OGH 6Ob5/96

OGH6Ob5/9625.1.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst, Dr.Kellner, Dr.Schwarz und Dr.Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Peter B*****, vertreten durch Dr.Ewald Weiss, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien und Gegner der gefährdeten Partei 1. N*****gesellschaft mbH & Co KG, 2. N*****gesellschaft mbH, beide ***** beide vertreten durch Dr.Gottfried Korn, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung, Widerruf und Veröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 200.000 S), infolge des außerordentlichen Revisionsrekurses der gefährdeten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 30.Oktober 1995, GZ 5 R 35/95-15, womit der Beschluß des Landesgerichtes St.Pölten als Handelsgerichtes vom 30. Jänner 1995, GZ 1 Cg 10/95i-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß folgende

einstweilige Verfügung erlassen wird:

Zur Sicherung des Anspruchs der klagenden und gefährdeten Partei auf Unterlassung ehrenrühriger oder kreditschädigender Tatsachenbehauptungen oder deren Verbreitung wird den beklagten Parteien und Gegnern der klagenden Partei ab sofort und bis zur Rechtskraft des über die Klage ergehenden Urteils die Verbreitung von Behauptungen verboten,

a) es stehe fest, daß jene Personen, die hinter der Briefbombenserie vom Dezember 1993 stünden, und/oder die der Beteiligung an der Briefbombenserie vom Dezember 1993 verdächtigt werden, immer wieder nach Deutschland zur Bombenschulung gekommen seien und daß die klagende Partei seit Anfang 1990 an Bomben-Bastelkursen oder Bombenschulungen teilgenommen habe sowie

b) sinngleicher Behauptungen.

Die klagende und gefährdete Partei hat ihre Kosten des Provisorialverfahrens vorläufig selbst zu tragen.

Die beklagten Parteien und Gegner der gefährdeten Partei haben ihre Kosten des Provisorialverfahrens endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Erstbeklagte ist Eigentümerin und Verlegerin einer Wochenzeitschrift. Die Zweitbeklagte ist die Komplementärin der Erstbeklagten.

In der Ausgabe der Wochenzeitschrift vom 1.12.1994 wurde unter dem Titel "Die braune Beichte" ein Artikel mit einem Interview mit einer im Subtitel als "Nazi-Aussteiger" bezeichneten Person namens I***** H***** veröffentlicht. Das Interview enthielt ua folgende Passagen:

"N*****: Und wer steckt Ihrer Meinung nach hinter der Briefbombenserie vom Dezember 1993?

H*****: Feststeht, daß jene Leute, die jetzt bei euch verdächtigt werden, immer wieder zu uns auf Bombenschulung gekommen sind. Seit Sommer 1990 wurden österreichische Neonazis in Deutschland planmäßig ausgebildet.

N*****: Wer war da konkret dabei?

H*****: In erster Linie P*****, F***** und H***** J***** *****. ***** war schon Anfang 1990 in Berlin und hat dann auch fleißig an unseren Bomben-Bastelkursen teilgenommen. Bei den Wehrsportlagern war er ein richtiger Streber. Immer einige Liegestütze mehr, immer vorne weg. Der ist rumgerobbt wie ein Erdferkel. Auch im Exerzieren war er eine Eins.

N*****: Haben die damals verwendeten Bauanleitungen eine Ähnlichkeit mit den in Österreich verschickten Briefbomben?

H*****: Ich habe zwar nur die Fotos von den Briefbomben gesehen. Aber so ähnlich jedenfalls haben wir sie auch gebaut."

Unstrittig ist, daß gegen den Kläger zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des angeführten Artikels samt Interview ein Strafverfahren wegen des Verdachtes der Beteiligung an Briefbombenattentaten anhängig war.

