OGH 8ObA267/95

OGH8ObA267/9530.11.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Rohrer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Scheuch und Helmut Stöcklmayer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Franz R*****, vertreten durch Dr.Gerald Herzog, Dr.Manfred Angerer, Mag.Alexander Todor-Kostic, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wider die beklagte Partei H*****gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Joachim Sonnleitner, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen S 551.059,50 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30.März 1995, GZ 7 Ra 80/94-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 17.Juni 1994, GZ 31 Cga 234/93-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 21.537,-- (darin S 3.589,50 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagte hat sich im Verfahren erster Instanz unter anderem auf die Vernehmung dreier dem Betriebsrat angehörender Zeugen berufen (AS 30) und diese zum Beweise dafür geführt, daß der Geschäftsführer der Beklagten kurz vor dem 19.8.1993 dem Betriebsrat die Dienstverfehlungen des Klägers, sowie die Absicht ihn im Wiederholungsfalle zu entlassen, mitgeteilt habe und, daß die Betriebsräte, denen die beharrliche Arbeitsverweigerung des Klägers aus eigener Wahrnehmung bekannt gewesen sei, gegen diese Entlassung keinen Einwand erhoben haben. Das Erstgericht erachtete die Vernehmung dieser beantragten Zeugen im Ergebnis aus rechtlichen Überlegungen als nicht relevant, da es lediglich darauf ankomme, ob der Geschäftsführer dem Kläger gegenüber die Entlassung angedroht habe. Die diesbezüglich in der Berufung erhobene Mängelrüge überging das Gericht zweiter Instanz mit Stillschweigen und führte lediglich aus, daß es den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt "als mängelfrei und unbedenklich" seiner Entscheidung zugrundelege. Die Rüge der unterlassenen Zeugenvernehmung in der Revision ist entgegen der Ansicht der Klägerin zulässig. Der Grundsatz, daß die Rüge der Mangelhaftigkeit des Verfahrens nur in nächsthöherer Instanz wahrgenommen werden könne, ist nämlich unter anderem dann unanwendbar, wenn das Berufungsgericht infolge unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen hat ( SZ 53/12; Kodek in Rechberger ZPO RdZ 3 zu § 503). Allerdings kann der Oberste Gerichtshof auch in einem derartigen Fall in der Sache selbst entscheiden, wenn die Relevanz des Verfahrensmangels ausschließlich aus rechtlichen Gründen zu verneinen ist.

Es ist daher vorerst auf die Rechtsrüge einzugehen, bei deren Beurteilung es gemäß § 48 ASGG ausreicht, auf die zutreffende Begründung im angefochtenen Urteil zu verweisen. Ergänzend ist anzumerken:

Gemäß § 27 Z 4 erster Fall AngG ist als wichtiger Grund, der den Dienstgeber zur vorzeitigen Entlassung berechtigt, anzusehen, wenn der Angestellte ohne einen rechtmäßigen Hinderungsgrund während einer den Umständen nach erheblichen Zeit die Dienstleistung unterläßt. Ein in diesem Sinne pflichtwidriges Verhalten ist jedes vertrags- oder sonst rechtswidrige Verhalten des Dienstnehmers, daß mit den ausdrücklich oder stillschweigend bedungenen dienstvertraglichen Pflichten, mit einer durch den Gegenstand der Dienstleistung gerechtfertigten Anordnung des Dienstgebers oder mit der Verpflichtung des Dienstnehmers zur Verrichtung der ihm zugewiesenen Arbeiten nach bestem Wissen und Können in Widerspruch steht. Eine Versäumung der pflichtgemäßen Arbeitszeit verwirklicht den Entlassungsgrund daher grundsätzlich auch dann, wenn für eine an sich berechtigte Unterlassung der Dienstleistung die erforderliche Genehmigung des Dienstgebers nicht eingeholt wurde. Die vom Dienstnehmer vermutete Einwilligung des Dienstgebers in eine solche Unterlassung schließt aber die Pflichtwidrigkeit einer Arbeitsversäumnis aus, wenn der Dienstnehmer mit Grund annehmen konnte, daß der Dienstgeber, hätte er die Sachlage gekannt, seine Einwilligung erteilt hätte. Hat der Dienstgeber also auf der Einhaltung einer sich aus dem Dienstvertrag ergebenden Verpflichtung des Dienstnehmers nicht streng bestanden, sondern mehr oder weniger große Abweichungen regelmäßig geduldet, dann bildet eine Verletzung einer solchen Verpflichtung innerhalb des bisher tolerierten Ausmaßes keinen wichtigen Grund zur Entlassung des Dienstnehmers, falls dieser nicht vorher von der geänderten Sachlage unterrichtet und darauf aufmerksam gemacht wurde, daß die betreffende Verpflichtung in Zukunft genau eingehalten werden müsse (ArbSlg 8785; 9463; 9690; 10.379).

