OGH 2Ob5/96

OGH2Ob5/9625.1.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Christa T*****, vertreten durch Dr.Stefan Prokop, Rechtsanwalt in Perchtoldsdorf, wider die beklagten Parteien 1.) William T*****, vertreten durch Rechtsanwälte Dr.Gustav Teicht, Dr.Gerhard Jöchl Partnerschaft, in Wien, und 2.) B***** GmbH, ***** vertreten durch Dr.Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 70.500,- s.A., infolge Revision der erstbeklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 11.Juli 1995, GZ 37 R 447/95-50, womit infolge Berufungen der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Liesing vom 3.Jänner 1995, GZ 3 C 1671/92x-41, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der erstbeklagten Partei wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahingehend abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes hinsichtlich des Erstbeklagten wie folgt zu lauten hat:

Das Klagebegehren des Inhalts, der Erstbeklagte sei zur ungeteilten Hand mit der zweitbeklagten Partei schuldig, der Klägerin den Betrag von S 70.500,- samt 11 % Zinsen seit 12.2.1991 zu bezahlen, wird abgewiesen.

Die Klägerin ist schuldig, dem Erstbeklagten die mit S 30.612,04 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 4.581,84 und Barauslagen von S 3.121,-) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie die mit S 24.908,80 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 2.164,80 und Barauslagen von S 11.920) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin kam am Abend des 11.2.1991 gegen 18.30 Uhr auf dem Weg von der E*****gasse durch die Reihenhausanlage E*****gasse 6 - 18 zu Sturz. Sie begehrt die Zahlung von S 40.000,- Schmerzengeld, S 30.000,- Verdienstentgang und ohne Titel weitere S 500,-, weil der Gehsteig stark vereist gewesen sei und der Erstbeklagte als Hausbesorger, die zweitbeklagte Partei als Haus- und Grundeigentümer die Streupflicht vernachlässigt hätten.

Die Beklagten bestritten die Nichterfüllung der Streupflicht, der Erstbeklagte wendete auch ein, daß er gemäß § 93 StVO nicht verpflichtet sei, den gesamten Gehsteig zu bestreuen; es werde an der Klägerin liegen, die Unfallsstelle zu präzisieren.

Das Erstgericht wies mit Zwischen- und Endurteil das Begehren auf Zahlung von S 500,- ab und sprach hinsichtlich des Schmerzengeldanspruches von S 40.000,- und hinsichtlich des Verdienstentgangsanspruches von S 30.000,- aus, daß insoweit das Klagebegehren zu Recht bestehe.

Über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinausgehend wurden im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Die zweitbeklagte Partei ist Eigentümerin der Liegenschaft E*****gasse 6 - 18; der Erstbeklagte ist der für diese Anlage zuständige Hausbesorger. Die Klägerin bewohnt auf dieser Liegenschaft das Reihenhaus Nr.14.

Am Abend des 11.2.1991 ging die Klägerin von der E*****gasse kommend durch die Reihenhausanlage zu ihrem Haus. Dabei stürzte sie auf einem innerhalb der Anlage befindlichen 7,65 m langen und etwa 4 m breiten "Platz". Auf diesem Platz war nur eine geringfügig unterbrochene Eisschicht und gefrorener Schneebelag. Nur am Rand befand sich neben der Hausmauer - eisüberzogener - Streusplitt. Der Platz war nicht mit Salz oder Splitt bestreut. Die Klägerin rutschte, obwohl sie mit normalem Schrittempo unterwegs war und flachbesohlte Stiefel trug, aus, stürzte nach hinten und erlitt dadurch eine Bruch des Griffelfortsatzes der rechten Speiche und eine Prellung des linken Daumens.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, der Erstbeklagte habe durch Unterlassen der nötigen Streuung seine ihm als Hausbesorger treffenden Pflichten verletzt, die zweitbeklagte Partei hafte dafür im Sinne des § 1313a ABGB.

Das von den beklagten Parteien angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und führte hinsichtlich des Erstbeklagten in rechtlicher Hinsicht aus, die den Hausbesorger treffende Schneesäuberungs- und Streupflicht gelte auch für Zugänge zu in allgemeiner Benützung stehenden Teilen des Hauses, also auch für Gehflächen in Höfen und Vorgärten, Zugängen zu Colonialkübeln und Waschküchen oder für andere freie Treppen; weiters sei unter einem Gehsteig jedenfalls auch eine dem Fußgängerverkehr gewidmete Verkehrsfläche im Inneren einer Liegenschaft zu verstehen. Der Erstbeklagte wäre daher verpflichtet gewesen, auch die Fläche, auf der die Klägerin stürzte, zu streuen. Auf Grund des mit der Klägerin abgeschlossenen miet- bzw genossenschaftlichen Nutzungsvertrages hafte die zweitbeklagte Partei für die Nichterfüllung der Streupflicht durch den Erstbeklagten.

Die ordentliche Revision wurde nicht für zulässig erklärt, weil das Berufungsgericht von der ständigen Judikatur nicht abgewichen und eine erhebliche Rechtsfrage nicht aufgetreten sei.

