OGH 4Ob601/95

OGH4Ob601/9518.12.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hildegard S*****, vertreten durch Dr.Kurt Waneck und Dr.Michael Kunze, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Guillermo C*****, vertreten durch Dr.Stephan Duschel, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung, infolge Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 8.September 1995, 40 R 656/95-42, mit dem das Urteil des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 28.März 1995, 6 C 43/92 h-36, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie wie folgt zu lauten haben:

"Der Beklagte ist schuldig, die in W*****, gelegene Wohnung top Nr. *****, bestehend aus Zimmer, Küche und Dusche, von seine Fahrnissen zu räumen und der Klägerin geräumt zu übergeben, sowie der Klägerin die mit S 11.260,32 bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin S 1.766,72 USt und S 660,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit S 10.652,86 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin S 1.348,84 USt und S 2.560,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin vermietete dem Beklagten mit Mietvertrag vom 28.2.1991 die im Haus W*****, gelegene Wohnung Tür Nr. *****. § 2 des Mietvertrages bestimmt:

"Das Mietverhältnis beginnt am 1.1.1991 und wird auf die Dauer von 1 Jahr, das ist bis 1.1.1992, abgeschlossen."

Der Beklagte spricht nicht deutsch. Bei Abschluß des Mietvertrages erklärte eine Dolmetscherin dem Beklagten, daß der Mietvertrag mit einem Jahr befristet sei. Es bestehe aber eine Verlängerungsmöglichkeit. Dem Beklagten wurde auch unverbindlich in Aussicht gestellt, daß er nach einem Jahr allenfalls eine andere Wohnung im Haus mieten könne. Nach Abschluß des Mietvertrages traf der Beklagte die Hausverwalterin Johanna S***** mehrmals im Haus M*****straße 4, das ebenfalls von Johanna S***** verwaltet wird und in dem der Beklagte als Hausdiener arbeitete. Johanna S***** machte den Beklagten darauf aufmerksam, daß er am 31. Dezember 1991 aus seiner Wohnung ausziehen müsse. Der Beklagte sagte "ja, ja", obwohl er den Inhalt des Gespräches nicht verstand.

Der Beklagte wußte, daß das Mietverhältnis nach dem Mietvertrag mit Jahresende 1991 bzw. am 1.1.1992 enden sollte. Der Beklagte versuchte ohne Erfolg, eine andere Wohnung zu finden. Er machte daher zu Jahresende 1991 keine Anstalten, die Wohnung zu räumen. Johanna S***** lud ihn daraufhin ein, am 31.12.1991 in die Hausverwaltung zu kommen. Der Beklagte kam mit einer Dolmetscherin. Johanna S***** sagte ihm, er müsse "heute" (am 31.12.1991) aus der Wohnung ausziehen. Der Beklagte gab zu verstehen, daß er nicht ausziehen wolle. Die Hausverwalterin erklärte, ihn aus menschlichen Gründen nicht auf die Straße zu setzen; sie biete ihm eine Ersatzwohnung in der M*****gasse 62 a an, die er sofort beziehen könne. Für diese Wohnung wären ein Mietzinsvorauszahlung von S 200.000,-- und ein monatlicher Mietzins von S 6.000,-- zu zahlen gewesen. Die Hausverwalterin schlug dem Beklagten vor, seinen Chef um einen Kredit zu ersuchen. Sie erklärte ihm, daß er die Wohnungsschlüssel am 12.1.1992 zurückgeben müsse. Der Beklagte erhielt keinen Kredit; in der Folge weigerte er sich, die Wohnung zu räumen.

Die Klägerin begehrt, den Beklagten schuldig zu erkennen, die in W*****, gelegene Wohnung top Nr. *****, bestehend aus Zimmer, Küche und Dusche, von seinen Fahrnissen zu räumen und der Klägerin geräumt zu übergeben.

Johanna S***** habe den Beklagten schon im Herbst 1991 darauf hingewiesen, daß er die Wohnung bis spätestens 31.12.1991 zu räumen habe. Dies habe der Beklagte auch zugesagt.

Der Beklagte beantragt, das Klagebegehren abzuweisen.

Ergebnis der Vertragsverhandlungen sei gewesen, daß der Beklagte einen unbefristeten Mietvertrag erhalten solle. Der Beklagte habe den Mietvertrag in der Meinung unterschrieben, daß keine Befristung enthalten sei. Die Klägerin habe die Räumungsklage erst am 16.1.1992 eingebracht. Vor diesem Zeitpunkt habe sie dem Beklagten gegenüber in keiner Weise zum Ausdruck gebracht, daß sie das Mietverhältnis nicht fortsetzen wolle.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren im ersten Rechtsgang ab.

Die ursprüngliche Vertragsdauer vom 1.1.1991 bis 1.1.1992 habe ein Jahr überschritten. Die Befristung sei daher von vornherein nicht wirksam vereinbart worden.

Das Berufungsgericht hob die Entscheidung auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück.

Die Dauer des Mietverhältnisses sei im Mietvertrag widersprüchlich geregelt. Formgebundene Rechtsgeschäfte könnten nicht durch Erforschung des Parteiwillens ergänzend ausgelegt werden. Der Endtermin sei daher nicht bestimmbar; eine Befristung nicht wirksam vereinbart. Die Klägerin habe sich aber darauf berufen, daß der Beklagte seine Räumungsverpflichtung anerkannt habe. Dazu fehlten Feststellungen.

Im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht das Klagebegehren wieder ab.

