Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Am 28.11.1983 kam es an einer Kreuzung in Wien zu einem Unfall, an welchem den Zweitbeklagten als Lenker des von der Erstbeklagten gehaltenen und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten PKWs das Verschulden trifft und bei dem die Klägerin Körper- und Vermögensschäden erlitt.
Die Klägerin begehrte zuletzt einen Betrag von S 503.150,76 an Kapital und stellte Renten- und Feststellungsbegehren, wobei in der Tagsatzung vom 26.4.1990 ein Teilanerkenntnisurteil über einen Betrag von S 390.000 sA verkündet wurde.
Das Erstgericht sprach der Klägerin mit Endurteil einen Betrag von S 42.399,20 sA zu und gab (mit Ausnahme eines Wertsicherungsbegehrens) dem Rentenbegehren und dem Feststellungsbegehren statt.
Zum im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof strittigen Begehren auf Verunstaltungsentschädigung stellte es ua fest, daß bei der Klägerin am Oberschenkel Operationsnarben mit einer Länge von 21, 22 und 31 cm deutlich sichtbar sind.
In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht ua aus: An Verunstaltungsentschädigung sei ein Betrag von S 50.000 zuzusprechen. An sich sei verheirateten Frauen oder Männern kein Ersatz für verminderte Heiratsaussichten zuzuerkennen. Jedoch seien Ehen scheidbar, und eine Verunstaltung könne sich auf ein späteres Fortkommen nachteilig auswirken. Im konkreten Fall sei die Ehe der Klägerin geschieden worden, "egal aus welchen Gründen auch immer". Die Klägerin sei daher beim Auffinden eines neuen Lebenspartners vor Schwierigkeiten gestellt.
Das Berufungsgericht gab hinsichtlich des Feststellungsbegehrens der Berufung der Beklagten teilweise Folge und änderte das angefochtene Urteil insoweit mit Teilurteil ab, wobei es die ordentliche Revision für nicht zulässig erklärte. Hinsichtlich des Leistungsbegehrens gab es den Berufungen beider Seiten Folge, hob das angefochtene Urteil insoweit auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zurück. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde - wegen Abweichung von dessen Rechtsprechung zur Gewährung einer Verunstaltungsentschädigung bei Ehescheidung erst nach dem Unfall - für zulässig erklärt.
Zur Verunstaltungsentschädigung führte das Berufungsgericht folgendes aus: Die Ausführungen des Erstgerichtes zur Verunstaltungsentschädigung stünden nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes. Danach umfasse § 1326 ABGB nur die durch den Unfall herbeigeführte Verschlechterung der Heiratsaussichten einer unverheirateten (oder doch wohl auch geschiedenen) Person, nicht aber die Möglichkeit, daß eine bereits verheiratete Person vielleicht später einmal verwitet oder geschieden werden könnte und dann keinen neuen Partner finden werde. Es könne dabei nur auf die Verhältnisse der verletzten Person zur Zeit des Unfalls ankommen, nicht aber auf spätere, vom Schädiger nicht beeinflußte Wechselfälle des Lebens, die unabhängig vom Unfall eintreten.
Das Berufungsgericht vermöge dieser Rechtsprechung nicht zu folgen. Zunächst sei nicht einsichtig, warum es einen solchen Unterschied machen solle, ob die Ehe der Geschädigten nur einen Monat vor oder einen Monat nach dem Unfall aufgelöst werde. Dementsprechend judiziere der Oberste Gerichtshof auch in ständiger Rechtsprechung, daß Verdienstentgang auch erhalte, wer zum Zeitpunkt des Unfalls zwar nicht im Erwerbsleben stehe, aber doch einen künftigen Beruf gesucht und gefunden hätte. Weder Wertungen des Gesetzes noch Bedenken hinsichtlich fehlender Unfallskausalität sprächen gegen die Gewährung einer Verunstaltungsentschädigung, da entscheidend nur sei, daß das bessere Fortkommen infolge der Verunstaltung beeinträchtigt sei. Es gehe um die Beeinträchtigung der künftigen Lebensgestaltungsmöglichkeiten aufgrund der Verunstaltung. Zu den von der Rechtsordnung gebilligten Lebensgestaltungsmöglichkeiten gehöre auch, sich nach einer Scheidung wieder verehelichen zu können, und zwar unabhängig davon, auf welchem Grund die Scheidung beruhe. Es bedürfe daher nicht der von der Klägerin begehrten Feststellung, daß nicht nur die Möglichkeit der Wiederverehelichung durch den Unfall beeinträchtigt werde, sondern daß die Scheidung selbst unfallskausal gewesen sei. Die Verunstaltete habe zwar zu behaupten und zu beweisen, daß infolge der Verunstaltung ihr Fortkommen verhindert werden könne, doch dürften an diese Behauptungs- und Beweislast nicht allzu hohe Anforderungen gestellt werden. Die Behauptungen bedürften auch keines besonderen Beweises, sofern nach Erfahrungssätzen die Möglichkeit des betreffenden Nachteils gegeben sei, wie zB die verminderte Heiratsfähigkeit einer im heiratsfähigen Alter stehenden Frau oder die Behinderung des beruflichen Fortkommens. Die Höhe der Verunstaltungsentschädigung lasse sich allerdings vor Kenntnis des Umfanges der unfallskausalen körperlichen Schädigung nicht abschließend beurteilen.
