OGH 9ObA5/96

OGH9ObA5/9631.1.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Friedrich Weinke und Hofrat Robert List als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Franz K*****, Arbeiter, ***** vertreten durch Dr.Peter Steinbauer, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei S***** regGenmbH, ***** vertreten durch Dr.Reinhard Tögl und Dr.Nicoletta Wabitsch, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 141.023,‑ brutto sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 12.Oktober 1995, GZ 7 Ra 57/95‑28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 24.Jänner 1995, GZ 30 Cga 124/93a‑24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1996:009OBA00005.960.0131.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Arbeitsrechtssache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Der Kläger war vom 11.9.1978 bis 1989 in der Brüterei der beklagten Partei beschäftigt. Daneben arbeitete aushilfsweise in der Legehalle, in der er dann ab 1989 bis zu seinem vorzeitigen Austritt am 18.4.1993 ausschließlich tätig war.

Mit der vorliegenden Klage begehrt er eine Abfertigung in Höhe von S 125.155,‑ brutto sA und eine Urlaubsentschädigung im Betrag von S 15.868,‑ brutto sA. Die ständige Ammoniakbelastung an seinem Arbeitsplatz habe zu einer chronischen Reizung der oberen Luftwege geführt, so daß eine Fortsetzung seiner Tätigkeit zu einer weiteren gesundheitlichen Schädigung geführt hätte. Als Ersatzarbeitsplatz sei ihm eine Tätigkeit im Mastbetrieb angeboten worden, bei der aber die Ammoniakbelastung gleich hoch, wenn nicht sogar höher sei.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Die Ammoniakbelastung rechtfertige den vorzeitigen Austritt des Klägers nicht. Im übrigen sei ihm ein anderer, nicht gesundheitsschädlicher Arbeitsplatz angeboten worden; er habe diesen aber nicht angenommen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

In gewissen Teilen des Betriebs der beklagten Partei besteht eine Ammoniakbelastung, welche durch Hühnerkot hervorgerufen wird. Eine solche Belastung tritt in der Legehalle und in der Brüterei durch schlüpfende Küken auf. Bereits drei Jahre vor seinem vorzeitigen Austritt verspürte der Kläger Atembeschwerden; er hatte auch einen Abszeß in der Luftröhre. Da die Behandlung durch einen Facharzt keine Besserung brachte, riet ihm dieser, den Arbeitsplatz zu wechseln. Dem Kläger war die Weiterarbeit an einem Arbeitsplatz mit Ammoniakbelastung tatsächlich nicht mehr zumutbar. Er erhielt ein Attest, wonach ein Arbeitsplatzwechsel medizinisch indiziert sei, und suchte am 15.4.1993 den Geschäftsführer der beklagten Partei auf. Er legte das Attest vor und erklärte, daß ihm eine Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich sei; er wolle daher vorzeitig austreten.

Der anwaltlich beratene Geschäftsführer der beklagten Partei bot dem Kläger sofort einen Ersatzarbeitsplatz in der Brüterei an. Der Kläger lehnte dieses Angebot mit der Begründung ab, daß er dort ebenfalls einer mit Ammoniak belasteten Luft ausgesetzt sei. Daraufhin machte der Geschäftsführer der beklagten Partei einen weiteren Vorschlag. Der Kläger könne bei der G*****gesellschaft mbH in der Verpackung oder im Expedit arbeiten. Die G*****gesellschaft mbH wird als Lebensmittelbereich streng kontrolliert und es gibt dort Abteilungen, in denen sicherlich keine Ammoniakbelastung gegeben ist. Diese Gesellschaft ist mit der beklagten Partei durch denselben Geschäftsführer "organschaftlich verbunden". Dieser erwähnte, daß der Verdienst des Klägers am Ersatzarbeitsplatz gleich bleiben werde. In der G*****gesellschaft mbH gibt es nämlich keine Nachtschicht- und Wochenendarbeit, so daß die bisherigen Zulagen nicht angefallen wären. Es bestand aber die Möglichkeit, andere Zulagen zu erhalten, so daß eine Verminderung des Verdienstes hätte verhindert werden können. Da der Kläger aber sofort erklärte, daß er noch überlegen müsse, ob er das Angebot annehme, wurde über die weitere Verdienstmöglichkeit im Detail nicht mehr gesprochen.

