OGH 1Ob10/95

OGH1Ob10/9522.11.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hildegard B*****, vertreten durch Dr.Roland Gabl, Dr.Josef Kogler und Mag.Harald Papesch, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen 209.435,12 S sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgerichts vom 10.Jänner 1995, GZ 12 R 69/94-35, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Linz vom 12. Juli 1994, GZ 1 Cg 16/93-29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 8.887,50 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin lernte im August 1989 einen damals 48jährigen, an Schizophrenie leidenden Mindestrentner (im folgenden Täter) kennen. Anläßlich eines Treffens im Haus der Klägerin Anfang Dezember 1989 "requirierte" der Täter dort ein Zimmer. Nachdem alle Aufforderungen der Klägerin an ihn, das Haus zu verlassen, vergeblich waren, erstattete ihr Sohn Anzeige. Im Beisein der deshalb einschreitenden Gendarmeriebeamten bedrohte der Täter die Klägerin mit einer Brandstiftung, um weiterhin in ihrer Wohnung bleiben zu können. Er wurde wegen Tatbegehungsgefahr vom Untersuchungsrichter des Landesgerichts St.Pölten in Untersuchungshaft genommen und in der Folge vom Einzelrichter des Landesgerichts St.Pölten im Verfahren AZ 17 EVr 1157/89 (im folgenden nur Anlaßstrafverfahren) ohne Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens mit Urteil vom 17. Jänner 1990 wegen des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs 1 und 106 Abs 1 Z 1 StGB rechtskräftig zu einer sechswöchigen Freiheitsstrafe verurteilt; die Strafe wurde bedingt nachgesehen und ihm eine Probezeit von drei Jahren bestimmt. Die Staatsanwaltschaft St.Pölten hatte im Anlaßstrafverfahren keinen Antrag auf Unterbringung des Täters gemäß § 21 Abs 1 StGB gestellt, der Einzelrichter auch nicht seine Unzuständigkeit gemäß §§ 430 Abs 1 und 434 Abs 1 StPO ausgesprochen, um dem zuständigen Schöffensenat eine allfällige amtswegige Unterbringung des Täters nach § 21 Abs 1 StGB zu ermöglichen.

In der Nacht zum 14.April 1990 schrieb der Täter "vorsätzlich" mit schwer überdeckbarer Farbe auf Wände des Hauses der Klägerin in jeweils etwa 3 m Länge insgesamt viermal das Wort "Hurre"; dadurch entstand der Klägerin ein rechtskräftig festgestellter Sachschaden von 100.639,20 S und bei Bedachtnahme auf die aufgelaufenen Zinsen und die Kosten des gegen den Täter angestrengten Rechtsstreits ein beim Täter uneinbringlicher Gesamtschaden von 209.435,12 S. Der Täter war in der Vergangenheit bereits mehrfach deliktisch auffällig geworden, wie sich aus folgenden Verfahren ergibt:

1. AZ 10 Vr 91/79 des (seinerzeitigen) Kreisgerichts Wels: Der Täter hatte unter anderem einen Funkpatrouillenwagen der Gendarmerie mit Benzin übergossen, angezündet und war anschließend zu Fuß querfeldein durch die Wälder geflüchtet. In diesem Verfahren wurde ein Gutachten über den Geisteszustand des Täters eingeholt, nach dessen Ergebnis er aufgrund seiner Geisteskrankheit nicht als eminent gefährlich im Sinn des Gesetzes bezeichnet werden konnte; er reagiere bloß bizarr und verschroben auf äußere Einflüsse, sein Zustand (Defektpsychose) habe sich im Vergleich zu früheren Untersuchungen nicht wesentlich geändert. Da er nicht imstande sei, aufgrund seiner Erkrankung subjektive Wahrnehmungen objektiv zu werten, wurde seine Zurechnungsunfähigkeit gemäß § 11 StGB festgestellt. Als Folge dieses Gutachtens wurde nicht nur dieses Verfahren von der Staatsanwaltschaft Wels gemäß § 112 StPO iVm § 11 StGB wegen Zurechnungsunfähigkeit des Täters, sondern wurden gemäß § 90 StPO auch folgende weitere Strafverfahren gegen den Täter mit folgenden Vorwürfen eingestellt:, denen den Verdacht seiner Täterschaft in Ansehung folgender Sachverhalte zugrundelag.

