OGH 11Os140/95

OGH11Os140/9521.11.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 21.November 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Hager, Dr.Schindler, Dr.Mayrhofer und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Brunner als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Roland Sch***** wegen des versuchten Verbrechens nach §§ 15 StGB, 12 Abs 1 und Abs 3 Z 3 SGG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 11.Mai 1995, GZ 4 b Vr 12083/94-104, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Zehetner, des Angeklagten und des Verteidigers zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Aus deren Anlaß wird gemäß § 290 Abs 1 StPO das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch, Roland Sch***** hat die ihm nach § 12 Abs 1 SGG zur Last liegende Tat mit Beziehung auf ein Suchtgift begangen, dessen Menge zumindest das Fünfundzwanzigfache der im Abs 1 angeführten Menge ausmacht und in der darauf beruhenden rechtlichen Beurteilung der Tat nach § 12 Abs 3 Z 3 SGG sowie demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der österreichische Staatsbürger Roland Sch***** des versuchten Verbrechens nach §§ 15 StGB, 12 Abs 1 und Abs 3 Z 3 SGG schuldig erkannt, weil er am 3.Februar 1994 in Leticia (Kolumbien) im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit den abgesondert verfolgten Karl Schr***** und Fritz S***** als Mittäter den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift, nämlich rund 1 kg Kokain, aus Kolumbien auszuführen und nach Brasilien einzuführen versuchte, um das Suchtgift dann weiter nach Österreich zu verschaffen, wobei er die Tat mit Beziehung auf ein Suchtgift beging, dessen Menge zumindest das Fünfundzwanzigfache der im (§ 12) Abs 1 angeführten Menge ausmachte.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 9 lit c (in eventu lit b) StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, die sich in keinem Punkt als berechtigt erweist.

Die Abweisung des Antrages auf Vernehmung des Zeugen Dr.F***** zum Beweis dafür, "daß (vom Angeklagten) ein Flug gebucht wurde, weil kein Flug vorher gebucht war, und daß er Schwierigkeiten hatte, überhaupt einen Platz zu bekommen, weil das (für den Angeklagten) ein neues Ziel war", konnte entgegen dem Vorbringen in der Verfahrensrüge (Z 4) schon deswegen keine Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten bewirken, weil der unter Beweis zu stellende Umstand vom Schöffengericht ohnedies als erwiesen angenommen wurde (US 5, 6).

Die vom Schöffensenat außerdem abgelehnten Anträge (399/II) auf Vernehmung des Zeugen Dr.P*****, der zum Beweis dafür geführt wurde, daß der Angeklagte ihn über alle Umstände des Vorfalles informiert habe, und der Zeugin Selin D*****, durch deren Einvernahme dargetan werden sollte, daß der Angeklagte die örtlichen Behörden über den in Rede stehenden Vorfall informiert habe, betreffen keine für die Schuld oder den anzuwendenden Strafsatz entscheidende Umstände. Nach den Urteilsfeststellungen hat der Angeklagte am 3.Februar 1994 im Hotel A***** das von ihm erworbene Suchtgift an Karl Schr***** übergeben, damit dieser und sein Freund Fritz S***** es weitertransportieren. Das Hotel A***** befindet sich in der Stadt Leticia, welche zum Staat Kolumbien gehört (55, 275, 291/II). Bei Karl Schr***** wurde das Suchtgift am Flughafen Tabatinga (Brasilien) von den Sicherheitsbehörden gefunden. Er hatte zu diesem Zeitpunkt das Rauschgift daher bereits aus Kolumbien aus- und nach Brasilien eingeführt. Entgegen der rechtlichen Beurteilung durch das Schöffengericht als (bloß) versuchtes Verbrechen nach §§ 15 StGB, 12 Abs 1 und Abs 3 Z 3 SGG war aber das Suchtgiftverbrechen (durch die Aus- und Einfuhr) bereits vollendet. Mangels Anfechtung durch den öffentlichen Ankläger ist zwar insoweit eine Korrektur der rechtlichen Beurteilung nicht mehr möglich, doch ist damit der Argumentation des Beschwerdeführers, der durch die genannten Zeugen den freiwilligen Rücktritt vom Versuch des bezeichneten Verbrechens nachweisen will, der Boden entzogen. Daß der Beschwerdeführer durch seine "Meldung" allenfalls zur Verhinderung weiteren Schadens beitragen wollte, betrifft nur die Strafzumessung und damit keinen für die Schuldfrage oder den anzuwendenden Strafsatz wesentlichen Umstand.

Hinsichtlich des Antrages auf Vernehmung der Zeugin Selin D***** zum Beweis dafür, daß der Angeklagte bei den (Suchtgift-)Einkäufen weder Vermittler noch Käufer gewesen sei, hätte auch dargetan werden müssen, aus welchen Gründen erwartet werden kann, daß die Durchführung des beantragten Beweises auch tatsächlich das vom Antragsteller behauptete Ergebnis haben werde (Mayerhofer/Rieder StPO3 § 281 Z 4 ENr 19). Hat sich doch der Angeklagte nie damit verantwortet, daß er die gesamte Zeit seines Aufenthaltes in Leticia bzw Tabatinga mit dieser Frau verbrachte, sodaß es ihm durchaus möglich war, zu Zeiten, in welchen er nicht in deren Begleitung war, das Suchtgift zu besorgen.

Durch die Abweisung der Beweisanträge wurden daher Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht verletzt.

Soweit der Beschwerdeführer in der Mängelrüge zunächst unter dem Gesichtspunkt einer unzureichenden Begründung lediglich neuerlich die in der Verfahrensrüge behaupteten Erhebungsmängel geltend macht, bringt er den angerufenen Nichtigkeitsgrund (Z 5) nicht zur gesetzmäßigen Darstellung (Mayerhofer/Rieder aaO § 281 Z 5 ENr 82).

