OGH 4Ob512/96

OGH4Ob512/9627.2.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Schinko und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Raiffeisenbank U*****, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr.Michael Neumann, Rechtsanwalt in Schärding, wider die beklagte Partei Helga E*****, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr.Walter Brandt und Dr.Karl Wagner, Rechtsanwälte in Schärding, wegen DM 60.000 sA, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 29.Dezember 1995, GZ 1 R 202/95-26, womit infolge Berufung der beklagten Partei der in das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 23.Juni 1995, GZ 1 Cg 159/94v-17, aufgenommene Beschluß abgeändert und das Urteil als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der Beklagten die mit S 18.315 bestimmten Kosten (darin S 3.052,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die klagende Bank hat ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland. Die Beklagte, eine österreichische Staatsbürgerin, wohnt gleichfalls in der Bundesrepublik Deutschland. Sie war bei Erhebung der Klage Eigentümerin der Liegenschaft EZ ***** mit einer Gesamtfläche von 441 m2 (58 m2 Baufläche). Diese Liegenschaft war im Mai 1994 mit Hypotheken in der Höhe von rund S 1,170.000 belastet. Die Beklagte war ferner (gemeinsam mit ihrem früheren Ehemann Lambert M*****) Hälfteeigentümerin der Liegenschaft EZ ***** in der Größe von 855 m2 (130 m2 Baufläche). Diese Liegenschaft war im März 1994 mit rund S 150.000 und einem Fruchtgenußrecht belastet.

Die Beklagte ist auch Eigentümerin einer Wohnung in Mainz (Bundesrepublik Deutschland), die sie 1992 kaufte.

Claudia F*****, die Tochter der Beklagten, lebte 1992 in N***** (Bundesrepublik Deutschland) und betrieb dort eine Boutique. Seit 1994 wohnt sie wieder in Österreich. Anfang 1992 hatte sie im Zusammenhang mit der Eröffnung ihrer Modeboutique Geschäftsbeziehung zur Klägerin aufgenommen, bei der dann mehrere Kreditkonten liefen. Die Beklagte stellte sich damals als Bürgin zur Verfügung.

Mit der Behauptung, die Beklagte schulde ihr aufgrund der Bürgschaftsurkunde vom 26.Dezember 1992 DM 60.000 begehrt die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung dieses Betrages. Die Zuständigkeit des angerufenen Erstgerichtes sei gemäß § 99 JN im Hinblick auf den Liegenschaftsbesitz der Beklagten gegeben.

Die Beklagte erhob die Einrede der mangelnden inländischen Gerichtsbarkeit und beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie habe ihren Wohnsitz und ordentlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Es fehle ein ausreichender Inlandsbezug.

Der Erstrichter wies (mit einem in das Urteil aufgenommenen Beschluß) die Einrede der mangelnden inländischen Gerichtsbarkeit zurück und gab dem Klagebegehren statt. Ein Vermögen im Sinn des § 99 Abs 1 JN begründe die inländische Gerichtsbarkeit nur bei Vorliegen einer zusätzlichen Inlandsbeziehung des Streitgegenstandes oder der Parteien. Eine solche Nahebeziehung zum Inland bestehe im vorliegenden Fall darin, daß die Beklagte österreichische Staatsbürgerin sei und noch regelmäßig nach Österreich komme, um ihre mittlerweile in Österreich wohnende Tochter zu besuchen und die ihr gehörenden Liegenschaften zu verwalten.

Das Berufungsgericht gab der Einrede der mangelnden inländischen Gerichtsbarkeit Folge und hob infolgedessen das erstinstanzliche Verfahren sowie das Ersturteil als nichtig auf und wies die Klage zurück. Nach § 99 Abs 1 JN dürfe das Vermögen nicht unverhältnismäßig geringer sein als der Wert des Streitgegenstandes. Nach der Rechtsprechung müsse der Wert etwa 20 % des Streitwertes erreichen. Das Erstgericht habe den ausreichenden Wert der beiden Vermögensobjekte nicht geprüft. Im Hinblick auf die festgestellten Belastungen und Liegenschaftsgrößen bestünden Bedenken, ob der der Beklagten verbleibende Restwert tatsächlich 20 % des Streitwertes (samt Zinsen bis zur Einbringung der Klage) erreiche. Aus dem Akt gehe hervor, daß sich die Beklagte im Scheidungsvergleich verpflichtet habe, die Liegenschaft EZ ***** dem geschiedenen Mann zu übertragen. Die Liegenschaft EZ ***** dürfte bereits verkauft worden sein. Im übrigen fehle es auch an einer ausreichenden berücksichtigungswürdigen Inlandsbeziehung des Verfahrensgegenstandes oder der Parteien. Das Klagebegehren beziehe sich nicht auf die österreichischen Liegenschaften der Beklagten. Der geltend gemachte Anspruch werde aus einem Sachverhalt mit nur minimaler Inlandsbeziehung abgeleitet. Bei Unterfertigung des Bürgschaftsvertrages im Dezember 1992 hätten zwar die Beklagten und deren Tochter die österreichische Staatsbürgerschaft besessen und die Beklagte noch in Schärding gewohnt. Die Kreditmittel seien aber für die Modeboutique der Tochter in Deutschland verwendet worden; dort sei auch der Bürgschaftsvertrag unterfertigt worden. Die Klägerin weise überhaupt keine Inlandsbeziehungen auf. Die Beklagte habe noch vor Einbringung der Klage ihren Wohnsitz und Aufenthaltsort auf Dauer nach Deutschland verlegt. Die Staatsangehörigkeit und der inländische Wohnsitz der Beklagten im Jahr 1992 sowie die Besuche der Beklagten bei ihrer in Österreich wohnenden Tochter (= Kreditschuldnerin) reichten für die Annahme einer entsprechenden Nahebeziehung der Streitteile zum Inland nicht aus. Das inländische Vermögen der Beklagten erfordere auch keine umfangreiche Verwaltungstätigkeit im Inland. Auch unter Berücksichtigung des Luganer Übereinkommens und der EuGVÜ käme man zum selben Ergebnis.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluß erhobene Rekurs der Klägerin ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht und die Parteien sind der Meinung, daß der Rekurs im vorliegenden Fall nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO jedenfalls, also unabhängig davon, ob eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zu lösen ist, zulässig wäre. Richtig ist, daß der Oberste Gerichtshof schon in vergleichbaren Fällen diese Ansicht geäußert hat (RZ 1992/1; ecolex 1992, 695 ua). Zu beachten ist aber, daß damit ein Wertungswiderspruch entsteht: Hätte nämlich das Erstgericht seinen Beschluß auf Verwerfung der Prozeßeinrede abgesondert gefaßt (§ 261 Abs 4 ZPO), dann wäre dagegen Rekurs zu erheben gewesen; eine abändernde Entscheidung des Rekursgerichtes ist aber nur unter den Beschränkungen des § 528 Abs 1 ZPO anfechtbar. Dieser Wertungswiderspruch ist nur dann zu vermeiden, wenn man - insbesondere im Hinblick auf die erklärte Absicht des Gesetzgebers, den Vollrekurs in den Fällen zu belassen, in denen ein Berufungsgericht erstmals die Unzulässigkeit der Klage aufgegriffen hat (JA 991 BlgNR 17.GP 12) - nur dort den Vollrekurs bejaht, wo das Berufungsgericht erstmals - auf Nichtigkeitsrüge oder von Amts wegen - den Zurückweisungsgrund wahrnimmt; dort aber, wo es über einen schon vom Erstgericht behandelten Zurückweisungsgrund abspricht, wäre ein Rekurs nur unter den Voraussetzungen des § 528 ZPO als zulässig anzusehen (Petrasch, Der Weg zum Obersten Gerichtshof nach der Erweiterten Wertgrenzennovelle 1989, ÖJZ 1989, 743 ff [750]; Bajons,