2. AZ Z 107/79 des Bezirksgerichts Lambach: Der Täter habe Gendarmeriebeamte in seiner Heimatgemeinde mehrfach verleumdet.

3. AZ 10 Vr 1440/79 des (seinerzeitigen) Kreisgerichts Wels: Der Täter habe nach seiner Weigerung, die Fernmeldegebühren zu bezahlen, gegen die vorläufige Beschlagnahme der Radio- und Fernsehgeräte durch die Post Widerstand durch gefährliche Drohungen sowie Bewerfen der Postbediensteten und ihres Dienstwagens mit Rüben und Steinen geleistet und mit einem Holzstock auf das Gendarmerieauto eingeschlagen, wodurch nur geringer Sachschaden entstanden sei.

4. AZ 10 Vr 1493/82 des (seinerzeitigen) Kreisgerichts Wels: Der Täter habe 1982 seinem Schwager ein Joch Weizen mit dem Mähdrescher abgeerntet und sich den Weizen angeeignet (Schaden 10.000 S) sowie seinen Schwager tätlich angegriffen und diesen am linken Daumen verletzt. Weiters sei der Täter nach dem verkehrsbehindernden Abstellen seiner landwirtschaftlichen Zugmaschine und dem Ersuchen eines Autofahrers, wegzufahren, vom Zugfahrzeug gesprungen, habe mit dem Fuß gegen die PKW-Tür getreten und habe diesem Autofahrer durch das geöffnete Seitenfenster das Gesicht zerkratzt. Sodann habe er aus dem Haus einen Krampen geholt und diesen in Richtung des davonfahrenden Autofahrers geworfen.

5. AZ Z 13/85 des Bezirksgerichts Lambach: Der Täter habe am 4.Jänner 1985 seine damals 78jährige Mutter gewaltsam in ihr Zimmer getrieben und ihr vom Heizkörper das Einstellrad abgeschraubt, nachdem er die Warmwasserzufuhr abgestellt habe. Seine Mutter habe sich bis 6.Jänner 1985 nicht mehr aus dem Zimmer getraut und sei bei einer Außentemperatur von mehr als -20o Celsius im Bett geblieben, ohne Nahrung zu sich nehmen zu können.

6. P 476/87 des Gendarmeriepostenkommandos Offenhausen: Am 18. November 1987 habe der Täter mit seinem Traktor das in seiner Hauszufahrt abgestellte Dienstfahrzeug eines Postzustellers gerammt (Schaden etwa 16.500 S). Aus Anlaß dieses Vorfalls wurde der Täter, der zur Begründung seiner Tat unter anderem ausführte, er habe eine Allergie gegen uniformierte Beamte, zwangsweise in ein Krankenhaus eingeliefert, nach einiger Zeit aber wieder entlassen.

