OGH 10ObS148/95

OGH10ObS148/9514.11.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Friedrich Hötzl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Rudolf Schleifer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. A***** W*****, Pensionist, *****, vertreten durch Dr. Gustav Teicht und Dr. Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, wegen Pflegegeldes, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12. Mai 1995, GZ 10 Rs 16/95-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 25. Oktober 1994, GZ 16 Cgs 105/94m-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 10.7.1949 geborene Kläger leidet seit Geburt an einer Bluterkrankheit auf Grund eines Mangels von Faktor VIII bei allgemeiner Körperschwäche besonders der Muskulatur. Im Zusammenhang damit bestehen Gelenksbeschwerden und Beweglichkeitsein- schränkungen und es treten auch ohne Verletzungen starke schmerzhafte Blutungen in Gelenken und Muskulatur auf. Auf Grund der Schwierigkeit der Behandlung der Blutungen begab sich der Kläger in den letzten Monaten nicht in Krankenhausbehandlung, sondern stellte zu Hause die Gelenke ruhig und versorgte die Blutungen mit Eisbeuteln und Druckverbänden. Ab Beginn des Jahres 1994 bis zum 25. Oktober 1994 erfolgten Ellbogenblutungen an 73 Tagen, Knieblutungen an 24 Tagen, Unterarmblutungen an 14 Tagen, Knöchelblutungen an 22 Tagen, Sehnenscheidenblutungen an 22 Tagen, Fußblutungen an 22 Tagen, Oberarmblutungen an 4 Tagen und Wadenblutungen an 11 Tagen, wobei es hinsichtlich der einzelnen Blutungen zu Überschneidungen kam. Bei Knieblutungen muß der Kläger das Knie so rasch wie möglich ruhig stellen und es dauert in der Regel ein bis eineinhalb Tage bis zum Zurückgehen der Blutung. Erst nach zwei bis drei Tagen kann der Kläger wieder auftreten und zunächst wenig dann mehr in der Wohnung umhergehen und auch kurz stehen. Das gleiche gilt für Knöchelblutungen. Bei Wadenblutungen kann der Kläger nach zwei bis drei Tagen Ruhigstellen das Haus wieder verlassen. Bei Blutungen im Ellbogengelenk gilt im Fall der schweren Blutung die Einschränkung, daß sämtliche Tätigkeiten, die mit dieser Hand vorgenommen werden müssen, nicht möglich sind und der Kläger auf einarmige Tätigkeiten beschränkt ist. Bei leichteren Blutungen kann die betreffende Hand als Hilfshand herangezogen werden. Bei Ellbogenblutungen treten die genannten Einschränkungen auf einarmige Tätigkeit vor allem in den ersten ein bis zwei Tagen auf, wenn schwere Blutungsphasen vorliegen. Bei Blutungen des Unter- oder Oberarmes scheiden gewisse Bewegungen aus, so daß gründliche Wohnungsreinigung und Wäschewaschen nicht möglich sind. Eine Prognose, wie oft eine Blutung und welche Art von Blutung beim Kläger in Zukunft zu erwarten ist, kann nicht gegeben werden. An Tagen, an denen keine Blutung auftritt, kann sich der Kläger alleine an- und auskleiden, die Notdurft verrichten, die Körperpflege durchführen, infolge der allgemeinen Körperschwäche und Gelenks- beeinträchtigung jedoch nicht eine Badewanne besteigen. Er kann die kleine Leibwäsche waschen und Speisen für eine Person zubereiten und einnehmen. Ebenso sind ihm kleine Verrichtungen wie oberflächliches Aufräumen möglich. Große Wäschereinigung und gründliche Wohnungsreinigung sind nicht möglich. Der Kläger kann zwar alleine ausgehen, aber nicht Lebensmittel heimtragen. Er verfügt über eine Zentralheizung. Er übt eine Tätigkeit für einen Behindertenverband aus, ist aber nur zeitweise im Büro.

Mit Bescheid vom 6.4.1994 wies die beklagte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten den Antrag des Klägers vom 6.12.1993 auf Zuerkennung eines Pflegegeldes ab. Seine Fähigkeit zur Besorgung lebensnotwendiger Verrichtungen des Alltages sei nicht so weit herabgesunken, daß der Pflegebedarf mehr als 50 Stunden monatlich betrage.