Der Wandel im ordentlichen Rechtsmittelsystem - Von der ZVN 1983 zur WGN 1989, ÖJZ 1993, 145 ff [156]; Kodek in Rechberger, ZPO Rz 3 zu § 519; JBl 1996, 58).

Dennoch schadet es nicht, daß das Berufungsgericht hier einen Ausspruch darüber, ob der ordentliche Rekurs zulässig sei oder nicht, unterlassen hat. Da Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes - soweit ersichtlich - zu einem gleichartigen Sachverhalt fehlt, hängt diesmal die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn der §§ 502 Abs 1, 528 Abs 2 ZPO ab, sodaß ohnehin eine Zurückweisung des Rechtsmittels nicht in Frage kommt.

Wie schon das Rekursgericht zutreffend und ausführlich dargelegt hat, ist nach nunmehr ständiger Rechtsprechung auch bei Vorliegen des Zuständigkeitstatbestandes nach § 99 JN die inländische Gerichtsbarkeit nur dann zu bejahen, wenn eine berücksichtigungswürdige Inlandsbeziehung des Verfahrensgegenstands oder der Parteien vorliegt. Diese kann entweder in einer Ortsgebundenheit der Parteien oder einer Ortsbezogenheit des Streitgegenstandes gelegen sein (Mayr in Rechberger, ZPO § 99 JN Rz 10; SZ 65/141 = EvBl 1993/93 = JBl 1993, 666 [Pfersmann]; EvBl 1995/145; ZfRV 1995/I 15 ua).

Die Klägerin vertritt in ihrem Rechtsmittel die Auffassung, es bestehe hier deshalb eine ausreichende Nahebeziehung zu Österreich, weil die Beklagte österreichische Staatsbürgerin sei, bei Eingehen der Bürgschaft in Österreich gewohnt habe und auch während des Rechtsstreites sich häufig in Österreich (bei ihrer Tochter) aufgehalten habe. Dem kann nicht gefolgt werden:

Von einer "berücksichtigungswürdigen Inlandsbeziehung des Verfahrensgegenstands oder der Parteien" kann nur dann gesprochen werden, wenn ein vernünftiges Interesse an einer Prozeßführung im Inland vorliegt (vgl Pfersmann JBl 1993, 669). Davon kann aber hier keine Rede sein. Daß die Beklagte, die dauernd in der Bundesrepublik Deutschland wohnt, österreichische Staatsbürgerin ist, hat für den vorliegenden Streitfall keinerlei Bedeutung. Gelegentliche Aufenthalte der Beklagten in Österreich (bei ihrer Tochter) fallen ebensowenig wie ihr früherer Wohnsitz irgendwie ins Gewicht. Die Beklagte selbst hat - wie die Erhebung ihrer Prozeßeinrede zeigt - auch kein Interesse daran, in ihrem Heimatstaat zu prozessieren. Ein schutzwürdiges Interesse der in Bayern ansässigen Klägerin, den Rechtsstreit in Österreich zu führen, ist nicht zu erkennen.

Mit Recht hat daher das Gericht zweiter Instanz die inländische Gerichtsbarkeit verneint. Es schadet daher nicht, daß Feststellungen über den Wert der Liegenschaften fehlen, die erst eine exakte Beurteilung der Frage ermöglicht hätten, in welchem Verhältnis der Wert des inländischen Vermögens zum Streitgegenstand steht.

Dem Rekurs war somit ein Erfolg zu versagen.

Der Kostenausspruch gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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