen Prostitution zur Verfügung stellte und pro Kundschaft je nach Aufenthaltsdauer im Separee 1.190 S bis 2.690 S vereinnahmte und Peter W***** von den Gästen diese Separeepreise und Getränkepreise kassierte, sodann einen vereinbarten Betrag an die Prostituierten weiterleitete, die nach Abzug verbliebenen Einnahmen verwaltete und mit Ingrid W***** verrechnete und außerdem die Prostituierten beim Erwerb der Gesundheitsbücher zur Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht unterstützte, sowie sie wöchentlich mit seinem PKW zu den amtsärztlichen Untersuchungen nach Wels chauffierte;

B) vom 1. bis 4.Feber 1994 Peter W***** (allein) zwei

Dominikanerinnen, nämlich Julia Maria N***** sowie Anna Modesta P*****, indem er sie von der Peepshow in Wels in den Club ***** brachte, beide dort polizeilich anmeldete und wiederum als faktischer Geschäftsführer Separee- und Getränkepreise kassierte sowie den beiden vorgenannten Dominikanerinnen Räumlichkeiten zur Ausübung der Prostitution zur Verfügung stellte,

gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Auf diese Entscheidung werden der Angeklagte Peter W***** mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung sowie die Angeklagte Ingrid W***** und die Staatsanwaltschaft mit ihren Berufungen verwiesen.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Ingrid W***** und Peter W***** des Verbrechens des Menschenhandels nach § 217 Abs 1 zweiter Fall StGB schuldig erkannt, wobei ihnen im wesentlichen der im Spruch wiedergegebene Anklagesachverhalt zum Vorwurf gemacht wurde.

Ingrid W***** bekämpft den Schuldspruch mit Nichtigkeitsbeschwerde aus den Gründen der Z 5, 5 a, 9 lit a und b des § 281 Abs 1 StPO. Peter W***** hat eine Nichtigkeitsbeschwerde zwar angemeldet, aber nicht ausgeführt. Beide Angeklagten haben überdies gegen den Strafausspruch, ebenso wie die Staatsanwaltschaft, Berufung erhoben.

Mit ihrer Rechtsrüge (9 lit a), zum Teil aber auch unter Berufung auf weitere Nichtigkeitsgründe, macht die Beschwerdeführerin Ingrid W***** ua geltend, daß ihr vom Erstgericht festgestelltes Verhalten schon deshalb nicht den Tatbestand des § 217 Abs 1 StGB erfülle, weil die ausländischen Prostituierten zum Zeitpunkt der Aufnahme im Bordellbetrieb der Angeklagten in Österreich ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten.

Darin ist der Beschwerdeführerin im Ergebnis beizupflichten.

Schutzobjekte des § 217 StGB sind Personen, die der gewerbsmäßigen Unzucht in einem anderen Staat als dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen oder in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, zugeführt werden. Diese Umschreibung des betroffenen Personenkreises wird nach einhelliger Rechtsprechung dahin ausgelegt, daß in bezug auf Ausländerinnen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland das Verbrechen des Menschenhandels durch Zuführen zur gewerbsmäßigen Prostitution in Österreich nicht begangen werden kann.

Vorliegendenfalls verneinte zwar das Schöffengericht für alle als Tatopfer angeführten Ausländerinnen das Bestehen eines gewöhnlichen Aufenthaltes im Inland, doch vermögen die dazu getroffenen tatsächlichen Feststellungen diese rechtliche Schlußfolgerung nicht zu tragen.

Auch unter Zugrundelegung eines gegenüber der Auffassung der Generalprokuratur restriktiveren Aufenthaltsbegriffes sind die darnach jedenfalls geforderten (aber im Hinblick auf § 66 Abs 2 JN, § 1 Abs 1 AufenthaltsG, BGBl 1992/466, u § 1 Abs 6 HauptwohnsitzG, BGBl 1994/505, auch genügenden) Kriterien der Freiwilligkeit und einer gewissen Aufenthaltsdauer dann zu verneinen, wenn der Aufenthalt im Fremdstaat nur unter einem die sexuelle Selbstbestimmung einschränkenden und damit solchem Abhängigkeitsverhältnis erfolgt, dessen Hintanhaltung die Bestimmung des § 217 StGB bezweckt.

Daß nun die aus der Dominikanischen Republik und Thailand stammenden Frauen während der gesamten (von über einem Jahr bis zu vier Jahren dauernden) Anwesenheit in Österreich vor Aufnahme im Bordellbetrieb der Beschwerdeführer durchgehend als Prostituierte in einem derartigen Abhängigkeitsverhältnis gestanden wären, kann dem Urteilssachverhalt nicht entnommen werden. Soweit Anhaltspunkte dafür im Vorverfahren den dringenden Tatverdacht auch in dieser Beziehung gerechtfertigt erscheinen ließen, wurden sie durch die Ergebnisse der Hauptverhandlung nicht im erforderlichen Umfang ergänzt. Die nicht näher determinierte, bloß "zeitweise" Pro- stitutionsausübung in verschiedenen einschlägigen Lokalen und die unmittelbar vorangegangene Tätigkeit in einer Peepshow (US 6) allein reichen für die Feststellung des beschriebenen Abhängigkeitsverhältnisses und damit auch für die Annahme einer deliktsspezifischen Verknüpfung, die der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes iSd § 217 StGB entgegenstünde, nicht hin.

Weitere Konstatierungen zu dieser entscheidungsrelevanten Frage läßt das angefochtene Urteil, das sonach mit einem Feststellungsmangel in der Bedeutung des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO behaftet ist, vermissen. Eine Rückverweisung der Strafsache an das Erstgericht zwecks Nachholung der für einen Schuldspruch erforderlichen Feststellungen hatte zu unterbleiben, weil nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens solche Kon- statierungen nicht hätten getroffen werden können und eine Erneuerung des Beweisverfahrens keine wesentliche Erweiterung der Beurteilungsgrundlagen, und zwar auch nicht in Richtung der §§ 214, 215 oder 216 StGB, erwarten läßt.

Da sich die unrichtige Gesetzesanwendung auch zum Nachteil des Angeklagten Peter W***** auswirkt, dessen Nichtigkeitsbeschwerde einer gesetzmäßigen Ausführung entbehrt, bestand Anlaß für eine amtswegige Wahrnehmung dieses Nichtigkeitsgrundes gemäß § 290 Abs 1 StPO.

In Stattgebung und aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Ingrid W***** war daher - ohne daß auf deren weiteres Beschwerdevorbringen noch einzugehen gewesen wäre - das angefochtene Urteil zur Gänze aufzuheben und in der Sache selbst sogleich auf Freispruch der Angeklagten Ingrid W***** und Peter W***** zu erkennen.

Damit sind alle übrigen Rechtsmittel gegenstandslos.

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