Der Kläger unterfertigte eine Erklärung, wonach ihm ein Ersatzarbeitsplatz angeboten worden sei, der "den Gegebenheiten entspreche" und daß er sich bis 16.4.1993 entscheiden werde, ob er dieses Angebot annehme. Noch am Nachmittag des 15.4.1993 ließ er der beklagten Partei mitteilen, daß er ablehne. Er war der Meinung, daß die Ammoniakbelastung in der Geflügelschlächterei gleich groß sein werde und befürchtete, durch den Wegfall der Zulagen eine finanzielle Einbuße von monatlich etwa S 2.000,- hinnehmen zu müssen. Unter Beilage zweier ärztlicher Atteste erklärte er schriftlich seinen vorzeitigen Austritt aus dem Arbeitsverhältnis.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß der vorzeitige Austritt ungerechtfertigt sei. Die beklagte Partei habe dem Kläger eine andere, seiner Gesundheit nicht abträgliche Arbeit angeboten, die im Rahmen der ihm durch den Arbeitsvertrag übertragenen Tätigkeiten gelegen sei. In der Verpackung bzw im Expedit bei der G*****gesellschaft mbH hätte es keine Belastung der Luft durch Ammoniak gegeben. Der Geschäftsführer der beklagten Partei hätte als Geschäftsführer auch dieser Gesellschaft mbH die Möglichkeit gehabt, eine Verdienstverschlechterung durch Gewährung anderer Zulagen zu verhindern.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger berechtigt gewesen wäre, den Arbeitsplatz bei der G*****gesellschaft mbH deshalb abzulehnen, weil es sich dabei um einen anderen Arbeitgeber gehandelt hätte. Diesen Ablehnungsgrund habe er nämlich in erster Instanz nicht geltend gemacht, so daß der Einwand gegen das Neuerungsverbot verstoße. Der angebotene Ersatzarbeitsplatz hätte keine Gefährdung der Gesundheit bewirkt und der Geschäftsführer der beklagten Partei habe dem Kläger grundsätzlich die Erzielung des gleichen Entgelts angeboten. Der vorzeitige Austritt des Klägers sei daher ungerechtfertigt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes handelt es sich bei dem Einwand des Klägers, er sei von vorneherein nicht verpflichtet, einen Arbeitsplatz bei einem anderen Arbeitgeber anzutreten, nicht um eine Frage unzulässigen Neuvorbringens, sondern um eine Frage der rechtlichen Beurteilung. Abgesehen davon, boten die gegenseitigen Behauptungen der Parteien in erster Instanz dem Kläger noch keine Veranlassung, zu dieser Rechtsfrage Stellung zu nehmen. Er hatte vorgebracht, daß die Fortsetzung der Tätigkeit im Legehennenbetrieb zu einer fortschreitenden gesundheitlichen Schädigung geführt habe. Die ihm angebotene Ersatztätigkeit im Mastbetrieb habe er wegen der zumindest gleich hohen Ammoniakbelastung abgelehnt. Demgegenüber beschränkte sich die beklagte Partei darauf, zu behaupten, daß die Ammoniakbelastung den vorzeitigen Austritt nicht rechtfertige (S 23) und daß dem Kläger ein "anderer Arbeitsplatz" angeboten worden sei (S 13).

Nach den Grundsätzen der Beweislastverteilung hatte der Kläger den Beweis zu erbringen, daß er seine bisherige Tätigkeit bei der beklagten Partei ohne Schaden für seine Gesundheit nicht fortsetzen konnte. Zufolge der gleichen tatbestandlichen Voraussetzungen spielt es dabei keine Rolle, ob er den Austrittsgrund nach § 82 a lit a GewO 1859 oder den des § 33 Z 1 der Steiermärkischen Landarbeitsordnung 1981 in Anspruch nahm. Dieser ihm obliegende Beweis ist ihm nach den Feststellungen der Vorinstanzen gelungen. Es lag daher an der beklagten Partei, ihrerseits zu behaupten und nachzuweisen, daß sie dem Kläger eine andere, seiner Gesundheit nicht abträgliche Verwendung angeboten hatte, welche im vertraglich geschuldeten Rahmen lag (vgl Wachter, Austrittsgrund der Arbeitsunfähigkeit, DRdA 1989 179 ff, 181; 4 Ob 71/82 = Arb 10.144; 9 Ob A 38/87 = Arb 10.671; 9 Ob A 17/92 = Ind 1992 H 5 S 16; 9 Ob A 163/93 = Arb 11.095; 9 Ob A 271/93 = SZ 66/188 je mwH uva). Ohne entsprechendes konkretes Vorbringen der beklagten Partei stellte das Erstgericht dazu fest, daß der Geschäftsführer der beklagten Partei dem Kläger vorerst einen Ersatzarbeitsplatz in der Brüterei und nach dessen Ablehnung in dem 2 km entfernt (S 117) gelegenen Betrieb der G*****gesellschaft mbH angeboten hatte. Der Kläger war daher vor Kenntnis der erstgerichtlichen Entscheidung gar nicht in der Lage, etwaigen (nicht aufgestellten) Behauptungen der beklagten Partei zu entgegnen.

Richtig ist, daß es in der Regel wiederum Sache des Arbeitnehmers ist, zumindest zu behaupten, daß die angebotene Tätigkeit außerhalb der arbeitsvertraglichen Verpflichtung liege, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine andere, vom gesundheitlichen Standpunkt zumutbare, der bisherigen Tätigkeit artverwandte Arbeit anbietet (4 Ob 71/82 = Arb 10.144; 9 Ob A 7/92 = DRdA 1992, 455 mwH uva). Das Angebot, bei einer Gesellschaft mbH statt wie bisher bei der beklagten Genossenschaft, sohin für eine andere juristische Person (vgl Schwarz/Löschnigg, ArbR5 144 mwH) zu arbeiten, entsprach aber schon aus rechtlichen Gründen keiner tauglichen Alternative. Dabei ist es unerheblich, ob es dadurch zu einem Arbeitgeberwechsel kommen sollte oder nur - was in erster Instanz nicht behauptet wurde - zu einer ungeregelten Arbeitnehmerüberlassung. Der Kläger durfte dieses Angebot, das einen Wechsel des Arbeitgebers und der Kollektivvertragszugehörigkeit zur Folge gehabt hätte (S 113 f), ohne schädliche Auswirkung auf sein Austrittsrecht ablehnen.

Die Arbeitsrechtssache ist aber noch nicht spruchreif. Das Erstgericht stellte fest, daß die Ammoniakbelastung in der Legehalle sowie in der Brüterei durch schlüpfende Küken auftritt (S 129 f). Die beklagte Partei bekämpfte diese Feststellung hinsichtlich der Brüterei in ihrer Berufungsbeantwortung (S 149), so daß bisher nicht verläßlich feststeht, ob die gesundheitsschädliche Ammoniakbelastung auch bei einer Weiterarbeit in der Brüterei bestanden hätte (S 189). Insoweit ist das Berufungsverfahren noch nicht abgeschlossen. Wäre der Ersatzarbeitsplatz in der Brüterei ebenfalls gesundheitsgefährdend gewesen, erfolgte der vorzeitige Austritt des Klägers gerechtfertigt. In diesem Fall wird es erforderlich sein, auch auf die bestrittene Höhe der geltend gemachten Ansprüche einzugehen.

Die Kostenentscheidung ist in § 52 ZPO begründet.

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