Gegen diesen Aufhebungsbeschluß richtet sich der Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß die Klagsforderung im bekämpften Umfang abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs der Beklagten nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist aus Gründen der Rechtsentwicklung zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
Die Beklagten machen im wesentlichen geltend, der Klägerin sei eine Verunstaltungsentschädigung nicht zuzuerkennen, weil auf die Verhältnisse der verletzten Person zur Zeit des Unfalles abzustellen sei. Zumindest wäre die Kausalität der Verunstaltung für die Ehescheidung zu prüfen gewesen.
Hiezu wurde erwogen:
Unstrittig ist, daß die (1942 geborene) Klägerin im Unfallszeitpunkt verheiratet war. Im Zuge der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes wurde die Feststellung getroffen, daß die Ehe der Klägerin (nach dem Unfall) geschieden wurde.
Verheirateten kommt nach der Rechtsprechung zu § 1326 ABGB keine Verunstaltungsentschädigung wegen vermindeter Heiratsaussichten zu, wobei auf die Verhältnisse im Unfallszeitpunkt abgestellt wurde (ZVR 1976/174, 1983/16, 1984/322, 1990/88 ua). Eine spätere Ehescheidung wurde dann berücksichtigt, wenn die Ehe wegen der Unfallsfolgen geschieden wurde (EFSlg 46.103 f, 48.663). In jüngerer Zeit wurde die Zuerkennung einer Verunstaltungsentschädigung trotz im Unfallszeitpunkt aufrechter Ehe für möglich gehalten, wenn eine Ehescheidung damals bereits beabsichtigt war und dann auch tatsächlich erfolgte (RZ 1992/32 = EFSlg 66.339). Zuletzt wurde darauf abgestellt, daß die Geschädigte zur Zeit des Unfalls verheiratet war und die Ehe noch aufrecht ist (2 Ob 1/93). Schließlich ist zu einer Bemessungsfrage ausgeführt worden, daß die Verunstaltungsentschädigung nach den überschaubaren Verhältnissen zur Zeit des Schlusses der Verhandlung erster Instanz auszumessen ist, weshalb auch der spätere Tod des Verunstalteten auf die Höhe keinen Einfluß haben kann (ZVR 1989/129).
Die Ansicht, die Beurteilung sei nach den (Ehe-)Verhältnissen im Unfallszeitpunkt vorzunehmen, wurde in der Lehre mehrfach kritisiert (vgl Holzer, Bemerkungen zu § 1326 ABGB, JBl 1981, 239, 240; Harrer in Schwimann § 1326 ABGB Rz 22; Reischauer in Rummel2 § 1326 ABGB Rz 7; Apathy, EKHG § 13 Rz 54, der darauf hinweist, daß vom Obersten Gerichtshof eine Verunstaltungsentschädigung gewährt wurde, wenn das bessere berufliche Fortkommen derzeit nicht verhindert ist, später einmal aber verhindert sein könnte [ZVR 1981/99], und daß einem Verunstalteten, der nach dem Unfall heiratet, keine Verunstaltungsentschädigung wegen verminderter Heiratsaussichten mehr zuerkannt wurde [EFSlg 31.557]).
In Hinblick auf diese Kritik und die Tendenz der jüngeren Rechtsprechung zu § 1326 ABGB, auf die Verhältnisse nach dem Unfall Bedacht zu nehmen, macht sich der erkennende Senat die Auffassung zu eigen, daß bei der Beurteilung von Ersatzansprüchen wegen verminderter Heiratsaussichten jedenfalls die Entwicklung bis zum Schluß der Verhandlung erster Instanz zu berücksichtigen ist. Dies entspricht der allgemeinen Regel, daß die Entscheidung aufgrund der Sachlage im Zeitpunkt des Verhandlungsschlusses zu ergehen hat (Fasching, Lehrbuch2 Rz 794).
Da die Klägerin zu diesem Zeitpunkt nicht mehr verheiratet war, haben die Vorinstanzen zu Recht einen Anspruch auf Entschädigung wegen reduzierter Heiratsaussichten nicht ausgeschlossen. Ob und wie ein solcher Anspruch auch im Falle einer Ehescheidung der verunstalteten Person nach Schluß der Verhandlung erster Instanz geltend gemacht werden kann (vgl Harrer aaO Rz 23; Reischauer aaO), muß bei der hier gegebenen Fallgestaltung nicht untersucht werden.
Den Vorinstanzen ist auch zuzustimmen, daß es auf den Grund der Scheidung in diesem Zusammenhang nicht ankommt (vgl Reischauer aaO; Apathy aaO). Von Bedeutung ist allein, daß die Klägerin nunmehr unverheiratet ist und daß ihre Aussichten auf eine Wiederverehelichung durch den Unfall verschlechtert wurden; ob ihre Ehe wegen der Unfallsfolgen geschieden wurde, ist unerheblich.
Das Berufungsgericht hat sich aufgrund der erstgerichtlichen Feststellungen zu einer abschließenden Beurteilung der Höhe der Verunstaltungsentschädigung vor Kenntnis des Umfanges der unfallskausalen körperlichen Schädigung nicht in der Lage gesehen. Ist die dem Aufhebungsbeschluß zugrundeliegende Rechtsansicht - wie hier - aber richtig, kann der Oberste Gerichtshof nicht überprüfen, ob die Verfahrensergänzung tatsächlich notwendig ist (Kodek in Rechberger § 519 ZPO Rz 5 mwN).
Dem Rekurs war somit ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.
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