Dagegen richtet sich die Revision des Erstbeklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin hat in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt, das Rechtsmittel des Erstbeklagten zurückzuweisen, in eventu ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Erstbeklagten ist zulässig, weil das Berufungsgericht - wie im folgenden noch darzulegen sein wird - von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist, sie ist auch berechtigt.

Der Erstbeklagte macht in seinem Rechtsmittel geltend, es habe ihn

keine Streuepflicht getroffen. Gemäß § 4 Abs 1 Z 1 lit e HBG

sei er lediglich zum Reinigen der Gehsteige und deren Bestreuung bei

Glatteis verpflichtet, soweit dies in Erfüllung der dem

Hauseigentümer nach den bestehenden Vorschriften obliegenden

Verpflichtungen erforderlich sei. Gemäß § 93 StVO seien nur die den

öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteige und Gehwege zu säubern,

nicht aber der innerhalb der Anlage befindliche "Platz".

Diese Ausführungen sind grundsätzlich zutreffend:

Auszugehen ist davon, daß dem Erstbeklagten die Unterlassung einer

Schädigung von absolut geschützten Gütern der Klägerin vorgeworfen

wird. Es besteht aber keine generelle Pflicht, Schädigungen anderer

durch Tätigkeiten zu verhindern; Unterlassungen sind nur dann

rechtswidrig, wenn besondere vertragliche oder gesetzliche Pflichten

bestehen oder wenn besondere Momente vorliegen, die bei einer

Interessenabwägung es gerechtfertigt erscheinen lassen, Pflichten zu

einem aktiven Tun vorzusehen; so hat derjenige, der eine

Gefahrenquelle geschaffen oder einen Verkehr eröffnet hat, eine

Schädigung anderer hintanzuhalten (Koziol, Haftpflichtrecht I2,

100; Koziol/Welser I10, 450; WBl 1994, 210; SZ 50/100 ua).

Entgegen der von den Vorinstanzen vertretenen Ansicht bestand keine

gesetzliche Verpflichtung des Erstbeklagten die Fläche, auf der die

Klägerin stürzte, zu bestreuen. Gemäß § 4 Abs 1 Z 1 lit e HBG

obliegt dem Hausbesorger das Reinigen der Gehsteige und deren Bestreuen bei Glatteis, soweit dies in Erfüllung der dem Hauseigentümer nach den bestehenden Vorschriften obliegenden Verpflichtungen erforderlich ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (Arb 9206

= EvBl 1974/264 = MietSlg 26.417/6; Arb 10335 = MietSlg

36.697/14; DRdA 1989, 119 = WBl 1988, 56), die auch von der Lehre

geteilt wird (Kürner, Zum Geldlohn des Hausbesorgers, DRdA 1993,

350 [355] mwN), sind unter den bestehenden Vorschriften iS des § 4

Abs 1 Z 1 lit e HBG nur die Verpflichtungen des § 93 Abs 1

und 1 a StVO zu verstehen; die Annahme einer darüber hinausgehenden

Reinigungs- und Bestreuungspflicht setzt den Abschluß einer

besonderen, ausdrücklichen Vereinbarung im Sinne des § 4 Abs 3

HBG voraus. Da sich der Unfall der Klägerin nicht auf einem dem

öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteig oder Gehweg (§ 93 StVO)

ereignete, kann dem Erstbeklagten eine Verletzung einer gesetzlichen Streupflicht nicht angelastet werden.

Die vom Berufungsgericht für seine Ansicht, daß unter einem Gehsteig

jedenfalls auch eine dem Fußgängerverkehr gewidmete Verkehrsfläche im

Inneren einer Liegenschaft zu verstehen sei, zitierte Entscheidung

Arb 10335 = MietSlg 36.697/14 geht ebenfalls davon aus, daß die

Annahme einer Reinigungs- und Bestreuungspflicht über die

bestehenden Vorschriften (vor allem nach dem § 93 Abs 1 StVO)

hinaus den Abschluß einer Vereinbarung voraussetzt. Lediglich zur Frage, wie im Falle einer solchen Vereinbarung das Ausmaß der dem Hausbesorger zu entrichtenden Belohnung zu bemessen sei, wurde ausgeführt, daß unter Gehsteigen oder Gehwegen nach dem Sprachgebrauch vor allem Zugänge, Verbindungswege, Stiegenanlagen und ähnliche Flächen im Inneren einer Liegenschaft zu verstehen seien. Aus dieser Entscheidung kann daher für den Standpunkt der Klägerin nichts gewonnen werden.

Daß die zweitbeklagte Partei mit dem Erstbeklagten einen Vertrag über eine weitergehende Reinigungs- und Streupflicht getroffen hätte, wurde von der Klägerin nicht behauptet. Da der Erstbeklagte die Gefahrenquelle, die zum Unfall der Klägerin führte, nicht geschaffen und auch keinen Verkehr eröffnet hat, kann ihm eine rechtswidrige Unterlassung nicht angelastet werden, so daß das auf den Titel des Schadenersatzes gestützte Begehren der Klägerin abzuweisen ist.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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