Die Klägerin habe ein Anerkenntnis nicht einmal schlüssig behauptet. Es sei auch keine entsprechende Willenserklärung des Beklagten festgestellt worden.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes. Es sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei.

Im Berufungsverfahren sei unstrittig, daß kein Anerkenntnis des Beklagten vorliege. Was die Durchsetzbarkeit der vereinbarten Befristung betreffe, sei der Berufungssenat an die im Aufhebungsbeschluß überbundene Rechtsansicht gebunden. Das Berufungsgericht könne daher darauf nicht weiter eingehen.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision ist berechtigt.

Die Klägerin ist der Auffassung daß sich schon aus dem Mietvertrag der eindeutige Parteiwille ergebe, das Mietverhältnis mit einem Jahr zu befristen. Die Parteien hätten zum Ausdruck gebracht, daß das Mietverhältnis bis zum "1.1.1992 ausschließlich" dauern solle.

Nach § 29 Abs 1 Z 3 lit c MRG aF wird der Mietvertrag durch Zeitablauf aufgelöst, wenn in einem Hauptmietvertrag über eine Wohnung schriftlich vereinbart worden ist, daß er durch den Ablauf der bedungenen Zeit ohne Kündigung erlischt und die ursprüngliche oder verlängerte Vertragsdauer ein Jahr nicht übersteigt. Die Befristung ist demnach durchsetzbar, wenn der Vertrag schriftlich errichtet wurde und wenn von vornherein durch Datum oder Fristablauf ein Endtermin bestimmt ist (s Würth in Rummel, ABGB**2 § 29 MRG Rz 5).

Ob ein Endtermin bestimmt ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Auch eine formbedürftige Willenserklärung ist ungeachtet des Wortlautes der Erklärung entsprechend dem tatsächlich übereinstimmenden Verständnis der Beteiligten gültig (EvBl 1980/99; JBl 1985, 681 mwN). Die Berücksichtigung von Begleitumständen und formlosen Nebenabreden hat darin ihre Grenze, daß sich für den wahren Willen der Parteien in der Urkunde irgendein wenn auch noch so geringer Anhaltspunkt finden muß ("Andeutungstheorie"; s Rummel in Rummel, ABGB**2 § 886 Rz 13; SZ 61/111 mwN).

Die Befristung wurde im Mietvertrag wie folgt geregelt:

"Das Mietverhältnis beginnt am 1.1.1991 und wird auf die Dauer von 1 Jahr, das ist bis 1.1.1992, abgeschlossen." Das Erstgericht und (im ersten Rechtsgang auch) das Berufungsgericht haben die Bestimmung als in sich widersprüchlich beurteilt, weil das Mietverhältnis zwar ein Jahr laufen sollte; zwischen dem 1.1.1991 und dem 1.1.1992 aber ein Jahr und ein Tag liegen. Bei dieser Auslegung wird übersehen, daß "das ist bis 1.1.1992" auch als "das ist bis zum Beginn des 1.1.1992" gelesen werden kann. Eine solche Auslegung ist durch den Wortsinn gedeckt, kann doch "bis..." (mit einer Datumangabe) entweder "bis einschließlich" oder "bis ausschließlich" heißen. Dem Beklagten war der Wille der Klägerin bekannt, ihm die Wohnung nur für ein Jahr zu vermieten; er mußte daher "das ist bis 1.1.1992" als "das ist bis zum Beginn des 1.1.1992" verstehen. Mit diesem Inhalt hat er den Vertrag abgeschlossen. Die Befristung wurde demnach schon nach dem Inhalt der Vertragsurkunde wirksam vereinbart.

Bestandverträge werden stillschweigend verlängert, wenn der

Bestandnehmer nach Verlauf der Bestandzeit fortfährt, die Sache zu

gebrauchen oder zu benützen, und der Bestandgeber es dabei bewenden

läßt (§ 1114 ABGB). Diese Rechtsvermutung wird nicht nur widerlegt,

wenn binnen vierzehn Tagen nach Ablauf der Bestandzeit von dem

Bestandgeber eine Klage auf Zurückstellung oder von dem Bestandnehmer

auf Zurücknahme des Bestandgegenstandes erhoben wird (§ 569 ZPO),

sondern auch wenn ein Vertragsteil auf andere Weise seinen Willen,

den Vertrag nicht fortzusetzen, unzweifelhaft zum Ausdruck bringt

(Würth in Rummel, ABGB**2 § 1114 Rz 4; EvBl 1974/42 = MietSlg 25.575;

JBl 1988, 450 = MietSlg 39.408/40) Eine derartige Handlung oder

Erklärung kann auch schon vor Ablauf der Bestandzeit erfolgen; sie muß nur in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Ende der Bestandzeit stehen (WoBl 1992/72 =EvBl 1992/171 = ecolex 1992, 408; WoBl 1992, 86 [Hanel]; vgl auch JBl 1993, 587 [Watzl] s Rechberger in Rechberger, ZPO § 569 Rz 1).

Die Hausverwalterin hat dem Beklagten am 31.12.1991 im Beisein einer Dolmetscherin erklärt, daß er ausziehen müsse; sie hat ihm eine Ersatzwohnung angeboten. Damit war klargestellt, daß die von der Hausverwalterin vertretene Hauseigentümerin das Mietverhältnis nicht über die vereinbarte Dauer von einem Jahr hinaus fortsetzen wollte. Es schadet der Klägerin daher nicht, daß sie die Räumungsklage erst am 16.1.1992, und damit nach Ablauf der vierzehntägigen Frist des § 569 ZPO, eingebracht hat.

Der Revision war Folge zu geben; die Entscheidungen der Vorinstanzen war dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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