OGH 8Ob502/96

OGH8Ob502/9625.1.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag, Dr.Langer, Dr.Rohrer und Dr.Adamovic als weitere Richter in der Pflegschaftssache der ***** mj. Tanja B*****, infolge außerordentlichen Rekurses des Magistrates der Landeshauptstadt S***** gegen den Beschluß des Landesgerichtes St.Pölten als Rekursgericht vom 5.Juli 1995, GZ 10 R 284/95-25, mit dem der Beschluß des Bezirksgerichtes St.Pölten vom 26.Mai 1995, GZ 1 P 165/92-22, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluß des Rekursgerichtes wird im Umfang seiner Anfechtung (antragstattgebender Teil) dahingehend abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes (vollständige Antragsabweisung) wiederhergestellt wird.

Text

Begründung

Die mj. Tanja entstammt der mit Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 28.8.1992 geschiedenen Ehe des Hans-Uwe B***** und der Michaela B*****. Das Recht der Obsorge für die Minderjährige kommt der Mutter allein zu. Im Scheidungsvergleich verpflichtete sich der Vater, ab 1.9.1992 monatliche Unterhaltsbeiträge von S 2.500 für seine Tochter zu bezahlen.

Der Magistrat der Landeshauptstadt S*****, Jugendhilfe stellte als Unterhaltssachwalter für die Minderjährige am 5.2.1993 den Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG in der Höhe von monatlich S 2.500, worauf antragsgemäß mit Beschluß des Erstgerichtes vom 9.2.1993 die Unterhaltsvorschußgewährung für die Zeit vom 1.2.1993 bis 31.1.1996 bewilligt wurde. Nach den (formularmäßigen) Angaben des Unterhaltssachwalters in diesem Antrag handelte es sich bei dem Kind um eine österreichische Staatsbürgerin.

Aufgrund der am 21.10.1994 beim Erstgericht eingelangten Mitteilung des Unterhaltssachwalters, wonach die Minderjährige nicht, wie irtümlich angenommen, die österreichische, sondern die deutsche Staatsbürgerschaft besitze, stellte das Erstgericht mit Beschluß vom selben Tag die Unterhaltsvorschußgewährung rückwirkend ab 1.2.1993 ein.

Hierauf beantragte der Präsident des Oberlandesgerichtes Wien, das Kind, den gesetzlichen Vertreter, die Pflegeperson und den Unterhaltsschuldner nach den §§ 22, 23 UVG zum Rückersatz der im Zeitraum vom 1.2.1993 bis 31.10.1994 zu Unrecht gezahlten Vorschüsse im Gesamtbetrag von S 52.500 zu verpflichten, welchen Antrag er in der Folge im Hinblick auf eine Teilzahlung der Rechtsmittelwerberin von S 1.000 auf S 51.500 einschränkte.

Das Erstgericht wies den Antrag des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien ab, weil die Vorschüsse für das Kind gutgläubig verbraucht worden seien, den Eltern nicht bekannt gewesen sei, daß die österreichische Staatsbürgerschaft des Kindes Voraussetzung für die Vorschußgewährung sei und dem Jugendamt die deutsche Staatsbürgerschaft des Kindes nicht bekannt gewesen sei, sodaß eine grob fahrlässige Verletzung einer Mitteilungspflicht nicht gegeben sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien teilweise Folge und verpflichtete die Rechtsmittelwerberin, dem Bund die für die mj. Tanja B***** im genannten Zeitraum zu Unrecht gezahlten Unterhaltsvorschüsse im restlichen Gesamtbetrag von S 51.500 zu ersetzen. Die Abweisung des weiteren Antrages des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien, auch das Kind, dessen Mutter und dessen Vater zum Rückersatz dieser Vorschüsse zu verpflichten, bestätigte es, dieser Ausspruch ist unbekämpft geblieben. Das Rekursgericht beurteilte das Verhalten des Jugendamtes, das die Staatsbürgerschaft der Minderjährigen nicht näher hinterfragt habe, als grobe Fahrlässigkeit und verurteilte die Gebietskörperschaft, der das Verhalten des Unterhaltssachwalters zuzurechnen sei, gemäß § 22 UVG zum Ersatz. Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht nicht zu, weil der Entscheidung keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zuerkannt werden könne.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig und auch berechtigt.

Es trifft zwar zu, daß der angefochtenen Entscheidung keine generelle Bedeutung zukommt. Sie widerspricht jedoch in einem solchen Ausmaß der ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung zum Maßstab der groben Fahrlässigkeit (dazu für alle Reischauer in Rummel ABGB II2 Rz 3 ff zu § 1324 mwN), daß zur Wiederherstellung der Einzelfallgerechtigkeit der Revisionsrekurs als zulässig und berechtigt anzusehen ist.

Damit grobe Fahrlässigkeit angenommen werden kann, muß ein extremes Abweichen von der gebotenen Sorgfalt vorliegen, das auch subjektiv in diesem Maß vorwerfbar ist. Ein solches Verhalten des Jugendamtes liegt aber nicht vor: Als das Jugendamt den Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen stellte, deutete nichts darauf hin, daß die Minderjährige nicht österreichische Staatsbürgerin sein könnte. Sie und ihre Eltern trugen deutsch klingende Vor- und Zunamen, die Ehe der Eltern wurde in Wien geschlossen und geschieden. Die Minderjährige lebte vorerst mit ihren Eltern in Wien und sodann mit ihrer Mutter in St.Pölten. Auch aus dem Ehescheidungsurteil und dem angeschlossenen Scheidungsvergleich war nichts Gegenteiliges erkennbar: Entgegen den Gepflogenheiten enthielt das Ehescheidungsurteil keinen Hinweis auf die Staatsbürgerschaft der Eltern. Unter diesen Umständen kann es dem Jugendamt nicht als grobe Fahrlässigkeit angelastet werden, daß es im Antragsformular lediglich das vorgedruckte Wort "staatenlos" ausstrich, das Wort "österr.Staatsbürger" jedoch stehen ließ, ohne ausdrückliche Erkundigungen darüber einzuholen, ob die Minderjährige auch wirklich österreichische Staatsbürgerin sei. Als das Jugendamt durch Zufall erfuhr, daß der Vater und die Minderjährige deutsche Staatsbürger seien, teilte es diesen Umstand dem Gericht (offenbar umgehend) mit. Hinzu kommt, daß auch das Pflegschaftsgericht das Fehlen der Anspruchsvoraussetzung "österreichische Staatsbürgerschaft" nicht bemerkte, obwohl es eher als das Jugendamt auf diesen Umstand hätte aufmerksam werden können: Aus dem Scheidungsakt war dieser Umstand nämlich ersichtlich, weil die Mutter in der Ehescheidungsklage auf die Tatsache der deutschen Staatsbürgerschaft ihres Mannes hingewiesen hatte.

Mangels groben Verschuldens des Jugendamtes scheidet daher eine Ersatzpflicht der Rekurswerberin aus, sodaß der erstgerichtliche Beschluß wiederherzustellen ist.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte