OGH 2Ob100/95

OGH2Ob100/9525.1.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, Dr. Schinko, Dr. Tittel und Dr. Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Karl L*, 2. Franziska L*, beide vertreten durch Dr. Wilfried Mayer, Rechtsanwalt in Gmunden, wider die beklagte Partei Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs, Schwarzenbergplatz 7, 1030 Wien, vertreten durch Dr. Friedrich Harrer, Dr. Iris Harrer-Hörzinger, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen S 53.348 sA und S 80.240 sA, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Wels vom 20. September 1995, GZ 22 R 339/95-13, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Gmunden vom 14. Juni 1995, GZ 3 C 1546/94-8, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1996:E41411

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Am * 1994 ereignete sich auf der S*-Bundesstraße an der Kreuzung mit der M* ein Verkehrsunfall, an dem der Erstkläger als Lenker und Halter eines PKWs T*, und Dr. Bela V* als Lenker eines ungarischen PKWs beteiligt waren. Der Erstkläger bringt zur Begründung seines Klagebegehrens vor, Dr. V* habe seinen PKW stark und abrupt abgebremst, was für den Erstkläger nicht vorhersehbar gewesen sei. Der Lenker des ungarischen Fahrzeuges habe weder links geblinkt noch sich zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet, weshalb der Erstkläger sein Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig anhalten konnte. Dr. V* treffe am Zustandekommen des Unfalls jedenfalls ein Mitverschulden von 50 %.

Die Zweitklägerin erklärte, daß sie sich als Fahrzeuginsassin ein Mitverschulden nicht anrechnen lassen müsse.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage mit der Begründung, der Lenker des ungarischen Fahrzeuges habe sein beabsichtigtes Linksabbiegemanöver durch Betätigung des linken Blinkers rechtzeitig angezeigt und habe keinesfalls abrupt oder jäh abgebremst, als er wegen Gegenverkehrs anhalten habe müssen. Das Alleinverschulden am Zustandekommen des Unfalls treffe den Erstkläger. Für Dr. V* sei der Unfall unvermeidbar gewesen, weshalb die beklagte Partei den Entlastungsbeweis gemäß § 9 EKHG antrete.

Das Erstgericht wies beide Klagebegehren ab.

Es ging dabei von nachstehenden wesentlichen Feststellungen aus:

Die Unfallstelle liegt im Gemeindegebiet von S* an der Abzweigung der M* von der Bundesstraße *. In Richtung G* gesehen zweigt die M* nach links von der Bundesstraße ab. Diese ist im Unfallsbereich Freilandstraße und beschreibt in Richtung G* eine langgezogene Rechtskurve mit einem Gefälle von etwa 3 %. Erste Sicht auf die Unfallstelle besteht aus einer Entfernung von etwa 300 m. Die Fahrbahn weist zwischen den Randlinien eine Breite von 7,30 m auf. Die Leitlinie verläuft in Fahrbahnmitte.

Der Lenker des ungarischen PKWs fuhr mit seinem Fahrzeug auf der Bundesstraße * in Richtung G*. Er hatte vor, nach links in die M* abzubiegen. Er wurde von seiner mitfahrenden Gattin auf diese Seitenstraße hingewiesen und aufgefordert, den Blinker zu betätigen. Daraufhin schaltete er noch während der Annäherung an die spätere Unfallstelle den linken Blinker ein, mußte jedoch wegen Gegenverkehrs schließlich anhalten. Als das ungarische Fahrzeug bereits eine nicht mehr feststellbare Zeit bereits gestanden war, kam es zum Anstoß durch den nachfolgenden PKW des Klägers gegen das Heck des ungarischen Fahrzeuges. Der Erstkläger war mit einer Geschwindigkeit von etwa 70 km/h gefahren, als er sein Bremsmanöver eingeleitet hatte. Nicht mehr festgestellt werden konnte, welchen Tiefenabstand er bei Einleitung dieses Bremsmanövers zum ungarischen PKW eingehalten hatte, ebenso, was ihn zur Einleitung des Bremsmanövers veranlaßt hatte. Der Erstkläger fuhr auf das ungarische Fahrzeug derart auf, daß die rechte Frontseite seine Fahrzeuges die linke Heckseite des ungarischen PKWs mit einer Überdeckung von etwa 60 cm traf. Die Anstoßgeschwindigkeit lag zwischen 45 und 50 km/h, was bei einer Verzögerung von rund 8 m/sek2 eine Ausgangsgeschwindigkeit von 72 km/h ergibt. Bei einer Sekunde Reaktionszeit hat der Kläger 37 m vor der Anstoßstelle und etwa zwei Sekunden vor dem Zusammenstoß reagiert. Um den Unfall zu verhindern, hätte er etwa eine halbe Sekunde früher reagieren müssen. Vom Aufleuchten der Bremslichter bis zum Anhalten des PKWs * vergingen etwa 3,4 Sekunden auf einer Strecke von etwa 35 m. Die Abwehr des Klägers begann erst zwei Sekunden vor dem Anstoß. Jede zusätzliche Stehzeit des Fahrzeuges des Dr. V* ergibt eine größere Differenz zwischen Aufleuchten der Bremslichter und Einsetzen der Reaktion des Klägers. Wenn der Kläger auf das Aufleuchten der Bremslichter des ungarischen PKWs reagiert hätte, hätte er ohne weiteres hinter diesem Fahrzeug anhalten können. Im Anstoßzeitpunkt war der 1,64 m breite PKW des Klägers etwa 1,7 m vom rechten Fahrbahnrand entfernt. Der 1,70 m breite ungarische PKW hielt zu diesem Zeitpunkt mit der rechten Flanke zum rechten Fahrbahnrand einen Abstand von 60 cm ein. Er war damit näher dem rechten Fahrbahnrand als der Fahrbahnmitte. Der PKW des Klägers hätte einen zur Fahrbahnmitte eingeordneten PKW des Klägers ebenfalls getroffen, allerdings hauptsächlich rechts hinten und mit einer Überdeckung von etwa 3/4 der Fahrzeugbreite. Es hätte dies keine günstigeren Werte für den Unfall gebracht und auch den Unfall nicht verhindert. Auch für die Insassen wären keine günstigeren Verhältnisse geschaffen worden.

Rechtlich erörterte das Erstgericht, daß der Unfall ausschließlich darauf zurückzuführen sei, daß der Erstkläger ein normales Anhaltemanöver des Lenkers des ungarischen PKWs, das wegen Gegenverkehrs notwendig gewesen sei, übersehen habe. Der Umstand, daß das ungarische Fahrzeug entgegen der Bestimmung des § 12 Abs 1 StVO nicht zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet gewesen sei, sei unbeachtlich, da der Unfall mit gleichen - wenn nicht schwereren - Folgen auch bei Einhaltung dieser Vorschrift eingetreten wäre. Für den Lenker des ungarischen PKWs habe das Auffahrens des Klagsfahrzeuges ein unabwendbares Ereignis im Sinn des § 9 Abs 1 EKHG dargestellt; der Unfall sei auch für einen besonders sorgfältigen Kraftfahrer unvermeidbar gewesen. Das Nichteinordnen zur Fahrbahnmitte verletze nicht die gebotene Sorgfalt.

Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der klagenden Parteien Folge und hob das angefochtene Urteil zu ergänzenden Feststellungen über die Höhe des bei den Klägern eingetretenen Schadens auf.

Es warf dem Lenker des ungarischen Kraftfahrzeuges vor, sich zu seinem Linksabbiegemanöver entgegen der Bestimmung des § 12 Abs 1 StVO nicht ordnungsgemäß zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet zu haben. Diese Verpflichtung habe nicht nur den Zweck, das Rechtsüberholen zu ermöglichen, sondern auch die Abbiegeabsicht zu verdeutlichen. Damit habe der Lenker des ungarischen PKWs gegen eine Schutzvorschrift im Sinne des § 1311 ABGB verstoßen. Ihm sei auch nicht der Beweis gelungen, daß sich der Unfall bei rechtsmäßigem Verhalten in gleicher Weise und mit gleichschweren Folgen ereignet hätte. Zwar habe das Erstgericht festgestellt, daß der Unfall mit gleichen, wenn nicht sogar schwereren Folgen eingetreten wäre, wenn der ungarische PKW zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet gewesen wäre, doch beziehe sich diese Feststellung nur darauf, daß der Erstkläger auf den zur Fahrbahnmitte hin eingeordneten PKW aufgefahren wäre, wenn er gleich gefahren wäre und reagiert hätte wie er es tatsächlich getan habe. Bei ordnungsgemäßem Einordnen hätte aber der ungarische PKW einen größeren Auffälligkeitswert für den Nachfolgeverkehr gehabt. Den Lenker des ungarischen PKWs treffe daher ein Mitverschulden von einem Viertel; darüberhinaus sei der Entlastungsbeweis nach § 9 EKHG nicht erbracht worden.

Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu, weil die Frage, inwieweit möglichen anderen Handlungsweisen des Unfallsgegners beim Entlastungsbeweis durch rechtsmäßiges Alternativverhalten Rechnung zu tragen sei, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung darstelle.

Die beklagte Partei beantragt mit ihrem Rekurs, den angefochtenen Beschluß zu beheben und die Entscheidung im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Die klagenden Parteien beantragen, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Die klagenden Parteien haben ihr Begehren auf zwei Verschuldensvorwürfe gestützt:

Zum einen habe der Lenker des ungarischen PKWs wegen seiner Ortsunkundigkeit die Seitenstraße, in der er nach links einzubiegen beabsichtigte, verspätet wahrgenommen und deshalb sein Fahrzeug stark abgebremst. Darüberhinaus habe er weder ein Blinkzeichen gesetzt noch sich zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet.

Nach den Feststellungen konnte der erste Verschuldensvorwurf nicht unter Beweis gestellt werden. Die Kläger konnten weder nachweisen, daß der Lenker des ungarischen PKWs sein Fahrzeug unvermittelt und jäh zum Stillstand gebracht habe noch daß der linke Blinker nicht eingeschaltet wurde. Auf den behaupteten Verstoß gegen die Bestimmung des § 21 Abs 1 StVO kann das Begehren nicht gestützt werden.

Zu prüfen ist daher mit dem Berufungsgericht die Frage, ob dem Lenker des ungarischen PKWs zum Vorwurf gemacht werden kann, vor seinem beabsichtigten Linkseinbiegemanöver sein Fahrzeug nicht zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet zu haben.

Nach § 12 Abs 1 StVO hat ein Lenker, der mit seinem Fahrzeug nach links einzubiegen beabsichtigt, das Fahrzeug auf den der Fahrbahnmitte zunächstgelegenen Fahrstreifen seiner Fahrtrichtung zu lenken. Auch auf einer Fahrbahnhälfte, die nicht zwei Fahrstreifen aufweist, muß sich ein Verkehrsteilnehmer vor dem Linksabbiegen zur Fahrbahnmitte einordnen (ZVR 1975/212).

Gegen diese Verpflichtung hat der Lenker des ungarischen Fahrzeuges unzweifelhaft verstoßen, weil er mit seinem Fahrzeug zum Kollisionszeitpunkt einen Seitenabstand von rund 60 cm zum rechten Fahrbahnrand aufwies und das Fahrzeug auf der 7,30 m breiten Straße, sohin nicht zur Fahrbahnmitte, eingeordnet war.

Die Verpflichtung nach § 12 Abs 1 StVO, sich vor dem Abbiegen nach links einzuordnen, stellt eine Schutzvorschrift im Sinne des § 13111 ABGB dar (8 Ob 10/81). Der Schutzzweck dieser Vorschrift besteht ganz allgemein darin, während des Einbiegevorganges andere Verkehrsteilnehmer schlechthin nicht zu behindern und liegt insbesondere darin, eine Gefährdung und Behinderung entgegenkommender und auch der nachfolgenden Verkehrsteilnehmer zu vermeiden (ZVR 1971/171; 8Ob 149/80; 8 Ob 109/81; ZVR 1983/26; ZVR 1984/159). Durch die Einhaltung einer Fahrlinie vor dem Linksabbiegen entlang der Fahrbahnmitte soll aber auch ein Beitrag zur besseren Erkennbarkeit des Linksabbiegemanövers geleistet werden (ZVR 1980/207; ZVR 1980/255; ZVR 1982/218; ZVR 1983/177; ZVR 1983/238).

Gegen diese Schutzvorschrift hat der Lenker des ungarischen PKWs verstoßen. Die Feststellung des Erstgerichtes, der Unfall wäre mit denselben, wenn nicht schwereren Folgen eingetreten, wenn der ungarische PKW weiter zur Fahrbahnmitte eingeordnet gewesen wäre, bedeutet aber nicht, daß diesem PKW kein größerer Auffälligkeitswert zugekommen wäre, wenn er tatsächlich zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet gewesen wäre. Dient aber die Bestimmung des § 12 Abs 1 StVO auch dazu, eine Behinderung des nachkommenden Verkehrs zu vermeiden und einen größeren Auffälligkeitswert für die nachfolgenden Verkehrsteilnehmer zu erzielen, dann hat der Lenker des ungarischen PKWs gegen diese Schutznorm verstoßen. Ein Beweis dafür, daß der PKW für den Erstkläger gleich auffällig gewesen wäre, wurde nicht erbracht.

Danach trifft auch den Lenker des ungarischen PKWs ein Verschulden, das vom Berufungsgericht angemessen berücksichtigt wurde. Auf die Erbringung des Entlastungsbeweises nach § 9 Abs 2 EKHG kommt es daher nicht mehr an.

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes erweist sich daher als frei von Rechtsirrtum.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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