OGH 4Ob1690/95

OGH4Ob1690/9516.1.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Graf und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Walter B*****, vertreten durch Zamponi, Weixelbaum & Partner Rechtsanwälte OEG in Linz, wider die beklagte Partei K*****, vertreten durch Prof.Dr.Alfred Haslinger und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen Leistung und Feststellung (Gesamtstreitwert S 420.165,86), infolge außerordentlicher Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 25. Oktober 1995, GZ 6 R 106/95-40, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der Beklagten wird gemäß § 508 a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

In welchem Umfang der Arzt im Einzelfall den Patienten aufklären muß,

ist eine Rechtsfrage (SZ 55/114 = JBl 1983, 373 = EvBl 1983/5; SZ

63/152 = JBl 1991, 455; EvBl 1995/149 mwN). Auf typische Risken einer Operation ist ganz unabhängig davon hinzuweisen, wie oft (wie selten) sie auftreten (SZ 62/154 = JBl 1990, 459; RdM 1994, 27 [Kopetzki]; RdM 1994, 121). Die Typizität ergibt sich nicht aus der Komplikationshäufigkeit, sondern daraus, daß das Risiko speziell dem geplanten Eingriff anhaftet und auch bei Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreien Durchführung nicht sicher zu vermeiden ist und den nicht informierten Patienten überrascht, weil er mit dieser Folge überhaupt nicht rechnet (s Ehlers, Die ärztliche Aufklärung vor medizinischen Eingriffen 83). Auch das typische Risiko muß allerdings stets von einiger Erheblichkeit und dadurch geeignet sein, die Entscheidung des Patienten zu beeinflussen (SZ 62/154 = JBl 1990, 459; RdM 1994, 121; EvBl 1995/149).

Ob ein Risiko für eine Operation typische ist, ist - ebenso wie die Frage, ob der Arzt im Einzelfall den Patienten aufklären muß - keine Tatfrage, sondern eine an Hand der zu den konkreten Umständen des Einzelfalles getroffenen Feststellungen zu beurteilende Rechtsfrage. Ihre Beantwortung gehört zur Auslegung des Obersatzes (... die Aufklärungspflicht ist bei typischen Operationsrisken verschärft ...) und betrifft nicht nur den Untersatz (die den Sachverhalt bildenden Tatsachen; zur Abgrenzung zwischen Rechtsfrage und Tatfrage s Fasching IV 248f).

Ist die Typizität eines Operationsrisikos eine Rechtsfrage, so war das Berufungsgericht berechtigt, diese Frage zu prüfen, ohne dabei an die "Feststellung" des Erstgerichtes zur mangelnden Typizität gebunden zu sein. Anders als in der von der Klägerin zitierten Entscheidung 8 Ob 620/91 = KRSlg 754 hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen, die über jene des Erstgerichtes hinausgehen, sondern es hat - anders als der Sachverständige und das diesem folgende Erstgericht - Ösophagusvorderwandperforationen als typisches Operationsrisiko beurteilt. Grundlage dieser Beurteilung war der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt, wonach eine der beiden möglichen Ursachen die Durchtrennung (Unterbindung) von zu Teilen des Magens führenden Blutgefäßen im Zusammenhang mit der Durchtrennung der zum Magen führenden Nerven ist. Danach steht fest, daß sich beim Kläger - wenn, was nicht feststellbar ist, dem Operateur kein Kunstfehler unterlaufen ist - ein Risiko verwirklicht hat, das speziell dem an ihm vorgenommenen Eingriff anhaftet und auch bei Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher zu vermeiden ist. Das Berufungsgericht hat damit die von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien angewandt, zu denen die Komplikationshäufigkeit nicht gehört. Gerade diese war es aber, die den Sachverständigen die Ösophagusvorderwandperforation als nicht typisch beurteilen ließ (siehe AS 57; AS 212).

Es ist daher nicht richtig, daß das Berufungsgericht von Feststellungen des Erstgerichtes abgegangen wäre. Es hat vielmehr den festgestellten Sachverhalt rechtlich richtig dahin beurteilt, daß sich beim Kläger ein typisches Risiko der an ihm vorgenommenen Operation verwirklicht hat. Dieses Risiko war keineswegs unerheblich, so daß der Operateur den Kläger aufklären hätte müssen. Dessen auf die Frage des Klägers nach dem Operationsrisiko vorgenommener Vergleich der vorzunehmenden Operation mit einer Blinddarmoperation konnte der Kläger nur als Erklärung verstehen, daß die Operation mit keinen besonderen Risken verbunden sei. Daß der Kläger auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die Operation eingewilligt hätte, hat die Beklagte nicht behauptet; für die vom Erstgericht getroffene überschießende Feststellung gibt es auch keinerlei Verfahrensergebnisse. Das Berufungsgericht hat die Feststellung daher zu Recht unbeachtet gelassen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte