OGH 12Os4/96

OGH12Os4/967.3.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 7.März 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Horak als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rzeszut, Dr.Schindler, Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Rauer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Nasib N***** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Schöffengericht vom 27.Oktober 1995, GZ 16 Vr 509/95-62, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Presslauer, des Angeklagten und des Verteidigers Dr.Guido Kollmann, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben und das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch laut Punkt 1./a/ und b/ sowie Punkt 2./ des Urteilssatzes und demgemäß im Strafausspruch aufgehoben und gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

Nasib N***** wird von der Anklage, er habe in Bludenz

1. die nachgenannten unmündigen Personen auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht, und zwar

a) zwischen 1982 und 1983 die am 22.Oktober 1977 geborene Gurbet K*****, indem er sie bei mehreren selbständigen Angriffen im Genitalbereich betastete und mit seinen Fingern in ihre Scheide eindrang;

b) zwischen 1982 und 1983 die am 7.Juli 1977 geborene Vicdan S*****, indem er sie in mehreren selbständigen Angriffen im Genitalbereich betastete;

2. zwischen 1982 und 1983 Gurbet K***** durch gefährliche Drohung zur Unterlassung der Berichterstattung über die zu 1./a/ geschilderten Vorfälle an ihre Eltern genötigt, wobei besonders wichtige Interessen der Genötigten oder Dritter verletzt wurden, indem er äußerte: "Falls du deinem Vater oder deiner Mutter ein Wort sagst, schlägt dich der Vater mit einem Holzprügel",

und habe hiedurch zu 1./ das Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und zu 2./ das Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 3 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Nasil N***** wird für das ihm nach dem unberührt gebliebenen Teil des Schuldspruches (Punkt 1./c/ des Urteilssatzes) weiterhin zur Last liegende Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 14 (vierzehn) Monaten verurteilt.

Der Ausspruch über die Vorhaftanrechnung wird aus dem angefochtenen Urteil übernommen.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde ver- worfen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Strafneubemessung verwiesen.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Nasib N***** der Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (1 a-c) und der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 3 StGB (2) schuldig erkannt.

Darnach hat er Bludenz

1. unmündige Personen auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht, indem er (a und b) "zwischen 1982 und 1983" die am 22.Oktober 1977 geborene Gurbet K***** und die am 7.Juli 1977 geborene Vicdan S***** in mehreren Angriffen im Genitalbereich betastete und zumindest einmal mit dem Finger in die Scheide der Gurbet K***** eindrang sowie (c) "zwischen 1987 und März 1995" die am 27. Dezember 1982 geborene Nimet T*****, indem er sie in mehreren selbständigen Angriffen an der Scheide und an den Brüsten betastete und sie mehrmals veranlaßte, seinen entblößten Penis anzufassen;

2. "an einem unerhobenen Tag im Jahr 1982 oder 1983" Gurbet K***** durch die Äußerung, ihr Vater werde sie mit der von ihm vorgezeigten Nudelrolle schlagen, wenn sie ihm oder ihrer Mutter von der unter 1./a/ bezeichneten Tat erzähle, sohin durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Körper zur Unterlassung der Berichterstattung gegenüber ihren Eltern genötigt, wobei die Tat besonders wichtige Interessen der Genötigten oder ihren Eltern verletzt hat.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer aus Z 4, 5, 5 a und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde.

Ihr kommt insoweit Berechtigung zu, als sie Verjährung (zu 1./a/ und b/, 2./) mit der Begründung ein- wendet (Z 9 lit b), das Urteil enthalte keine Konstatierungen darüber, wann diese strafbaren Handlungen innerhalb des in Frage kommenden Deliktszeitraumes begangen worden sind.

Tatsächlich erschöpfen sich die erstgerichtlichen Feststellungen im gegebenen Zusammenhang in einer Verweisung auf den Urteilstenor, welcher eine nähere zeitliche Eingrenzung innerhalb des zweijährigen Tatraumes allerdings nicht enthält. Aus der Sicht der gegebenen Feststellungsgrundlagen kommt in den Urteilsaussprüchen über die Tatzeitpunkte keine jenseits der Verjährungsfrist gelegene Deliktsverübung zum Ausdruck. Die Zeitumschreibungen beruhen nämlich auf den nur unbestimmten Angaben der beiden Tatopfer Gurbet K***** (33 f, 108, 415) und Vicdan S***** (41, 43, 112, 431) über ihr ungefähres Alter zur Zeit der - bei ihrer Vernehmung schon viele Jahre zurückliegenden - sexuellen Attacken durch den Angeklagten. Demgemäß wurde eine der nähere Datierung zugängliche, mit Sicherheit nach Ablauf des Jahres 1982 gegen diese Unmündigen gesetzte Straftat nicht konstatiert. Auch der bloß mit dem "Jahr 1987" festgesetzte Beginn der Folgetat (1 c) resultiert aus den einer weiteren Präzisierung unzugänglichen Angaben des betroffenen Mädchens, damals fünf Jahre alt gewesen zu sein (27, 155). Durch den Urteilssachverhalt wird damit der Ablauf einer fünfjährigen Frist zwischen der letzten an Gurbet K***** und Vicdan S***** begangenen Taten und der ersten gegen Nimet T***** verübten Unzuchtshandlung nicht ausgeschlossen. Nach den Verfahrensergebnissen hätte das Erstgericht auch nicht mit mängelfreier Begründung annehmen können, daß zwischen diesen Taten weniger als fünf Jahre liegen. Ein Zeitraum, der gemäß § 58 Abs 3 StGB in die Verjährungsfrist nicht einzurechnen gewesen wäre, hat sich im Verfahren nicht ergeben. Daher ist im Sinne der §§ 57 Abs 2 und Abs 3, 58 Abs 2 StGB davon auszugehen, daß die dem Angeklagten angelasteten Delikte gegen Gurbet K***** und Vicdan S***** (1./a/ und b/, 2./) verjährt sind (siehe hiezu Mayerhofer-Rieder StGB4 § 57 E 2 a).

