OGH 13Os155/95(13Os156/95)

OGH13Os155/95(13Os156/95)8.11.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 8.November 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Markel, Dr.Mayrhofer, Dr.Ebner und Dr.Rouschal als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Bodner als Schriftführer, in den Strafsachen gegen Jasmine P***** wegen des Verbrechens des versuchten Diebstahls durch Einbruch nach §§ 15, 127, 129 Z 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Urteile des Jugendgerichtshofes Wien vom 1.März 1994, GZ 20 c U 131/93-32, und vom 21.Februar 1995, GZ 14 U 64/95-26, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Weiß, jedoch in Abwesenheit der Verurteilten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Gesetz wurde verletzt durch die Urteile des Jugenderichtshofes Wien

A. vom 1.März 1994, GZ 20 c U 131/93-32,

I. durch den - ohne Beiziehung eines Verteidigers - gefällten Schuldspruch wegen des Verbrechens nach §§ 15, 127, 129 StGB (Punkt 3. des Urteilssatzes) in den Bestimmungen der §§ 9 Abs 1 Z 1 StPO und 39 Abs 1 Z 1 Abs 3 JGG,

II. durch die (zu Punkt 4.) unterlassene Bezeichnung der von der Beschuldigten Jasmine P***** begangenen Suchtgifttaten in der Bestimmung des § 260 Abs 1 Z 1 StPO iVm §§ 458 Abs 3 Z 1, 270 Abs 2 StPO, und

B. vom 21.Februar 1995, GZ 14 U 64/95-26, durch Verhängung einer die gesetzlich zulässige Obergrenze von drei Monaten bei Ahndung von Jugendstraftaten nach §§ 127 StGB und 16 Abs 1 SGG übersteigenden Freiheitsstrafe in der Bestimmung des § 5 Z 4 JGG iVm §§ 28 Abs 1, 127 StGB und 16 SGG.

Gemäß § 292 StPO werden:

1. Das zu A. genannte Urteil des Jugendgerichtshofes Wien (GZ 20 c U 131/95-32) aufgehoben und die Sache an den Einzelrichter des Jugendgerichtshofes Wien zu neuer Verhandlung und Entscheidung verwiesen, und

2. a) das zu B. genannte Urteil des Jugendgerichtshofes Wien (GZ 14 U 64/95-26), das im übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch sowie

b) der damit gleichzeitig erfolgte Ausspruch gemäß § 494 a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO (ON 27 und S 183 des Aktes) aufgehoben und die Sache im Umfange der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Jugendgerichtshof Wien zurückverwiesen.

Text

Gründe:

A. Mit (in gekürzter Form ausgefertigem) Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als zur Ausübung der den Bezirksgerichten zustehenden Gerichtsbarkeit vom 1.März 1994, GZ 20 c U 131/93-32, wurde die am 14.Juni 1976 geborene, sohin damals noch jugendliche Jasmine P***** ohne Beisein eines Verteidigers der strafbaren Handlungen nach "§ 15 iVm §§ 141/1, 127, 129 StGB und § 16/1 SGG" schuldig erkannt.

Dieser Schuldspruch erfolgte, weil sie - neben einer versuchten Entwendung von Süßigkeiten im Wert von 56,50 S (Urteilspunkt 1.) und einem Diebstahl diverser Kleidungsstücke im Wert von 1.486 S (Urteilspunkt 2.) - (zu Urteilspunkt 3.) "am 1.Juli 1993 versuchte, bei der Firma B***** um 2.00 Uhr früh, zwei Unterhosen, ein Taschentuch und 15 Zeitschriften durch Einbruch zu stehlen (D 3011/93)" und (zu Urteilspunkt 4.) weil sie "wegen Suchtgiftkonsums und -besitzes am 13.11.1992, 25.11.1992, 7.3.1993, 19.4.1933, 11.5.1993, 27.5.1993, 7.7.1993, 23.7.1993, 28.6.1993, 24.10.1993, 2.12.1993, 12.12.1993, 6.1.1994, 29.1.1994, und 15.2.1994 von der Polizei aufgegriffen und angezeigt wurde".

Jasmine P***** wurde hiefür unter Anrechnung mehrerer in Verwahrungshaft zugebrachter Zeiträume zu einer unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Zugleich wurde die Einziehung von zwei (sichergestellten) Briefchen Kokain ausgesprochen.

B. Mit (gekürzt ausgefertigtem) Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 21.Februar 1995, GZ 14 U 64/95-26, wurde die damals nach wie vor jugendliche Jasmine P***** erneut im bezirksgerichtlichen Verfahren des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB und des Vergehens ("des Erwerbes, Besitzes und der Weitergabe von Suchtgift") nach § 16 Abs 1 SGG schuldig erkannt.

Der Schuldspruch wegen § 16 Abs 1 SGG erfolgte, weil sie in Wien unberechtigt ab 1.März 1994 Heroin, mithin ein Suchtgift, von unbekannten Personen erworben, an andere weitergegeben, sowie besessen und von Mitte Mai 1994 bis 7.November 1994 ca "80 - 90 Gramm Heroin an Unbekannte vermittelt" hat.

Hiefür wurde sie unter Anwendung des § 5 Z 4 JGG zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt, deren Vollzug wieder für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Gemäß § 494 a (zu ergänzen: Abs 1 Z 2 und Abs 6) StPO wurde vom Widerruf der im Verfahren 20 c U 131/93 des Jugendgerichtshofes Wien gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen, zugleich aber die dort bestimmte Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

Rechtliche Beurteilung

Die bezeichneten Urteile stehen, wie der Generalprokurator in der gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, in mehrfacher Hinsicht mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Zu A. Urteil vom 1.März 1994, AZ 20 c U 131/93:

Gemäß § 9 Abs 1 Z 1 StPO obliegt dem Bezirksgericht das Strafverfahren - mit hier nicht bedeutsamen Ausnahmen - wegen aller Vergehen, für die nur Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe angedroht ist, deren Höchstmaß ein Jahr nicht übersteigt.

