OGH 15Os143/95

OGH15Os143/959.11.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 9.November 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Mag.Strieder, Dr.Mayrhofer und Dr.Rouschal als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Unterrichter als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Wolfgang K***** wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren Diebstahls durch Einbruch als Beteiligter nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 und 2 sowie §§ 15, 12 dritter Fall StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Landesgerichtes Feldkirch vom 30.Juni 1995, GZ 17 Vr 821/94-107, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr.Bierlein, und des Verteidigers Dr.Wegrostek, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Beschluß des Landesgerichtes Feldkirch vom 30.Juni 1995, GZ 17 Vr 821/94-107, mit welchem die dem Wolfgang K***** im Urteil des Kreis-(nunmehr Landes-)gerichtes Leoben vom 26.April 1991, GZ 10 E Vr 384/89-69, gewährte bedingte Strafnachsicht gemäß § 494 Abs 1 Z 4 StPO widerrufen wurde, verletzt das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 494 a Abs 4, 498 StPO.

Dieser Beschluß sowie der darauf beruhende Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Beschwerdegericht vom 22.August 1995, AZ 6 Bs 379/95, soweit er im Punkt 2. die bedingte Entlassung des Wolfgang K***** auch aus der mit Urteil des Kreis-(nunmehr Landes-)gerichtes Leoben vom 26.April 1991, GZ 10 E Vr 384/89-69, verhängten Freiheitsstrafe von sechs Monaten ausspricht, werden aufgehoben; der dem Widerrufsbeschluß zugrundeliegende Antrag der Staatsanwaltschaft Feldkirch wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem (nach erfolglos gebliebener Berufung am 8.April 1992 in Rechtskraft erwachsenen) Urteil des Einzelrichters des Kreis-(nunmehr Landes-)gerichtes Leoben vom 26.April 1991, GZ 10 E Vr 384/89-69, wurde Wolfgang K***** wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, die gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehen wurde.

Mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 30.Juni 1995, GZ 17 Vr 821/94-107, wurde er wegen mehrerer während der (am 9.April 1992 begonnenen) Probezeit verübter Straftaten, nämlich des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 und 2 sowie §§ 15, 12 dritter Fall StGB (Tatzeiten vom 9.November 1993 bis 14.Juli 1994) und des am 29.September 1994 verübten Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB, zu einer vierzehnmonatigen (unbedingten) Freiheitsstrafe verurteilt. Gleichzeitig wurde (über Antrag der Staatsanwaltschaft Feldkirch - 147 iVm 255/III) gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO (§ 53 Abs 1 StGB) die bedingte Nachsicht der sechsmonatigen Freiheitsstrafe widerrufen (255 iVm 281/III). Dieses Urteil und der Widerrufsbeschluß erwuchsen zufolge des unmittelbar nach deren Verkündung (und Erteilung der Rechtsmittelbelehrung) von beiden Prozeßparteien abgegebenen Rechtsmittelverzichts sofort in Rechtskraft (255/III).

Rechtliche Beurteilung

Der angeführte Widerrufsbeschluß des Landesgerichtes Feldkirch steht - wie der Generalprokurator in seiner dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Nach der Aktenlage wurzelt diese Fehlentscheidung darin, daß es zunächst der Untersuchungsrichter des Landesgerichtes Feldkirch verabsäumt hatte, entweder sogleich nach Einbringung der (zunächst) an das Geschworenengericht gerichteten (den Widerrufsantrag enthaltenden - 147/III) Anklageschrift durch die Staatsanwaltschaft am 14.März 1995 (4 s/I) oder - nachdem der Akt an ihn zur Vervollständigung der Voruntersuchung rückgeleitet worden war - spätestens nach Einlangen eines Aktenrücksendungsersuchens des Landesgerichtes Leoben vom 8.Mai 1995, das den ausdrücklichen Hinweis auf eine beabsichtigte Beschlußfassung über die endgültige Strafnachsicht enthielt (ON 98 a in 10 E Vr 384/89 des Landesgerichtes Leoben), den Einzelrichter des Landesgerichtes Leoben vom aktuellen Widerrufsantrag zu verständigen, und auch die Vorsitzende des Schöffengerichtes ab der Vorlage des Aktes an sie am 2. Juni 1995 - also bereits nach Ablauf der Probezeit - in dieser Richtung untätig geblieben war (s JABl 1976/17). Hinzu kommt, daß offenbar weder der Einzelrichter des Landesgerichtes Leoben dem Aktenübersendungsersuchen des Untersuchungsrichters des Landesgerichtes Feldkirch vom 25.Juli 1994, aus dem die Anhängigkeit eines neuen Verfahrens gegen Wolfgang K***** zu ersehen war, die gebotene Aufmerksamkeit schenkte, noch das Schöffengericht Feldkirch - von der Beschwerde allerdings ungerügt - zu keiner Zeit, also weder nach Aktenvorlage gemäß § 210 StPO noch (unmittelbar) vor Beschlußfassung entsprechend dem Gebot des § 494 a Abs 3 StPO Einsicht in den (auch im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung nicht angeschlossenen) Vorakt des Landesgerichtes Leoben oder in entscheidungsrelevante Teile desselben genommen hat. Denn dieser Akt war bereits vor dem 10.Mai 1995 von der Untersuchungsrichterin des Landesgerichtes Feldkirch dem Landesgericht für Strafsachen Graz zum dg. Verfahren gegen Josef F*****, AZ 5 Vr 180/95, übersendet worden und langte erst über neuerliches Ersuchen des Landesgerichtes Feldkirch vom 5.Juli 1995 (mithin mehrere Tage nach der in Rede stehenden Widerrufsentscheidung) wiederum bei diesem Gericht ein (vgl ON 98 a, S 104 in 10 E Vr 384/89 des Landesgerichtes Leoben sowie S 253/III in 17 Vr 821/94 des Landesgerichtes Feldkirch).