Das Erstgericht wies das dagegen erhobene Klagebegehren ab. Es nahm für die gründliche Wohnungsreinigung, die Reinigung der großen Wäsche und das Heimtragen der Lebensmittel einen Hilfsaufwand von je 10 Stunden, insgesamt also 30 Stunden monatlich an und zwar auch dann, wenn keine Blutung vorliegt. Zusätzlich unter Berücksichtigung der Blutungen benötige der Kläger an 10 bis 15 Tagen fremde Hilfe für die wesentlichen Verrichtungen des täglichen Lebens, nämlich An- und Auskleiden, tägliche Körperpflege und Zubereitung von Mahlzeiten, woraus sich ein Zeitaufwand für 10 bis 15 Tage im Gesamtausmaß von 41 bis 61,5 Stunden ergebe. Unter Bedachtnahme auf die Ellbogenblutungen und Sehnenscheidenblutungen bedeute dies einen zusätzlichen Bedarf für 9 bis 18 Tage von 33 bis 66 Stunden. Somit habe der Kläger insgesamt im Zusammenhang mit den Blutungen zusätzlichen Fremdenaufwand von 74 bis 127 Stunden in der Zeit von Jänner bis Oktober 1994 benötigt. Daraus ergebe sich ein durchschnittlicher monatlicher zusätzlicher Aufwand an Fremdhilfe zwischen 8 und 13 Stunden, sodaß der gesamte Bedarf an Fremdhilfe monatlich zwischen 38 und 43 Stunden liege. Damit reiche aber der derzeit erforderliche Pflegeaufwand, der jedenfalls nicht mehr als 50 Stunden monatlich betrage, für die Zuerkennung des Pflegegeldes nicht aus.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es übernahm die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen und teilte auch dessen rechtliche Beurteilung. Das Erstgericht habe keineswegs eine Aliquotierung der im § 2 EinstV genannten Hilfsverrichtungen vorgenommen, sondern für jede dieser Verrichtungen den genannten fixen Zeitwert von je 10 Stunden angenommen, obwohl der Kläger diese Verrichtungen noch teilweise selbst ausüben könne. Die Auffassung des Klägers, ihm stünden insgesamt 50 Stunden für Hilfsverrichtungen zu, da im Beobachtungszeitraum jedenfalls wenigstens eine Blutung pro Monat stattgefunden habe und dann eine Pauschalierung der Hilfsverrichtungen im Ausmaß des gesamten Zeitwertes und nicht aliquotiert durchzuführen sei, könne nicht gefolgt werden. Außer den ohnedies festgehaltenen 30 Stunden für Wohnungsreinigung, Wäschereinigung und Herbeischaffung von Nahrungsmitteln enthalte § 2 Abs 2 EinstV nur noch eine Pauschalierung für die Beheizung des Wohnraumes einschließlich der Beischaffung von Heizmaterial und für die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn. Nach den Feststellungen verfüge der Kläger über eine Zentralheizung und könne selbst in Fällen starker Blutungen - wenn auch mühsam - das WC aufsuchen. Insoweit könne ihm auch das Auf- oder Abdrehen einer Zentralheizung zugemutet werden. Eine Mobilitätshilfe im weiteren Sinn entfalle schon deswegen, weil der Kläger bei Blutungen nicht die Wohnung verlasse und sich auch nicht in ärztliche oder Spitalsbehandlung begebe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung dahin, daß ihm das Pflegegeld im gesetzlichen Ausmaß ab 1.12.1993 gewährt werde. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die im angefochtenen Urteil enthaltene rechtliche Beurteilung der Sache, daß der Pflegebedarf des Klägers durchschnittlich nicht mehr als 50 Stunden monatlich beträgt und er daher nach § 4 Abs 1 BPGG keinen Anspruch auf Pflegegeld hat, ist zutreffend, weshalb es ausreicht, auf deren Richtigkeit hinzuweisen (§ 48 ASGG).

Ergänzend ist den Revisionsausführungen folgendes entgegenzuhalten:

Nach Auffassung des Klägers komme die Aliquotierung für Monate, in denen er - auf Grund von Blutungen - 50 Stunden Pflegebedarf allein für Hilfeleistungen habe, nicht in Frage; hier wäre seiner Ansicht nach eine genaue Zuordnung des Hilfsaufwandes zu einzelnen Monaten notwendig gewesen. Diese Auffassung widerspricht aber der Judikatur des Obersten Gerichtshofes. Es ist zwar richtig, daß die Diktion des § 2 Abs 3 EinstV ("fixer Zeitwert von 10 Stunden") keinen Spielraum für ein Abweichen von diesem Zeitwert nach oben oder unten eröffnet. Ist im Bereich einer der im § 2 Abs 2 EinstV genannten Hilfsverrichtungen, soweit sie zur Sicherung der Existenz erforderlich sind, ein Bedarf des Anspruchswerbers auf fremde Hilfe gegeben, so ist ohne Rücksicht darauf, wie weitgehend dieses Hilfsbedürfnis ist, der vom Verordnungsgeber angeordnete fixe Zeitwert zugrunde zu legen. Durch die in § 4 Abs 1 BPGG festgesetzte Mindesfrist von 6 Monaten, während der der Betreuungs- und Hilfebedarf bestehen muß, werden nur Personen von Pflegegeldleistungen ausgeschlossen, die etwa auf Grund einer vorübergehenden Erkrankung der Betreuung und Hilfe bedürfen, wobei aber abzusehen ist, daß dieser Bedarf nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge innerhalb von 6 Monaten wieder wegfallen wird. Daß der Bedarf nach Beiziehung einer Hilfsperson für bestimmte Verrichtungen jeweils nur für einige Monate eines Jahres gegeben ist, ist - wie der Senat ausgesprochen hat (SSV-NF 8/61 = SZ 67/117) - dadurch zu berücksichtigen, daß der notwendige Hilfsbedarf für diese Zeit zu ermitteln und auf das ganze Jahr aufzuteilen ist. Diese Aufteilung des nur gelegentlich bestehenden Pflegebedarfs auf das ganze Jahr wurde von den Vorinstanzen zutreffend vorgenommen.

Das Berufungsgericht hat auch zutreffend dargelegt, daß - von Zeiten der Blutungen abgesehen - kein Bedarf nach Mobilitätshilfe im weiteren Sinne besteht (vgl. dazu SSV-NF 8/79). Nach den Feststellungen ist auch nicht anzunehmen, daß im Fall des Klägers die dauernde Bereitschaft einer Pflegeperson (vgl. § 6 EinstV) erforderlich ist, was auch schwer damit in Einklang zu bringen wäre, daß der Kläger ungeachtet seiner Leidenszustände einer Tätigkeit für einen Behindertenverband nachgeht und dabei auch teilweise in einem Büro arbeitet.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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