Nach den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen hatte der Kläger bei einer Dienstbesprechung im Juli 1993 angekündigt, im Monat August nur tageweise seinen Urlaub zu konsumieren, was von den Anwesenden zur Kenntnis genommen worden war. Er hatte auch am 31.8.1993 (das Fernbleiben vom Dienst an diesem Tag führte zur Entlassung) noch ausreichend nicht konsumierten Urlaub. In dem Unternehmen war es generell üblich, daß man am selben Tag in der Früh anrief und um Urlaub für diesen Tag ersuchte. Auch der Kläger hatte diese Vorgangsweise bereits gegenüber seinem unmittelbaren Vorgesetzten unbeanstandet praktiziert.

Ausgehend von diesen erstinstanzlichen Feststellungen und unter Berücksichtigung der eingangs wiedergegebenen Rechtsprechung durfte der Kläger somit auch am 31.8.1993 darauf vertrauen, daß eine telefonische Mitteilung an die Geschäftsführung in den Vormittagsstunden dieses Tages für die Bewilligung des Urlaubs ausreichend wäre. Dies umsomehr, da der Kläger nach den Feststellungen an diesem Tag keine wichtigen Termine und Besprechungen hatte und er zudem seinen Mitarbeiter in der Abteilung von dem geplanten Fernbleiben vom Dienst informierte. Da die Vorgangsweise des Klägers - wie bereits dargestellt - nicht unüblich und von der Geschäftsleistung toleriert worden war, kann darin auch keine Gefährdung der betrieblichen Interessen des Arbeitgebers (vgl 9 Ob A 150/91) im Sinne eines Untergrabens der Disziplin im Betrieb gesehen werden. Mangels Pflichtwidrigkeit erübrigt es sich darauf näher einzugehen, ob das Verhalten des Klägers nicht auch dadurch gerechtfertigt war, daß die unvorhergesehene Notwendigkeit der Beaufsichtigung der sonst in Obsorge der geschiedenen Ehegattin befindlichen Kinder als den Vertragspflichten vorgehende höherwertige Pflicht zu beurteilen wäre (vgl ArbSlg 10.521; 10.649; RZ 1990/122).

Bei dieser Sachlage ist aber nicht ausschlaggebend, ob der Kläger zu früheren Zeitpunkten unentschuldigt dem Betrieb ferngeblieben ist, da dadurch sein Recht auf Konsumation des Urlaubs nicht berührt wird und von der Beklagten gar nicht behauptet wurde, der Kläger habe sich hinsichtlich der Meldung einzelner Urlaubstage aus bestimmten Umständen nicht mehr auf die bisherige Übung verlassen dürfen. Die Revisionswerberin führt auch in ihrer Rechtsmittelschrift lediglich aus, daß vom Kläger verlangt worden sei, "daß er sich an die angeordneten Dienstzeiten im Haus genauso zu halten hatte, wie die übrigen Angestellten".

Aus den dargestellten rechtlichen Erwägungen liegt auch die gerügte Mangelhaftigkeit nicht vor, da bereits das Erstgericht richtig erkannt hat, daß dem beantragten Zeugenbeweis Relevanz deshalb nicht zukommt, da ausschließlich auf die Anordnungen gegenüber dem Kläger nicht jedoch auf Mitteilungen des Geschäftsführers gegenüber Dritten abzustellen ist.

Was schließlich den Hinweis betrifft, zum Kläger bestehe auch deshalb kein Vertrauen mehr, da er sich geheim Fotokopien von Geschäftspapieren angefertigt habe, so ist darauf zu verweisen, daß dies nach den Feststellungen nach der Beendigung des Dienstverhältnisses (offenkundig durch Dritte) erfolgt ist, jedoch im gerichtlichen Verfahren nur jene Entlassungsgründe geltend gemacht werden können, die im Zeitpunkt der Vornahme der Entlassung bereits vorgelegen sind (ArbSlg 10.649; Kuderna, Das Entlassungsrecht2, 51).

Es war daher der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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