OGH 9ObA2/96

OGH9ObA2/9614.2.1996

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Michael Manhard (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Franz Erwin Niemitz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ingeborg S*****, Angestellte, ***** vertreten durch Dr.Raimund Hora, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Alfred Strommer ua Rechtsanwälte in Wien, wegen Anfechtung einer Kündigung gemäß § 105 ArbVG, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13.Oktober 1995, GZ 10 Ra 87/95-27, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 13.August 1993, GZ 23 Cga 71/93s-9, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit der am 8.März 1993 beim Erstgericht überreichten Klage ficht die Klägerin, die seit dem Jahre 1963 bei der beklagten Partei beschäftigt war, die am 25.Februar 1993 ausgesprochene Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses durch die beklagte Partei als sozial ungerechtfertigt an. Der Betriebsrat habe gegen die beabsichtigte Kündigung Widerspruch erhoben; die Klägerin habe mit dem Betriebsrat vereinbart, daß nicht der Betriebsrat, sondern die Klägerin selbst die Kündigung anfechte.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte ein, daß die Klage verspätet sei; die Vereinbarung, daß die Klägerin selbst die Kündigung anfechten möge, sei vor Ausspruch der Kündigung getroffen worden.

Die Klägerin berichtigte ihr offenbar ohne entsprechende Information in Erwiderung des Einwandes der beklagten Partei erstattetes Vorbringen, die Vereinbarung zwischen der Klägerin und dem Betriebsrat sei am 3.März 1993 getroffen worden, in der Tagsatzung vom 13.August 1993 wie folgt:

Der Betriebsratsvorsitzende habe die Klägerin zur Gewerkschaft geschickt, damit diese alles weitere wegen allfälliger gerichtlicher Schritte in die Wege leite. Nach einem Gespräch bei der Gewerkschaft, bei dem sich herausgestellt habe, daß die Klägerin nicht Gewerkschaftsmitglied ist, habe am 22.Februar 1993 ein zweites Gespräch zwischen der Klägerin und dem Betriebsratsvorsitzenden stattgefunden, in welchem der Betriebsratsvorsitzende erklärt habe, es sei ihm unangenehm, weitere Schritte gegen die Kündigung zu unternehmen, die Klägerin möge sich selbst einen Anwalt suchen und selbst zu Gericht gehen, das wäre für sie von Vorteil.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es lediglich das von der Klägerin erstattete Vorbringen zugrundelegte. Durch die Vereinbarung zwischen der Klägerin und dem Betriebsrat, daß die Klägerin selbst die Kündigung anfechten werde, sei das Anfechtungsrecht auf die Klägerin übergegangen; ab diesem Zeitpunkt sei der Betriebsrat nicht mehr zur Klagsführung legitimiert gewesen. Da die Vereinbarung vor Ausspruch der Kündigung erfolgt sei, sei mangels Anfechtungslegitimation des Betriebsrates die für diesen vorgesehene einwöchige Frist gar nicht in Lauf gesetzt worden, sondern habe sofort mit dem Ausspruch der Kündigung der Lauf der für die Anfechtung durch die Klägerin selbst bestimmten Wochenfrist begonnen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin im Sinne des Aufhebungsantrages Folge und sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Daraus, daß der Betriebsrat dem Wunsch der Klägerin nach Anfechtung der Kündigung schon vor Ausspruch der Kündigung ablehnend gegenübergestanden sei, könne eine Verkürzung der Anfechtungsfrist auf nur eine Woche nicht abgeleitet werden.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Rekurs der beklagten Partei mit dem Antrag, ihn aufzuheben und das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Klägerin beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Gemäß § 105 Abs 4 Satz 2 ArbVG kann der Betriebsrat auf Verlangen des gekündigten Arbeitnehmers binnen einer Woche nach Verständigung vom Ausspruch der Kündigung diese beim Gericht anfechten, wenn er der Kündigungsabsicht ausdrücklich widersprochen hat. Wie Floretta in Floretta/Strasser Handkomm ArbVG, 673 ausführt, kann das Verlangen des betroffenen Arbeitnehmers auf Anfechtung bereits vor Beginn der Anfechtungsfrist gestellt werden, nur muß es mit dem Kündigungsfall in einem zeitlichen und rechtlichen Zusammenhang stehen; hiebei ist als Verlangen auf Anfechtung auch das an den Betriebsrat gerichtete Ansuchen des Arbeitnehmers zu werten, ihm die Anfechtung der trotz Widerspruch des Betriebsrates erklärten Kündigung zu übertragen (siehe auch VfGH 7.12.1960, Arb 7596; VwGH 10.12.1986, DRdA 1988/4 [Trost sowie Löffler/Trost, VwGH zum Selbstanfechtungsrecht des Arbeitnehmers gemäß § 105 Abs 4 ArbVG, DRdA 1987, 353] = ÖJZ 1987/264 A = RdW 1987, 268). Die Klägerin, die sich wegen der von der beklagten Partei angekündigten Kündigung ihres Dienstverhältnisses zweimal an den Betriebsratsvorsitzenden wandte und sich schließlich im Hinblick auf die ablehnende Haltung des Betriebsratsvorsitzenden damit abfand, die Kündigung selbst anzufechten, hat daher ein Verlangen nach Anfechtung im Sinne des § 105 Abs 4 Satz 2 ArbVG erhoben.

Kommt der Betriebsrat dem Verlangen des Arbeitnehmers nicht nach, kann dieser gemäß § 105 Abs 4 Satz 3 ArbVG innerhalb einer Woche nach Ablauf der für den Betriebsrat geltenden Frist die Kündigung selbst beim Gericht anfechten. Ob vom Anfechtungsrecht Gebrauch gemacht wird, hat der Betriebsrat zu beschließen; er kann diese Befugnis nicht an den Vorsitzenden übertragen (siehe Floretta aaO 673 und 676). Mit der noch vor Ausspruch der Kündigung erstatteten Äußerung, es sei ihm unangenehm, weitere Schritte gegen die Kündigung zu unternehmen, die Klägerin möge sich selbst einen Anwalt suchen und selbst zu Gericht gehen, erweckte der Betriebsratsvorsitzende der Klägerin gegenüber nicht einmal den Anschein, der Betriebsrat habe bereits vorsorglich einen Beschluß gefaßt, die Kündigung nicht anzufechten, sondern teilte ihr lediglich seine persönliche Auffassung mit. Weder diese Erklärung seines Vorsitzenden noch die durch dessen ablehnende Haltung veranlaßte Erklärung der Klägerin hätte daher den Betriebsrat daran hindern können, die Kündigung innerhalb einer Woche nach Verständigung von ihrem Ausspruch bei Gericht anzufechten. Entgegen der Auffassung der Rekurswerberin stand daher auch im vorliegenden Fall das Anfechtungsrecht während der ersten Woche nach Verständigung vom Ausspruch der Kündigung dem Betriebsrat zu und begann der Lauf der für die Anfechtung durch die Klägerin bestimmten Frist erst nach Ablauf der erstgenannten Frist.

Dem Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf den §§ 58 Abs 1 Satz 1 ASGG und 52 Abs 1 Satz 2 ZPO.

Stichworte