Die dem Anlaßstrafverfahren zugrunde liegenden Straftaten sind aus psychiatrischer Sicht Ausdruck der psychischen Erkrankung des Täters. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kann angenommen werden, daß der Sachverständige bei einer psychiatrischen Untersuchung des Täters im Anlaßstrafverfahren zum Ergebnis der Zurechnungsunfähigkeit wegen schizophrener Geisteskrankheit gekommen und beim Täter eine seelisch-geistige Abartigkeit höheren Grades im Sinn des § 21 Abs 1 StGB diagnostiziert hätte. Im Zeitraum Ende 1989/Anfang 1990 wären beim Täter die vom Gesetz für eine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher vorausgesetzten, mit Strafe bedrohten Handlungen mit schweren Folgen (etwa mit einem Gesamtschaden von über 500.000 S) wenig wahrscheinlich gewesen, weil materielle Schäden solchen Ausmaßes von Schizophrenen kaum herbeigeführt würden. Konkret voraussehbar bzw konkret zu prognostizieren waren aus psychiatrischer Sicht Körperverletzungsdelikte, die unter anderem sicherlich auch "schwergradige" Körperverletzungen beinhalten konnten, eine absichtliche Tötung oder Gefährdung von Leib und Leben war jedoch auch aufgrund des damaligen Niveaus nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Beim Täter lag damals keine Wahnstimmung, sondern eine stark gesteigerte Reizbarkeit und Ungestümheit infolge eines schizophrenen Defektzustands vor. Daher waren nur solche Taten als möglich und bei Spannungen auch als wahrscheinlich zu erwarten, die Ähnlichkeiten mit Taten haben, die sehr reizbare Personen im allgemeinen als unmittelbare Reaktionen verüben (Raufereien, Mißhandlungen, Beschimpfungen, gefährliche Drohungen, wobei im Fall einer Rauferei oder Mißhandlung Körperverletzungen schweren Grades durchaus möglich sind). Hingegen sind Sachbeschädigungen mit hohem Schaden bei Schizophrenen wie dem Täter unwahrscheinlich, weil ihnen die Raffinesse und die Zielstrebigkeit in der Vorplanung und im Aushecken der Tat fehlt. Art und Ausmaß des vom Täter am Haus der Klägerin herbeigeführten Schadens sind gerade auch im Hinblick auf das erst nachträglich gesetzte Verhalten eines Schizophrenen sehr ungewöhnlich; solche Personen reagieren nämlich in erster Linie unmittelbar im Augenblick der Provokation und richten ihre Aggression naturgemäß in erster Linie gegen die betreffende Person und weniger gegen Sachwerte. Auch erfolgt der Aggressionsabbau in der Regel nicht erst - wie beim Täter - zu einem nach der Provokation liegenden späteren Zeitpunkt. Der schizophrene Defektzustand des Täters ist therapeutisch nicht korrigierbar; es ist nur eine symptomatische Therapie möglich. Man kann somit vereinzelte Zielsymptome etwas beeinflussen, aber den Gesamtzustand nur wenig bis gar nicht ändern. Eine gezielte Behandlung in einer Sonderanstalt, die über die Verordnung von Medikamenten und Injektionen hinausgeht, ist kaum möglich. In einer Sonderanstalt hätte man sicherlich auch versucht, psychotherapeutisch orientierte Gespräche zu führen, jedoch ist eine Psychose für sich allein einer Psychotherapie nicht zugänglich.

Die Klägerin begehrte von der beklagten Republik Österreich wegen Amtshaftung aus dem Titel des Schadenersatzes 209.435,12 S sA mit dem Vorbringen, die beklagte Partei hafte für diesen Schaden, weil es deren Organe, insbesondere "die Richter und Staatsanwälte des Landesgerichts St.Pölten", ungeachtet der zahlreichen vom eminent gefährlichen Täter in der Vergangenheit verübten Straftaten unterlassen haben, für seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher zu sorgen. Das Verschulden sei schon darin zu erblicken, daß trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 21 StGB nicht einmal ein derartiges Verfahren eingeleitet bzw eine entsprechende Überprüfung vorgenommen worden sei. Vielmehr seien die eingeleiteten Strafverfahren regelmäßig ohne weitere Prüfung, insbesondere ohne Einholung eines neuerlichen Gutachtens zur Beurteilung der geistigen und seelischen Abartigkeit des Täters, gemäß § 90 StPO eingestellt worden. Schließlich sei verabsäumt worden, den Täter durch Bestellung eines Sachwalters von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten.

