OGH 10ObS26/96

OGH10ObS26/966.2.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Ehmayr sowie die fachkundigen Laienrichter Werner Jeitschko (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wilhelm Patzold (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Raimund O*****, Arbeiter, ***** vertreten durch Dr.Walter Suppan, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauerlände 3, 1092 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2.November 1995, GZ 8 Rs 127/95-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 30.Mai 1995, GZ 35 Cgs 15/95z-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 13.7.1957 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt. Während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag war er überwiegend als Kulturarbeiter in einem Forstbetrieb beschäftigt. Er war beim Setzen von Jungpflanzen, Putzen von Kanälen und Schlägern von Bäumen eingesetzt, wobei er alle diese Arbeiten jeweils nach konkreten Anweisungen verrichtete. Kenntnisse eines Forstarbeiters (Düngemethoden, selbständige Entscheidungen beim Durchforsten, Spritzmitteleinsatz uä) besitzt er nicht. Der Kläger ist nur mehr in der Lage, leichte Arbeiten vorwiegend im Sitzen zu verrichten. Er kann durchgehend Gegenstände mit einem Gewicht bis zu 5 kg heben und tragen, 10 bis 15 Minuten pro Arbeitsstunde auch solche mit einem Gewicht bis 7 oder 8 kg. Arbeiten im Stehen und Gehen sollten nicht länger als 15 Minuten pro Stunde dauern. Arbeiten, die mehr als ein nur gelegentliches Hocken oder Knien erfordern oder in vorgebeugter Haltung oder über Schulterhöhe zu verrichten sind, sind zu vermeiden, desgleichen Arbeiten an vibrierenden Maschinen. Der Kläger sollte auch keine Arbeiten verrichten, bei denen es zu einer Zwangshaltung der Wirbelsäule kommt. Ausgeschlossen sind auch solche Arbeiten, die in gefährlichen bzw exponierten Positionen und an schnellaufenden Maschinen zu verrichten sind.

Aufgrund der primären Minderbegabung war der Kläger von jeher nur für Tätigkeiten geeignet, die nicht unter wesentlichem Zeit- oder Leistungsdruck zu verrichten sind, und er ist auch nur für einfache grob-motorische Arbeiten ohne wesentliche Ansprüche in bezug auf Einschulung einsetzbar. Bei einfachen Arbeiten könnte der Kläger eine Leistung an der unteren Grenze des Durchschnittes erbringen. Einfache Tätigkeiten wie Entgraten, Polieren, Verpacken könnte er verrichten, komplette Arbeitsabläufe schafft der Kläger nicht. Sollte der Kläger auf Fabriksarbeit umgestellt werden, wären damit insofern gewisse Probleme verbunden, als er für die Umstellung länger benötigen würde als ein Durchschnittsmensch. Dabei ist nicht die Tätigkeit selbst das Problem sondern die Milieuanpassung. Für diese bräuchte der Kläger je nach den Voraussetzungen, die ihm geboten werden, 2 bis 5 Monate. In dieser Zeit würde er nicht die Leistung erbringen, die ihm dann möglich ist, wenn er sich wohlfühlt (untere Grenze des Durchschnittes). Dem Kläger wären dabei leichte Industrietätigkeiten möglich, die eine kurze Anlernphase erfordern und im Sitzen zu verrichten sind wie etwa Verpackungsarbeiten, Entgraten, Reinigung, Einfetten, Polieren, Schleifen. Auch Hebelbedienungen und Sortieren käme in Frage. Im Hinblick auf das geringe Alter ist dem Kläger aber ein Milieuwechsel möglich; für den Einstieg in einen neuen Arbeitsbereich (etwa Fabrik) bräuchte er aber einen verständigen Dienstgeber. Die längere Umstellungsphase war beim Kläger schon immer notwendig, es handelt sich hiebei nicht um die Folgen einer sekundären Störung; es wird nur allenfalls mit zunehmendem Alter schwieriger. Die Eingliederung des Klägers auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ist nur unter Einsatz spezieller Förderungsmaßnahmen möglich; solche stehen im Bereich der Arbeitsmarktverwaltung zur Verfügung (Lohnstützung, Einstellungsbeihilfen um den Minderertrag in der Anfangsphase auszugleichen). Die Chancen der Unterbringung des Klägers auf dem Arbeitsmarkt liegen unter diesen Voraussetzungen bei etwa 50 %.

Mit Bescheid vom 20.12.1994 wies die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Gewährung der Invaliditätspension ab 1.10.1994 ab.

Mit der gegen diesen Bescheid gerichteten Klage begehrt der Kläger, die beklagte Partei zur Gewährung der Invaliditätspension zu verpflichten. Er leide seit seiner Kindheit an Debilität. Seit mehreren Jahren bestünden neben Stoffwechselstörungen massive Wirbelsäulenbeschwerden. Seine Leistungsfähigkeit sei daher so eingeschränkt, daß er nicht mehr in der Lage sei, einer geregelten Beschäftigung nachzugehen.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage.

Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei zur Leistung der Invaliditätspension an den Kläger ab 1.10.1994. Der Kläger sei nur mehr sehr eingeschränkt einsetzbar und könne selbst dabei erst nach erheblich verlängerter Umstellungsphase Leistungen an der unteren Grenze des Durchschnitts erbringen. Unter diesen Umständen sei davon auszugehen, daß er am Arbeitsmarkt nicht mehr unterzubringen sei, so daß die Voraussetzungen des § 255 Abs 3 ASVG erfüllt seien.

Das Berufungsgericht wies über Revision der beklagten Partei das Klagebegehren ab. Nach der Rechtsprechung habe ein bereits vor Beginn der Erwerbstätigkeit bestandener, in das Versicherungsverhältnis mitgebrachter, im wesentlichen unveränderter körperlicher oder geistiger Zustand bei der Prüfung der Invalidität außer Betracht zu bleiben und könne nicht zum Eintritt des Versicherungsfalles der Invalidität führen. Hier stehe fest, daß die erschwerte Milieuanpassungsfähigkeit des Klägers in das Erwerbsleben mitgebracht worden und im wesentlichen gleichgeblieben sei. Eine altersbedingte Abnahme der Milieuanpassungsfähigkeit habe noch nicht stattgefunden. Diese Einschränkung sei daher für die Beurteilung des Klagebegehrens unbeachtlich. Ginge man davon aus, daß der Kläger aus diesem Grund nicht auf Industriearbeiten verwiesen werden könne, käme dies praktisch einem Berufsschutz als Forstarbeiter gleich, der aber einem ungelernten Arbeiter wie dem Kläger nicht zukomme. Lasse man aber die erschwerte Umstellungsfähigkeit außer Betracht, so ergebe sich, daß der Kläger auf die vom Erstgericht genannten Industrieberufe verweisbar sei, so daß die Voraussetzungen für die begehrte Leistung erfüllt seien.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Als Verfahrensmangel macht der Kläger geltend, daß der Ablauf des Berufslebens des Klägers ungeprüft geblieben sei. Wäre untersucht worden, welche Tätigkeiten der Kläger seit dem Beginn des Erwerbslebens verrichtete und wären diese dem erhobenen Leistungskalkül gegenübergestellt worden, so hätte sich ergeben, daß die Leistungsfähigkeit des Klägers seit seinem Eintritt in das Berufsleben sehr wohl herabgesunken sei; habe er zu Beginn seiner Beschäftigung Schwerarbeiten verrichtet, zeige das jetzige Leistungskalkül, daß er dazu nicht mehr in der Lage sei.

Aus den Feststellungen ergibt sich, daß beim Kläger, was die rein physischen Einschränkungen seiner Leistungsfähigkeit betrifft, das Wirbelsäulenleiden im Vordergrund steht. Dieses bedingt auch die Einschränkung der Tätigkeit auf Arbeiten, die vorwiegend im Sitzen zu verrichten sind sowie der Hebe- und Tragebelastung. Daß diesbezüglich nach dem Eintritt des Klägers in das Erwerbsleben eine Verschlechterung seiner Leistungsfähigkeit eingetreten ist, steht außer Frage. Die Wirbelsäulenbeschwerden sind in den 80er-Jahren aufgetreten und machten 1988 einen operativen Eingriff erforderlich. Auch unter Berücksichtigung der dadurch bedingten Behinderungen ist der Kläger aber, was seine körperliche Leistungsfähigkeit betrifft, in der Lage, die von den Vorinstanzen herangezogenen Verweisungsberufe im industriellen Bereich auszuüben. Dies wird vom Kläger in seinem Rechtsmittel ebensowenig bezweifelt wie der Umstand, daß er mangels eines Berufsschutzes grundsätzlich auf diese Tätigkeiten verwiesen werden kann.

Probleme treten bei der in Frage stehenden Verweisung nur wegen der beim Kläger bestehenden psychischen Beeinträchtigung auf. Diese bedingt die Schwierigkeiten des Klägers beim Milieuwechsel, Einarbeitsungsprobleme und letztlich auch die beschränkte Leistungsfähigkeit, die aber, wenn auch im unteren Bereich, so doch immer noch im Bereich des Durchschnitts liegt. Diese psychische Beeinträchtigung besteht seit Kindheit in Form einer Debilität. Es handelt sich dabei daher um einen vom Kläger in das Arbeitsleben eingebrachten und in diesem Belang seither im wesentlichen unverändert bestehenden Zustand, der im Sinne der vom Berufungsgericht bereits zitierten Judikatur (insbes SSV-NF 1/67) bei der Prüfung der Invalidität außer Betracht zu bleiben hat. Sieht man aber von den durch diese Behinderung bedingten Schwierigkeiten bei der Verweisung ab, ist der Kläger in der Lage, die angezogenen Verweisungsberufe auszuüben.

Seit Eintritt in das Berufsleben hat sich eine Verschlechterung nur im Bereich der körperlichen Leistungsfähigkeit ergeben, die jedoch keinen Ausschluß vom Arbeitsmarkt bedingt. Die unverändert gebliebene psychische Behinderung kann aber Invalidität nicht begründen. Zutreffend ist daher das Berufungsgericht zum Ergebnis gelangt, daß das Begehren des Klägers nicht zu Recht besteht.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe, die einen Kostenersatz aus Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden weder geltend gemacht noch ergeben sich Hinweise auf solche Gründe aus der Aktenlage.

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