Der Kläger begehrt mit seiner am 10.1.1995 beim Erstgericht eingelangten Klage gestützt auf § 1330 Abs 1 und 2 ABGB die Unterlassung der Verbreitung der Behauptungen, es stehe fest, daß jene Personen, die hinter der Briefbombenserie vom Dezember 1993 stünden, und/oder die der Beteiligung an der Briefbombenserie vom Dezember 1993 verdächtigt werden, immer wieder nach Deutschland zur Bombenschulung gekommen seien und daß der Kläger seit Anfang 1990 an Bomben-Bastelkursen oder Bombenschulungen teilgenommen habe sowie sinngleicher Behauptungen. Er begehrt überdies den Widerruf der angeführten Tatsachenbehauptungen gegenüber den Lesern der periodischen Druckschrift der Beklagten und die Veröffentlichung des Widerrufes. Der Kläger verband die Klage zur Sicherung seines Unterlassungsanspruchs mit einem gleichlautenden Sicherungsantrag.

Gegen den Kläger sei zwar vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien ein Strafverfahren wegen des Verdachtes der Beteiligung an den gerichtsbekannten Briefbombenattentaten vom Dezember 1993 anhängig, es habe aber bisher keine Anklage erhoben werden können und es lägen keine Beweise für strafbare Handlungen vor. In dem von den Beklagten verbreiteten Interview werde dem Kläger nichts anderes vorgeworfen, als daß er zum Kreis der an den Bombenattentaten beteiligten Personen gehöre. Dem Kläger würden strafbare Handlungen unterstellt werden. Die Tatsachenbehauptungen seien nicht wahr. Die Tatbestände sowohl nach § 1330 Abs 1 als auch nach Abs 2 leg cit seien erfüllt. Bei Ehrenbeleidigungen nach § 1330 Abs 1 ABGB treffe den Beklagten die Beweislast für die Wahrheit der kreditschädigenden Behauptungen.

Das Erstgericht forderte die Beklagten zu einer Äußerung zum Sicherungsantrag auf. Eine Äußerung wurde nicht erstattet.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Es traf zu dem schon wiedergegebenen Sachverhalt noch die (doppelte) Negativfeststellung, daß nicht festgestellt werden könne, "daß der Kläger an den im Artikel behaupteten Schulungen im Bombenbasteln, und zwar insbesondere auch in der Bundesrepublik Deutschland, nicht teilgenommen" habe. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß im Artikel zwar der Vorwurf eines unehrenhaften und auch strafbaren Verhaltens erhoben worden sei, daß aber der Kläger bescheinigen hätte müssen, daß die verbreitete Tatsache unwahr sei und daß die Beklagten Kenntnis von dieser Unwahrheit gehabt hätten oder gehabt haben müßten.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge. § 1330 Abs 2 ABGB erfasse das Verbreiten kreditschädigender Tatsachenbehauptungen, deren Unwahrheit der Verbreitende kannte oder kennen mußte. Die Beweislast für die Unwahrheit der Tatsachenbehauptung treffe den Kläger. Wenn aber die kreditschädigende Tatsachenbehauptung zugleich eine Ehrenbeleidigung sei, habe der Betroffene nur die Tatsachenverbreitung zu beweisen, die Beweislast für die Richtigkeit der Behauptung treffe den Täter. Der Kläger habe hier nur die Tatsachenverbreitung zu beweisen, weil die bekämpfte rufschädigende Tatsachenbehauptung zugleich eine Ehrenbeleidigung sei. Im Provisorialverfahren sei nicht der strikte Beweis der Tatsachenbehauptungen aufzuerlegen. Die Beklagten treffe nur die Bescheinigungslast hinsichtlich der Wahrheit des gegen den Kläger erhobenen Vorwurfs. Unstrittig sei die Negativfeststellung, es könne nicht festgestellt werden, daß der Kläger an den behaupteten Schulungen im Bombenbasteln nicht teilgenommen habe. Damit sei es als wahrscheinlich dargetan, daß der Kläger seit Anfang des Jahres 1990 an Bomben-Bastelkursen oder Bombenschulungen in Deutschland teilgenommen habe.

Das Rekursgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteige und daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Mit seinem außerordentlichen Revisionsrekurs beantragt der Kläger die Abänderung der Entscheidung der Vorinstanzen dahin, daß dem Sicherungsantrag zur Gänze stattgegeben werde.