Die beklagte Partei wendete im wesentlichen ein, beim Täter seien die Voraussetzungen für seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 1 StGB nicht vorgelegen, weil - dies habe auch ohne Einholung eines neuerlichen psychiatrischen Gutachtens geklärt werden können - die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung mit schweren Folgen nicht als naheliegend zu befürchten gewesen sei. Wenn überhaupt, könnte nur aus Unterlassungen von Organen der Staatsanwaltschaft St.Pölten eine Amtshaftung abgeleitet werden; deren Vorgehen sei aber durch ein 1979 erstattetes Gutachten gedeckt. Trotz des Zeitablaufs sei der Rückgriff auf dieses Gutachten nicht zu beanstanden, weil angesichts der Diagnose in vertretbarer Weise von einer gleichbleibend mangelnden strafrechtlichen Verantwortlichkeit und von der zu solchen Maßnahmen nicht hinreichenden Gefährlichkeit des Täters hätte ausgegangen werden können. Im Hinblick auf die von der Judikatur geprägte enge Umschreibung der Voraussetzungen einer Unterbringung sei die Auslegung des § 21 StGB durch Organe der Staatsanwaltschaft St.Pölten vertretbar gewesen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Zwischen den inkriminierten Unterlassungen von Richtern und Staatsanwälten und dem bei der Klägerin eingetretenen Schaden bestehe kein Rechtswidrigkeitszusammenhang, weil nach dem psychiatrischen Sachverständigengutachten im Zeitpunkt des Anlaßstrafverfahrens nur die Gefahr der Begehung von Delikten gegen Leib und Leben mit schweren Folgen Grundlage für eine allfällige Unterbringung nach § 21 StGB gewesen wäre; Schutzzweck dieser Maßnahme wäre daher nicht der Schutz fremden Eigentums gewesen. Auch das rechtmäßige Alternativverhalten führe zur Abweisung des Amtshaftungsbegehrens, weil für das erkennende Gericht selbst im Fall einer Antragstellung der Staatsanwaltschaft kein Grund für eine "Einweisung" nach § 21 Abs 1 StGB bestanden hätte. Ungeachtet der fehlenden zielführenden Behandlungsmöglichkeit des schizophrenen Defektzustands des Täters hätte eine Verhältnismäßigkeitsabwägung zweifelsfrei zur Abweisung eines allfälligen "Einweisungsantrags" geführt. Soweit das Ersatzbegehren auf eine unterlassene Entmündigung des Täters bzw auf die unterbliebene Einleitung eines Sachwalterschaftsverfahrens gestützt werde, fehle es insoweit von vornherein am Rechtswidrigkeitszusammenhang.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte das Ersturteil und ließ die ordentliche Revision zu. Es übernahm die erstinstanzlichen Feststellungen und folgerte, soweit im Revisionsverfahren von Belang, in rechtlicher Hinsicht: Wenngleich die Maßnahmen des § 21 StGB ganz allgemein dem Bedürfnis entsprangen, die Gesellschaft vor gefährlichen Tätern zu sichern, sei der Schutzzweck dieser Norm zunächst doch darin zu erblicken, die Gesellschaft bei strafbaren Handlungen mit schweren Folgen eines geistig abnormen Rechtsbrechers zu schützen. Da § 21 Abs 1 StGB die Prognose einer mit schweren Folgen einhergehenden strafbaren Handlung zum Tatbestandsmerkmal mache - bei Vermögensdelikten orientierten sich die schweren Folgen an der Wertgrenze von etwa 500.000 S, wobei es sich aber um eine Einzeltat handeln müsse und eine Summierung geringerer Werte (§ 29 StGB) nicht genüge -, könne der Schutzzweck dieser Norm nicht darin bestehen, die Gesellschaft generell und damit auch bei Taten eines geistig abnormen Rechtsbrechers ohne schwere Folgen zu schützen. § 21 Abs 1 StGB treffe zwar keine Unterscheidung zwischen Delikten gegen Leib und Leben und Vermögensdelikten, daraus könne aber nicht der Schluß gezogen werden, der Schutzzweck der Norm erstrecke sich auch auf Delikte, deren Begehung aufgrund der Gefährlichkeitsprognose als nicht wahrscheinlich anzusehen sei. Wenn also zwar (schwere) Körperverletzungen als konkret möglich bzw voraussehbar bezeichnet, hingegen Vermögensdelikte mit einem Schaden von über S 500.000 als wenig wahrscheinlich angenommen wurden, könne Schutzzweck der Norm nur die Sicherung der Gesellschaft vor Delikten gegen Leib und Leben sein. Aus diesem Grund seien die von der Klägerin in der Berufung begehrten, vorwiegend weitere frühere Straftaten des Klägers betreffende Feststellungen ohne Belang.

Die Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die gerügte Mangelhaftigkeit des Verfahrens zweiter Instanz liegt, wie der Oberste Gerichtshof prüfte (§ 510 Abs 3 ZPO), nicht vor.