Wenn er darüber hinaus als Undeutlichkeit und unzureichende Begründung rügt, daß das Schöffengericht seiner Verantwortung nicht gefolgt sei, die auch andere - für ihn günstigere - Schlüsse zugelassen hätte, versucht er in Wahrheit nur, in einer im Nichtigkeitsverfahren unzulässigen Weise die Beweiswürdigung des Schöffengerichtes nach Art einer Schuldberufung in Zweifel zu ziehen (Mayerhofer/Rieder aaO ENr 145).

Mit seiner Rechtsrüge (sachlich Z 9 lit b) bestreitet der Beschwerdeführer das Vorliegen der inländischen Gerichtsbarkeit, weil bei einem im Ausland begangenen, österreichische Interessen nicht berührenden Suchtgiftverbrechen dem Tatortstaat der primäre Strafanspruch zukomme.

Gemäß § 64 Abs 1 Z 4 StGB werden (unter anderem auch) die im Ausland nach § 12 des Suchtgiftgesetzes 1951 begangenen strafbaren Handlungen unabhängig von den Strafgesetzen des Tatorts nach den österreichischen Strafgesetzen bestraft, wenn durch die Tat österreichische Interessen verletzt worden sind oder der Täter nicht ausgeliefert werden kann. Da nach der Verfassungsbestimmung des § 12 Abs 1 ARHG eine Auslieferung österreichischer Staatsbürger, demnach auch des Beschwerdeführers unzulässig ist, gründet sich die originäre österreichische Strafgewalt auf die vorgenannte zweite (alternative) Voraussetzung (15 Os 56/95; Leukauf/Steininger Komm3 § 64 RN 18). Im übrigen hat das Erstgericht - entgegen dem Beschwerdevorbringen - auch die Verletzung österreichischer Interessen festgestellt, weil nach den Urteilsannahmen das vom Angeklagten besorgte Suchtgift letztlich nach Österreich gebracht werden sollte (Leukauf/Steininger aaO RN 17).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde hat sich der Oberste Gerichtshof jedoch davon überzeugt, daß das angefochtene Urteil hinsichtlich der sogenannten "übergroßen" Menge im Sinn des § 12 Abs 3 Z 3 SGG zum Nachteil des Angeklagten mit einem von diesem nicht gerügten Feststellungsmangel (Z 10) behaftet ist, der eine Maßnahme gemäß § 290 Abs 1 StPO erforderlich macht.

Das Schöffengericht ging zwar - auf der Basis gefestigter Rechtsprechung (vgl ua ÖJZ-LSK 1987/90; EvBl 1988/4; JBl 1989, 458) im Einklang mit dem Gutachten des Beirats zur Bekämpfung des Mißbrauchs von Alkohol und anderen Suchtmitteln - zutreffend davon aus (US 15), daß ab 15 Gramm reinem Cocain (Kokain) eine "große" Menge in der Bedeutung des § 12 Abs 1 SGG vorliegt, woraus sich das nach § 12 Abs 3 Z 3 SGG als Untergrenze der sogenannten "übergroßen" Menge maßgebende Fünfundzwanzigfache dieses Quantums mit 375 Gramm errechnet. Hinsichtlich der Qualität des in Rede stehenden Suchtgiftes ist in den Urteilsgründen zunächst davon die Rede, daß der Angeklagte bei den abgesondert verfolgten Beteiligten S***** und Schr***** als neue Quelle galt, um "gutes Kokain günstig" (US 5) bzw "günstig sehr gutes Kokain" (US 7) kaufen zu können. Demgegenüber ist den Urteilsausführungen aber auch zu entnehmen, daß das (in Brasilien sichergestellte) Kokain "zumindest von durchschnittlicher Qualität" war (US 6), wozu ausdrücklich erklärt wird, daß Kokain durchschnittlicher Qualität "nach der forensischen Erfahrung im Verhältnis 1 (Kokain): 2 (Streckungsmittel) gestreckt" sei. Obwohl nach dieser Berechnung auf die verfahrensgegenständliche Suchtgiftmenge von 1 kg (= 1.000 Gramm) Kokain 333,33 Gramm Reinsubstanz entfallen würde, wodurch das zuvor für die sogenannte "übergroße" Menge im Sinn des § 12 Abs 3 Z 3 SGG erforderliche Quantum von 375 Gramm jedenfalls nicht erreicht wäre, folgerte das Schöffengericht aus der zuvor wiedergegebenen Berechnung dennoch, daß im vorliegenden Fall auch die Übermenge im Sinn des § 12 Abs 3 Z 3 SGG "erreicht und überschritten" wurde; schließlich wurde der Umstand, "daß die Übermenge bei weitem überschritten ist", bei Feststellung der Strafbemessungstatsachen sogar als besonderer Erschwerungsgrund angeführt (US 16).

Da die Urteilsgründe solcherart über eine entscheidende Tatsache verschiedene Deutungen zulassen, fehlt es an den erforderlichen Feststellungen (vgl Mayerhofer/Rieder aaO § 281 Z 5 E 50) für die rechtliche Beurteilung hinsichtlich der Qualifikation nach § 12 Abs 3 Z 3 SGG. Dieser (vom Beschwerdeführer nicht geltend gemachte, jedoch zu seinen Gunsten) von Amts wegen wahrzunehmende Feststellungsmangel macht eine Verfahrenserneuerung in erster Instanz unerläßlich, sodaß insoweit wie aus dem Spruch ersichtlich zu erkennen war.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

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