Die Beklagten beantragen mit der ihnen freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs des Klägers zurückzuweisen; hilfsweise wird beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Klägers ist zulässig und berechtigt.

Nach § 1330 Abs 2 ABGB ist die Verbreitung rufschädigender Tatsachenbehauptungen verboten. Unter Verbreiten ist auch das Weitergeben von Behauptungen eines Dritten, ohne sich mit dessen Äußerungen zu identifizieren, zu verstehen. Auch Medieninhaber (Verleger) haften für die in ihren Medien veröffentlichte Behauptungen Dritter (SZ 62/20; 6 Ob 30/95 = ecolex 1995, 892), es sei denn, es läge ein Rechtfertigungsgrund für die Veröffentlichung vor. Auf einen solchen berufen sich die Beklagten auch in ihrer Revisionsrekursbeantwortung. Der Gesetzgeber habe mit § 6 Abs 2 Z 4 MedienG einen Rechtfertigungsgrund für den Fall wahrheitsgetreuer Wiedergabe der Äußerung eines Dritten, sofern an der Kenntnis der zitierten Äußerung ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit bestehe, geschaffen. Eine nähere Auseinandersetzung mit diesem Thema (wie sie der erkennende Senat in der schon zitierten Entscheidung 6 Ob 30/95 vorgenommen hat) kann hier jedoch unterbleiben, weil die Beklagten sich bisher am Provisorialverfahren nicht beteiligt und den genannten Rechtfertigungsgrund nicht geltend gemacht haben, sodaß ihr nunmehriges Vorbringen gegen das Neuerungsverbot verstößt.

Bei kreditschädigenden Tatsachenbehauptungen, die - wie hier - zugleich Ehrenbeleidigungen im engeren Sinn nach § 1330 Abs 1 ABGB sind, hat der Täter die Richtigkeit der Mitteilung (MR 1995, 16 mwN) und auch das Fehlen der objektiven und subjektiven Vorwerfbarkeit, also insbesondere das Fehlen der Rechtswidrigkeit wegen Vorliegens eines Rechtfertigungsgrundes zu beweisen (EvBl 1991/24; Reischauer in Rummel ABGB II2 Rz 17 zu § 1330; Korn-Neumayer, Persönlichkeitsschutz 64). Diesen Beweis haben die Beklagten nicht angetreten. Das Erstgericht ist rechtsirrig von einer Beweislast des Klägers über die Unwahrheit der verbreiteten Tatsachenbehauptungen ausgegangen. Das Rekursgericht hat zwar die Beweislastverteilung richtig erkannt, ist aber aufgrund der schon zitierten Negativfeststellung des Erstgerichtes davon ausgegangen, daß die Wahrheit der beanstandeten Tatsachenbehauptungen bescheinigt sei. Diese Ansicht kann nicht geteilt werden. Aus der Negativfeststellung kann eine für das Provisorialverfahren ausreichende Bescheinigung eines Sachverhalts, wonach der Kläger in Deutschland auf "Bombenschulung" gewesen wäre, nicht abgeleitet werden. Die Negativfeststellung läßt den Sachverhalt völlig offen. Im Gegensatz zur in der Revisionsrekursbeantwortung vertretenen Meinung der Beklagten ist die Beurteilung des Rekursgerichtes keine eigenständig getroffene Feststellung eines Sachverhalts im Sinne der Richtigkeit (Wahrscheinlichkeit) der Behauptung, der Kläger wäre in Deutschland auf "Bombenschulung" gewesen, sondern lediglich eine falsche rechtliche Beurteilung der erstinstanzlichen Negativfeststellung. Dazu kommt noch, daß die beweispflichtigen Beklagten den ihnen obliegenden Wahrheitsbeweis gar nicht angetreten haben, haben sie sich doch zum Sicherungsantrag nicht einmal geäußert.

Dem Revisionsrekurs ist daher Folge zu geben, die beantragte einstweilige Verfügung zu erlassen.

Die Entscheidung über die Kosten des Provisorialverfahrens beruht hinsichtlich des Klägers auf § 393 EO, hinsichtlich der Beklagten auf §§ 41, 50 ZPO, §§ 78, 402 EO.

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