Gemäß § 1 Abs 1 AHG haften der Bund und andere Rechtsträger nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts für den Schaden am Vermögen oder an der Person, den die als ihre Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben. Die Klägerin stützte ihren Amtshaftungsanspruch auf drei Unterlassungen von Organen des Rechtsträgers, nämlich 1) den unterlassenen Antrag der Staatsanwaltschaft St.Pölten auf Unterbringung des Täters in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 StGB 2) die unterlassene amtswegige Unterbringung des Täters in eine derartige Anstalt durch den Einzelrichter - erkennbar gemeint: durch das Schöffengericht nach Unzuständigkeitsurteil des Einzelrichters (§§ 430 Abs 1, 434 Abs 1 StPO), und 3) die unterlassene Einleitung eines Sachwalterschaftsverfahrens für den Täter. Nach herrschender Auffassung kann ein rechtswidriges und schuldhaftes Organhandeln in Vollziehung der Gesetze, das den Rechtsträger gemäß § 1 AHG zum Schadenersatz verpflichtet, auch in einer Unterlassung bestehen, wenn eine Pflicht des Organs zum Tätigwerden bestand und ein pflichtgemäßes Handeln den Schadenseintritt verhindert hätte (SZ 63/166 uva; Schragel AHG2, Rz 131).

Ob zufolge § 11 StGB das gegen den Täter eingeleitete Anlaßstrafverfahren einzustellen oder der Täter gemäß § 259 Z 3 StPO freizusprechen gewesen wäre, muß hier nicht beurteilt werden, weil sich die Klägerin nicht dadurch, sondern nur durch die unterlassene Unterbringung des Täters in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher beschwert erachten kann. Ob die Vorgangsweise der Organe des beklagten Rechtsträgers vertretbar war, kann nicht beurteilt werden, weil keine Feststellungen darüber vorliegen, aus welchen Erwägungen eine Unterbringung des Täters nicht in Erwägung gezogen wurde. Die im Akt des Anlaßstrafverfahrens erliegende Strafregisterauskunft (AS 13) wies keine Verurteilung des Täters aus, doch ergab sich seine schwere geistige Erkrankung aus in diesem Akt erliegenden Fotokopien anderer Anzeigen (AS 25 ff), wenngleich das im Verfahren AZ 10 Vr 91/79 des Kreisgerichts Wels erstattete medizinische Sachverständigengutachten nicht vorlag.

Als zutreffend erweist sich indes nach Auffassung des erkennenden Senats der Hinweis des Erstrichters auf das rechtmäßige Alternativverhalten, daß also auch bei ordnungsgemäßer Prüfung der Voraussetzungen nach § 21 Abs 1 StGB durch die zuständigen Organe des Rechtsträgers eine Unterbringung des Täters unterblieben wäre. Nach § 21 Abs 1 StGB sind Rechtsbrecher, die zurechnungsunfähig sind, in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher einzuweisen, wenn sie eine Tat begangen haben, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist, und für diese Tat nur deshalb nicht bestraft werden können, weil sie die Tat unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11) StGB begangen haben, wobei dieser Zustand auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruht, und nach ihrer Person, ihrem Zustand und nach der Art des begangenen Delikts zu befürchten ist, daß sie sonst unter dem Einfluß ihrer geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werden. Nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen beging der Täter zwar unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands, der auf einer geistigen Abartigkeit höheren Grades (Schizophrenie) beruht, das Verbrechen der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 und 106 Abs 1 Z 1 StGB, somit eine mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohte Tat, doch lag die weitere Voraussetzung einer ausreichende Gefährlichkeitsprognose nicht vor. Die Maßnahme nach § 21 Abs 1 StGB entspringt zwar dem Bedürfnis, die Gesellschaft vor Tätern zu sichern, die für eine von ihnen begangene, mit Strafe bedrohte Handlung bloß wegen ihrer Zurechnungsunfähigkeit nicht oder (Abs 2) wegen ihrer verminderten Zurechnungsfähigkeit nur relativ gering bestraft werden können, jedoch wegen ihres abnormen Zustands eine Gefahr darstellen, und zugleich die Täter durch zweckentsprechende Behandlung zu resozialisieren. Dieser Schutzzweck des § 21 StGB wird jedoch durch die Gefährlichkeitsprognose eingeschränkt, das heißt, daß nach dem Willen des Gesetzgebers im Ergebnis auch nicht zurechnungsfähige Täter nicht untergebracht werden können, wenn die Prognose nicht mit schweren Folgen verbundene, mit Strafe bedrohte Handlungen als wahrscheinlich erscheinen läßt. Ein Grund dafür ist die Wertentscheidung der Rechtsordnung (etwa des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl 1988/684), gegenüber der Freiheit einer Person hätten andere rechtlich geschützte Werte zurückzutreten. Das daraus resultierende Risiko hat daher bei Vermögenslosigkeit des Täters wie hier der jeweils Geschädigte zu tragen.