Das Verbrechen des (hier im Versuchsstadium gemäß § 15 StGB gebliebenen) Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 StGB ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bedroht und fällt sachlich daher in die Zuständigkeit des Gerichtshofes (§ 10 Z 2 StPO), funktionell in jene des Einzelrichters (§ 13 Abs 2 StPO). Somit war der Jugendgerichtshof Wien, der entgegen dem Bestrafungsantrag des Bezirksanwaltes (vgl S 1 a des Antrags- und Verfügungsbogens in ON 12) einen die Qualifikation nach § 129 StGB begründenden Tatumstand angenommen hat, zur Ausübung der den Bezirksgerichten zustehenden Gerichtsbarkeit (§ 23 Z 1 lit b JGG) nicht berufen.

Im Verfahren vor dem Gerichtshof muß einem jugendlichen Beschuldigten, wenn nicht anderweitig für seine Verteidigung gesorgt ist, von Amts wegen ein Verteidiger beigegeben werden (§ 39 Abs 1 Z 1 JGG). Da in der Hauptverhandlung vom 1.März 1994 kein Verteidiger der Jugendlichen Jasmine P***** anwesend war, ist der in dieser Hauptverhandlung gefällte Schuldspruch - unbeschadet des Umstandes, daß auch beim Gerichtshof über das Verbrechen des Diebstahls durch Einbruch nur ein Einzelrichter zu entscheiden hat (§ 27 Abs 2 JGG) - nichtig (§ 39 Abs 3 JGG).

Zudem hat die Richterin entgegen der - auch bei Abfassung einer gekürzten Urteilsausfertigung gemäß § 458 Abs 3 Z 1 iVm § 270 Abs 2 StPO geltenden - Vorschrift des § 260 Abs 1 Z 1 StPO jene Taten, die zum Schuldspruch nach § 16 Abs 1 SGG geführt haben, nicht (in einer jede Verwechslung ausschließenden Weise) bezeichnet. Der bloße Ausspruch, an bestimmten Tagen "von der Polizei wegen Suchtgiftkonsums und -besitzes aufgegriffen" worden zu sein, genügt dieser Vorschrift nicht, kommt doch hiedurch nicht zum Ausdruck, welcher Taten die Angeklagte tatsächlich für schuldig befunden wurde.

Die aufgezeigten Gesetzesverletzungen wirken sich insgesamt zum Nachteil der Verurteilten aus.

zu B. Urteil vom 21.Februar 1995, AZ 14 U 64/95:

Gemäß § 5 Z 4 JGG wird bei Ahndung von Jugendstraftaten das Höchstmaß aller (zeitlichen) Freiheitsstrafen - soferne es sich nicht um Taten handelt, für die lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe von 10 bis 20 Jahren angedroht sind, für die hier nicht interessierende Sonderregelungen bestehen - auf die Hälfte herabgesetzt.

Für einen von einem Jugendlichen begangenen (nicht qualifizierten) Diebstahl oder für ein von ihm begangenes Vergehen nach § 16 Abs 1 SGG darf daher wegen der Strafdrohung von Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten (oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen) bei Verhängung einer Freiheitsstrafe das Ausmaß von drei Monaten nicht überschritten werden. Dies gilt infolge der Bestimmung des § 28 Abs 1 StGB auch für den Fall des Zusammentreffens dieser Delikte. Die Verhängung einer viermonatigen (wenngleich bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafe begründet daher eine der Verurteilten zum Nachteil gereichende und Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 StPO bewirkende Gesetzesverletzung.

Beim Ausspruch des Gerichtes, Jasmine P***** habe in Wien 80 bis 90 Gramm Heroin vermittelt, dürfte es sich hingegen nur um einen (unberichtigten) Schreib- oder Rechenfehler handeln, kann doch aus dem Akt, insbesondere aus den detaillierten niederschriftlichen Angaben der Jasmine P***** (AS 169), eine derartige, die Zuständigkeit des Schöffengerichtes wegen Tatverdachtes nach § 12 Abs 1, allenfalls Abs 3 Z 3 SGG begründende Suchtgiftmenge nicht abgeleitet werden. Ob sich die Vermittlung einer solchen Suchtgiftmenge durch die jugendliche Beschuldigte allenfalls erst in der Hauptverhandlung ergeben hat, ist dem das Protokoll über die Hauptverhandlung ersetzenden Vermerk nicht zu entnehmen. Selbst wenn das Bezirksgericht irrig über die "Vermittlung" einer großen, allenfalls sogar übergroßen Menge nach § 12 Abs 1 und Abs 3 Z 3 SGG abgesprochen hätte, gereichte dieser Rechtsirrtum der Angeklagten nicht zum Nachteil, weil sie insoweit nur des Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG schuldig erkannt wurde (s Mayerhofer/Rieder StPO3 ENr 84 zu § 292).

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes waren sohin das unter A. genannte Urteil zur Gänze und das zu B. bezeichnete Urteil lediglich im Strafausspruch sowie der mit letzterem Urteil ergangene Ausspruch nach § 494 a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO aufzuheben und die Sachen im jeweiligen Umfange der Aufhebung an das zuständige Gericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, zumal ein Strafausspruch zum Verfahren AZ 14 U 64/95 des Jugendgerichtshofes Wien mangels Beteiligung der Angeklagten am Gerichtstag und deren fehlender Vertretung nicht ergehen konnte (s SSt 56/25).

Somit war spruchgemäß zu erkennen.

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