Die betroffenen Schuldsprüche waren daher als nichtig (Z 9 lit b) aufzuheben und der Angeklagte insoweit vom Anklagevorwurf freizusprechen.

Im übrigen kommt der Nichtigkeitsbeschwerde jedoch keine Berechtigung zu:

Die Einholung eines zweiten psychologischen Gutachtens zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugin Nimet T***** konnte unterbleiben, ohne Verteidigungsrechte des Angeklagten zu beeinträchtigen (Z 4). Ein zweiter Sachverständiger ist im Strafverfahren nur ausnahmsweise bei besonderer Schwierigkeit der Beobachtung oder Begutachtung oder bei Mangelhaftigkeit des bereits vorliegenden Gutachtens beizuziehen (§§ 118 Abs 2, 125, 126 StPO). Mit der spekulativen Behauptung, "das vorliegende Gutachten sei einseitig unter der Annahme der Täterschaft des Angeklagten verfaßt; die Glaubwürdigkeit der Nimet T***** sei zu wenig unter dem Gesichtspunkt, daß der Angeklagte die Wahrheit sagt, geprüft worden" (541), wird das Vorliegen eines der gesetzlich vorgesehenen Ausnahmsfälle nicht dargetan.

Auf die weiteren - erst im Rechtsmittelverfahren vorgebrachten - Gründe war nicht einzugehen, weil für die Überprüfung der Entscheidung über einen Beweisantrag allein die Sachlage zur Zeit der Antragstellung in erster Instanz maßgebend ist (SSt 41/71).

Zum sonstigen Vorbringen der Verfahrensrüge (Z 4) genügt der Hinweis, daß aus einem bloß in einem Schriftsatz enthaltenen schriftlichen Antrag der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund nicht abgeleitet werden kann (Mayerhofer-Rieder StPO3 § 281 Z 4 E 1).

Soweit die undifferenziert vorgetragene Mängel- und Tatsachenrüge (Z 5 und Z 5 a) eine meritorische Erwiderung nicht überhaupt entbehrlich macht, weil sie auf Umstände Bezug nimmt, die allein für die ohnehin zugunsten des Angeklagten gelöste Verjährungsfrage von Bedeutung sind, vermag sie weder einen Begründungsmangel (Z 5) aufzuzeigen, noch erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen zu erwecken (Z 5 a).

Die Konstatierung, daß die Unzuchtshandlungen an Nimet T***** (1./c/) bereits ab dem Jahre 1987 gesetzt wurden, ist der Beschwerdeauffassung zuwider nicht unbegründet geblieben, sondern beruht auf einer denkrichtigen Schlußfolgerung aus der Aussage des (1982 geborenen) Tatopfers, damals fünf Jahre alt gewesen zu sein (27, 129).

Als aktenwidrig auf sich beruhen kann die Behauptung, der Zeuge Yusuf G***** habe die Verantwortung des Angeklagten bestätigt, im gemeinsam betriebenen Cafe "die ganze Freizeit verbracht zu haben" (siehe 409).

Der weitere Einwand, gerade der Aussage dieses Zeugen ebenso wie jener der Hayriye D***** komme nach Meinung des Angeklagten Glaubwürdigkeit zu, ist im Nichtigkeitsverfahren überhaupt unzulässig (EvBl 1989/24). Davon abgesehen hat das Schöffengericht die Bekundungen der Zeugin D***** über eine ihr gegenüber gemachte Äußerung des Tatopfers (zu 1./c/), wonach deren belastende Angaben unrichtig seien, ohnehin in den Kreis der Urteilserwägungen miteinbezogen (US 16). Gleiches gilt für die von der Beschwerde vermißte Erörterung des Umstandes, daß das Tatopfer seinen Lehrern teilweise Unrichtiges berichtet hatte (US 7 iVm US 15).

Wie lange der Angeklagte in Vorarlberg lebt und wieviele Lehrer das Verhalten der Nimet T***** in der Schule als Hinweis auf einen sexuellen Mißbrauch gedeutet haben, betrifft keine für die Lösung der Schuldfrage entscheidende Tatsache, sodaß auch das darauf bezugnehmende Beschwerdevorbringen ins Leere geht.

Bei der infolge Teilkassierung des Schuldspruchs notwendig gewordenen Strafneubemessung war die Fortsetzung der strafbaren Handlung während eines Zeitraums von etwa acht Jahren erschwerend, die Unbescholtenheit des Angeklagten als mildernd zu werten.

Unter Berücksichtigung der in der psychischen Schädigung des Opfers gelegenen gravierenden Folgen der Tat entspricht die verhängte Freiheitsstrafe der tat- und täterbezogenen Schuld des Angeklagten.

Der Anwendung der §§ 43 Abs 1, 43 a Abs 3 StGB stehen in gleicher Weise Rücksichten der Spezial- wie der Generalprävention entgegen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

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