Angesichts dessen und der Tatsache, daß (wie sich schon aus der relativ alten Strafregisterauskunft vom 14.Juli 1994 [13/II] deutlich ergibt - eine neue wurde im übrigen von der Vorsitzenden auch anläßlich der Ausschreibung der Hauptverhandlung nicht mehr beigeschafft [189/III] -) damals die Probezeit bereits abgelaufen war und daher mit einer baldigen Beschlußfassung des Landesgerichtes Leoben über die endgültige Strafnachsicht gerechnet werden mußte, wäre die neuerliche Aktenbeischaffung oder (fallbezogen) zumindest eine zeitgerechte, jedwede Entscheidungsdivergenz ausschließende (allenfalls telefonische) Kommunikation zwischen den befaßten Landesgerichten notwendig gewesen. Denn die Bestimmung des § 494 a Abs 3 StPO, wonach das Gericht vor einer Entscheidung im Sinne des Abs 1 leg cit unter anderem in die Akten über die frühere Verurteilung Einsicht zu nehmen hat, bezweckt nicht nur die Verhinderung widersprechender Entscheidungen verschiedener Gerichte, sondern durch die notwendige (hier: neuerliche) Aktenbeischaffung auch eine Verhinderung einer Beschlußfassung durch das ursprünglich erkennende Gericht (vgl 12 Os 190,191 = JUS 1995/6/1774). Diesen Zwecken wird nur dann entsprochen, wenn der im Zeitpunkt der Beschlußfassung aktuelle Verfahrensstand ermittelt wird.

Die aufgezeigten Vorgänge hatten zur Folge, daß das Schöffengericht des Landesgerichtes Feldkirch bei seiner Beschlußfassung keine Kenntnis von der am selben Tag (im Zweifel ist zugunsten des Verurteilten anzunehmen, daß der Beschluß des Landesgerichtes Leoben uhrzeitmäßig vor der Verkündung des Beschlusses des Landesgerichtes Feldkirch [30.Juni 1995, 12 Uhr 38] erging) ausgesprochenen endgültigen Strafnachsicht durch das Landesgericht Leoben hatte (vgl ON 99 in 10 E Vr 384/89) und demnach die Entscheidungskompetenz über den Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu Unrecht in Anspruch nahm. Da der Beschluß des Landesgerichtes Leoben schon vor Eintritt der Rechtskraft Bindungswirkung erzeugte, derzufolge ein Gericht ohne vorangegangene Aufhebung dieses Beschlusses nicht berechtigt ist, über den Entscheidungsgegenstand neuerlich abzusprechen, vermochte der (zeitlich nachfolgende) Widerrufsbeschluß weder die schon vorher wirksam beschlossene endgültige Strafnachsicht zu beseitigen, noch gegen den Verurteilten irgendwelche Rechtsfolgen nach sich zu ziehen; die konstitutive Wirkung des Beschlusses des Landesgerichtes Leoben blieb vielmehr hievon unberührt.

Der Widerrufsbeschluß des Landesgerichtes Feldkirch verletzt sohin das Gesetz in dem sich aus §§ 494 a Abs 4, 498 StPO (und aus dem XX.Hauptstück der Strafprozeßordnung) hervorgehenden Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen ("ne bis in idem").

Er war daher - in Stattgebung der Beschwerde - ebenso zu kassieren wie Punkt 2. des darauf beruhenden Beschlusses des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Beschwerdegericht vom 22.August 1995, AZ 6 Bs 379/95 (= ON 122 in 17 Vr 821/94), demzufolge Wolfgang K***** auch aus dem Vollzug der sechsmonatigen Freiheitsstrafe gemäß § 46 Abs 2 StGB bedingt entlassen wurde.

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