Für die Prognose über die erhöhte Fremdgefährlichkeit ("mit schweren Folgen") nennt das Gesetz nachstehende Faktoren: Die Person des Täters, seinen Zustand sowie die Art der Anlaßtat. Es ist daher eine Diagnose der Persönlichkeit des Täters unter Einschluß seiner sozialen Bindungen und allenfalls früherer krimineller Handlungen sowie seiner Abartigkeit auch unter Berücksichtigung allfälliger Veränderungen seit der Tat erforderlich. In der Anlaßtat muß eine spezifische Gefährlichkeit zum Ausdruck kommen und für die Zukunft zu befürchten sein. Die Prognosetat muß in ihrer konkreten Gestaltung von schweren Folgen begleitet sein, gefordert wird ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad, die Befürchtung muß naheliegend sein und es muß die eminente Gefahr der Begehung einer solchen Straftat drohen (Mayerhofer-Rieder, Das österr. Strafrecht4, § 21 StGB Anm 5). Bei realistischer Betrachtung muß eine aktuelle Gefährlichkeit nahe liegen (Ratz in ÖJZ 1986, 680 unter Hinweis auf RZ 1984/67). Die Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher ist nur für "wirklich gefährliche" Delinquenten gedacht, bei denen andere strafrechtliche Maßnahmen nicht in Betracht kommen (Foregger-Serini-Kodek, StGB5, § 21 Erl III.3.).

Nach der Entscheidung SSt 48/2 = EvBl 1977/180 ist die Frage, ob es sich bei einer Prognosetat um eine solche mit "schweren Folgen" handelt, nicht bloß nach dem abstrakten Gewicht des der Strafdrohung entsprechenden Erfolgs zu beurteilen, sondern nach dem Gesamtgewicht aller ihrer konkreten Auswirkungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit; Wäre den getroffenen Organen der Staatsanwaltschaft und des Landesgerichts St.Pölten der im Amtshaftungsverfahren verwertbare Aktenstand bekannt gewesen, wäre beim Täter - bei Bedachtnahme auf diese Rechtsprechung - mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit (EvBl 1989/185) ein Delikt mit schweren Folgen, im besonderen ein Vermögensdelikt mit schweren Folgen, entsprechend dem StRÄG 1987, BGBl 1987/605, orientiert an der hier nie erreichten Wertgrenze von 500.000 S (Foregger-Serini-Kodek aaO), nicht prognoszitiert worden. Eine maßgebliche Verschlechterung des Zustandsbilds des Täters gegenüber dem im Verfahren AZ 10 Vr 91/79 des Kreisgerichts Wels begutachteten Zustandsbilds besteht nach dem Gutachten des dem Amtshaftungsverfahren beigezogenen Sachverständigen nicht.

Die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, es fehle am Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem von der Klägerin geltend gemachten Schaden und der von ihr behaupteten Verletzung des § 21 Abs 1 StGB, bedarf daher - abgesehen davon, daß die Klägerin neben einem reinen Vermögensschaden (Verfahrenskosten) auch einen Sachschaden an ihrem Eigentum, somit aus der Verletzung eines absoluten Rechts, geltend macht - keiner Klärung.

c) Auf die unterlassene Einleitung eines Sachwalterschaftsverfahrens als gegenüber der Unterbringung des Täters gelinderes Mittel, um den Täter offenbar zur Einnahme von Medikamenten oder Durchführung einer Therapie zu veranlassen, kommt die Klägerin in ihrem Rechtsmittel nicht mehr zurück.

Der Revision muß daher ein Erfolg versagt werden. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens fußt auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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